Die chinesische Nadelkur ist beliebt und vor allem bei Schmerzen im Einsatz. Auf die stichhaltige Therapie allein sollten Patienten aber nicht setzen. test.de sagt, was Akupunkturforscher bereits wissenschaftlich zur Wirkweise herausgefunden haben, was Anwender beachten sollten und wann Krankenkassen die Kosten erstatten.
Nadeln gegen die Not
Ein breites Lächeln, ein kurzes Kopfneigen, eine helle Stimme: „Guten Tag.“ Dr. Jian Chen* wirkt erfreut, die neue Patientin kennenzulernen. Er empfängt sie in seiner Praxis, die mit asiatischen Vasen und Gemälden, Regalen voller Fachbücher und Heilkräuter ausgestattet ist. Lena Hansen* schildert ihr Problem. Sie erwacht oft mit heftigem Kopfweh, das kaum auf Tabletten reagiert und ihr ganze Tage vermiest. Ein Freund empfahl ihr Nadeln gegen die Not. Sie wählte einen chinesischen Akupunkteur, ausgebildet in Deutschland sowie im Heimatland der alten Heilkunst.
Alte Therapie, neue Studien
Akupunktur steht in einer jahrtausendealten Tradition. Nach dem Zweiten Weltkrieg erblühte sie erneut, gefördert vom chinesischen Staatschef Mao Tse-tung. Spektakuläre Bilder von Operationen unter Akupunktur gingen um die Welt und machten die alternative Heilmethode auch im Westen bekannt. Millionen Menschen ließen sich bereits mit Nadeln behandeln. Sie hoffen auf positive Effekte für die Gesundheit.
Bei Migräne und Übelkeit hilfreich
Dass Akupunktur helfen kann, ist für Migräne, Rücken-, Gelenk- sowie weitere Schmerzen am besten belegt. Zu diesem Ergebnis kam die Stiftung Warentest im 2011 erschienenen Buch „Asiatische Heilkunde“. Studienanalysen der Cochrane Collaboration – ein weltweites Netzwerk unabhängiger medizinischer Forscher – ziehen vergleichbare Schlüsse. Auch für Übelkeit fällt ihre Bilanz recht positiv aus.
Ein Versuch kann sich lohnen
Für andere Einsatzgebiete ist die Datenlage schwächer. Dennoch kann ein Versuch lohnen. Patienten sollten aber darauf achten, ob die Akupunktur ihre Beschwerden lindert. Mit etwa 30 bis 70 Euro für jede Sitzung kann sie ordentlich ins Geld gehen. Krankenkassen zahlen regulär nur bei chronischen Rücken- und Knieschmerzen.
Körper setzt Botenstoffe frei
Arzt Chen befragt seine neue Patientin zunächst genauer: Wie oft tritt der Schmerz auf? Sticht er? Wo sitzt er – „hier?“ Chen führt die Hände vorn an den Kopf, Hansen nickt. Später fühlt der Behandler ihren Puls und begutachtet ihre Zunge, erst herausgestreckt, dann schnell nach rechts und links bewegt. Laut chinesischer Medizin verrät das viel über die Gesundheit. Nach der Diagnose empfiehlt Chen einen Versuch mit Akupunktur in einem recht üblichen Maß: zwei Sitzungen pro Woche, insgesamt voraussichtlich zehn, Beginn gleich heute.
Wirkmechanismus immer noch nicht entschlüsselt

In Reihe. Die Akupunkturpunkte liegen laut traditioneller Vorstellung auf unsichtbaren Energiebahnen. © Thinkstock
Bei der Methode bekommt Lena Hansen wie andere Patienten feine Nadeln in festgelegte Punkte der Haut gestochen. Das soll den Fluss der Lebensenergie Qi in ihren unsichtbaren Bahnen, den Meridianen, günstig beeinflussen und die Gesundheit fördern. Naturwissenschaftlich aufspüren ließen sich Meridiane und Qi bisher nicht. Studien deuten aber unter anderem darauf hin, dass der Körper als Reaktion auf Akupunktur schmerzstillende und entspannende Botenstoffe freisetzt. „Das Gesamtpuzzle zum Wirkmechanismus kennen wir noch nicht“, sagt Dr. Benno Brinkhaus, Arzt für innere Medizin, Akupunkturforscher und Professor an der Berliner Charité.
Für viele Verheißungen fehlen aussagekräftige Belege
Die Nadelkur kommt bei vielerlei Leiden zum Einsatz. Auf den Webseiten von Akupunkteuren und Fachgesellschaften stehen oft lange Listen von Einsatzgebieten. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte 2002 einen Katalog veröffentlicht. Für viele Verheißungen fehlen allerdings Belege aus aussagekräftigen Studien.
Schmerzen im Fokus
Die Cochrane Collaboration bezieht nur hochwertige wissenschaftliche Studien in ihre Analysen ein. Besonders gute Nutzenbelege für Akupunktur fanden die Forscher zur Vorbeugung von Migräne. Positive Bilanz ziehen sie auch bei chronischen Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen, Gelenkbeschwerden durch Arthrose und Schmerzen während der Regelblutung, in der Schwangerschaft, bei der Entbindung. Ferner könnte die Methode beim sogenannten Faser-Muskel-Schmerz (Fibromyalgie) und gegen Übelkeit und Erbrechen durch Chemotherapie oder Operationen helfen.
Wirksamkeit bei Heuschnupfen noch unklar
Für andere Leiden ist die Datenlage laut den Cochrane-Forschern noch unklar oder eher negativ. Manche Bereiche wie etwa Heuschnupfen haben sie noch nicht begutachtet. „Insgesamt liegen derzeit die meisten klinischen Studien für die herkömmliche Akupunktur vor“, sagt Brinkhaus, „weniger für Varianten wie Ohr-, Laser- und Elektroakupunktur“. Bei Letzteren werden die Punkte mit Laserlicht bestrahlt oder zusätzlich zur Nadel mit schwachem Strom behandelt.
Ein zartes Ziepen
Lena Hansen bekommt eine klassische Akupunktur. Sie liegt bekleidet auf einer Pritsche in einem schmalen, schlichten Raum. Gerade setzt Chen rechts über ihrer Nasenwurzel den ersten Stich. Kurz darauf spürt sie ein zartes Ziepen. Nun geht es Nadel auf Nadel: linke Nasenwurzel, Wangen und Seiten des Halses, die Kopfhaut am Scheitel, die Ellenbeugen, die Handgelenke, die Knöchel. Manche Punkte sollen Hansen, die in jüngster Zeit schlecht schläft, zusätzlich etwas Ruhe verschaffen. Nach jedem Piks sagt Chen leise: „So.“ Ab und zu reißt er knisternd ein neues Nadelpäckchen auf. Sonst herrscht Stille.
Für Knie und Rücken auf Rezept
Hansen muss die Behandlung selbst zahlen. Nur für zwei Einsatzgebiete kommen seit 2007 regulär die Krankenkassen auf: chronische Schmerzen des unteren Rückens und der Knie. Ausschlaggebend dafür waren nicht die internationalen, sondern große deutsche Studien. Sie hatten unter anderem gezeigt, dass die Nadeln bei Rücken- und Kniebeschwerden viel mehr bringen als schulmedizinische Therapien.
Liegt es am Placebo-Effekt?
Das Ergebnis machte Schlagzeilen. Die deutschen Studien hatten Akupunktur auch mit Scheinakupunktur verglichen: Die Nadeln steckten an falschen Punkten – und brachten trotzdem ähnlich viel wie korrekt gesetzte. Aufgrund solcher Befunde diskutieren Forscher, ob und wie weit die Wirkung der Akupunktur an unspezifischen Effekten liegt, etwa an der Erwartung der Patienten. „Placebostudien zeigen, dass schon der Glaube an eine Therapie gesundheitliche Besserung bringt“, so Brinkhaus. Positive Effekte könnten auch damit zusammenhängen, dass Menschen die Nadelkur als intensiv erleben und wertschätzen, dass Akupunkteure Zuwendung und Zeit mitbringen – in der Schulmedizin oft rar.
Nebenwirkungen sind selten
Nicht einmal 10 Prozent der Akupunktierten bekommen laut deutschen Daten Nebenwirkungen, vor allem leichte Schmerzen oder kleine Blutergüsse und Blutungen. Zum Schutz vor Infektionen sollten Behandler sterile Einmalnadeln verwenden – und sachkundig vorgehen.
Oft im Paket mit anderen Therapien
Für die Angabe „Akupunktur“ auf dem Praxisschild braucht ein Arzt in der Regel 200 Stunden Fortbildung. Eine Vollausbildung, auch bekannt als B-Diplom, umfasst 350 Stunden. Andere Kurse richten sich etwa an Heilpraktiker oder Hebammen. Sie sollten Patienten wenn nötig für schulmedizinische Untersuchungen oder Therapien an einen Arzt verweisen. Oft gehört auch gesunde Lebensweise ins Gesamtkonzept.
Gewöhnungsbedürftige Prozedur

Größenvergleich. Neben dem Streichholz und der Spritze mutet die Akupunkturnadel fein an. © Stiftung Warentest
Lena Hansen ruht nach dem Nadeln 30 Minuten zugedeckt auf der Liege. Sie vermeidet jede Bewegung, damit kein Minispieß abfällt, verrutscht oder tiefer in den Körper dringt. Die Sorge sei unbegründet, beruhigt Chen später. „Viele Patienten müssen sich erst an Akupunktur gewöhnen.“ Der restliche Tag kommt Hansen leicht unwirklich vor. Sie kann die Einstichstellen nicht eindeutig erkennen, spürt noch öfter ein zartes Ziepen, mal hier, mal dort. Ob ihr die Akupunktur hilft, wird sich erst nach mehreren Sitzungen zeigen. Laut Chen bringt sie manchen sehr viel, anderen zumindest ein bisschen, wieder anderen gar nichts: „Ich kann es nicht vorhersagen.“
*) Name von der Redaktion geändert.
-
- 28 Millionen Menschen gehen laut einer Allensbach-Umfrage in Deutschland ab und zu in eine Therme. Doch wie sieht es mit den gesundheitlichen Wirkungen aus? Was müssen...
-
- Soll ich mich privat krankenversichern? Wir sagen, für wen das sinnvoll ist, und in welchen Ausnahmefällen der Weg zurück in die gesetzliche Krankenkasse möglich ist.
-
- Beiträge, Leistungen, Kosten – das gilt für Kinder, Studenten, Berufstätige und Rentner, wenn sie bei einer Krankenkasse versichert sind.
Diskutieren Sie mit
Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.
Nutzerkommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.
Ich stand Akupunktur lange auch etwas skeptisch gegenüber bis ich mich selber habe behandeln lassen. Es hat wirklich geholfen und ich bin sehr froh es probiert zu haben. Mich hat vor allem auch die längere Geschichte der Akupunktur überzeugt. Was so lange Bestand hat, kann ja nicht grundverkehrt sein. Über die Geschichte der Akupunktur habe ich auf der Seite meines Akupunkteurs mehr erfahren. Vielleicht überzeugt es ja auch andere zur Behandlung mit Akupunktur (und vielleicht auch anderen Methoden der TCM).
https://tcm-nord.de/akupunktur-bremen/
Ich habe eine positive Erfahrung über die Akupunktur Methode. Damals hatte ich starke Rückenschmerzen und nach der Akupunktur waren die Schmerzen weg. Ich finde, jeder sollte seine eigenen Erfahrungen damit machen. Es gibt genug Fachleute, die Akupunktur anbieten. Außerdem würde ich so was nur von einem Fachmann bzw. Arzt machen lassen.
(Link vom Administrator wegen Schleichwerbung gelöscht)
Hallo, gleich nach ein paar Minuten auf der Seite fand ich sehr hilfreiche Informationen bezügl. Akkupunktur.
Auch umsetzbar, alle Infos übersichtlich und kurz. Alles wesentliche vorhanden. 1A Gr. S.E.
Ich freue mich, dass Sie diese faszinierende Behandlung so objektiv behandeln. Vielen Dank
Schönen Sommer
Klaus Schleusener, Karlsruhe