
Jeder zehnte Mensch glaubt laut Umfragen aufrichtig, gegen Penicillin allergisch zu sein. Warum nicht? Jeder Zehnte schläft schlecht, jeder Zehnte hat die Reisekrankheit, jeder Zehnte steht kurz vorm Burnout. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, „jeder Zehnte“ zu sein. Doch im Falle Penicillin liegt in 95 Prozent der Fälle gar keine Allergie vor, schreiben US-Forscher im Fachjournal Jama. Die Nichteinnahme von Penicillin kann für die nur „gefühlt“ Betroffenen Folgen haben.
Penicillin: Ein erprobtes Antibiotikum
Viele Menschen glauben irrtümlich, sie seien gegen Penicilline allergisch. Woran liegt das? Penicilline, fachsprachlich auch als Beta-Laktam-Antibiotika bekannt, gehören zu den am längsten erprobten Antibiotika und werden bei schweren Infektionen schon Kleinkindern verabreicht. Jedes zweite Kind zwischen drei und sechs Jahren bekommt mindestens ein Antibiotikum pro Jahr verordnet, darunter häufig auch ein Penicillin. Viele Menschen schlussfolgern aus oft lange zurückliegenden Erfahrungen, dass sie das Medikament nicht vertragen – denn sie haben zum Beispiel mit Durchfall, Hautrötungen oder Juckreiz reagiert. Doch das ist noch kein Beweis für eine allergische Reaktion.
Allergievermutungen oft unbegründet
Nicht berücksichtigt wird oft, dass diese Effekte möglicherweise
- durch andere verabreichte Medikamente (Wechselwirkung),
- durch den Infekt selbst,
- durch eine gleichzeitig vorliegende Virusinfektion
- oder durch eine Pseudoallergie
ausgelöst wurden.
Oder es sich einfach um übliche Reaktionen auf Antibiotika handelt, da letztere auch nützliche Darmbakterien angreifen.
Das Risiko, selbst betroffen zu sein, nur weil ein naher Verwandter nachweislich eine Penicillin-Allergie hat, ist ebenfalls gering.
Der bloße Verdacht, gegen Penicillin allergisch zu sein, bleibt allerdings im Gedächtnis hängen. Und offenbar hängt so ein Verdacht ein Leben lang nach. Die kürzlich in der Fachpublikation Jama veröffentlichte Untersuchung zeigt, dass schließlich bei weniger als 5 Prozent derjenigen, die eine Allergie vermuten, auch tatsächlich eine Penicillin-Überempfindlichkeit vorliegt.
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Allzweckwaffe Penicillin
- 1893
- entdeckte der italienische Arzt Bartolomeo Gosio, dass eine Schimmelpilzgattung Milzbranderreger nicht weiter wachsen ließ. Es gab jedoch kein großes Interesse an seinen Erkenntnissen.
1897 dokumentierte der französische Militärarzt Ernest Duchesne – nachdem er mit Schimmelpilzen und Mikroben experimentierte – in seiner Doktorarbeit ebenfalls, dass das Wachstum der Bakterien verhindert wurde. Seine Doktorarbeit wurde jedoch abgelehnt.
1928 entdeckte dann der schottische Mediziner und Bakteriologe Alexander Fleming eher zufällig die Wirkung des Penicillins. Er hatte eine Petrischale mit Bakterienkulturen beiseitegestellt, sie vergessen und fuhr in den Urlaub. Als er wieder zurückkehrte, hatte sich ein Schimmelpilz auf der Schale gebildet, der ganz offenbar krankheitserregende Bakterien abtötete.
1938 stellten schließlich der britische Pathologe Howard Florey und der deutsch-britische Biochemiker Ernst Boris Chain Penicillin in größeren Mengen her und machten es marktfähig.
1945 war das der Schwedischen Akademie der Wissenschaften im Oktober einen Medizin-Nobelpreis für das Forscher-Trio Fleming, Florey und Chain wert. - Gegen Entzündung.
- Dank der Wirkungsweise von Penicillin mussten bakterienbedingte Wundinfektionen, aber auch Hirnhaut-, Bauchfell- und Lungenentzündungen, Diphtherie, Keuchhusten, Milzbrand, Gasbrand, Pocken oder Syphilis alsbald nicht mehr tödlich verlaufen. Inzwischen sind verschiedene verwandte Wirkstoffe hinzugekommen. So sind auch Nasennebenhöhlen-, Mittelohr- und Harnwegsentzündungen besser behandelbar.
- Vorbeugender Einsatz.
- Außerdem kommen Penicilline bevorzugt zum Einsatz, wenn bei Operationen Infektionen vorgebeugt werden soll.
Welche allergischen Reaktionen gibt es?
Die allergische Sofortreaktion |
Die allergische Spätreaktion |
Sie wird unmittelbar nach dem Kontakt mit Penicillin innerhalb von Sekunden oder Minuten, spätestens nach einer Stunde ausgelöst. Schwere allergische Reaktionen treten vor allem nach intravenöser Gabe auf. Auslöser ist unter anderem das Gewebehormon Histamin. |
Sie tritt 24 bis 48 Stunden, mitunter auch erst ein bis zwei Wochen nach dem Kontakt mit dem Allergen auf. Sie kommt durch die sogenannten T-Lymphozyten (aus dem Knochenmark stammende Immunzellen) zustande, die sich nach dem Kontakt mit dem Allergen übermäßig vermehren. |
Typische Symptome |
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Im schwersten Fall treten mehrere der oben genannten Symptome gebündelt auf; es droht ein lebensbedrohlicher anaphylaktischer Schock. Bei Warnzeichen wie Schwellungen im Gesicht und an den Schleimhäuten, Herzrasen, kaltem Schweiß, Atemnot, Schwindel oder einem Kreislaufzusammenbruch muss sofort der Notarzt (Telefon 112) gerufen werden. Bei allergischen Reaktionen wird das Penicillin abgesetzt. Der Arzt entscheidet dann, wie die Weiterbehandlung verläuft.
Die Verträglichkeit vom Allergologen abklären lassen
Ob tatsächlich eine Allergie vorliegt, lässt sich in der Regel durch einen Hauttest (Pricktest) und einen Provokationstest, bei dem ein Penicillin unter anschließender ärztlicher Beobachtung eingenommen wird, beim Facharzt abklären.
- Gibt es allergische Reaktionen auf bestimmte Penicillin-Präparate, ist es immer noch möglich zu prüfen, ob auf andere Penicilline (mit abgewandelter chemischer Struktur) ausgewichen werden kann.
- Grundsätzlich können diese Tests nach ein paar Jahren wiederholt werden. Denn eine Arzneimittelallergie kann nach Jahren auch wieder verschwinden. Immerhin 80 Prozent der Betroffenen werden nach einem Jahrzehnt wieder tolerant, ihnen macht das Allergen, das einst die Reaktion auslöste, nichts mehr aus. Sprich: Selbst eine echte Penicillin-Allergie muss nicht von Dauer sein.
- So ein Test hilft am Ende dem Betroffenen, aber auch dem Nichtbetroffenen – und dem Arzt. In vielen akuten Situationen (wie bei Unfällen oder Operationen) ist Penicillin das Medikament der ersten Wahl. Muss jedoch schnell behandelt werden, reicht die Zeit zur diagnostischen Abklärung nicht aus – dann wird der Arzt vorsichtshalber zu Alternativen greifen. Dabei ist das Ausweichen oft unnötig.
Andere Antibiotika sind oft nicht so wirksam

Penicillin und verwandte Wirkstoffe töten bestimmte Bakterien ab und kämpfen viele Infektionen auf diese Weise effizient nieder. Das schafft nicht jedes Antibiotikum. Obwohl Penicilline schon so lange genutzt werden, sind sie immer noch sehr gut wirksam – und erstaunlich wenige Bakterien sind dagegen unempfindlich (resistent) geworden. Das hängt damit zusammen, dass die Mittel oft zielgerichtet nur schädliche Bakterienarten abtöten und die übrigen verschonen. Wenn es vom Krankheitsbild her passt, verordnen Ärzte daher gern ein Penicillin. Teilt ein Patient jedoch mit, dass er darauf allergisch reagiert, verschreibt der Arzt meist andere Antibiotika. Das wiederum kann Nachteile für die Betroffenen haben, denn Alternativen wie sogenannte Breitbandantibiotika oder Reserveantibiotika
- wirken oft nicht so gut,
- können mehr Nebenwirkungen haben
- und erhöhen das Risiko für Resistenzen.
Ein Beispiel: Gegen Fluorchinolone, die zu den Breitbandantibiotika zählen, gibt es bereits vermehrte Resistenzen. Außerdem wurde aktuell die Anwendung eingeschränkt, da die Mittel in seltenen Fällen zu schwerwiegenden Nebenwirkungen im Bereich der Sehnen, Muskeln, Gelenke und des Nervensystems führen.
Nur einer von 200 Menschen hat eine Penicillin-Allergie
Wenn also jeder Zehnte angibt, gegen Penicilline allergisch zu sein, der Allergieverdacht sich aber nur bei jedem Zwanzigsten davon bestätigt, bedeutet das im Umkehrschluss: Nur jeder Zweihundertste leidet tatsächlich an einer Penicillin-Allergie.
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Viele Menschen vertragen "gefühlt" keine Lactose, kein Gluten oder ähnliches. Dabei ist eher ungesund sich als gesunder Mensch unnötig glutenfrei zu ernähren etc.