
Ole Reuter, 35 Jahre alt, Dresden: „Ich bin von klein auf mit meinem Stiefvater aufgewachsen. Seit einiger Zeit überlege ich, ob ich mich von ihm adoptieren lassen soll. Dabei geht es auch um erbrechtliche Fragen.“
Nicht nur Kinder können adoptiert werden. Gehen Erwachsene diesen Weg, hat das oft auch steuerliche Gründe. Hier erfahren Sie, nach welchen Regeln die Adoption von Erwachsenen möglich ist, wo es Beratung gibt und welche steuerlichen Folgen eine Adoption Volljähriger hat. Außerdem erklären wir, ob eine Stiefkindadoption sinnvoll ist, um Erbschaftsteuer zu sparen.
Sich als Erwachsener adoptieren lassen – eine emotionale Entscheidung
Vor dem nächsten Schritt scheut sich Ole Reuter ein wenig. „Ich müsste mit meinem leiblichen Vater darüber reden“, sagt der Dresdner und meint damit den Gedanken, sich von seinem Stiefvater adoptieren zu lassen. Zu beiden besteht ein gutes Verhältnis, den leiblichen möchte er nicht verletzen.
Auf die Idee mit der Adoption sind sie im Familienkreis gekommen. Seine Mutter und sein Stiefvater haben eine gemeinsame Tochter, Ole Reuters Halbschwester. Die beiden wurden immer gleich behandelt, auch in finanzieller Hinsicht. So soll es auch in Zukunft bleiben – etwa bei einem Todesfall. Die Adoption würde dazu führen, dass Ole Reuter neben seiner Halbschwester erbberechtigt ist, wenn sein Stiefvater stirbt. Ein Testament müsste dieser nicht aufsetzen. Der Schritt würde manches vereinfachen, die Entscheidung fällt dennoch schwer.
Adoption Volljähriger – unser Rat
Voraussetzung. Zwischen den Beteiligten der Adoption muss eine Eltern-Kind-Beziehung bestehen. Geht es auch darum, Erbschaftsteuer zu sparen, ist das in Ordnung. Steuerliche Gründe dürfen aber nicht die Hauptrolle spielen.
Pflegekind. Wenn Sie ein Pflegekind haben, kommt eine Adoption oft erst in Betracht, wenn es volljährig ist. Dann kann es für sich selbst entscheiden. Ist es minderjährig, müssen die leiblichen Eltern ihr Kind zur Adoption freigeben.
Ausland. Adoptieren Sie einen ausländischen Erwachsenen, heißt das nicht, dass sich dieser zwangsläufig dauerhaft in Deutschland aufhalten darf. Bei Erwachsenen ist ein gemeinsamer Aufenthaltsort nicht zwingend erforderlich.
Beratung. Lassen Sie sich vor dem Antrag auf Adoption beraten. Für Familienrecht gibt es Fachanwälte. Eine Erstberatung kostet 226 Euro. Zudem kommen Notar- und Gerichtskosten auf Sie zu (Themenseite Anwalt).
Adoption ist rechtlich wie emotional bedeutsam
Ähnlich geht es vielen Mandanten der Berliner Rechtsanwältin Sybill Offergeld, die über eine Adoption nachdenken. Wer bei ihr Rat sucht, hat sich den Entschluss nicht leicht gemacht. Denn der Schritt ist nicht nur rechtlich bedeutsam, sondern auch emotional. Mehrmals im Jahr hat sie mit solchen Fällen zu tun.
Da war etwa der Mann, der seinen Neffen nach dem Tod der Mutter adoptieren wollte. Zu dessen leiblichem Vater, drogenabhängig und mittellos, bestand keinerlei Kontakt. Oder ein Stiefvater, der seinen Stiefsohn seit Kleinkindalter gemeinsam mit der leiblichen Mutter aufgezogen hatte und ihn als Erwachsenen schließlich als eigenen Sohn annehmen wollte. Ein Fall wie der von Ole Reuter.
Einmal war ein Paar bei ihr, das während einer Reise einen jungen Mann kennengelernt hatte, der sie in Deutschland besuchte, hier eine Ausbildung begann und zu einer Art Ziehsohn wurde.
Enge Bindung zum neuen Elternteil
„Wenn sich ein Erwachsener von jemandem adoptieren lässt, ist in den meisten Fällen das Verhältnis zu den leiblichen Eltern oder zu einem Elternteil gestört“, sagt die Familienrechtlerin. „Zu dem neuen Elternteil besteht oft seit der Kindheit eine enge Bindung.“
Diese muss es auch geben. Denn ansonsten ist die Adoption eines Erwachsenen nicht möglich. Das Gesetz schreibt vor, dass ein Volljähriger nur dann als Kind angenommen werden kann, wenn die Annahme „sittlich gerechtfertigt“ ist. Weiter heißt es in Paragraf 1767 des Bürgerlichen Gesetzbuchs: „Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden ist.“
Eltern-Kind-Verhältnis: Beistand in schwierigen Zeiten
Für ein Eltern-Kind-Verhältnis spricht es, wenn sich die Beteiligten regelmäßig besuchen, auch sonst einen engen Kontakt haben und in schwierigen Lebenssituationen füreinander da sind. Das Oberlandesgericht München spricht in einer Grundsatzentscheidung von einer dauernden seelisch-geistigen Bindung, die zwischen den Personen bestehen muss (Az. 33 UF 918/19).
Ein Eltern-Kind-Verhältnis verneint haben Gerichte zum Beispiel, wenn der Altersabstand zwischen den Beteiligten gering ist (Kammergericht Berlin, Az. 17 UF 42/13) oder derjenige, der sich adoptieren lassen möchte, zuvor erfolglos politisches Asyl beantragt hat (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Az. 1Z BR 115/99).
Mit der Adoption Steuern sparen
Steuerliche oder erbrechtliche Fragen dürfen bei der Adoption eines Erwachsenen eine Rolle spielen. „Die sind dann oft auch der letzte ausschlaggebende Punkt“, sagt Rechtsanwältin Offergeld. Im Vordergrund stehen dürfen sie allerdings nicht.
Adoptiert ein Onkel seinen Neffen, ändern sich dessen Steuerklasse und der Freibetrag, der dem Neffen bei einer Erbschaft oder Schenkung zusteht. Der Freibetrag steigt von 20 000 auf 400 000 Euro. Übersteigt das erhaltene Vermögen den Freibetrag, werden Steuern fällig. Ein Kind oder Adoptivkind zahlt in Steuerklasse I die niedrigsten Steuersätze zwischen 7 und 30 Prozent auf das geerbte Vermögen, Nichten und Neffen zahlen dagegen in Steuerklasse II zwischen 15 und 43 Prozent. Eine Adoption kann also helfen, Erbschaftsteuer zu sparen.
Persönliche Freibeträge
Was für Erbschaft und Schenkung gilt.
Verwandtschaftsgrad | Allgemeiner Freibetrag (Euro) |
Verwandtschaftsgrad | Allgemeiner Freibetrag (Euro) |
Steuerklasse I | |
Ehepartner, eingetragene Lebenspartner | 500 000 |
Kinder, Stief-, Adoptivkinder, Kinder verstorbener Kinder | 400 000 |
Enkel und Stiefenkel | 200 000 |
Urenkel | 100 000 |
Eltern, Groß- und Urgroßeltern1 | 100 000 |
Steuerklasse II | |
Geschwister, Nichten und Neffen, Schwiegerkinder und -eltern, Stiefeltern, geschiedene Ehegatten, Partner einer aufgehobenen Lebenspartnerschaft | 20 000 |
Steuerklasse III | |
Onkel, Tanten, Lebensgefährten und alle anderen | 20 000 |
- 1 Nur bei Erbschaft Steuerklasse I, bei Schenkung Steuerklasse II mit dort geltenden Freibeträgen.
Steigende Steuersätze
Sind bei Erbe oder Schenkung die persönlichen Freibeträge ausgeschöpft, verlangt das Finanzamt Steuern. Adoptivkinder sind in der günstigen Steuerklasse I und zahlen je nach Betrag einen Satz von 7 bis 30 Prozent.
Wert des steuerpflichtigen Erbes/Geschenks bis einschließlich ... Euro | Prozent in der Steuerklasse | ||
I | II | III | |
Wert des steuerpflichtigen Erbes/Geschenks bis einschließlich ... Euro | Prozent in der Steuerklasse | ||
I | II | III | |
75 000 | 7 | 15 | 30 |
300 000 | 11 | 20 | 30 |
600 000 | 15 | 25 | 30 |
6 000 000 | 19 | 30 | 30 |
13 000 000 | 23 | 35 | 50 |
26 000 000 | 27 | 40 | 50 |
über 26 000 000 | 30 | 43 | 50 |
Stiefkinder haben Freibetrag von 400 000 Euro
Auch Stiefkinder haben einen Freibetrag von 400 000 Euro. Eine Stiefkindadoption aus erbschaftsteuerlichen Gründen ist also nicht notwendig. Erbberechtigt sind Stiefkinder aber nicht. Gibt es kein Testament, in dem sie der Stiefvater oder die Stiefmutter begünstigt, gehen sie leer aus.
Vier oder drei Elternteile statt zwei
Die Adoption eines Erwachsenen führt im Normalfall nicht dazu, dass die bisherigen Verwandtschaftsverhältnisse gekappt werden. Die leiblichen Eltern bleiben nach wie vor Eltern, die Adoptiveltern kommen hinzu. Dasselbe gilt, falls nur einer allein adoptiert. Statt zwei Elternteilen kann der Adoptierte also drei oder vier haben.
Die gegenseitige Unterhaltspflicht zwischen leiblichen Eltern und Kind bleibt ebenso bestehen wie das Erbrecht. Zwischen Adoptiveltern und Adoptivkind entstehen neue Rechtsbeziehungen: gegenseitige Erbrechte, Pflichtteilsrechte, Unterhaltsrechte und -pflichten.
Für den Erbfall heißt das: Stirbt der Adoptierte kinderlos, sind sowohl seine leiblichen als auch seine Adoptiveltern erbberechtigt. Andersherum beerbt er seine bis zu vier Elternteile. Die Unterhaltspflicht kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass er für vier Elternteile zahlen muss, falls sie im Alter zum Pflegefall werden sollten – aber nur, wenn sein Jahresbruttoeinkommen mehr als 100 000 Euro beträgt (siehe Elternunterhalt).
Keine neuen Onkel und Tanten
Im Regelfall hat die Adoption eines Volljährigen nur „schwache“ Rechtsfolgen. Das heißt: Für den Adoptierten entstehen keine verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Angehörigen des neuen Elternteils beziehungsweise der neuen Eltern. Er würde zum Beispiel keine neuen Onkel oder Tanten bekommen. Seine Kinder werden allerdings Enkel der Adoptiveltern.
Die Beteiligten haben aber auch die Möglichkeit, eine Adoption mit „starker“ Wirkung zu beantragen. Sie hat dieselben Rechtsfolgen wie die Adoption Minderjähriger. Die verwandtschaftliche Beziehung zu den eigenen Eltern beziehungsweise zu einem Elternteil wird aufgelöst und Erb- und Unterhaltsrechte sowie -pflichten entfallen.
Eine starke Volljährigenadoption ist nur unter im Gesetz festgelegten Voraussetzungen möglich, etwa wenn der Annehmende sein Stiefkind adoptiert. Meist entscheiden sich die Beteiligten aber auch in solchen Fällen für die schwachen Rechtswirkungen.
Neue Eltern, neuer Name
Selbst die schwache Adoption führt dazu, dass der Adoptierte einen neuen Familiennamen bekommt, nämlich den seiner neuen Eltern. Der wird als Geburtsname in die Geburtsurkunde eingetragen.
Ist der Adoptierte verheiratet, muss er den neuen Namen nicht zwangsläufig tragen. Führt das Paar seinen bisherigen Geburtsnamen als gemeinsamen Namen, darf es weiter so heißen. Möchte das Paar gemeinsam den neuen Namen tragen, kann sich der Partner des Adoptierten im Vorfeld der Adoption der Namensänderung anschließen. Dann heißen beide wie die Adoptiveltern.
Kinder der Adoptiveltern dürfen mitreden
Die Beteiligten können zur Adoption noch so wild entschlossen sein – aus ihren Plänen wird unter Umständen nichts, wenn sich die eigenen Kinder dagegen sträuben. Denn eine Adoption darf nicht ausgesprochen werden, wenn die Interessen der Kinder der Adoptiveltern oder des Adoptivkindes in spe dagegen sprechen und überwiegen. Schließlich kann die neue Familienkonstellation zum Beispiel dazu führen, dass eine Erbschaft unter mehr Erben als zuvor geteilt werden muss.
Leibliche Eltern bleiben außen vor
Und noch jemand hat bei der Adoption mitzureden: Der Ehe- oder Lebenspartner desjenigen, der sich adoptieren lassen möchte, muss einwilligen. Die leiblichen Eltern bleiben außen vor. Bei einer starken Adoption müssen ihre Interessen aber berücksichtigt werden. Sie werden vom Gericht angehört.
Ehepartner adoptieren gemeinsam
Ehepaare können im Regelfall nur gemeinschaftlich adoptieren. Eine Ausnahme gilt zum Beispiel, wenn einer im Rahmen der Stiefkindadoption das Kind des anderen Partners adoptiert. Der leibliche Elternteil muss in diesem Fall der Adoption zustimmen. Unverheiratete oder Geschiedene können nur allein adoptieren.
Wie die Adoption abläuft
Über die Adoption entscheidet das Familiengericht. Adoptiveltern und Adoptivkind in spe stellen jeweils einen Antrag, die ein Notar beurkunden muss. Die Anträge gehen ans Familiengericht, das prüft, ob die Voraussetzungen für eine Adoption vorliegen, also vor allem, ob zwischen den Beteiligten ein Eltern-Kind-Verhältnis entstanden oder zu erwarten ist, dass in absehbarer Zeit ein solches Verhältnis entsteht.
Dass jemand die enge Bindung zum Adoptierten nur konstruiert hat, zum Beispiel, um Steuern zu sparen, ist Rechtsanwältin Offergeld noch nicht untergekommen. Bis auf einmal vielleicht: Neulich wollte ein Mann vier seiner Mitarbeiterinnen adoptieren, um ihnen zu einem Prinzessinnentitel zu verhelfen. Der Mandant sprach von familiären Strukturen in seinem Betrieb. Ob ihm deshalb gleich vier Mitarbeiterinnen nah wie Töchter stehen, müsste das Familiengericht entscheiden. Nach der Erstberatung ist der Mann nie wieder bei ihr aufgetaucht.