Viele Sparverträge verstoßen gegen geltendes Recht. Manchen Sparern stehen Nachzahlungen von mehreren tausend Euro zu.

Die Diplom-Ökonomin Kerstin Ulbrich (55, rechts im Bild) und die Diplom-Betriebswirtin Anke Große (49) haben von der Ostsächsischen Sparkasse Dresden eine Neuberechnung ihrer Banksparpläne verlangt. Beide erhielten mehrere tausend Euro erstattet.
Nach Abschluss ihres Sparvertrags im Jahr 1993 ließ die Dresdnerin Kerstin Ulbrich die Sektkorken knallen. Sie hatte ausgerechnet, dass sie am Ende der 25-jährigen Laufzeit mehr als 200 000 D-Mark haben würde. Ihre Altersvorsorge schien der 30-jährigen gesichert, selbst wenn der Betrag durch Steuerabzüge gemindert würde.
Womit die Diplom-Ökonomin nicht gerechnet hatte: Bereits einen Monat nach Abschluss sank der Zins ihres Sparvertrags um einen halben Prozentpunkt. Weitere Zinssenkungen folgten bald.
Ulbrich hatte die Folgen der variablen Verzinsung unterschätzt. Die Sparkasse war daran nicht unschuldig. Die Beispielrechnungen in ihrer Werbebroschüre beruhten auf einem Zinssatz von 5 Prozent. Dass sich der Zins während der Laufzeit ändern kann, war nur eine Fußnote wert.
Inzwischen, zwei Jahrzehnte später, hat Ulbrich 4 600 Euro Nachzahlung bei der Ostsächsischen Sparkasse Dresden durchgesetzt. Geholfen haben ihr die Verbraucherzentrale Thüringen und mehrere Urteile des Bundesgerichtshofs.
Bundesgerichtshof stoppt Lockzinsen
So wie Kerstin Ulbrich und ihrer Freundin Anke Große erging es tausenden Anlegern. Die Banken hatten damals freie Hand. Sie konnten Kunden mit Lockzinsen für langfristige Verträge ködern und sich nach drastischen Zinssenkungen gesundstoßen.
Im Februar 2004 schob der Bundesgerichtshof (BGH, Az. XI ZR 140/03) dieser Praxis einen Riegel vor. Die Richter erklärten die Klausel für unwirksam, nach der Banken die Zinsen in variabel verzinsten Sparplänen beliebig ändern konnten. Die Verzinsung muss sich am Kapitalmarkt orientieren, an einem „Referenzzins“.
Wie die Zinsanpassung zu geschehen hat und welche Ansprüche Sparer wie Ulbrich haben, klärten weitere BGH-Urteile im Jahr 2010 (Az. XI ZR 197/09 und Az. XI ZR 52/08): Bei der Neuberechnung von Sparplänen ist über die gesamte Vertragslaufzeit der anfängliche relative Abstand zwischen Vertrags- und Referenzzins beizubehalten.
Beispiel: Lag der Vertragszins zu Beginn bei 4 Prozent und der Referenzzins bei 5 Prozent, so muss die Bank über die gesamte Laufzeit 80 Prozent des Referenzzinses an den Kunden weitergeben. Sinkt der Referenzzins auf 1 Prozent, bekommt der Kunde also 0,8 Prozent.
Die Regeln für die Neuberechnung unterscheiden sich damit von denen für neue Sparverträge. Hier dürfen Banken den Abstand auch in Prozentpunkten festlegen.
Welche Sparpläne betroffen sind
Die BGH-Urteile beziehen sich auf Sparpläne mit variabler Verzinsung und Zusatzboni, die mit der Laufzeit steigen. Nicht erfasst werden Sparpläne mit festem Zins und mit fest vereinbarten Zinstreppen. Auch variabel verzinste Angebote ohne Bonuszahlungen bleiben außen vor.
Gelegentlich Streit um Verjährung
Umstritten ist die Frage, wann Ansprüche verjähren. Finanztest geht davon aus, dass Sparer bis zu drei Jahre nach Beendigung des Sparplans für die gesamte Laufzeit eine Neuberechnung verlangen können. Üblicherweise halten sich die Banken daran. Oft kommen Nachzahlungen von mehreren tausend Euro heraus.
Es gibt aber auch Fälle, in denen Ombudsleute von Banken oder Sparkassen selbst bei laufenden Sparplänen den Kunden nur eine Nachzahlung für die vergangenen drei Jahre zubilligten.
Viele Banken mussten zahlen
Kerstin Ulbrich erfährt etwa 19 Jahre nach Vertragsschluss, dass ihr mehr Zinsen zustehen. Mithilfe der Verbraucherzentrale Thüringen verlangt sie von der Ostsächsischen Sparkasse Dresden eine Neuberechnung und eine Nachzahlung.
Nach einigem Hin und Her akzeptiert Ulbrich die 4 600 Euro, die ihr die Sparkasse anbietet. Nach den Berechnungen der Verbraucherzentrale wären sogar fast 1 000 Euro mehr fällig gewesen.
Viele Banken mussten bereits zahlen. Eckehard Balke, Experte für Finanzdienstleistungen der Verbraucherzentrale Thüringen, stellt dabei fest, dass sie sich oft nicht an die höchstrichterliche Rechtsprechung halten. Sie rechnen mit einer festen statt einer prozentualen Marge. Das ist bei stetig fallenden Zinsen nachteilig für Sparer.
Ulbrich hätte die Nachzahlung am liebsten direkt in den Sparplan fließen lassen, aber dazu sah sich die Sparkasse nicht imstande. Das findet Balke unverständlich.
Rechtsverstöße in neuen Verträgen
Erstaunlicherweise bieten die Banken auch heute noch Sparpläne an, die dem Tenor des ersten BGH-Urteils widersprechen. Die Angebote der Bank für Kirche und Caritas, der Sparkasse Bremen und der Umweltbank aus unserem aktuellen Test haben keinen vertraglich festgelegten Referenzzins. „Ein eindeutiger Verstoß gegen das BGH-Urteil“, sagt Balke.
Lassen sich Sparer auf solche Angebote ein, kann zurzeit zumindest nicht viel schiefgehen. Die Sparpläne der Bank für Kirche und Caritas und der Umweltbank verdanken ihre Attraktivität bei langen Laufzeiten vor allem den festen Boni und nicht dem aktuell mageren Zins.
Viele andere Banken nennen einen Referenzzins, schreiben aber nicht, wie viel sie davon abziehen. Die eigene Marge gilt als Geschäftsgeheimnis. Das macht Sparern ein Problem. Wie sollen sie kontrollieren, ob die Bank Zinsänderungen korrekt weitergibt?
Gut möglich, dass sich das Vorgehen der Banken als Bumerang erweist. Eckehard Balke meint, dass bei Verträgen, die den Abstand zum Referenzzins offenlassen, der Zinsabstand bei Vertragsschluss fortgeschrieben werden kann. Dann müssten die Banken jede Zinserhöhung weitergeben.
Postbank und Commerzbank
In den aktuellen Sparverträgen der Postbank und Commerzbank sind Abstände zwischen Spar- und Referenzzins von maximal 2,5 und 3 Prozentpunkten festgelegt. Diese Abstände schöpfen die Banken zurzeit nicht annähernd aus und müssten ihre Zinsen selbst dann nicht anheben, wenn die Referenzzinsen deutlich klettern sollten.