„Ob wir zu- oder abnehmen steuert die Psyche“

Martin Teufel ist Direktor der Klinik Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am LVR-Klinikum Essen sowie Professor an der Universität Duisburg-Essen. Er arbeitet mit anderen Experten an einer neuen Leitlinie zur „Prävention und Therapie der Adipositas“.
Adipositas ist erst einmal ein körperliches Problem. Doch wie wir denken und fühlen, wie wir uns verhalten, ist für unser Gewicht nicht unerheblich. Mediziner Martin Teufel erläutert, warum.
Herr Teufel, ein Pfeiler in der Adipositasbehandlung ist Psychotherapie. Heißt das andersherum, dass Übergewicht im Kopf beginnt?
Die Behandlung von Adipositas steht auf drei Säulen: Ernährung, Bewegung und eben Verhalten. Wenn ein Mensch seine Gewohnheiten ändern soll, dann muss er auch bereit und dazu fähig sein, sich zum Beispiel anders zu ernähren oder sich mehr zu bewegen. Um das zu tun, muss er dieses Verhalten erst einmal planen und umsetzen können. Bestenfalls sollte er zusätzlich Spaß daran haben, damit er es auch fortführt. Wie und was wir essen, ist Teil unseres Verhaltens. Unsere psychische Konstitution ist entscheidend dafür, ob wir im Supermarkt zu einem Schokoriegel greifen oder uns zügeln können. Sie versetzt Menschen also in die Lage, gesund zu essen, sich zu bewegen – und zu- oder abzunehmen.
Stichwort: Supermarkt. Welche Rolle spielt das Nahrungsangebot?
Wir leben in einer Zeit, in der Nahrung überall präsent ist, vor allem hochkalorische Produkte besonders günstig sind. Das verlockt. Wenn es überall zu jeder Tageszeit Süßes und Fettiges gibt, dann greift man auch eher zu.
Woher kommt es, dass wir schwer verzichten können?
Das ist evolutionär begründet. Sobald Nahrung verfügbar ist, wollen wir schnell und viel davon essen, das ist so in uns drin. Einst sicherte dieses Verhalten das Überleben, weil es seltener Nahrung gab, wir also alles zu uns nehmen mussten, was verfügbar war. Das zu wissen, kann manchen schon helfen, dem Drang nicht nachzugeben.
Was hat es mit Sprüchen wie „Iss dich glücklich“ auf sich?
Wenn wir essen, wird tatsächlich das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert und das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet. Es fühlt sich also gut an, etwas zu essen. Wir belohnen uns mit jedem Bissen. Hunger hingegen aktiviert Stresshormone.
Kann auch Stress am Übergewicht schuld sein?
Auch der kann Übergewicht befördern. Es gibt zwei Sorten Menschen: Die einen haben unter Anspannung keinen Appetit, die anderen essen dann, um sich zu beruhigen. Studien haben gezeigt, dass dauerhafter Stress im Alltag sowie Depressivität, die letztlich auch eine Form von Stress ist, zu Übergewicht führen können. Übergewicht wiederum löst nicht selten Stress und Depressivität aus. Ein Teufelskreis.
Welchen Einfluss hat das Elternhaus bei Übergewicht?
Einen großen. Wenn beispielsweise ein weinendes Kind zur Beruhigung von seinen Eltern immer etwas zu essen bekommt, lernt es schnell: Geht es mir schlecht, muss ich essen. Das nehmen sie ins Erwachsenenleben mit.
Haben die Gene also kaum einen Anteil, wenn Übergewicht entsteht?
Natürlich gibt es auch eine genetische Veranlagung zu Fettleibigkeit. Das Erleben und Verhalten von Menschen sind dann aber oft ausschlaggebend dafür, wie stark die zum Tragen kommt.
Wenn die Psyche so wichtig ist: Ist Abnehmen reine Willenssache?
Nein. Der Körper stellt den Stoffwechsel um, wenn man eine bestimmte Gewichtsgrenze überschritten hat. Ohne Hilfe ist es sehr schwer, diese Hürde, die der Körper dann – zusätzlich zu den psychologischen Hindernissen – stellt, zu überwinden.