Abge­laufene Medikamente

„Regeln für längere Lauf­zeiten wären sinn­voll“

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Abge­laufene Medikamente - Wegwerfen oder verwenden?

Dr. Ulrike Holz­grabe ist Professorin für Pharmazeutische und Medizi­nische Chemie an der Uni Würzburg. © Universität Würzburg

Ulrike Holz­grabe führte verblüffende Studien zur Halt­barkeit von Arzneien durch. Sie plädiert für gezielte Tests, um Ablauf­fristen zu verlängern.

Wie lange Medikamente halt­bar sind

Frau Professor Holz­grabe, Sie haben mehr als 50 Arznei­stoffe und Ampullen analysiert, die mindestens 20 Jahre alt waren. Wie kam es dazu?

Als Apothekerin und Chemikerin beschäftigt mich die Frage, wie lange Arznei­mittel tatsäch­lich halt­bar sind. Es gibt dazu kaum Daten, die über größere Zeiträume erhoben wurden. Also nutzten wir die Chance, dass wir über eine Samm­lung alter Arznei­mittel verfügen, und untersuchten Proben davon im Labor. Die Mehr­zahl entsprach Arznei­buch­qualität; sprich, die Wirk­stoffe waren nicht abge­baut und es fanden sich keine unzu­lässigen Verunreinigungen.

Was hat Sie am meisten verblüfft?

Dass viele untersuchte Injektions-Flüssig­keiten so lange gehalten haben. Sie sind insgesamt weniger stabil als Fest­stoffe. Von daher war zu erwarten, dass sie sich nach 30, 40 Jahren längst verabschiedet hätten – hatten sie aber nicht.

Offiziell sind viele Arzneien maximal fünf Jahre halt­bar. Warum so kurz?

Die Spanne passt zu den Studien­zeiträumen, wenn neue Medikamente entwickelt werden. Unternehmen reichen Behörden im Rahmen der Zulassung auch Halt­barkeits­daten ein und fassen das Thema später meist nicht mehr an.

Kurze Lauf­zeiten sind für die Hersteller lukrativer

Weshalb ist das so?

Der Gesetz­geber verlangt es nicht – und Herstel­lern könnte das entgegen­kommen. Schließ­lich dürfte es für sie lukrativ sein, wenn Arzneien kurze Lauf­zeiten haben und öfter ersetzt werden müssen.

Was folgern Sie aus Ihren Daten? Kann man Medikamente einfach länger nehmen als offiziell angegeben?

Davon rate ich Patientinnen und Patienten dringend ab. Unsere Daten lassen sich ja nicht pauschal auf alle Medikamente über­tragen. Dazu wären konkrete Lang­zeit­studien zum jeweiligen Mittel nötig – und genau hier sehe ich einen sinn­vollen Ansatz­punkt. Zu über­legen, ob wir als Staat gesetzliche Möglich­keiten schaffen, die Lauf­zeit von Medikamenten offiziell zu verlängern.

Müll und Geld sparen

Wie könnte das gehen?

Unternehmen müssen Rück­stell­muster zu zugelassenen Medikamenten aufbewahren. Die werden ohnehin von Zeit zu Zeit, meist jedes Jahr, auf Unregelmäßig­keiten über­prüft. Wenn die Qualität noch stimmt, ließen sich Lauf­zeiten an sich unkompliziert verlängern. Das könnte sich lohnen – weil weniger Medikamente unnötig im Müll landen und Krankenkassen und Versicherte Geld sparen.

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studex am 26.01.2023 um 01:22 Uhr
Arznei­mittel­müll vermeiden

Arznei­mittel­müll könnte auch vermieden werden, wenn die Haltbarkeit von Kassenrezepten mit zB 28 Tagen nicht so wahnsinnig kurz wäre. Z.Zt. habe ich eine Arznei im Haus die habe ich nur deswegen aus der Apotheke geholt, damit ich nicht mit einem abgelaufenen Rezept da stehe. Ich brauche sie nur, wenn die Beschwerden noch mal auftreten würden. Wäre das nach vielleicht 3...6Monaten nicht der Fall gewesen, hätte ich sie wohl gar nicht gebraucht. Nun liegt sie hier rum.

Gelöschter Nutzer am 14.01.2023 um 20:24 Uhr
halsbandschnaepper hat recht

Ich muss dem Kommentator halsbandschnaepper ausdrücklich zustimmen. Er geht mit gesunde Menschenverstand an die Sache heran. Und so sollte man es auch tun. Medikamente, deren Verfallsdatum erst kurze Zeit überschritten ist, können natürlich ohne noch genommen werden. Ist das Verfallsdatum mehr als nur eine kurze Zeit überschritten, so empfehle ich den Gang in die Apotheke. Eine gute PTA oder ein guter Apotheker können einschätzen, ob ein Wirkstoff sich nach längerer Zeit verändert und gegebenenfalls auf welche Weise. Nur die aller wenigsten Wirkstoffe verändern sich nach längerer Zeit auf eine Art und Weise, die für den Patienten gefährlich werden kann. Das sind Ausnahmen. Diese Ausnahmen kennt der Apotheker. Gerade bei festen Zubereitungen ist die Gefahr dafür am geringsten.

halsbandschnaepper am 30.12.2022 um 14:24 Uhr
Abgelaufene Tabletten

Also abgelaufene Tabletten würde ich auf jeden Fall noch nehmen, zumindest so etwas wie Paracetamol oder Ibuprofen. Und selbst bei dem genannten Antibiotikum Tetracyclin wird der Effekt nicht weniger Wochen nach dem Datum eintreffen. So genau können die Hersteller (wie bei Lebensmitteln) die Haltbarkeit gar nicht abschätzen. Einfach mal geraten würde ich sagen keine Tablette die laut Packung 12 Monate halten soll, jetzt nach 13 oder 14 Monaten automatisch gefährlich oder unwirksam wird.
Da habe ich schon welche genommen die schon lange abgelaufen sind und sie haben natürlich noch die gleiche Wirkung und schaden können sie auch nicht... Also die Aufforderung Tabletten wegzuwerfen nur weil das Datum das aufgedruckt wurde überschritten wurde, finde ich unverschämt!

halsbandschnaepper am 30.12.2022 um 14:19 Uhr

Kommentar vom Autor gelöscht.

guennieh am 17.06.2022 um 22:19 Uhr
Arzneimittelreste gehören zurück in den Handel

Täglich mehrmals beliefert der Pharmagroßhandel flächendeckend die Apotheken mit neuen Medikamenten. Nichts einfacher im Sinne einer ökologischen Kreislaufwirtschaft die Altmedikamente auf dem Rückweg auch wieder zurückzunehmen und einer geordneten Entsorgung zuzuführen. Lobby hin, Lobby her. Der Apothekersohn und Wirtschaftsminister Robert Habeck ist da sicher sehr vom Fach….
Das die Stiftung Warentest als Stiftung der Bundesregierung dies nicht deutlich kommunizieren darf, ist leider ein bedauerlicher Geburtsfehler.