
Seit rund einem Jahr schlichtet Dr. Renate Jaeger Ärger zwischen Mandanten und Rechtsanwälten. Über mangelnde Arbeit kann sich die ehemalige Richterin des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dabei nicht beklagen: Seit Herbst 2009 haben vornehmlich Mandanten 1 270 Schlichtungsanträge bei ihr eingereicht – meist, weil sie die Anwaltsrechnung als zu hoch empfinden. Im Interview zieht die Schlichterin eine erste Bilanz.
Sehen Sie sich in der Rolle einer Ombudsfrau der Mandanten oder als völlig neutrale Schlichterin?
Meine Position ist eine vollkommen neutrale – nur dies kann langfristig zur Akzeptanz meiner Arbeit auf beiden Seiten führen.
Wie läuft das Verfahren ab?
Die Schlichtungsstelle kann angerufen werden, wenn ein Konflikt zwischen Mandant und Rechtsanwalt besteht. Jeder Mandant, der meint, dass ihm ein Beratungsfehler seines Anwalts geschadet hat oder dessen Honorar überhöht ist, kann einen schriftlichen Antrag nach Berlin schicken. Der Streitwert kann bis zu 15 000 Euro betragen. Wichtig: Der Fall darf noch nicht vor Gericht verhandelt worden sein. Scheint die Beschwerde des Mandanten schlüssig, übermittelt die Schlichtungsstelle den Antrag an den Anwalt. Innerhalb von drei Wochen kann dieser dazu schriftlich Stellung nehmen. Verpflichtet ist er hierzu nicht – dennoch haben sich bisher fast alle Anwälte, gegen die Anträge gestellt worden sind, an unseren Verfahren beteiligt. Der Lösungsvorschlag ist nicht bindend und kann deshalb auch ablehnt werden. Damit der außergerichtliche Einigungsversuch gelingt, müssen ihn beide Seiten angenehmen. Bleibt ein Schlichtungsverfahren erfolglos, haben die Beteiligten immer noch das Recht, vor Gericht zu ziehen. Der genaue Ablauf des Verfahrens ist in der Satzung der Schlichtungsstelle geregelt.
Kostet das Verfahren etwas?
Nein, die Mandanten und der Rechtsanwalt, die am Verfahren beteiligt sind, müssen für das Verfahren nichts bezahlen. Die Kosten werden stattdessen solidarisch von der deutschen Anwaltschaft getragen.
Was sind typische Fälle, mit denen sich Mandanten bei Ihnen melden?
Die Beschwerden stammen aus allen juristischen Bereichen – Zivilrecht, Strafrecht und Öffentliches Recht. Insgesamt bearbeiten wir 41 Rechtsgebiete – Spitzenreiter waren bislang das Familien- und Erbrecht. Es wenden sich manchmal auch Anwälte an uns, die eine gerichtliche Auseinandersetzung mit einem Mandanten vermeiden möchten. Dies kommt allerdings nur selten vor.
Wie viele Beschwerden gibt es mittlerweile?
Seit Herbst 2009 wurden 1 270 Schlichtungsanträge bei uns eingereicht. Nicht weiter überraschen dürfte die Tatsache, dass häufigster Verfahrensgegenstand die Höhe der Rechnungen ist, die vor allem dann als zu hoch empfunden werden, wenn die anwaltliche Leistung kritisiert wird.
Wie sieht ihre Bilanz nach einem Jahr Tätigkeit aus?
Das Schlichtungsverfahren ist derzeit noch sehr formalisiert und rein schriftlich. Das bedeutet, dass ich nicht so rasch und unkompliziert reagieren kann, wie die Beteiligten es erwarten, und wie ich es mir wünschen würde. Und tatsächlich glaube ich aus meiner beruflichen Erfahrung nicht, dass sich die Parteien im schriftlichen Verfahren ebenso gut zu einer einvernehmlichen Lösung hinführen lassen, wie dies in einem mündlichen Verfahren möglich ist. Die Rückstände wachsen an – dabei ist die Schlichtungsstelle mit der Vorstellung angetreten, ein rasches und unkompliziertes Verfahren zu ermöglichen.
Wie viele Fälle konnten noch nicht bearbeitet werden?
Knapp die Hälfte. Im Jahr 2011 mussten die Antragsteller durchschnittlich 165 Tage warten – der längste Fall zog sich über 360 Tage hin. Das juristische Team besteht aus drei Anwältinnen und mir, alle arbeiten in Teilzeit. Wir brauchen dringend mehr Personal – dafür müsste die Anwaltschaft aufkommen. Die rund 158 000 Anwälte in Deutschland zahlen derzeit zwar drei Euro pro Jahr für die Finanzierung der Schlichtungsstelle. Mindestens zwei Euro mehr wären aber nötig.
Warum ist der Schlichtungsspruch nicht bindend?
Die Rechtsanwaltskammern können als Körperschaften des öffentlichen Rechts ihre Mitglieder – die Pflichtmitglieder sind – keinem bindenden Schlichtungsspruch unterwerfen. Dies ist anders bei Schlichtungsstellen, die privatrechtlich organisiert sind – hier kann ein Mitglied, das sich den Schlichtungssprüchen nicht unterwerfen möchte, die Trägerorganisation jederzeit verlassen. Doch Achtung: Ansprüche gegen den Anwalt verjähren zumeist nach drei Jahren. Die Frist beginnt am Ende des Jahres, in dem der Anwalt falsch beraten hat und es dem Mandanten auffällt. Nach den drei Jahren haben Mandanten keine Möglichkeit mehr gegen den Anwalt vorzugehen. Wenn die Zeit knapp wird, ist das Schlichtungsverfahren ungeeignet: Die Verjährungsfrist läuft weiter, solange die Schlichtungsstelle noch nicht tätig geworden ist.
-
- Auffahrunfall, Flugverspätung oder Mieterhöhung: Internetanbieter und Schlichtungsstellen helfen dabei, Recht zu bekommen. test.de nimmt wichtige Angebote unter die Lupe.
-
- Das Internetportal Mieterengel.de vermittelt Anwälte zur Rechtsberatung und bietet Rechtsschutz. Die Stiftung Warentest hat das Angebot unter die Lupe genommen.
-
- Das Internetportal Conny.de bietet außer Rechtsdurchsetzung auch Mieterschutz mit Beratung und Prozesskostenschutz. test.de hat das Angebot unter die Lupe genommen.
Diskutieren Sie mit
Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.
Nutzerkommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.
@anne95: Wir können leider keine individuelle Beratung anbieten - mit Ihren Fragen können Sie sich beispielsweise an eine Schuldnerberatung wenden.
ich habe vom märz 2005 bis juni 2009 eine insolvenz gehabt. der rechtsanwalt und mich nicht darauf hingewiesen, dass ich das beantragen muss. in der kartei beim gericht hat er niedergeschrieben, dass er mit mir persönlich gesprochen hätte und ich hätte mich maszief da gegen gewehrt. ich habe den rechtsanalt in den 4Jahren nie zu gesicht bekommen. jetzt muss ich nochmal isolvenz machen, ist auch schon beantragt. ein gespräch haben mein rechtsanwalt und ich am 21,09,2012 rechtssprecherin frau koch gehabt. dakammvon mir wieder die frage op ich jetzt wieder 6 jahre bekäme. die antwort war wenn ich bezahlen könnte, könnte die insolvenz früher aufgehoben werden. da aber mein ganzes während der ersten insolvenz alles weg ist, kann ich jetzt nichts bezahlen. die schulden sind auch zu hoch und ich bin 75 Jahre alt möchte nichts mehr mit der ganzen sache zu tun aben.
ich hätte jetzt gerne eine auskunft wie ich daraus komme.
vielen dank im voraus für ihre bemühungen mit freundlichen grüßen dor
Ich bin seit einigen Jahren in der privaten Schuldenberatung tätig. Seit geraumer Zeit gibt es Anwälte die im Internet unverholen auf Mandantenfang gehen. In einigen Fällen wurden die Mandanten in Foren angezapft, in anderen Fällen wurden Mandanten über die Anwaltseiten selber rege angeworben.
Dieses Phenomen gab es ehedem nicht und greift mehr und mehr um sich. Offenstehend nützt da ein Schlichter, wenn der Anwalt die Mandanten massenweise, gezielt in ausichtslose Klagesachen verwickelt nur um mit Gebühren Kasse zu machen. Ich halte die Schlichtungsstelle mit Ihren 1270 Fällen für recht erfahren, wobei in den meisten Fällen keine Ombudsfrau ausreichen wird. Die Streitfälle und die aktive Mandantenaquise unter den Anwälten wird schroff zunehmen…
Der Link lautet richtig:
http://www.schlichtungsstelle-der-rechtsanwaltschaft.de/sites/default/files/merkblatt_zur_antragstellung_ab_180412.pdf
Eigentlich sollte man meinen, dass sich die Damen und Herren Anwälte selbst ganz gut auskennen mit Recht und Gerechtigkeit, wobei man das Letztgenannte wohl nicht studieren kann. Und dann verlieren sie schon mal gerne die "Justitia" aus den Augen und pochen nur noch auf das "Jus" vulgo die BRAGO, also das, was ihnen (oft: vermeintlich) zusteht. Dass es eine Schlichterin geben muss, die sich dann auch noch überwiegend mit den Zahlenspielereien ihrer eigenen Zunft herumschlagen muss, sagt schon sehr Vieles über diesen Berufsstand aus. Skandalös wird es aber, wenn ich lese, dass diese Damen und Herren wohl nicht in der Lage sind, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen (da sie es selbst nicht können oder wollen?), indem sie 5 Euro pro Person pro Jahr (!!!) zur Finanzierung dieser Schlichtungsstelle beitragen. Sic transit...