
Verfallsdatum abgelaufen? Im Zweifel die Arzneien lieber entsorgen. © Adobe Stock
Derzeit sind manche Medikamente knapp. Wohl dem, der sie zuhause vorrätig hat. Doch wie lange halten Medikamente? Laut Studien oft viel länger, als auf der Packung steht.
Wer seine Hausapotheke sichtet, findet oft lauter abgelaufene Mittel: alte Nasensprays, eine angebrochene Packung Kopfschmerztabletten – und Fiebersaft, der vielerorts gerade nicht zu haben ist. Sind solche Mittel noch verwendbar? Lässt sich erkennen, ob sie verdorben sind? Was ist bei der Lagerung zu beachten? Die Pharmabranche selbst gibt sich bedeckt, was die Herstellungsbedingungen in Fernost betrifft. Wir beantworten wichtige Fragen zur Haltbarkeit von Arzneien und geben Tipps zur Aufbewahrung und Entsorgung. Im Interview erzählt Professorin Ulrike Holzgrabe von Studien, in denen selbst Jahrzehnte alte Arzneien noch wirksam waren, und warum die offizielle Laufzeit von Medikamenten wohl oft zu kurz ist.
Alle Fragen im Überblick
Haltbarkeit von Tabletten, Tropfen, Cremes und Co
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Wie lange sind Medikamente haltbar?
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Das ist eine kniffelige Frage. Laut Arzneimittelgesetz müssen Pharmahersteller ein Verfallsdatum auf der Packung des Medikaments angeben. Dafür führen sie Stabilitätsuntersuchungen unter kontrollierten Bedingungen durch. Anhand dieser Daten legen sie die Laufzeit des Mittels fest, sie beträgt oft ein bis drei Jahre. Mehr als fünf Jahre sollen es laut hiesigen Vorgaben nicht sein – auch weil sich über so lange Zeit neue Erkenntnisse zu Neben- und Wechselwirkungen ergeben könnten und der Beipackzettel somit veralten würde.
Soweit die rechtliche Seite. Die praktische sieht etwas anders aus. Einige Studien zeigen, dass Arzneimittel oft länger halten als offiziell angegeben. Ein prominentes Beispiel heißt Shelf Life Extension Program und startete 1986 in den USA. Für diese Initiative zur Verlängerung der Haltbarkeit analysierte die US-Arzneimittelbehörde über Jahre hinweg diverse Chargen von mehr als 100 Medikamenten. Viele stammten aus Militärlagerbeständen.
2006 erschienen im Journal of Pharmaceutical Sciences Ergebnisse: Bei 88 Prozent der untersuchten Chargen ließ sich das Verfallsdatum deutlich nach hinten verschieben, im Schnitt um fünfeinhalb Jahre.
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Gibt es bei der Haltbarkeit von Tabletten, Salben, Gelen, Tropfen und Säften Unterschiede?
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Grundsätzlich sind Tabletten stabiler als andere Formen von Arzneimitteln wie Salben, Cremes, Gele, Säfte, Tropfen oder Sprays. Außerdem müssen die Tuben, Tiegel und Flaschen für jeden Gebrauch geöffnet werden. Tabletten hingegen werden meist einzeln entnommen und die übrigen bleiben geschützt im Blister – gut für die Haltbarkeit.
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Was ist bei bereits geöffneten Arzneimittelpackungen zu beachten?
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Viele flüssige und halbfeste Arzneien wie Säfte, Tropfen, Cremes halten nach dem Öffnen nur begrenzt, oft wenige Wochen bis Monate. Und: Krankheitserreger können eindringen und Infektionen auslösen. Besonders die Augen sind da sehr empfindlich. In Beipackzetteln und auf Packungen stehen gegebenenfalls konkrete Hinweise, wie lange ein Mittel nach Anbruch hält – danach lieber nicht mehr nutzen.
Tipp: Notieren Sie das Öffnungsdatum von der Flasche, dem Tiegel oder der Tube. Vor jeder Anwendung die Hände waschen. Das Behältnis nach Gebrauch wieder fest verschließen.
Hinweise zu abgelaufenen Medikamenten
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Kann ich abgelaufene Mittel noch nehmen?
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Davon raten wir ab – im Wesentlichen aus drei Gründen. Erstens haften Pharmaunternehmen nur bis zum offiziellen Verfallsdatum für die Qualität ihres Medikaments. Zweitens lassen sich die Ergebnisse bisheriger Haltbarkeitsstudien nicht global auf alle Arzneimittel übertragen. Drittens fällt es bei Medikamenten äußerlich häufig gar nicht auf, dass sie nicht mehr in Ordnung sind. Dann erscheinen sie optisch, geruchlich und geschmacklich ganz normal. Wer sie nach Ablauf nimmt, riskiert negative Folgen wie Wirksamkeitsverluste. Insofern raten wir, das Verfallsdatum zu beherzigen, wie auch bei angebrochenen Packungen gegebenenfalls die Aufbrauchfrist.
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Wirken abgelaufene Medikamente noch?
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Es kann laut den vorliegenden Daten passieren, dass sich Wirkstoffe von abgelaufenen Medikamenten zersetzen. In der Folge verringert sich die Wirkung. Sehr wichtig ist dieser Aspekt bei Mitteln gegen schwere Erkrankungen, etwa Notfallmedikamenten wie Adrenalin-Pens. Damit injizieren sich beispielsweise Menschen mit Insektengiftallergie nach einem Stich ein Gegenmittel, damit kein allergischer Schock eintritt. Weil der lebensbedrohlich ist, muss der Pen richtig wirken. Betroffene sollten regelmäßig prüfen, ob er noch haltbar ist, oder sich sonst rechtzeitig einen neuen verordnen lassen. Im Fall der Fälle gilt aber: Lieber einen abgelaufenen Pen nehmen als gar nichts tun.
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Sind abgelaufene Medikamente gefährlich?
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Dass schädliche Stoffe nach Ablauf von Arzneimitteln entstehen, ist nicht auszuschließen – wenn auch nach heutigem Wissensstand wohl sehr selten. Ein Beispiel ist das Antibiotikum Tetracyclin. Hier können Zersetzungsprodukte das sogenannte Fanconi-Syndrom auslösen, eine spezielle Störung der Nierenfunktion.
Warn-, Lagerungs- und Entsorgungshinweise
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Woran lassen sich nicht mehr verwendbare Arzneimittel erkennen?
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Manchen Arzneien lässt sich anmerken, wenn sie etwa wegen falscher Lagerung verdorben sind. Es lohnt also, unabhängig vom Verfallsdatum, sie vor der Anwendung anzuschauen und bei Warnzeichen nicht mehr zu nutzen. Solche Warnzeichen können sein:
- Verfärbungen, dunkle Flecken oder Risse bei Tabletten, Kapseln oder Dragees,
- Ausflockungen oder Bodensatz bei ursprünglich klaren Flüssigkeiten,
- glitzernde Auflagerungen bei Zäpfchen,
- ranziger Geruch oder verändertes Aussehen bei Salben oder Cremes, wenn diese beispielsweise vertrocknet, verfärbt oder verflüssigt wirken.
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Wie bewahre ich Arzneimittel am besten auf?
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Das offizielle Verfallsdatum gilt nur bei richtiger Lagerung. Die meisten Medikamente müssen bei Raumtemperatur aufbewahrt werden. Dafür eignet sich etwa das Schlafzimmer, der Flur oder eine Abstellkammer – also ein recht kühler, dunkler, trockener Raum. Nicht zu empfehlen sind Bad oder Küche. Dort herrscht häufig ein feucht-warmes Klima, was die Arzneiqualität enorm mindern kann. Wenn Besonderheiten gelten, ein Mittel beispielsweise in den Kühlschrank gehört, steht das auf der Packung sowie im Beipackzettel. Ein guter Platz ist dann das Gemüsefach, wo die Temperatur wenig schwankt.
Tipp: Bewahren Sie Medikamente im Original-Umkarton samt Beipackzettel auf. Das schützt sie zusätzlich vor Licht und Feuchtigkeit, und alle Infos sind bei Bedarf gleich zur Hand. Zudem sollten Arzneien möglichst kindersicher lagern.
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Wie entsorge ich abgelaufene Medikamente?
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Die wichtigste Regel: Arzneimittel – auch flüssige – nie in Spüle, Waschbecken oder Toilette kippen! Sie können Gewässer belasten, weil Kläranlagen nicht alle Abbauprodukte vollständig entfernen. Umweltbewusst entsorgen lassen sich Medikamente häufig sehr praktisch: über den Restmüll. Allerdings gelten kommunal teilweise abweichende Regeln, die sich beim örtlichen Abfallunternehmen erfragen oder bei einem Onlineportal zur Arzneimittelentsorgung nachlesen lassen. Detaillierte Infos und Tipps finden sich in unserem Special zur Entsorgung von Medikamenten.
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Wie vermeide ich Arzneimittelmüll?
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Wer nur die wirklich nötigen Medikamente im Haus hat, verringert das Risiko, dass sie ablaufen und im Abfall landen. Es kann also lohnen, bei rezeptfreien Mitteln kleine Packungsgrößen zu wählen und die Hausapotheke schmal zu halten. Sinnvollerweise umfasst sie Arzneien gegen häufige Übel wie Schmerzen und Fieber, Durchfall, Erkältungsbeschwerden und zur Desinfektion von Wunden. Wer weiß, dass er oder sie öfter an bestimmten Krankheiten leidet, sollte außerdem die entsprechenden Arzneien auf Vorrat haben. Bei rezeptpflichtigen Mitteln sollte die Packungsgröße sich möglichst nach dem Bedarf richten. Einen Überblick gibt unser Special Hausapotheke: Mittel fürs Notfall-Schränkchen.
Tipp: Besprechen Sie mit Arzt oder Ärztin, ob Sie zu Beginn einer neuen Langzeittherapie erst einmal eine kleine Packung bekommen können, um Effekt und Verträglichkeit zu erproben.
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Arzneimittelmüll könnte auch vermieden werden, wenn die Haltbarkeit von Kassenrezepten mit zB 28 Tagen nicht so wahnsinnig kurz wäre. Z.Zt. habe ich eine Arznei im Haus die habe ich nur deswegen aus der Apotheke geholt, damit ich nicht mit einem abgelaufenen Rezept da stehe. Ich brauche sie nur, wenn die Beschwerden noch mal auftreten würden. Wäre das nach vielleicht 3...6Monaten nicht der Fall gewesen, hätte ich sie wohl gar nicht gebraucht. Nun liegt sie hier rum.
Ich muss dem Kommentator halsbandschnaepper ausdrücklich zustimmen. Er geht mit gesunde Menschenverstand an die Sache heran. Und so sollte man es auch tun. Medikamente, deren Verfallsdatum erst kurze Zeit überschritten ist, können natürlich ohne noch genommen werden. Ist das Verfallsdatum mehr als nur eine kurze Zeit überschritten, so empfehle ich den Gang in die Apotheke. Eine gute PTA oder ein guter Apotheker können einschätzen, ob ein Wirkstoff sich nach längerer Zeit verändert und gegebenenfalls auf welche Weise. Nur die aller wenigsten Wirkstoffe verändern sich nach längerer Zeit auf eine Art und Weise, die für den Patienten gefährlich werden kann. Das sind Ausnahmen. Diese Ausnahmen kennt der Apotheker. Gerade bei festen Zubereitungen ist die Gefahr dafür am geringsten.
Also abgelaufene Tabletten würde ich auf jeden Fall noch nehmen, zumindest so etwas wie Paracetamol oder Ibuprofen. Und selbst bei dem genannten Antibiotikum Tetracyclin wird der Effekt nicht weniger Wochen nach dem Datum eintreffen. So genau können die Hersteller (wie bei Lebensmitteln) die Haltbarkeit gar nicht abschätzen. Einfach mal geraten würde ich sagen keine Tablette die laut Packung 12 Monate halten soll, jetzt nach 13 oder 14 Monaten automatisch gefährlich oder unwirksam wird.
Da habe ich schon welche genommen die schon lange abgelaufen sind und sie haben natürlich noch die gleiche Wirkung und schaden können sie auch nicht... Also die Aufforderung Tabletten wegzuwerfen nur weil das Datum das aufgedruckt wurde überschritten wurde, finde ich unverschämt!
Kommentar vom Autor gelöscht.
Täglich mehrmals beliefert der Pharmagroßhandel flächendeckend die Apotheken mit neuen Medikamenten. Nichts einfacher im Sinne einer ökologischen Kreislaufwirtschaft die Altmedikamente auf dem Rückweg auch wieder zurückzunehmen und einer geordneten Entsorgung zuzuführen. Lobby hin, Lobby her. Der Apothekersohn und Wirtschaftsminister Robert Habeck ist da sicher sehr vom Fach….
Das die Stiftung Warentest als Stiftung der Bundesregierung dies nicht deutlich kommunizieren darf, ist leider ein bedauerlicher Geburtsfehler.