Wer im Netz verbotenerweise Musik, Filme oder Spiele herunterlädt, riskiert eine Abmahnung. Für viele Anwaltskanzleien ist daraus ein einträgliches Geschäft geworden: Sie verschicken massenhaft Abmahnschreiben. Was aber, wenn die Vorwürfe unberechtigt sind? Mit einem kostenlosen Schriftsatz-Generator wollen der Chaos Computer Club und der Verein Freie Netzwerke Internetnutzern helfen, sich zur Wehr zu setzen. test.de hat den Abmahnbeantworter unter die Lupe genommen.
Kanzleien stöbern nach Urheberrechtsverletzungen
Wer im Netz verbotenerweise Musik, Filme oder Spiele herunterlädt, begeht eine Urheberrechtsverletzung – und riskiert eine Abmahnung. Diese besteht in der Regel aus einer Zahlungsaufforderung und einer Unterlassungserklärung. Die Unterlassungserklärung muss vom Nutzer unterschrieben werden, mit der Zahlungsaufforderung werden Schadenersatz und Rechtsverfolgungskosten geltend gemacht. Ein einträgliches Geschäft, wie sich am Beispiel einiger bundesweit tätiger Rechtsanwaltskanzleien zeigt. In den letzten Jahren hat sich eine regelrechte Abmahnindustrie entwickelt. Kanzleien haben ihren Tätigkeitsbereich allein auf Massenabmahnungen gelegt.
CCC und Verein Freie Netzwerke: Engagiert gegen Abmahnindustrie
Sechs Prozent der Bevölkerung haben seit 2014 schon einmal eine solche Abmahnung erhalten, weil sie angeblich oder tatsächlich Musik oder Filme im Internet illegal genutzt oder heruntergeladen haben. Der Chaos Computer Club (CCC) und der Verein Freie Netzwerke wollen „dem unberechtigten Abmahnwesen einen Strich durch die profitable Rechnung machen“, wie sie per Presseerklärung mitteilten. Seit August 2016 bieten die beiden Organisationen Internetnutzern mit ihrem Abmahnbeantworter ein Instrument, um sich gegen unberechtigte Abmahnungen zu wehren.
Abmahnbeantworter – was ist das?
Der Abmahnbeantworter ist ein Schriftsatz-Generator. Hat der Nutzer die notwendigen Schritte durchlaufen, erhält er ein ausformuliertes Antwortschreiben, das er an die abmahnende Kanzlei schicken kann. Der Betroffene teilt darin mit, dass und warum er zu Unrecht abgemahnt worden ist. Dafür werden vorgefertigte Textbausteine zusammengefügt. Außerdem fordert das Schreiben die gegnerische Seite dazu auf, die Abmahnung innerhalb einer festgelegten Frist zurückzunehmen. Auf einer FAQ-Seite werden Ziele und Hintergründe des Abmahnbeantworters dargelegt und das juristische Prozedere erläutert.
In sechs Schritten zum Antwortschreiben
Um das Schreiben automatisiert zu erzeugen, muss der Nutzer sechs Schritte durchlaufen. Bevor es losgeht, muss der Abgemahnte jedoch zunächst bejahen, dass er sich sicher ist, die Urheberrechtsverletzung nicht begangen zu haben. Andernfalls bricht das Tool den Vorgang ab und empfiehlt den Gang zum Anwalt.
1. Wer mahnt ab? Im ersten Schritt muss der Nutzer die Anschrift der abmahnenden Rechtsanwaltskanzlei eingeben. Praktisch: Das Tool hält die Daten von einigen der bekanntesten Abmahnkanzleien bereits vor, etwa die von Waldorf & Frommer oder Sasse & Partner: Klickt der Nutzer den Namen der Kanzlei an, erscheinen deren Daten automatisch im auszufüllenden Formular.
2. Wie lautet das Aktenzeichen? Hier sind das von der Kanzlei genannte Aktenzeichen, Datum und Uhrzeit des angeblichen Verstoßes und das Datum der Abmahnung einzutragen.
3. Warum sind Sie nicht der Täter? Im dritten Schritt muss der Nutzer angeben, warum er nicht Täter sein kann, etwa weil er zum fraglichen Zeitpunkt nachweislich im Urlaub war oder bei der Arbeit. Auch dafür gibt es vorbereitete Antworten, bei denen der Abgemahnte nur ein Häkchen setzen muss.
4. Warum sind Sie kein Störer? Internetnutzer können nicht nur wegen eigener Urheberrechtsverstöße belangt werden, sondern manchmal auch für die Verstöße anderer Personen („Störerhaftung“). Darum muss der Betroffene im vierten Schritt klären, warum er auch nicht als Störer haften muss. Störerhaftung bedeutet: Der Anschlussinhaber haftet unter bestimmten Umständen, wenn Dritte über eine WLan-Verbindung – ob passwortgeschützt oder nicht – Daten klauen oder Urheberrechtsverstöße begehen. Der Anschlussinhaber ist dann Störer und wird abgemahnt (siehe unser Special zur Störerhaftung). Der Abmahnbeantworter schlägt Antworten vor, etwa dass Familienmitglieder oder Nachbarn das WLan mitbenutzen und darum auch andere Personen für die angebliche Urheberrechtsverletzung in Frage kommen.
5. Wer wird abgemahnt? Zum Abschluss gibt der Nutzer seine persönlichen Daten an.
6. Fertig! Aus den zuvor gemachten Angaben wird dann das Antwortschreiben erzeugt. Dieses soll der Nutzer, so der Rat der Betreiber, per Einwurf-Einschreiben oder Telefax an die abmahnende Kanzlei schicken.
Eingegebene Daten laut Betreiber sicher
„Eine Erhebung von personenbezogenen Daten der Nutzer dieser Website findet nicht statt. Auch der Webserver speichert keine IP-Adressen der Nutzer“, schreiben die Betreiber des Abmahnbeantworters in ihrer sehr kurzen Datenschutzerklärung. Die eingegebenen Daten würden nur in ein fertiges PDF-Dokument umgewandelt, das der Internetbrowser selbst erzeuge. Neben dem Hinweis auf den Datenschutz findet sich auch ein Haftungsausschluss der Betreiber: Der Abmahnbeantworter sei keine Rechtsberatung, die Nutzung erfolge auf eigene Gefahr.
Individuelle Umstände werden nicht berücksichtigt
Der Abmahnbeantworter soll fälschlich Abgemahnten die Gegenwehr erleichtern. Er bietet Formulierungshilfe für Antworten an abmahnende Kanzleien. Außerdem zeigt er die Gründe auf, aus denen ein Abgemahnter gegebenenfalls nicht haften muss, etwa weil er zur fraglichen Zeit nicht zu Hause war oder auch andere Zugriff auf sein WLan-Netzwerk hatten. Nachteil der vorgefertigten Antworten: Individuelle Fallgestaltungen können nicht berücksichtigt werden. Das offenbart die Risiken.
Bringschuld des Anschlussinhabers
Dr. Norbert P. Flechsig, Jurist und Professor für Urheber- und Medienrecht an der Universität Tübingen, erklärt: „Liegt eine Verletzung des Urheberrechts vor und kann diese durch die IP-Adresse zweifelsfrei einem Anschlussinhaber zugeordnet werden, muss ein Gericht von der tatsächlichen Vermutung ausgehen, dass der Anschlussinhaber für einen festgestellten Eingriff in die Verwertungsrechte des Urhebers verantwortlich ist. Dann muss eben dieser Anschlussinhaber reagieren und diese Vermutung widerlegen beziehungsweise zumindest alles in seiner Macht Stehende tun, um widerlegen zu helfen.“ Der Bundesgerichtshof verlangt dazu einen plausiblen und konkreten Vortrag und nennt dieses Erfordernis sekundäre Darlegungslast (zum Beispiel Az. I ZR 48/15 „Everytime we touch“- Urteil , I ZR 169/12 „BearShare“-Urteil). Das bedeutet: Er muss darlegen, dass und warum er die von der Abmahnkanzlei behauptete und etwa durch Providerauskunft belegte Urheberrechtsverletzung nicht begangen hat.
Pflicht zur Mitwirkung
Wie weit diese Pflicht zur Mitwirkung des Abgemahnten geht, ist immer wieder Gegenstand gerichtlicher Verfahren und vom Einzelfall abhängig. In der Regel wird der Anschlussinhaber Umstände darlegen und beweisen müssen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit ergibt, dass er weder Täter war noch als Störer haftet. „Kommt der Anschlussinhaber seiner sekundären Darlegungslast nach, benennt er also die Personen, welche selbstständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen könnten, dann wird er auch nicht als Täter oder Störer gesehen. Für den Abgemahnten bedeutet dies: Hierfür muss er aber seine Kenntnisse bezüglich der eventuellen Rechtsverletzung umfassend mitteilen. Bloß zu behaupten, das hätten ja auch Dritte sein können, die im Hause mitleben oder zu Besuch sind und den Anschluss nutzen, reicht nicht aus. Erst dann, wenn der Anschlussinhaber den verletzten Urheber im Rahmen dieser sekundären Darlegungslast vollständig aufklärt, ist es sodann wieder Sache des Verletzten, die für eine Haftung des Beklagten als Täter einer Urheberrechtsverletzung sprechenden Umstände darzulegen und nachzuweisen.“, führt Flechsig aus.
Fazit: Abmahnbeantworter ersetzt professionellen Rechtsrat nicht
Die Initiative des CCCs und Vereins Freie Netzwerke ist begrüßenswert, der Abmahnbeantworter eignet sich aber nicht in jedem Fall zur Abwehr unberechtigter Forderungen. Er bietet Formulierungshilfen und Stichworte, die der Erinnerung auf die Sprünge helfen können. Wer auf ein anwaltliches Abmahnschreiben antwortet, sollte sich jedoch nicht allein auf den Abmahnbeantworter verlassen. Unbedachte Eingaben können dem Betroffenen sogar schaden – aber auch Familienmitgliedern oder Besuchern, sofern der Abgemahnte sie als mögliche Täter ins Feld führt. Die vorgefertigten Textbausteine werden unterschiedlichen Einzelfallkonstellationen nicht immer gerecht. Vielmehr sollte sich der Betroffene Rechtsrat suchen, etwa bei Verbraucherzentralen oder Rechtsanwälten, die sich auf Abmahnfälle spezialisiert haben.
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