
An den Aktienmärkten herrscht weiterhin Rekordlaune, obwohl die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen gar nicht so rosig sind. Finanztest beschäftigt sich mit der aktuellen Börsensituation und hat die Wertentwicklung der wichtigsten entwickelten Aktienmärkte seit 1999 analysiert. Die Experten der Stiftung Warentest zeigen, welche Börsen besonders erfolgreich waren und sagen, wie Anleger mit der derzeitigen Euphorie umgehen sollten.
Stimmung besser als Realität
Die Stimmung an den Aktienmärkten ist weit besser, als die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen erwarten ließen. Erst Mitte September kletterten der deutsche Leitindex Dax und der US-amerikanische Dow Jones Industrial auf neue Höchststände. Dabei ist die Euro-Krise nach wie vor ungelöst, die Situation im Nahen Osten sehr angespannt, und niemand weiß, wie es mit dem Staatshaushalt der USA weitergehen soll. Noch vor wenigen Jahren reagierten die Börsen auf Unsicherheit allergisch, zurzeit laufen sie einfach den Widrigkeiten davon.
Nord-Süd-Gefälle in Europa
Nicht alle Märkte sind bei der Rekordjagd dabei. In Europa gibt es ein Nord-Süd-Gefälle mit boomenden Börsen in Skandinavien und mieser Marktentwicklung in Südeuropa, wo die Eurokrise durchschlägt. Dass die Börsen der Mittelmeeranrainer zuletzt aufholten, ändert nichts daran. So ist der letztjährige 64-prozentige Kursanstieg in Griechenland ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die dortige Börse hatte in den Jahren zuvor mehr als 90 Prozent verloren, müsste also mehr als 900 Prozent zulegen, um wieder das frühere Niveau zu erreichen.
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Dänen bringen Freude, Iren Verdruss
Finanztest hat die Wertentwicklung der wichtigsten entwickelten Aktienmärkte seit Einführung der Euro-Berechnung im Jahr 1999 analysiert. Einer der besten europäischen Aktienmärkte war für Euro-Anleger der dänische. Er brachte in knapp 15 Jahren eine Rendite von 9,5 Prozent pro Jahr. Maßgeblichen Anteil an diesem Traumergebnis hat ein Unternehmen: Novo-Nordisk. Der Pharmakonzern ist Weltmarktführer bei Diabetes-Medikamenten und hat inzwischen einen Börsenwert von mehr als 50 Milliarden Euro. Sein Gewicht im MSCI Denmark beträgt rund 50 Prozent. Es ist problematisch, wenn ein einzelnes Unternehmen einen Ländermarkt dominiert. Das zeigte das Beispiel der finnischen Börse, die unter dem Absturz ihres einstigen Schwergewichts Nokia zu leiden hatte. Auch Novo-Nordisk ist nicht gegen Krisen immun. Besonders schlecht lief in Europa der irische Aktienmarkt. Ihm machte der Zusammenbruch des an der Börse hoch bewerteten Bankensektors schwer zu schaffen.
Schweizer Aktien profitieren von der Aufwertung des Franken
Als Hort der Stabilität gilt die Schweiz. Eidgenössische Aktien haben seit 1999 nicht glänzend, aber weit überdurchschnittlich abgeschnitten. Mit Nestlé und den beiden Pharmariesen Novartis und Roche beherbergt das kleine Land gleich drei Unternehmen, die zur Weltspitze gehören. Die Branchen Ernährung und Gesundheit sind außerdem nicht so konjunkturabhängig wie die meisten anderen. Der Schweizer Aktienmarkt hat jüngst ein neues Hoch erreicht, wenn man die Indizes des Anbieters MSCI betrachtet. Sie werden für jedes Land und jede Region nach den gleichen Regeln berechnet und sind deshalb eine gute Basis für einen Direktvergleich (siehe Grafik). Die Wertentwicklung ist aus Euro-Sicht dargestellt, enthält also auch Währungsgewinne und -verluste. Im Falle der Schweiz profitierten deutsche Anleger davon, dass der Franken seit 1999 um etwa 30 Prozent gegen den Euro aufgewertet hat. Im Falle von Dänemark hatte die Währung dagegen kaum Einfluss auf die Rendite. Die dänische Krone blieb gegenüber dem Euro nahezu unverändert.
Auch Dividenden spielen eine Rolle
Finanztest greift bei den Indizes grundsätzlich auf die sogenannte Performance-Variante zurück. Sie enthält auch Dividendenzahlungen und spiegelt die Renditen aus Anlegersicht gut wider. In sogenannten Kursindizes wie dem Euro Stoxx 50 sind die Dividenden dagegen nicht enthalten. Die Wertentwicklung der MSCI-Indizes über knapp 15 Jahre ist im Vergleich zur aktuellen Hochstimmung ernüchternd. Der Weltaktienindex hat in dieser Zeit nur 3,2 Prozent pro Jahr gebracht. Die große Börsenkrise zwischen 2000 und 2003 sowie der Absturz nach der Finanzkrise 2008 standen einem besseren Resultat im Wege.
Breite Streuung muss sein
Es wäre keine gute Idee, nur auf die Börsen zu setzen, die in der Vergangenheit besonders gut gelaufen sind. Noch besser als der dänische hat der australische Aktienmarkt abgeschnitten. Er ist geprägt von der Finanz- und von der Rohstoffbranche. Seine gute Entwicklung verdankt er nicht zuletzt der Tatsache, dass die australischen Banken viel besser aus der Finanzkrise hervorgingen als ihre Konkurrenten aus Europa und den USA. Zusammen mit Versicherungen und Finanzdienstleistern bestreiten sie zurzeit fast die Hälfte des MSCI Australia. Trotz der vorzüglichen Entwicklung in der Vergangenheit ist Vorsicht geboten. Je einseitiger die Ausrichtung und je geringer die Streuung eines Investments, desto mehr kommt der Zufall ins Spiel. Auf den sollten sich Anleger niemals verlassen. Sie tun besser daran, sich von vornherein möglichst breit aufzustellen, zum Beispiel mit einem Indexfonds auf den globalen Aktienmarkt.
Das Phänomen Japan
Kurios ist die Marktentwicklung in Japan. Auf lange Sicht war mit der Tokioter Börse kein Staat zu machen. Nach einem beispiellosen Wirtschafts- und Immobilienboom war im Jahr 1990 eine Spekulationsblase geplatzt – unter den Folgen leidet das Land bis heute. Zurzeit aber laufen japanische Aktien wie geschmiert. Die Notenbank überschwemmt den Markt mit frischem Geld, das angesichts lächerlich niedriger Zinsen vor allem in Aktienanlagen fließt. Aus Euro-Sicht gewann der MSCI Japan im vergangenen Jahr mehr als 60 Prozent. Keine andere entwickelte Börse konnte da mithalten. Der globale Aktienmarkt, gemessen am MSCI World, stieg auf Jahressicht um 22 Prozent.
Besonnene Anleger zocken nicht
Der japanische Börsenboom hat etwas Gespenstisches, da er wenig mit der Marktentwicklung im Rest der Welt zu tun hat und ziemlich unberechenbar ist. Tägliche Kurssteigerungen von 2 bis 3 Prozent waren beim bekanntesten Index, dem Nikkei 225, in den vergangenen Monaten fast schon normal, selbst wenn es in New York, London und Frankfurt gleichzeitig abwärts ging. Auf der anderen Seite wundert man sich kaum noch, wenn der Nikkei zwischendurch 5 Prozent an einem Tag einbüßt. Für Zocker ist das ein Traum, für besonnene Anleger eher das Gegenteil.