Alkohol Das rechte Maß

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Ein Gläschen in Ehren, sagt der Volksmund. Tatsächlich scheint ein bisschen Alkohol laut Studien gut zu tun. Doch etwas mehr – und es wird gefährlich. Wo liegt das rechte Maß?

Alkohol gilt als der Deutschen liebste Droge. Nur etwa 3 Prozent der Erwachsenen verzichten lebenslang darauf. Alle anderen genehmigen sich das ein oder andere – vielleicht auch viele – Schlückchen. Im Schnitt kommt jeder und jede Deutsche, Babys und Greise eingerechnet, auf 9,7 Liter reinen Alkohol pro Jahr, heißt es im aktuellen Jahrbuch Sucht. Das entspricht täglich etwa 21 Gramm, also zum Beispiel fast einem Viertelliter Wein.

Im internationalen Vergleich liegen die Deutschen bei der Trinkfreude recht weit vorn, nämlich auf Platz 23. Das zeigen Daten der Weltgesundheitsorganisation. Den ersten Platz dabei belegt übrigens Moldawien, gefolgt von Tschechien, Ungarn und der Russischen Föderation.

Und Trinken hat lange Tradition. Schon die alten Ägypter wussten um die Kunst des Bierbrauens, die antiken Griechen und Römer sprachen lieber dem Wein zu. Auch in der Bibel taucht er oft auf. Und die Araber brachten die Destillation voran, um hochprozentige Spirituosen zu erzeugen. Aus ihrer Sprache stammt das Wort Alkohol. Es bedeutet: „das Feinste“.

Minimolekül, enorme Wirkung: „Alkohol gelangt schnell ins Blut und weiter ins Gehirn und beeinflusst dort viele Regionen und Botenstoffe“, sagt Privatdozent Dr. Hans-Jürgen Rumpf, Suchtforscher an der Universität Lübeck. Wie sich das auswirke, hänge von der körperlichen und seelischen Verfassung ab. Und natürlich von der Trinkmenge und nachgeschaltet dem Blutalkoholspiegel in Promille.

Erst enthemmt, dann gedämpft

Das erste Getränk (etwa ab 0,2 Promille) euphorisiert und enthemmt, steigert zum Beispiel den Rede-, Lach- oder Tatendrang, weil der Körper Glücksbotenstoffe (Endorphine) freisetzt. Mit steigender Dosis (ab etwa 0,5 Promille) machen sich dämpfende Effekte im Gehirn breit. Die Folgen: verlangsamte Reaktionen, Lallen und Torkeln, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme bis hin zu Filmriss und Schlafzwang. Das macht den Rausch riskant. Mit den Promillespiegeln steigt die Unfallgefahr – längst nicht nur beim Autofahren. Das bestätigt eine kanadische Studienauswertung aus dem Jahr 2010. „Je mehr du trinkst, desto härter fällst du“, lautet der Titel übersetzt.

„Zudem erhöht Alkohol die Risiko- und Aggressionsbereitschaft“, sagt Rumpf. 2010 wurde fast jedes dritte Gewaltverbrechen unter Alkoholeinfluss verübt. Und manch ein Rausch endet in der Klinik. „In sehr hohen Dosen, meist deutlich über 2 Promille, dämpft Alkohol das Gehirn so stark, dass eine lebensbedrohliche Atemlähmung eintritt“, sagt Professor Dr. Helmut Seitz, Chefarzt und Alkoholforscher im Krankenhaus Salem. Also: Besser keine Exzesse.

Aber in Maßen genossen, soll Alkohol, vor allem Rotwein, gesund sein. „Ein Gläschen pro Tag tut gut“, heißt es. Der Mythos gründet auf einer Beobachtung aus den 1970er Jahren, dem „französischen Paradox“: Obwohl Südfranzosen traditionell recht fettreich essen, sterben sie seltener an Herzinfarkten als Nordeuropäer. Als Erklärung diente Wissenschaftlern der Rotwein, der dort reichlich auf den Tisch kommt. „Seither laufen zu diesem Thema ideologische, hochemotionale Debatten“, sagt Professor Dr. Ulrich Keil, Epidemiologe an der Universität Münster.

Kleine Mengen wohl förderlich

Es gibt dazu inzwischen viele Studien, auch von Keil. Meist befragten Forscher dafür große Bevölkerungsgruppen jahrelang regelmäßig zu ihren Trinkgewohnheiten und dokumentieren Krankheits- oder Todesfälle. Die Bilanz: In kleinen Mengen scheint Alkohol tatsächlich einigen Leiden vorzubeugen, etwa bestimmten Schlaganfällen, Diabetes, Demenz und Osteoporose, berichten Keil und Seitz übereinstimmend.

Weitaus am besten belegt sei der Schutz vor koronarer Herzkrankheit, also auch vor Herzinfarkten. Das bestätigt eine gemeinsame Studienauswertung (Metaanalyse), die kanadische Forscher um William Ghali 2011 im „British Medical Journal“ veröffentlichten. Demnach senkt ein bisschen Alkohol – täglich etwa ein Getränk – das Risiko für koronare Herzkrankheit um knapp 30 Prozent. Und das Sterberisiko insgesamt liegt bei maßvollen Trinkern 13 Prozent niedriger als bei Abstinenzlern. Das führt Keil vor allem auf den Herzschutz zurück und schränkt ein: „Am meisten nützt Alkohol Über-60-Jährigen mit altersbedingt höherem Herz-Kreislauf-Risiko.“

Rotwein doch nicht am besten

Der günstige Effekt auf die Gefäße stelle sich innerhalb einiger Wochen ein und liege vor allem an zwei Gründen: Blutverdünnung und Erhöhung des „guten“, weil anti-arteriosklerotischen HDL-Cholesterins im Blut. „Beides könnte das Herz-Kreislauf-System schützen und wird wohl vom Alkohol bewirkt – unabhängig vom Getränk“, sagt Keil. Das widerspricht einer gängigen These: Dass Rotwein durch seine antioxidativen Begleitsubstanzen gesünder sei als Weißwein, Bier oder Spirituosen. „Wissenschaftlich lässt sich diese Einschätzung nicht mehr halten“, bestätigt Seitz. Trotz aller Erkenntnisse – beide Forscher warnen davor, Alkohol als Medizin zu verklären. „Das Herz lässt sich auch durch gesunde Ernährung und Bewegung schützen“, sagt Keil. „Niemand braucht dafür zur Flasche zu greifen.“ Und vor allem: „Alkohol nützt der Gesundheit höchstens in kleinen Mengen.“ So zeigen epidemiologische Studien: Ab mehr als etwa zwei alkoholischen Getränken täglich kippt die Waage, das Sterberisiko steigt. „Denn Alkohol ist für viele Zellen sehr giftig, und die Gefahren wachsen mit der Dosis“, sagt Seitz. Wer chronisch viel trinke, schädige nahezu jedes Organ und Gewebe (siehe Grafik).

Mit jedem Glas steigt das Krebsrisiko

Zudem stuft die Weltgesundheitsorganisation Alkohol als Krebsauslöser ein. Zu Recht, zeigt die Auswertung europäischer Daten. Veröffentlicht hat sie ein Team um Madlen Schütze vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung 2011 im „British Medical Journal“. Demnach lassen sich bei Männern 10 Prozent, bei Frauen 3 Prozent aller Krebsfälle auf Alkohol zurückführen.

Besonders stark erhöht er das Risiko für Tumoren in Mund, Rachen, Speiseröhre – vor allem kombiniert mit Rauchen – sowie für die Leber. Diese Arten kommen selten vor. Doch auch bei sehr häufigen wie Brustkrebs und Darmkrebs besteht ein Zusammenhang. „Das Krebsrisiko steigt wohl mit jedem täglichen Glas“, sagt Seitz. „Doch diese Gefahr wird dramatisch unterschätzt.“

Schluck für Schluck in die Sucht

Ein weiteres Problem sei stark tabuisiert: In Deutschland leben etwa 1,3 Millionen Alkoholabhängige (siehe Interview und „Hilfen für Alkoholiker“). Ihre Gedanken kreisen immer mehr ums Trinken, teils mit dramatischen Folgen: Gesundheitsschäden, sozialer Abstieg, Vereinsamung. „Und zu fast jedem Abhängigen gehören Angehörige, die mitleiden“, sagt Rumpf. „Bei der Suchtentstehung spielt das Belohnungszentrum eine Schlüsselrolle.“ Diese Hirnregion sorgt dafür, dass das Gedächtnis Erfahrungen als erstrebenswert abspeichert – und sie kann auf Alkohol anspringen. „Warum das aber beim einen passiert und beim anderen nicht, ist noch nicht vollständig erforscht“, sagt Rumpf. Oft hänge das mit genetischen Faktoren und persönlichen Belastungen zusammen – und den Trinkgewohnheiten.

Mit Vorsicht genießen

Die legale Droge ist also mit Vorsicht zu genießen. Mehrere Fachgesellschaften definierten Alkoholmengen, die der Gesundheit möglichst nicht schaden. Zum Beispiel empfiehlt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen folgende „Grenzwerte für einen risikoarmen Alkoholkonsum“: Eine Frau sollte täglich höchstens 12 Gramm reinen Alkohol trinken. Das entspricht etwa 0,33 Liter Bier oder 0,15 Liter Wein Bei Männern liegt der Grenzwert doppelt so hoch. Denn sie vertragen Alkohol besser, unter anderem weil sie ihn schneller abbauen und mehr wiegen.

Die Grenzwerte gelten für gesunde Erwachsene. Noch mehr Zurückhaltung empfiehlt sich etwa bei Krebs in der Familie und alkoholempfindlichen Krankheiten wie Leberleiden, Dickdarmpolypen, Speiseröhrenentzündung, psychischen Problemen, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen.

Tipp: Bleiben Sie mindestens zwei Tage pro Woche alkoholfrei – zur Suchtvorbeugung. Trinken Sie Alkohol möglichst zum Essen. Vermeiden Sie Rauschtrinken (fünf und mehr kleine alkoholische Getränke pro Anlass, Frauen weniger). Trinken Sie nicht bei der Arbeit, gefährlichen Sportarten, im Straßenverkehr, in Schwangerschaft, Stillzeit. Schützen Sie Kinder und Jugendliche.

Die Empfehlungen klingen streng. Dazu erklärt Seitz: „Wer die Grenzwerte einhält, steht auf der sicheren Seite. Alle anderen sollten sich einfach im Klaren sein, dass sie Risiken in Kauf nehmen.“ Und Suchtforscher Rumpf ergänzt: „Die Trinkmengen dürfen ruhig ein bisschen über die Woche verteilt werden – wenn auch ohne Rauschtrinken.“ In diesem Sinne: Prosit.

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