Abgas­skandal

Abgas­skandal: Chronik der Ereig­nisse

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20.02.2023 Jubel bei der Deutschen Umwelt­hilfe: Das Verwaltungs­gericht Schleswig hat nach langer Verhand­lung geur­teilt: Die Thermo­fenster in den von VW auf Geheiß des Kraft­fahrt­bundes­amts (KBA) neu entwickelten Motorsteuerungen für die rund 2,5 Millionen Skandal­autos sind rechts­widrig. Das Gericht hob die Genehmigung der so genannten „Updates“ auf. Danach muss das KBA alle Skandal­autos erneut zurück­rufen und VW verpflichten, den Schad­stoff­ausstoß noch weiter zu verringern. Die Deutsche Umwelt­hilfe (DUH) als Kläger geht davon aus: VW muss in die Autos wie in den USA damals einen zusätzlichen Katalysator einbauen.
Allerdings: Das Urteil ist noch nicht rechts­kräftig. Das Gericht ließ sowohl die Sprungrevision zum Bundes­verwaltungs­gericht als auch die Berufung zu. test.de ist sicher: Die wird das KBA einlegen. Bis ein rechts­kräftiges Urteil fällt, werden wahr­scheinlich noch Jahre ins Land gehen. Wie viele Skandal­autos das dann noch betrifft, bleibt abzu­warten. Allerdings: Das Urteil ist auf zahlreiche jüngere Autos anderer Hersteller über­trag­bar. Während VW später die Abgas­reinigung nur bei extrem nied­rigen und hohen Temperaturen herab­setzte, waren Thermo­fenster bei anderen Autos mit Diesel­motoren bis einschließ­lich Schad­stoff­norm Euro 6c gang und gäbe. Wie viele Autos das betrifft, lässt sich noch nicht genauer abschätzen. Fest steht: Wenn das Urteil rechts­kräftig wird, muss das KBA Millionen Autos entweder erneut zurück­rufen oder stillegen.
Schleswig-Holsteinisches Verwaltungs­gericht, Urteil vom 20.02.2023
Aktenzeichen: 3 A 113/18 (nicht rechts­kräftig)
Verbraucher­anwälte: Rechtsanwälte Remo Klinger und David Krebs, Berlin

20.02.2023 Show­down in Schleswig: Vor der 3. Kammer des Verwaltungs­gerichts dort haben die Anwälte der Deutschen Umwelt­hilfe und der Volks­wagen AG und die Juristen des Kraft­fahrt­bundes­amts (KBA) in Flens­burg von 9.30 Uhr an darüber verhandelt, ob die Behörde die Abgas­skandal­autos zu Recht hat weiterfahren lassen. Wenn die Klage Erfolg hat, muss das KBA die Skandal­autos erneut zurück­rufen, um den Ausstoß an giftigem Stick­oxid weiter zu verringern.
Die Deutsche Umwelt­hilfe ist der Meinung: Auch die von VW entwickelte und vom KBA genehmigte neue Motorsteuerung für die Skandal­autos ist rechts­widrig. Fest steht: Voll wirk­sam war die Abgas­reinigung nur bei Luft­temperaturen ab 10 Grad. Darunter reduzierte die Motorsteuerung die Rück­führung von Abgas in den Ansaugtrakt und damit die Reduzierung von Stick­oxiden. Zulässig ist eine solche Reduktion der Abgas­reinigung nur, wenn Motorschäden und Unfälle drohen, erklärte Vorsitzender Richter Uwe Kars­tens und verwies auf die strengen Ansagen des Europäischen Gerichts­hofs zum Thema (s. u. unter 14.07.2022). Selbst wenn die Abschaltung notwendig ist, darf sie nicht genehmigt werden, wenn sie unter gängigen Bedingungen zur Verringerung oder Abschaltung der Abgas­reinigung führt und Autos dadurch oft mehr als die nach den EU-Regeln damals zulässigen 180 Milligramm Stick­oxid pro Kilo­meter ausstoßen.
Kraft­fahrt­bundes­amt und VW argumentierten unisono: Bei nied­rigen Luft­temperaturen droht wegen dramatisch erhöhter Russ­bildung und Versottung ein Verklemmen des Ventils für die Abgasrück­führung und die könne inner­halb weniger Minuten zu Motorschäden und Bränden führen. DUH-Anwalt Remo Klinger und Axel Friedrich hielten dagegen: Es hätte tech­nische Alternativen wie andere Formen der Abgasrück­führung und Katalysatoren gegeben. Die habe VW nur nicht gewollt, weil die Autos dadurch teurer geworden wären. Klinger monierte zahlreiche geschwärzte Seiten in den von VW und dem KBA vorgelegten Gutachten und stellte noch sieben so genannte Hilfs­beweis­anträge. Mit ihnen muss sich das Gericht noch befassen, wenn es die Klage abweisen will.
Die Richter äußerten sich zunächst zurück­haltend und äußerten Verständnis für die Argumente beider Parteien. Es gehe immer um eine Abwägung zwischen dem Interesse an gesunder Umwelt einer­seits und effizientem und preis­werten Indivi­dual­verkehr anderer­seits. Sie neigten zunächst dazu, die Abschaltung der Abgas­reinigung bei Luft­temperaturen unter­halb von 10 Grad für zulässig zu halten.
Das Urteil steht noch aus. Die drei Berufs­richter und die beiden Schöffen zogen sich gegen 14.40 Uhr zur Beratung zurück. Ihre Entscheidung – entweder der Beschluss, weitere Beweise zu erheben oder ein abschließendes Urteil – wollen sie noch heute verkünden.
Am Rande der Verhand­lung interes­sant: KBA-Justitiar Frank Liebhart erklärte, dass die Behörde inzwischen auch der Meinung ist, dass die Skandal­autos seiner­zeit nicht der an sich recht­mäßigen Typgenehmigung entsprachen. Auf test.de-Nach­frage erklärte er allerdings: Trotzdem war es richtig, dass die Autos damals weiterfahren durften. Die test.de-Juristen sind anderer Meinung. Die Skandal­autos hätten ihrer Ansicht nach sofort aus dem Verkehr gezogen werden müssen.

09.01.2023 Rechts­anwältin Sandra Mader aus der Kanzlei Wawra & Gaibler in Augs­burg berichtet: Das Land­gericht Ravens­burg hat Opel auf ihre Klage hin zu Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung verurteilt. Es ging um einen Opel Insignia Sports Tourer 2,0 l Diesel mit einem Motor vom Typ „B20“, der die Euro 6 Norm erfüllen soll. Nach den Fest­stel­lungen des Gerichts reduzierte die Motorsteuerung die Abgas­reinigung unter­halb von 16 Grad Luft­temperatur, bei einer Geschwindig­keit von 140 und mehr Stundenkilo­metern, einer Motordrehzahl von 2 900 und mehr Umdrehungen pro Minute sowie bei einem Luft­druck von 91,5 Kilopascal entsprechend 915 Millibar und weniger, wie er bei normalem Wetter bei einer Höhe von rund 800 und mehr Metern über dem Meeresspiegel herrscht. Bei einer solchen Kombination von Para­metern sei wie bei VWs Abschaltung der Abgas­reinigung bei anderen als den für die Prüf­stands­versuche zur Ermitt­lung des Schad­stoff­ausstoßes vorgeschriebenen Bedingungen von Vorsatz und Sittenwid­rigkeit auszugehen, begründet Richter Harald Göller sein Urteil. Das Urteil ist auf Opel Cascada und Zafira mit dem gleichen 2.0 Diesel­motor vom Typ B20 über­trag­bar. Es ist aber noch nicht rechts­kräftig.
Land­gericht Ravens­burg, Urteil vom 30.12.2022
Aktenzeichen: 2 O 200/22 (nicht rechts­kräftig)
Verbraucher­anwälte: Rechtsanwälte Wawra & Gaibler, Augsburg

23.12.2022 Immer noch: Kein Urteil des Europäischen Gerichts­hofs (EuGH) zum möglichen Recht auf Schaden­ersatz für Auto­besitzer bloß wegen Verstößen der Auto­hersteller gegen die EU-Regeln über die Typzulassung, siehe die Berichte hier unter 13.10.2022 und vor allem 04.07.2022. Auf Anfrage von test.de erklärte ein Gerichts­sprecher, es gebe immer noch keinen Termin für die Urteils­verkündung. In einer anderen Sache urteilte der EuGH allerdings: Die EU-Regeln über Grenz­werte giftiger Gase wie Stick­oxid in der Luft geben einzelnen Menschen kein Recht auf Schaden­ersatz. Der EuGH argumentiert darin so ähnlich, wie der Bundes­gerichts­hof es bei dessen Verweigerung von Schaden­ersatz nur wegen der Verletzung der EU-Typzulassungs­regeln getan hatte. Danach spricht viel dafür, dass der EuGH zum gleichen Ergebnis kommt, auch wenn sein General­anwalt anderer Meinung war. Das war er beim aktuellen Luft­grenz­werte-Urteil auch.
Europäischer Gerichts­hof, Urteil vom 22.12.2022
Aktenzeichen: C-61/21

20.12.2022 Soweit uns bekannt erst­mals über­haupt kommt ein Gutachter zu dem Ergebnis: Auch ein Auto mit einer bisher nicht vom Kraft­fahrt­bundes­amt bean­standeten Motorsteuerung schaltet die Abgas­reinigung illegal ab.
Es ging um einen Audi Q5 3.0 TDI Quattro S tronic mit 176 Kilowatt/239 PS Motor­leistung, unter dem Code el*2001/116*0473*09 typzugelassen nach der Norm Euro 5, Erst­zulassung des umstrittenen Wagens: März 2012, Lauf­leistung bis dato: 82 588 Kilo­meter.
Das Land­gericht Mann­heim ordnete im Dezember 2020 an: Es ist ein Sach­verständigen-Gutachten zur Behauptung des Besitzers des Wagens einzuholen, wonach die Motorsteuerung die Abgas­reinigung illegal reduziert oder abschaltet.
Gutachter Hartmut Lehnert findet heraus: Der Ausstoß von Stick­oxid erhöht sich bei ein und demselben Norm-Fahr­versuch stark, wenn die Lenkung betätigt wird. Steht sie gerade, waren durch­schnitt­lich 227 Milligramm Stick­oxid pro simuliertem Kilo­meter im Abgas – auch schon 26 Prozent mehr als die damals maximal erlaubten 180 Milligramm. Bei 15 und mehr Grad Lenkwinkel stieg der Stick­oxid­ausstoß auf 637 Milligramm. Bei einer weiteren Messung im Prüf­stand bei 10 statt der üblichen 20 Grad Luft­temperatur stieg der Stick­oxid­ausstoß sogar auf 1 564 Milligramm – fast das Neunfache des Erlaubten.
Fazit des Gutachters: „Das streit­gegen­ständliche Fahr­zeug verfügt über eine sog. Fahr­zyklus­erkennung. Die Software des Motorsteuergeräts erkennt anhand des Lenkwinkel­einschlags, ob sich das Fahr­zeug auf einem Prüf­stand befindet. Sobald die Software die Prüf­fahrt fest­stellt, schaltet sie die Abgas­reinigung in einen optimierten, effektiven Modus. Im Normal­betrieb außer­halb des Prüf­stands ist dagegen die Abgas­reinigung erheblich reduziert (...). Im normalen Fahr­betrieb kommt zudem ein sog. Thermo­fenster zum Einsatz. Ab einer Umge­bungs­temperatur von weniger als 17 °C und mehr als 30 °C wird die Abgas­reinigung sehr stark reduziert (...).“
Klarer Fall für Rechtsanwältin Eva Bohle von Gansel Rechtsanwälte: „Außer den Lenk­rad­einschlägen in den Stand­phasen wurden keine weiteren Para­meter im Gegen­satz zum vorgeschriebenen NEFZ-Zyklus verändert. Somit konnte verläss­lich die Lenkwinkel­erkennung als unzu­lässige prüf­stands­bezogene Abschalt­einrichtung fest­gestellt werden“, kommentiert sie das Gutachten. Sie sieht jetzt gute Chancen, dass ihr Mandant Schaden­ersatz bekommt, obwohl das KBA seinen Wagen nicht zurück­gerufen hat.
test.de hat sowohl Audi als auch das Kraft­fahrt­bundes­amt (KBA) Gelegenheit zur Stellung­nahme gegeben. Audi äußerte sich nicht. KBA-Sprecher Stephan Immen erklärte test.de gegen­über: „Für das hier in Rede stehende Fahr­zeug wurde insbesondere die temperaturgeführte Steuerung der Abgasrück­führung (AGR), das sog. „Thermo­fenster“ kritisch hinterfragt. Aufgrund der Informationen des Fahr­zeug­herstel­lers und als Ergebnis der durch das KBA durch­geführten Unter­suchungen konnte die Argumentation der Audi AG hinsicht­lich der Zulässig­keit der gegen­ständlichen Abschalt­einrichtung zum Zwecke des Motor­schutzes nach bisherigen Erkennt­nissen nicht entkräftigt werden.“ Allerdings: Nach den strengen Ansagen des Europäischen Gerichts­hofs führe das KBA zurzeit „...eine weitere tech­nische und verwaltungs­recht­liche Prüfung des Sach­verhaltes unter Einbeziehung aller aktuellen Erkennt­nisse durch“, erklärte Immen weiter.
Womöglich muss die Behörde auch die Entscheidungen wegen zahlreicher anderer Autos revidieren. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichts­hofs, wonach die Deutsche Umwelt­hilfe (DUH) berechtigt ist, gegen die aus ihrer Sicht rechts­widrige Freigabe der vom VW-Konzern nach Bekannt­werden des Skandals neu entwickelten Motorsteuerungen zu klagen, könnte das Verwaltungs­gericht Schleswig die bisherigen Entscheidungen der Behörde zu über 100 Skandal­auto-Varianten aufheben. VW müsste dann eine neue Lösung für die Skandal­autos entwickeln.
Nach Ansicht der DUH-Juristen einzige legale Möglich­keit: Die Skandal­autos bekommen zusätzlich zur Abgasrück­führung noch einen Katalysator, um den Ausstoß von giftigem Stick­oxid zuver­lässig unter den Grenz­wert zu halten. Das KBA hatte bisher für die allermeisten Skandal­autos für ausreichend gehalten, die Software für die Motorsteuerung zu ändern. Bei einigen Autos gab es zusätzlich nur ein kleine Änderung im Ansaugtrakt.

18.11.2022 Laut Taz-Bericht zu den Bosch-Dokumenten (siehe unten unter 17.11.2022) legen die Unterlagen nahe, dass alle wichtigen Auto­hersteller offen­bar schon vor 2006 begonnen haben, den Abgas­betrug vorzubereiten. Sie hätten die dafür nötigen Mecha­nismen in den Motorsteuergeräten gezielt in Auftrag gegeben.

17.11.2022 Neue Dokumente von Zulieferer Bosch belegen offen­bar: Schon vom Jahr 2006 an planten praktisch alle wichtigen Auto­hersteller, wie sie die EU-Rege­lungen zu den Abgas­grenz­werte umgehen können. Spiegel und Bayerischer Rundfunk berichten: Ihnen liegen bisher geheime Unterlagen vor, nach denen Bosch nach eigenen Unter­suchungen 44 „sensible Funk­tionen“ identifiziert hatte, die womöglich illegal sind. Dabei ging es nicht nur um Diesel-Aggregate, sondern auch um Benzin-Motoren.

14.11.2022 Gansel Rechtsanwälte weisen darauf hin: Am 31. Dezember dieses Jahres verjähren Schaden­ersatz­ansprüche wegen etlicher Mercedes-Modelle mit Turbodiesel-Motoren und anerkannt illegaler Motorsteuerung (darunter C-Klasse, E-Klasse, S-Klasse, der GLK und der GLE sowie der ML), vieler ebensolcher Audi A4, A5, A6, A7, A8 und Q7 und des VW Multivan T6. Im Normalfall gilt: Die Verjährung beginnt am Ende des Jahres, in dem Besitzer von Skandal­autos erfahren, dass ihr Wagen eine illegale Motorsteuerung hat und zur Nach­rüstung in die Werk­statt muss. test.de empfiehlt: Wegen der aktuell für viele der betroffenen Modelle unklaren Erfolgs­aussicht von Schaden­ersatz­forderungen sollten Besitzer solcher Autos zunächst nicht gleich Rechts­anwälte einschalten, sondern selbst die Verjährung stoppen.

So geht es am einfachsten: Fordern Sie sofort mit Hilfe unserer Mustertexte Schaden­ersatz. Der Auto­hersteller wird nicht zahlen. Sie können sich dann bei einer der beiden Universalschlichtungs­stellen

beschweren. Damit können Sie den Hersteller Ihres Wagens zwar nicht zur Zahlung von Schaden­ersatz zwingen, aber die Schlichtung stoppt die Verjährung bis sechs Monate nach Ende des Verfahrens und verschafft Ihnen so genügend Zeit, um das grund­legende Urteil des Europäischen Gerichts­hofs zum Schaden­ersatz wegen des Abgas­skandals abzu­warten. Wir erwarten es in den nächsten Wochen. Es geht um die Frage, ob schon die Verletzung der EU-Zulassungs­regeln Auto­besitzern ein Recht auf Schaden­ersatz gibt oder ob es entsprechend der bisherigen Ansagen des Bundes­gerichts­hofs dabei bleibt, dass die Auto­hersteller nur zahlen müssen, wenn sie vorsätzlich und sittenwid­rig handelten.

09.11.2022 Wie wichtig die gestern vom Europäischen Gerichts­hof endlich bestätigte (siehe unten unter 08.11.2022) Befugnis von Umwelt­verbänden zur Klage gegen Typgenehmigungen ist, zeigt schon: Die Bundes­regierung und damalige Koalition verhinderten es 2017, dass sie ins Gesetz kam. Dies und weitere Einzel­heiten zur Rechts­lage beschreibt ein ausführlicher Bericht der Legal Tribune Online.

08.11.2022 Das Kraft­fahrt­bundes­amt muss den Abgas­skandal noch mal ganz neu aufrollen: Laut Europäischer Gerichts­hof (EuGH) darf die Deutsche Umwelt­hilfe (DUH) gegen die Freigabe­bescheide klagen, mit denen die Behörde den Auto­herstel­lern und vor allem VW nach Bekannt­werden des Abgas­skandals eine neue Motorsteuerung genehmigt hatte. Solche Klagen sind nach deutschem Recht nicht zulässig. Die EU-Regeln zwingen aber zur Zulassung der Klagen, verkündete der EuGH heute in Luxemburg.
Die DUH und zahlreiche Experten sind davon über­zeugt: Auch die nach Bekannt­werden des Abgas­skandals neu entwickelten Motorsteuerungen sind rechts­widrig. Die Abgas­reinigung werde je nach Luft­temperatur, Luft­druck und zahlreichen weiteren Faktoren ganz oft verringert oder sogar ganz abge­schaltet, erklärte DUH-Experte Axel Friedrichs bei einer Presse­konferenz.
DUH-Anwalt Remo Klinger erwartet inner­halb des nächsten Jahres etliche Urteile gegen die Genehmigung der Motorsteuerung von rund 120 verschiedenen Auto­modellen mit Diesel­motoren, gegen die die DUH Klage erhoben hat. Die Bundes­regierung müsse die Auto­hersteller jetzt zwingen, die rund fünf Millionen betroffenen Autos mit wirk­samer Abgas­reinigungs­technik nach­zurüsten, forderte DUH-Vorsitzender Jürgen Resch. Die Kosten dafür müsse die Industrie tragen. Soweit Auto­besitzern durch die rechts­widrige Genehmigung der Nach­rüstung für ihre Wagen ein Vermögens­nacht­eil entstanden ist, hat nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz der Staat sie zu entschädigen.
Immerhin: Bei den auf Anordnung des Kraft­fahrt­bundes­amts in Flens­burg mit einer neu entwickelten Motorsteuerung nachgerüsteten Skandal­autos steht fest: Sie dürfen weiterfahren. Sie entsprechen der geänderten Typgenehmigung. Das gleiche gilt für Autos, für die das Kraft­fahrt­bundes­amt die Reduktion oder Abschaltung der Abgas­reinigung nach­träglich ohne Änderungen gebil­ligt hat. Autos allerdings, bei denen die Behörden trotz illegaler Motorsteuerung bisher nichts unternommen haben, droht nach wie vor die Still­legung. Nach Ansicht von DUH-Anwalt Remo Klinger und den test.de-Juristen entsprechen sie nicht der in Unkennt­nis der Motorsteuerung erteilten Typgenehmigung und hätten deshalb nie zugelassen werden dürfen.
Europäischer Gerichts­hof, Urteil vom 08.11.2022
Aktenzeichen: C-873/19
Kläger­vertreter: Rechtsanwalt Remo Klinger, Berlin

17.10.2022 Da staunen die Juristen bei test.de: Der Bundes­gerichts­hof urteilt über den Rest­schaden­ersatz, den VW Käufern von Skandal­autos auch über die normale dreijäh­rige Verjährung hinaus zu zahlen hat, über­raschend verbraucherunfreundlich. So lautet die maßgebliche Regelung im Bürgerlichen Gesetz­buch: „Hat der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt, so ist er auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs (...) zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet.“ Über­raschende Ansage der Bundes­richter dazu: Auto­besitzer bekommen doch von vorneherein nicht den Schaden­ersatz, der ihnen eigentlich zusteht. Das ist: Kauf­preis abzüglich Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrene Kilo­meter („Nutzungs­ersatz“). Statt­dessen gibt es nur noch: Einkaufs­preis (also: Kauf­preis abzüglich Händ­lermarge) minus Nutzungs­ersatz. Dabei wird der anhand des vollen Kauf­preises errechnet. Praktische Auswirkung in einem Fall, zu dem der Bundes­gerichts­hof heute sein Urteilt veröffent­licht hat: Der Besitzer eines VW Beetle 2.0 TDI bekommt jetzt nur noch 13 022,22 Euro. Das Land­gericht Trier und das Ober­landes­gericht Koblenz hatten ihm noch 16 247,67 Euro zugesprochen. Sie waren – wie die Juristen der Stiftung Warentest es auch für richtig gehalten hatten – davon ausgegangen: Opfern des Abgas­skandals steht voller Schaden­ersatz zu. Nach Ablauf der Verjährungs­frist ist der aber begrenzt durch den Betrag, den VW selbst bei Lieferung des Wagens Anfang 2015 für den Wagen erhalten hatte. Das waren 20 040 Euro, so dass für den Auto­besitzer der volle Schaden­ersatz drin gewesen wäre.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 21.02.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 57/21
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 12.09.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 176/22

13.10.2022 Geschädigte Auto­fahrer warten weiter auf das nächste Urteil des Europäischen Gerichts­hofs (EuGH) zum Abgas­skandal. Die Richter dort haben zu klären, ob entgegen der Auffassung der deutschen Gerichte jeder Verstoß gegen die EU-Regeln zur Zulassung von Auto­typen Käufer betroffener Autos ein Recht auf Schaden­ersatz gibt. EuGH-General­anwalt Athanasios Rantos und die EU-Kommis­sion haben sich bereits geäußert. Sie meinen: Auto­hersteller sind nicht nur gegen­über den Behörden, sondern auch Auto­fahrern gegen­über verpflichtet, die Typzulassungs­regeln einzuhalten (siehe auch unten unter: 04.07.2022).

13.10.2022 Ein weiteres Kapitel des Abgas­skandals ist – vorläufig jedenfalls – abge­schlossen: Es bleibt bei der Einigung des VW-Konzerns mit den seiner­zeit verantwort­lichen Managern, darunter auch die damaligen Chefs von VW und Audi, Martin Winter­korn und Rupert Stadler. Das Land­gericht Hannover wies Aktionärs­klagen gegen die Beschlüsse zurück, mit der die Haupt­versamm­lung den Vergleich gebil­ligt hatte. Danach bekommt VW als Ersatz für die Schäden, die dem Unternehmen durch den Einsatz von Motorsteuerungen mit illegaler Abschaltung der Abgas­reinigung entstanden sind, insgesamt 288 Millionen Euro, darunter 11,2 Millionen Euro von Martin Winter­korn, 4,1 Millionen Euro von Rupert Stadler und 270 Millionen Euro von einer D&O-Versicherung, einer Berufs­haft­pflicht­versicherung, die für die Schäden von Management­fehlern eintritt. Große Unternehmen schließen solche Versicherungen ab, damit sie gegen die finanziellen Folgen von Management­fehlern zumindest teil­weise abge­sichert sind. Policen, mit denen verantwort­liche Mitarbeiter sich selbst gegen Schaden­ersatz­forderungen schützen können, hat die Stiftung Warentest untersucht. Unter Vermögenshaftpflichtversicherung: D & O-Versicherungen im Test gibt‘s die Ergeb­nisse.
Land­gericht Hannover, Urteil vom 12.10.2022
Aktenzeichen: 23 O 63/21 (nicht rechts­kräftig)
Pressemitteilung des Gerichts zum Urteil

Geklagt hatten die beiden Aktionärs­ver­eine Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SDK) und Verbraucherzentrale für Kapitalanleger. Sie sind der Meinung: Die Manager kommen zu billig davon. Es stehe noch gar nicht fest, wie viel Geld der Abgas­skandal den VW-Konzern insgesamt koste. Die Staats­anwalt­schaft Braun­schweig, die gegen etliche Manager Anklage wegen Betrugs erhoben hat, schätzt: Es geht um insgesamt 78 Milliarden Euro. test.de vermutet: Die Aktionärs­ver­eine werden Berufung einlegen. Die VDK erklärte: Die Anwälte des Vereins prüfen das Urteil noch.

15.07.2022 Inzwischen hat das Kraft­fahrt­bundes­amt zu den Urteilen des Europäischen Gerichts­hofs (EuGH) von gestern Stellung genommen. Die Behörde meint: Ihre Entscheidungen entsprachen bereits der strengen Rechts­auffassung des Gerichts. Eine Reduktion der Abgas­reinigung bei Temperaturen unter­halb von 15 und ober­halb von 33 Grad Celsius habe die Behörde immer schon für illegal gehalten. Welche Temperatur­grenzen ihrer Auffassung nach statt­dessen gelten, sagt sie allerdings nicht. Bei dem Wagen, um den es im Rechts­streit geht, funk­tionierte die Abgas­reinigung laut Gericht nur zwischen 15 und 33 Grad Celsius und unter­halb von 1 000 Metern Höhe über Normalnull korrekt. Laut VW als Herstel­lers des Wagens handelt es sich dabei um ein Miss­verständnis. Diese Temperatur­grenzen beziehen sich auf die Lade­luft, die sich im Motor bereits etwas erwärmt habe. Tatsäch­lich funk­tioniere die Abgas­reinigung bis zu Temperaturen von 10 Grad Celsius ohne Einschränkungen. Auch das reicht nicht, glauben die Rechts­experten von test.de. Die Luft­temperatur in Deutsch­land lag laut statistischem Bundes­amt im Jahres­durch­schnitt zuletzt bei 9,1 Grad Celsius, so das die Abgas­reinigung auch danach die meiste Zeit des Jahres nicht korrekt funk­tioniert. Der EuGH verlangt ausdrück­lich: Die Abgas­reinigung darf nur ausnahms­weise wegen unmittel­bar drohender Motorschäden oder Unfälle verringert werden und muss die meiste Zeit des Jahres voll­ständig funk­tionieren.
Stellungnahme des Kraftfahrtbundesamts zu den EuGH-Urteilen vom 14.07.2022

14.07.2022 Der Europäische Gerichts­hof (EuGH) in Luxemburg bekräftigt in heute verkündeten Urteilen: Wenn die Motorsteuerung die Abgas­reinigung bei Temperaturen verringert, wie sie in Europa oft vorkommen, ist das illegal. Nur ausnahms­weise und wenn akut Motorschäden drohen, darf die Abgas­reinigung reduziert oder abge­schaltet werden. In dem Verfahren ging es um einen mit der von VW nach Bekannt­werden des Abgas­skandals neu entwickelten Motorsteuerung ausgerüsteten Wagen. Auch diese Motorsteuerung halten die Richter in Luxemburg für illegal. Ob und was das Kraft­fahrt­bundes­amt jetzt unternimmt, ist noch unklar. „Das Kraft­fahrt­bundes­amt hat das Urteil zur Kennt­nis genommen. Nach Abschluss der aktuell statt­findenden Bewertung werden Sie kurz­fristig weitere Informationen erhalten“, schrieb Behörden-Sprecher Stephan Immen an test.de.
Europäischer Gerichts­hof, Urteil vom 14.07.2022
Aktenzeichen: C-128/20
Pressemitteilung des Gerichts

Offen ist noch, ob Hersteller von Autos mit illegaler Motorsteuerung Käufer auch dann entschädigen müssen, wenn ihnen keine vorsätzliche und sittenwid­rige Schädigung zur Last fällt. Lesen Sie dazu den Beitrag unter dem 02.06.2022. Insider rechnen im Spätsommer oder Herbst mit einem Urteil des EuGH zu dieser Frage.

04.07.2022 Die juristische Aufarbeitung des Abgas­skandals geht in den Endspurt. Der Bundes­gerichts­hof (BGH) hat angekündigt, Ende November erneut über Schaden­ersatz­ansprüche wegen des Abgas­skandals zu verhandeln. Es geht um einen VW mit nach der Abgasnorm Euro 6 zugelassenen VW mit EA288-Turbodiesel­motor, den das Kraft­fahrt­bundes­amt nicht bean­standet hat. Bis dahin dürfte das Urteil des Europäischen Gerichts­hof (EuGH) zu Entschädigungen wegen des Abgas­skandals vorliegen. Die Richter dort haben darüber zu entscheiden, ob auch der fahr­lässige Verstoß gegen die EU-Regeln über die Typzulassung Besitzern solcher Autos ein Recht auf Schaden­ersatz gibt. Der Bundes­gerichts­hof urteilte bisher: Nur, wenn verantwort­lichen Mitarbeitern des Auto­herstel­lers Vorsatz und Sittenwid­rigkeit vorzuwerfen ist, haftet das Unternehmen auf Schaden­ersatz. EuGH-General­anwalts Athanasios Rantos und die EU-Kommis­sion haben sich bereits geäußert. Sie meinen: Jede Verletzung der EU-Regeln muss zur Entschädigung führen.
Thema beim BGH laut Presse­mitteilung vor allem: Können Auto­hersteller sich darauf berufen, dass das Kraft­fahrt­bundes­amt Typengenehmigungen erteilt und zum Teil in Kennt­nis der Einzel­heiten der Motorsteuerung bestätigt hat? Die Juristen der Stiftung Warentest glauben: Wo die Typzulassungs­behörden in Kennt­nis aller Einzel­heiten ihren Segen gegeben haben und dies nicht erkenn­bar falsch war, ist eine Haftung der Auto­hersteller kaum zu begründen. Wo umge­kehrt die Auto­hersteller beim Antrag auf Typzulassung – wie soweit bekannt die Regel – die Motorsteuerung nicht offengelegt haben, müssen Sie sich den Vorwurf zumindest fahr­lässiger Verstöße gegen die EU-Zulassungs­regeln gefallen lassen, wenn die Abgas­reinigung im Fahr­betrieb schlechter funk­tioniert als bei den Prüf­stand­versuchen zur Ermitt­lung des Schad­stoff­ausstoßes.
Pressemitteilung des BGH zur Verhandlung am Montag, 21. November 2022

24.06.2022 Nach dem von der bisherigen Recht­sprechung des Bundes­gerichts­hofs deutlich abweichenden Votum des General­anwalts Athanasios Rantos beim Europäischen Gerichts­hofs (EuGH, s. u. unter 02.06.2022) hat der VII. Senat des Bundes­gerichts­hofs (BGH) die für kommenden Donners­tag geplante Verhandlung über Schadenersatzforderungen wegen eines VW mit jüngerem EA288-Motor abge­sagt und will erst einmal abwarten. Das teilte BGH-Sprecher Kai Hamdorf test.de auf Anfrage mit. Wie die übrigen BGH-Senate mit Abgas­skandalfällen weiter verfahren, könne er derzeit noch nicht sagen, erklärte er weiter. Der eigens wegen der VW-Klagewelle einge­richtete VIa. Sonder­senat hat zwar in der vergangenen Woche zwei Urteile zum Abgas­skandal verkündet (s. u. unter 14.06.2022). In diesen Fällen spielten die Ansagen des EuGH-Anwalts zu den EU-Zulassungs­regeln allerdings keine Rolle. Urteilt der EuGH wie von Rantos empfohlen, wird der Bundes­gerichts­hof die Auto­hersteller wegen Autos mit illegaler Motorsteuerung anders als bisher auch zu Schaden­ersatz verurteilen müssen, wenn ihnen Vorsatz und Sittenwid­rigkeit nicht nach­zuweisen ist. Ausgeschlossen ist Schaden­ersatz nur noch, wenn Auto­hersteller davon ausgehen durften, dass die jeweilige Motorsteuerung recht­mäßig ist.

14.06.2022 Zwei weitere Ansagen des Bundes­gerichts­hofs zum Abgas­skandal: Myright.de darf nicht nur deutsche, sondern auch ausländischen Abgas­skandal-Schaden­ersatz­forderungen gesammelt einklagen.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 13.06.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 418/21

Und: Auch bei aus anderen EU-Ländern reimportierten Autos können die Käufer unter Umständen noch über die Verjährung hinaus Schaden­ersatz gegen VW durch­setzen. Voraus­setzung für diesen so genannte Rest­schaden­ersatz­anspruch ist allerdings: Die Lieferung des Wagens an den Händler beruht auf ihrer Bestellung. Das gilt auch, wenn noch Zwischenhändler im Einsatz waren. Wo Händler auf eigene Rechnung und eigenes Risiko Autos einge­kauft und sie später weiterverkauft haben, liegt keine Zahlung des Käufers an VW vor und sind über die normale Verjährung hinaus keine Schaden­ersatz­ansprüche mehr durch­setz­bar.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 13.06.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 680/21

02.06.2022 Gerade hat der Bundes­gerichts­hof einmal mehr verkündet: Eine illegale Abschaltung der Abgas­reinigung allein berechtigt Auto­besitzer nicht zum Schaden­ersatz (Aktenzeichen: VI ZR 435/20). Da kommt die Nach­richt aus Luxemburg: General­anwalt Athanasios Rantos beim Europäischen Gerichts­hof (EuGH) sieht ein Recht auf Schaden­ersatz bei jedem Verstoß gegen die EU-Regeln über die Typzulassung. Anlass ist eine Klage gegen Daimler wegen eines im März 2013 neu zugelassenen Mercedes C 220 CDI, bei dem die Motorsteuerung die Abgas­reinigung unter­halb bestimmter Temperaturen reduziert. Auf der Grund­lage der Ansagen des Bundes­gerichts­hof war die Klage gleich­wohl abzu­weisen, da Daimler nicht vorsätzlich und sittenwid­rig handelte. Doch die Richter in Ravens­burg setzten das Verfahren aus und fragten beim EuGH nach, ob nicht schon bei fahr­lässigen Verstößen gegen die Regeln über die EU-Typzulassung Schaden­ersatz fällig ist. Das hatte der Bundes­gerichts­hof bisher stets abge­lehnt. Die Regeln dienten der Allgemeinheit und nicht dem Schutz von Auto­käufern, argumentierten sie. Ganz anders der hohe EU-Jurist in seinem Plädoyer: „Die Richt­linie 2007/46 (...) ist dahin auszulegen, dass (...) ein Erwerber eines Fahr­zeugs einen Ersatz­anspruch gegen den Fahr­zeug­hersteller hat, wenn dieses Fahr­zeug mit einer unzu­lässigen Abschalt­einrichtung (...) ausgestattet ist“, erklärt er. Jetzt müssen die Richter in Luxemburg beraten und entscheiden. Sie halten sich oft, aber nicht immer an das Votum des General­anwalts. Wenn Sie es tun, dann dürfte so ziemlich jedem Besitzer von Autos mit Diesel­motoren bis einschließ­lich Euro 6c Schaden­ersatz zustehen, wenn ihre Rechte nicht inzwischen verjährt oder ihre Klagen rechts­kräftig abge­wiesen sind. Erst nach Euro 6d zugelassene Diesel­motoren sind Messungen der Deutschen Umwelthilfe zu Folge halb­wegs zuver­lässig so sauber, wie es die EU-Regeln vorschreiben. Die zuvor zugelassenen Autos stießen bei Fahrten im Straßenverkehr aber viel mehr Stick­oxid aus als im Prüf­stand und wie es nach den EU-Regeln zulässig war.
Land­gericht Ravens­burg, Beschluss vom 12.02.2021
Aktenzeichen: 2 O 393/20
Verbraucher­anwälte: Prorights Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München
General­anwalt beim Europäischen Gerichts­hof Athanasios Rantos, Schlussanträge vom 02.06.2022
Aktenzeichen: C-100/21
Verbraucher­anwälte: Prorights Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München

06.04.2022 Über sechs Jahre nach Bekannt­werden des Abgas­skandals ist immer noch unklar: Durften die Behörden die Autos mit der illegalen Motorsteuerung damals einfach weiter fahren lassen oder hätten sie sie sofort aus dem Verkehr ziehen müssen? Über die Frage muss jetzt das Ober­verwaltungs­gericht Sachsen nach­denken. Die Besitzerin eines Skandal-Skoda klagt gegen die Still­legung des Wagens. Sie meint: Die britische Typgenehmigung legalisiert den Betrieb des Wagens auch ohne das von VW entwickelte Software-Update. Anders als das Kraft­fahrt­bundes­amt hat die britische Behörde die Typgenehmigung für Skandal­autos nicht nach­träglich geändert. Sie hatte allerdings später erklärt: Autos wie der Wagen der Klägerin entsprachen nicht den Anforderungen der EU-Regeln. Das Verwaltungs­gericht in Chemnitz hatte die Klage in erster Instanz abge­wiesen und die Still­legung des Wagens bestätigt. Das Ober­verwaltungs­gericht in Bautzen bezweifelt, dass das richtig ist, und hat die Berufung zugelassen. Es muss jetzt klären, ob die Typgenehmigung den Betrieb des Wagens trotz der illegalen Motorsteuerung legalisierte. Mögliche Entscheidungen: Die Autos entsprachen wegen der den Behörden verschwiegenen Abschaltung der Abgas­reinigung gar nicht der Typgenehmigung und hätten nie zugelassen werden dürfen. Oder: Die Typgenehmigung legalisierte den Betrieb der Autos trotz der illegalen Abschaltung der Abgas­reinigung, so lange die Behörden sie nicht ändern, widerrufen oder aufheben.
Sächsisches Ober­verwaltungs­gericht, Beschluss vom 31.03.2022
Aktenzeichen: 6 A 607/20
Klägerin­anwälte: Rechtsanwälte Schulze & Greif, Chemnitz

22.03.2022 Das Ober­landes­gericht Brandenburg muss klären, ob die von VW nach Bekannt­werden des Abgas­skandals auf Geheiß des Kraft­fahrt­bundes­amts neu entwickelte Motorsteuerung ebenfalls illegal ist und eine sittenwid­rige Schädigung der Auto­besitzer darstellt. Laut der Anwälte des Klägers enthielt auch die neue Motorsteuerung eine illegalen Prüf­stand­erkennung. Nach dem Anlassen erhöhe der Motor die Abgas­reinigung zunächst, fahre sie aber nach einem bestimmten Sprit­verbrauch wieder herunter. Auf diese Weise seien Autos für die Dauer des behördlichen Test­verfahrens sauber unterwegs, danach aber nicht mehr. VW habe somit im Ergebnis nur eine Betrugs­software durch eine andere ersetzt. Diese Darstellung hatte das Ober­landes­gericht über­gangen und die Klage abge­wiesen. Der Bundes­gerichts­hof hob das Urteil auf und verwies den Fall zurück nach Brandenburg.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 22.02.2022
Aktenzeichen: VI ZR 934/20
Kläger­anwälte: Rechtsanwälte Hillmann und Partner, Oldenburg

Weiteres spektakuläres Abgas­skandal-Urteil: Laut Ober­landes­gericht Köln hat VW auch den Besitzer eines Skoda Superb mit nach der Euro 6-Norm zugelassenen EA288-Motor vorsätzlich und sittenwid­rig geschädigt. Die Motorsteuerung enthalte eine nach den Ansagen des Europäischen Gerichts­hof illegale Abschalt­einrichtung, die VW nicht gerecht­fertigt habe und für die auch keine Recht­fertigung erkenn­bar sei, argumentierten die Richter in Köln. Weitere Einzelheiten zum Fall auf der Homepage der Klägeranwälte.
Ober­landes­gericht Köln, Urteil vom 10.03.2022
Aktenzeichen: 24 U 112/21
Kläger­anwälte: Gansel Rechtsanwälte, Berlin

17.03.2022 Keine Über­raschung mehr: Der Bundes­gerichts­hof (BGH) bestätigte die Abweisung einer Staats­haftungs­klage gegen die Bundes­republik Deutsch­land wegen des Abgas­skandals. Der Besitzer eines Audi mit Skandal­motor von 2014 hatte argumentiert: Das Kraft­bundes­amt habe die Einhaltung der EU-Regeln über die Typzulassung nicht ausreichend über­wacht und es dem VW-Konzern damit ermöglicht, ihn durch Lieferung eines nicht der Typgenehmigung entsprechenden Wagens zu schädigen. Die EU-Regeln, so der BGH, schützen den Auto­besitzer aber nur davor, dass er einen Wagen erhält, mit dem er dann nicht fahren darf. Das durfte der Audi-Besitzer aber. Sein Vermögen schützen die EU-Regeln aber nicht, so dass die womöglich mangelnde Beaufsichtigung der Auto­hersteller nicht dazu führen würde, dass der Staat für die Auto­käufern entstehenden finanziellen Nachteile einstehen muss.
Einfacher ausgedrückt: Nach den EU-Regeln sind die Mitglieds­staaten verpflichtet, ausreichend hohe Strafen gegen Hersteller zu verhängen, die die Zulassungs­regeln verletzen. Für Auto­fahrer müssen sie danach aber erst etwas tun, wenn die tatsäch­lich mit ihrem illegalen Auto nicht mehr fahren dürfen.
Bundes­gerichts­hof, Beschluss vom 10.02.2022
Aktenzeichen: III ZR 87/21

Der dritte Senat schließt damit an die Urteile der anderen mit Abgas­skandal-Fällen befassten Senate an, wonach die Verletzung der EU-Zulassungs­regeln als solche Auto­besitzer nicht zum Schaden­ersatz berechtigt. Die schützen in erster Linie die Allgemeinheit und die Umwelt. Bei Klagen gegen Auto­hersteller spielte das praktisch keine Rolle, weil die ja wegen der Reglen zur vorsätzlichen und sittenwid­riger Schädigung im deutschen Recht hafteten und es deshalb auf die EU-Regeln direkt in der Regel nicht ankam.

09.03.2022 In einer Feinheit lag test.de beim Bericht über das Urteil des Bundes­gerichts­hof zum so genannten „kleinen Schaden­ersatz“ vom 25.01.2022 um die dritte Stelle hinter dem Komma falsch: Der Wert der Nutzungen richtet sich anders als von test.de auf Grund der Presse­mitteilung zum Urteil angenommen auch in dieser Konstellation nicht nach dem Wert des Wagens beim Kauf, sondern nach dem Kauf­preis einschließ­lich Umsatz­steuer. So ergibt es aus der seit gestern öffent­lich vorliegenden Begründung zum Urteil.
Der Wert der Nutzungen je Kilo­meter ist also: Kauf­preis / Rest­lauf­leistung. Für den vom BGH entschiedenen Fall (gebrauchter Seat Ibiza für 12 999 Euro mit 60 400 Kilo­metern auf dem Tacho) heißt das: Wenn von einer Lebens­erwartung des Wagens von 250 000 Kilo­metern auszugehen ist, dann liegt der Nutzungs­ersatz bei (12 999 Euro ./. (250 000 Kilo­meter - 60 400 Kilo­meter =) 0,063 Euro/Kilo­meter. Bei einem Kilo­meter­stand von 275 000 Kilo­metern ist dann der Wert der 25 000 Kilo­meter über die normale Lebens­erwartung des Wagens hinaus gefahrenen Kilo­meter auf den Anspruch des Klägers auf Ersatz des Minderwerts anzu­rechnen. Er bekommt also nur noch dann Geld, wenn ihm ursprüng­lich mehr als 1 582 Euro zustanden.

03.03.2022 Im Abgas­skandal wirds noch mal spannend. Athanasios Rantos, General­anwalt am Europäischen Gerichts­hofs (EuGH), meint: Umwelt­verbände wie die Deutsche Umwelt­hilfe (DUH) dürfen gegen rechts­widrige Typgenehmigungen klagen. Jetzt muss der EuGH entscheiden. Urteilt der, wie von Rantos vorgeschlagen, könnten mittel­fristig Hundert­tausende von Autos mit Euro 4, 5 und 6-Diesel­motoren still­zulegen sein.
Das Verwaltungs­gericht in Schleswig hat beim EuGH in Luxemburg nachgefragt, ob Umwelt­verbände nach EU-Regeln befugt sind, gegen Typgenehmigungen für Autos zu klagen. Nach deutschem Recht seien solche Klagen nicht zu lässig.
Klare Ansage des EuGH-General­anwalt: Umwelt­verbände müssen gericht­lich prüfen lassen können, ob eine Typgenehmigung recht­mäßig ist. Er ergänzte gleich noch: Mecha­nismen zur Reduktion der Abgas­reinigung sind allenfalls in seltenen Ausnahme­situationen zum Schutz des Motors vor akuten Schäden oder zur Verhinderung von Unfällen zulässig und ansonsten stets illegal.
Wenn der EuGH sich dem Votum des Anwalts anschließt, muss das Verwaltungs­gericht in Schleswig auf die Klagen des DUH hin darüber urteilen, ob die Genehmigung für verschiedene Diesel­motoren recht­mäßig ist, darunter auch die von VW nach Bekannt­werden des Abgas­skandals auf Geheiß des Kraft­fahrt­bundes­amts entwickelte neue Motorsteuerung („Update“).
Dazu hatte der EuGH schon sehr streng geur­teilt (s. u., 17.12.2020). Rechts­experten glauben: Gemessen an diesem Maßstab dürfte kaum eine Steuerung für Diesel­motoren bis einschließ­lich Schad­stoff­norm Euro 6 recht­mäßig sein. Folge für Besitzer solcher Autos: Wenn Verwaltungs­gerichte die Typgenehmigungen aufheben, ist auch die Zulassung rechts­widrig. Immerhin: Wenn die Behörden sie kassieren und die Autos stillegen, dürfte den Besitzern der Autos eine Entschädigung zustehen.

21.02.2022 Der Aktienkurs von VW sinkt, die Stimmung bei VW-Skandal-Opfern steigt: Der Auto­konzern muss auch über die normale Verjährung hinaus Schaden­ersatz zahlen, wenn der Besitzer den Wagen mit der illegalen Motorsteuerung neu gekauft hat. Das hat der Bundes­gerichts­hof heute entschieden. Geschädigten steht der so genannte Rest­schaden­ersatz zu. Nach § 852 des Bürgerlichen Gesetzbuchs haftet der Schädiger auch über die Verjährung hinaus, soweit er durch seine Tat noch bereichert ist. Entscheidend ist laut den Richtern in Karls­ruhe, was VW beim Verkauf des Autos entweder direkt vom jetzigen Besitzer oder über einen Händler für den Wagen erhalten hat. Das dürfte in der Regel ausreichen, um Abgas­skandal­opfer voll zu entschädigen. Wie sonst auch gilt: Der Ersatz­anspruch geht auf die Erstattung des Kauf­preises. Sie ist um eine Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter zu kürzen. Hat der Wagen die insgesamt von ihm zu erwartende Lauf­leistung erreicht, gehen Abgas­skandal­opfer ganz leer aus. Davon gehen die Gerichte bei kleineren Autos meist nach 250 000 Kilo­metern aus und bei größeren nach 300 000 Kilo­metern. Der Rest­schaden­ersatz verjährt erst 10 Jahre nach dem Kauf. Wenn sich der zehnte Jahres­tag des Vertrags­schlusses nähert, ist allerdings Eile geboten. Nur recht­liche Schritte wie die Klageerhebung oder ein wirk­samer Schlichtungs­antrag stoppen die Verjährung. Betroffene – also Käufer eines neuen Autos aus dem VW-Konzern mit einem der TDI-Motoren vom Typ EA189, deren illegale Steuerung VW im September 2015 einräumen musste – sollten dafür einen Rechts­anwalt einschalten. Berück­sichtigen Sie, dass der Rechts­anwalt auch noch etwas Zeit braucht, um den Fall zu bearbeiten.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 21.02.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 8/21
Kläger­vertreter: Noch unbekannt, bitte melden!

Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 21.02.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 57/21
Kläger­vertreter: Noch unbekannt, bitte melden!
Weitere Einzel­heiten zu den Urteilen in der Pressemitteilung des Gerichts.

11.02.2022 Ein Fehler des Bundes­amts für Justiz (BfJ) könnte Hunderte von VW-Skandal­opfern um ihre Entschädigung gebracht haben. Sie hatten ihre Ansprüche erst am 30. September 2019 zur Muster­fest­stellungs­klage des Verbraucherzentrale Bundes­verbands (vzbv) gegen VW angemeldet. An dem Tag hatte die mündliche Verhand­lung in der Stadt­halle Braun­schweig begonnen. Laut Zivil­prozess­ordnung ist die Anmeldung von Rechten aber nur bis zum Tag vor der erst mündlichen Verhand­lung zulässig.
Allerdings: Der 30. September 2019 war ein Montag. Grund­regel in solchen Fällen: Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonn­tag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonn­abend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werk­tages. Die Juristen im BfJ dachten: Die Regel ist auf die Anmeldung von Rechten zu Muster­fest­stellungs­klagen nicht anwend­bar, weil sich dann Menschen noch anmelden könnten je nachdem, wie die Ansagen der Richter in der Verhand­lung ausfallen. Außerdem war die Anmeldung der Rechte über die Online-Formulare der Behörde auch am Sonn­tag, 29. September 2019, möglich.
Trotzdem: Anmeldungen zu Muster­fest­stellungs­klagen sind auch am Tag der mündlichen Verhand­lung noch zulässig, entschieden Ober­landes­gericht Köln und Bundes­gerichts­hof und korrigierten damit die Entscheidung der Behörde. Die ließ darauf­hin nach Auskunft von Sprecherin Pia Figge 352 Anmeldungen zur Muster­fest­stellungs­klage nach­träglich zu.
Ob es noch etwas nützt, ist allerdings unklar. VW weigerte sich zumindest einem test.de-Leser gegen­über, ihm nach­träglich ein Vergleichs­angebot entsprechend der Vereinbarungen mit dem vzbv zu machen. Seine Rechte seien inzwischen verjährt, meint der Konzern.
Tatsäch­lich: Als der Bundes­gerichts­hof entschied, dass die Anmeldungen von Montag, 30. September 2019 auch noch gültig sind, war die normale Verjährungs­frist für Teilnehmer an der Muster­fest­stellungs­klage bereits längst abge­laufen. VW-Skandal­opfer, die ihren Wagen gebraucht gekauft haben, gehen damit nach den Urteilen des Bundes­gerichts­hofs von gestern (s. u.) leer aus, wenn es dabei bleibt. Neuwagenkäufer können noch darauf hoffen, dass Ihnen über die Verjährung hinaus Schaden­ersatz zusteht und sie damit VW vielleicht doch noch dazu bewegen können, ihnen eine den Muster­fest­stellungs­ver­einbarungen entsprechende Entschädigung anzu­bieten. Darüber entscheidet der Bundes­gerichts­hof am Montag, 21. Februar 2022.
Wer im Vertrauen auf die rechts­widrige Ablehnung der Anmeldung zur Muster­fest­stellungs­klage einen Vermögens­nacht­eil erleidet, kann nach einer Regelung im Verwaltungs­verfahrens­gesetz eine Entschädigung beim BfJ beantragen. Ob die Behörde ein Recht auf den Ausgleich von Vermögens­nachteilen von erst nach­träglich zur Muster­fest­stellungs­klage zugelassenen VW-Skandal­opfern sieht, ließ Sprecherin Pia Figge test.de gegen­über offen. Das sei eine Frage des Einzel­falls. Bisher liege kein Antrag auf eine solche Entschädigung vor.
Ober­landes­gericht Köln, Beschluss vom 27.04.2020
Aktenzeichen: 7 VA 2/20
Bundes­gerichts­hof, Beschluss vom 31.03.2021
Aktenzeichen: V AR(VZ) 6/20

10.02.2022 Abgas­skandal­opfer, die ihren Wagen neu erworben hatten, können sich Hoff­nung darauf machen, Schaden­ersatz von VW auch über die Verjährung hinaus durch­setzen zu können. Für Gebraucht­wagenkäufer allerdings hat der Bundes­gerichts­hof das ausgeschlossen. Die Haftung auf Rest­schaden­ersatz über die Verjährung setze voraus, dass VW vom Kauf des jeweiligen Skandal­autos profitiert habe. Das sei bei Gebraucht­wagen nicht mehr der Fall. Es reiche allerdings aus, wenn eine indirekte Vermögens­verschiebung vom Geschädigten zu VW statt­gefunden hat, heißt es in der Presseerklärung des Gerichts. Nach Auffassung der test.de-Rechts­experten liegt bei Neuwagenkäufen eine solche indirekte Vermögens­verschiebung vor, auch wenn VW das Auto nicht selbst verkauft hat, sondern es an einen Händler geliefert hat und der es schließ­lich an den jetzigen Besitzer verkauft hat. Die endgültige Entscheidung darüber fällt am Montag, 21. Februar. An diesem Tag verhandelt der Bundes­gerichts­hof über die Klagen einiger Käufer seiner­zeit neuer Skandal­autos.
Bundes­gerichts­hof, Urteile vom 10.02.2022
Aktenzeichen: VII ZR 365/21, VII ZR 679/21, VII ZR 692/21 und VII ZR 717/21

Über­raschendes Urteil in einem weiteren Fall: Schaden­ersatz­ansprüche gegen VW waren bei Klageerhebung vor Ende 2019 noch nicht verjährt, wenn der Besitzer des Wagens nicht noch im Jahr 2015 erfahren hatte, dass sein Wagen ein Skandal­auto ist. Es sei zwar davon auszugehen, dass Skandal­autobesitzer bereits im Jahr 2015 vom Abgas­skandal allgemein erfuhren. Es sei aber nicht grob fahr­lässig, wenn sie nicht gleich nach Start der VW-Webseite zur Identifizierung von Autos mit illegaler Motorsteuerung über­prüften, ob ihr Auto betroffen ist, entschieden die Bundes­richter. Grob fahr­lässig handelte ihrer Ansicht nach nur, wer dies nicht bis spätestens Ende 2016 machte. Schaden­ersatz­ansprüche gegen VW verjährten damit in solchen Fällen nicht bereits Ende 2018, sondern erst ein Jahr später.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 10.02.2022
Aktenzeichen: VII ZR 396/21

Noch ein verbraucherfreundliches Urteil des Bundes­gerichts­hofs: Skandal­autobesitzer haben Anspruch darauf, dass die Gerichte zusätzliche zur Verurteilung von VW zum Schaden­ersatz fest­stellen, dass die Konzern­ver­antwort­lichen vorsätzlich handelten. VW kann dann nämlich Gegen­ansprüche etwa im Zusammen­hang mit der Rück­gabe des Wagens nicht mit dem Schaden­ersatz­anspruch des Auto­besitzers verrechnen.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 21.12.2021
Aktenzeichen: VI ZR 457/20

28.01.2022 Nächster kleiner Schritt in der juristischen Aufarbeitung des Abgas­skandals: VW kann sich gegen­über Skandal­autobesitzern, die an der Muster­fest­stellungs­klage des vzbv teil­genommen, nicht mit Verjährung verteidigen. Das gilt auch, wenn sich Abgas­skandal­opfer später wieder abge­meldet haben, um doch selbst gegen VW zu klagen. Das sei Rechts­gebrauch und kein -miss­brauch, urteilten die Bundes­richter. Zuvor hatten einzelne Gerichte wie das Ober­landes­gericht Stutt­gart geur­teilt: Erst die Anmeldung der Rechte zur Muster­fest­stellungs­klage stoppt die Verjährung. Das hatte vor dem BGH keinen Bestand. Es komme auf den Zeit­punkt der Erhebung der Muster­fest­stellungs­klage bereits im Jahr 2018 an, urteilen die Richter in Karls­ruhe, weitere Einzel­heiten in der Pressemitteilung des Gerichts. Damit sind die Rechte von Abgas­skandal­opfern auch dann nicht verjährt, wenn sie sich erst im Jahr 2019 zur Muster­fest­stellungs­klage angemeldet haben.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 27.01.2022
Aktenzeichen: VII ZR 303/20
Kläger­vertreter: Noch unbekannt, bitte melden
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 29.07.2021
Aktenzeichen: VI ZR 1118/20
Kläger­vertreter: Noch unbekannt, bitte melden

25.01.2022 Neue Ansage des Bundes­gerichts­hofs (BGH): Auch der so genannte „kleine Schaden­ersatz“, also der Ausgleich der Wert­minderung ohne Rück­gabe des Wagens, verringert sich, aber erst, wenn Käufer von Skandal­autos ihren Wagen weiterfahren können als das ursprüng­lich zu erwarten war. Es ging um einen Skandal­auto, das der Kläger bereits 2013 gebraucht gekauft hatte und inzwischen rund 275 000 Kilo­meter auf dem Tacho hat. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es wörtlich: „Damit steht im Raum, dass der Käufer sich im Wege der Vorteils­ausgleichung den Wert von Nutzungen (...) in dem Umfang anrechnen lassen muss, in dem der Wert der Nutzungen den Wert des Fahr­zeugs bei Vertrags­schluss über­steigt.“
Das heißt nach Ansicht von Rechtsanwalt Andree Hübner von Gansel Rechtsanwälte : Der Anspruch auf Ausgleich des mit der illegalen Motorsteuerung verbundenen Minderwerts bleibt zunächst trotz Nutzung des Wagens unver­ändert. Wenn aber die Nutzungen den Wert des Wagens über­steigen, ist dieser über­steigende Wert auf den Schaden­ersatz­anspruch anzu­rechnen. Anders formuliert: Wenn der Wagen mehr Kilo­meter schafft als ursprüng­lich zu erwarten war, dann mindern zusätzliche Kilo­meter den Schaden­ersatz­anspruch. Je Kilo­meter ist dabei der Betrag anzu­setzen, der sich bei Division des Wert des Wagens beim Kauf durch die insgesamt noch zu erwartenden Kilo­meter ergibt.
Für den vom BGH entschiedenen Fall heißt das: Soweit von einer Gesamt­lauf­leistung von 300 000 Kilo­meter auszugehen ist, erhält der Kläger noch vollen Ersatz für den skandalbe­dingten Minderwert, den die Gerichte oft auf zehn bis 20 Prozent des Kauf­preises schätzen. Geht das Gericht von der Gesamt­lauf­leistung von nur 250 000 Kilo­metern aus, dann ist der Anspruch des Klägers um 25 000 x 0,06 = 1 500 Euro zu kürzen, wenn der Minderwert wegen der illegalen Motorsteuerung bei 15 Prozent liegt. Er würde dann trotz der verstrichenen Zeit und der mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter noch fast 500 Euro bekommen.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 24.01.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 100/21
Kläger­vertreter: Noch unbekannt, bitte melden

06.01.2022 Am Montag, 21. Februar, wird wohl endgültig fest­stehen, was Skandal­autokäufer noch verlangen können, wenn ihre Schaden­ersatz­forderung als solche bereits verjährt ist. An dem Tag verhandelt der Bundes­gerichts­hof (BGH) über zwei Fälle, in denen es um den Kauf von Neuwagen geht, Einzel­heiten zu den Fällen in der Ankündigung der Verhandlung. Bereits am Donners­tag, 10. Februar, geht es in Karls­ruhe um gebraucht gekaufte Autos (s. u. unter 04.01.2022). Die Ober­landes­gerichte urteilten bisher unterschiedlich. Die große Mehr­heit der Rechts­wissenschaftler hält für richtig: Bei neu erworbenen Skandal­autos können Käufer vom Hersteller über die Verjährung hinaus zumindest die Heraus­gabe des mit dem Verkauf des Wagens erzielten Erlöses verlangen. Erst zehn Jahre nach Kauf verjährt auch diese Forderung. Bei Kauf eines Skandal­autos als Gebraucht­wagen ist umstritten, ob VW noch zum so genannten Rest­schadens­ersatz verpflichtet ist.

04.01.2022 Der Bundes­gerichts­hof (BGH) kämpft immer noch mit dem Abgas­skandal. Die Legal Tribune Online (LTO) berichtet: Am Jahres­ende waren 1 200 Abgas­skandal-Streitig­keiten an verschiedenen BGH-Senaten anhängig. Das höchste deutsche Zivilge­richt hat wegen des Abgas­skandals mehr­fach die Geschäfts­verteilung geändert und inzwischen eigens für die Streitig­keiten um Autos mit womöglich illegal gesteuerten Diesel­motoren einen Hilfs­senat einge­richtet. Einzel­heiten im ausführlichen Bericht der LTO.

Offen ist vor allem noch, wovon genau der Beginn der Verjährung der Schaden­ersatz­forderungen von Auto­besitzern beginnt. Bisher gingen die Richter in Karls­ruhe davon aus: Die Presse­mitteilung im September 2015, in der der VW-Konzern einräumte, eine beschönigend „Umschalt­logik“ genannte Abschaltung der Abgas­reinigung einge­setzt zu haben, reichte aus, um den Beginn der Verjährung auszulösen. Offen ist noch, unter welchen Voraus­setzungen im Einzel­fall die Verjährung erst später beginnt, wenn Auto­käufer davon nichts mitbekommen haben oder sie nicht wussten, dass ihr Wagen betroffen ist.

Noch wichtiger: Der Bundes­gerichts­hof muss noch klären, unter welchen Voraus­setzungen Skandal­autobesitzern über den Ablauf der normalen Verjährungs­frist hinaus der so genannte Rest­schadens­ersatz­anspruch zusteht. Verbraucher­anwälte gehen davon aus: Zumindest Neuwagenkäufer können sich auf diese Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch berufen und bekommen dann vollen Schaden­ersatz, wenn sie spätestens zehn Jahre nach Kauf des Wagens gericht­liche Schritte einge­leitet haben.

Offen ist außerdem noch, ob VW in bestimmten Leasing-Fällen nicht doch noch Schaden­ersatz zahlen muss. Im Ansatz klar: Soweit Auto­besitzer den Wagen nutzen konnten und nur dafür gezahlt haben, dann ist ihnen kein Schaden entstanden und muss VW nicht zahlen. Soweit die mit der illegalen Motorsteuerung verbundene Wert­minderung zum Tragen kommt, ist Schaden­ersatz fällig.

Die wichtigen noch offenen Rechts­fragen wird der Bundes­gerichts­hof noch im Früh­jahr klären. Er hat in etlichen Fällen bereits Verhand­lungs­termine anberaumt. Die Entscheidung um den Rest­schadens­ersatz dürfte laut dieser BGH-Ankündigung am Donners­tag, 10. Februar, fallen.

Klar ist: Auto­hersteller haben Käufern von Autos mit illegaler Motorsteuerung Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher Schädigung zu zahlen. Sie müssen den Kauf­preis abzüglich einer Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter zahlen. Voraus­setzung ist, dass der Auto­hersteller bewusst eine illegale Motorsteuerung einsetzt, um Kosten- und Wett­bewerbs­vorteile zu erzielen. Fest steht das für insgesamt rund drei Millionen Autos aus dem VW-Konzern. Umstritten ist, ob und für welche Modelle von Daimler, BMW und anderen Herstel­lern Schaden­ersatz fällig ist. Daimler etwa ist anders als VW gegen das Kraft­fahrt­bundes­amt vors Verwaltungs­gericht gezogen, als die Behörde Motorsteuerungen des Konzerns als illegal bewertete und die Entwick­lung und Nach­rüstung neuer Software anordnete. Eine rechts­kräftige Entscheidung wird wohl noch Jahre auf sich warten lassen.

08.12.2021 Erneut hat der Bundes­gerichts­hof die Abweisung einer Abgas­skandalklage durchs Ober­landes­gericht Braun­schweig kassiert. Das VW-Heimatge­richt hatte eine Klage auf Nach­lieferung eines neuen VW Caddy ohne illegale Motorsteuerung abge­wiesen. Das sei für den Händler unver­hält­nismäßig, weil das neue Modell viel teurer sei als das alte. Das ließen die BGH-Richter in Karls­ruhe nicht gelten. Der Nach­lieferungs­anspruch könne erst ausgeschlossen sein, wenn das Nach­folgemodell 25 Prozent teurer als das Skandal­auto sei, erklärten sie. Bei einem solchen Preis­unterschied setze die Nach­lieferung eine Zuzahlung des Auto­käufers voraus. Der müsse aber nicht den vollen Aufpreis, sondern nur ein Drittel der Differenz zahlen. Das Ober­landes­gericht Braun­schweig muss den Fall jetzt neu aufrollen und genau klären, was das Nach­folgemodell im Vergleich zum Original-Caddy des Klägers kostet. Weitere Einzel­heiten in der Pressemitteilung des Gerichts.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 08.12.2021
Aktenzeichen: VIII ZR 190/19
Kläger­vertreter: Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwälte, Lahr

23.11.2021 Der Gesamt­verband der deutschen Versicherungs­wirt­schaft (GDV) meldet: Bisher 1,2 Milliarden Euro haben die Rechts­schutz­versicherer für Abgas­skandal-Klagen ausgegeben. Der Streit­wert liegt inzwischen bei insgesamt 9,8 Milliarden Euro. Tendenz: Weiter steigend. Mutmaß­liche Folge: Die Beiträge vor allem in der Verkehrs­rechts­schutz­versicherung werden wohl steigen, auch wenn am Ende die Auto­hersteller noch mindestens etliche Hundert Millionen Euro an die Rechts­schutz­versicherer werden erstatten müssen. Hintergrund: Die Versicherer der Skandal­autobesitzer müssen gleich bei Einschaltung von Rechts­anwälten und Klageerhebung die Anwalts­honorare und die Gerichts­kosten einzahlen. Wenn der Auto­hersteller am Ende verurteilt wird, hat er die Kosten oder jedenfalls einen Teil davon zu erstatten. Weitere Einzel­heiten im Bericht des GDV.

19.11.2021 Absehbare Nieder­lage für VW: Das Ober­landes­gericht in Schleswig verurteilte VW dazu, Schaden­ersatz an einen Skandal­autobesitzer zu zahlen, obwohl dessen Forderung verjährt war. VW hatte in erster Instanz die Einrede der Verjährung zurück­gezogen, nachdem das Gericht angekündigt hatte, den Konzern wegen des so genannten Rest­schadens­ersatzes über die Verjährung hinaus zu verurteilen (siehe unten unter 11.09.2020). Im Berufungs­verfahren beriefen die VW-Anwälte sich dann wieder auf Verjährung. Das sei eine unzu­lässige Rechts­aus­übung und mit dem Gebot von Treu und Glauben nicht vereinbar, urteilten die Ober­landes­richter in Schleswig.
Schleswig-Holsteinisches Ober­landes­gericht, Urteil vom 31.08.2021
Aktenzeichen: 7 U 187/20
Kläger­anwälte: Hoffmann & Partner Rechtsanwälte, Nürnberg

15.11.2021 Spannender Hinweis des Ober­landes­gerichts Stutt­gart zu einer Klage auf Schaden­ersatz wegen eines Mercedes V 250d: Daimler muss sich zur Behauptung der Kläger­anwälte erklären, wonach den für die Entwick­lung des Motors zuständigen Mitarbeitern des Konzerns bewusst war, dass ein Mecha­nismus zur Abschaltung der Abgas­reinigung illegal war. Es handelt sich um einen Motor vom Typ OM651 EU6. Das Kraft­fahrt­bundes­amt hatte die Motorsteuerung als illegal bewertet und einen Rück­ruf ange­ordnet. Die Staats­anwalt­schaft ermittelt wegen Betrugs­verdacht. Laut Ober­landes­gericht reicht es nicht aus, dass Daimler die Vorwürfe bestreitet. Der Konzern muss genau darstellen, wie es statt­dessen war. Er muss auch die zuständigen Mitarbeiter benennen. Die können dann auf Antrag des Klägers als Zeugen vernommen werden. Allerdings sind sie zur Verweigerung der Aussage berechtigt, wenn sie Gefahr laufen, wegen einer Straftat oder einer Ordnungs­widrigkeit verfolgt zu werden.
Noch interes­sant: Der gleiche Senat entscheidet über die Musterfeststellungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) gegen Daimler. Die Richter gehen aktuell offensicht­lich davon aus, dass die Daimler-Ingenieure bewusst und gewollt handelten, als sie die illegale Abschaltung der Abgas­reinigung in die Motorsteuerung aufnahmen. Nur wenn Daimler über­zeugend darlegt, dass sie die Strategie für legal hielten, kommt der Konzern an einer Verurteilung zu Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung herum.
Ober­landes­gericht Stutt­gart, (Hinweis-)Beschluss vom 09.11.2021
Aktenzeichen: 16a U 173/19
Kläger­vertreter: AKH-H-Rechtsanwälte, Esslingen

10.11.2021 Neues Angebot für Besitzer von Skandal­autos von Audi, VW und Porsche mit V6-TDI-Motor mit 3.0 bis 4.2 Litern Hubraum: Gansel Rechts­anwälte starten eine neue Sammelklage auf Schaden­ersatz gegen Audi als Hersteller der illegal gesteuerten Motoren dieser Autos. Bis zu 25 Prozent des Kauf­preises ist laut Kanzlei als Schaden­ersatz drin – ohne den Wagen zurück­geben zu müssen. Klar: Je mehr Kilo­meter die Wagen schon gefahren haben, desto weniger Schaden­ersatz ist noch möglich. Hat die Klage Erfolg, zahlen Skandal­autobesitzer 35 Prozent des Schaden­ersatzes als Provision an die Spree­fels GmbH, den Prozess­finanzierer hinter der Sammelklage. Scheitert die Klage, zahlen Teilnehmer gar nichts. Anders als Prozess­finanzierungs­angebote für die Finanzierung von Klagen auf Rück­kauf des Wagens drohen keine wirt­schaftlichen Nachteile. Teilnehmer der Audi-Sammelklage behalten ihre Autos. Besitzer von Skandal­autos mit Audi-V6-TDI-Motoren, die keine Verkehrs­rechts­schutz­versicherung haben oder aus anderen Gründen nicht selbst vor Gericht ziehen wollen, können so nur gewinnen und vielleicht noch etliche Tausend Euro Schaden­ersatz kassieren. Über Einzel­heiten informiert die Kanzlei unter www.gansel-rechtsanwaelte.de/abgasskandal-autofahrer/sammelklage-audi-im-dieselskandal Kanzlei-Chef Dr. Timo Gansel hält nach den bisherigen Urteilen zum Verbraucherinkasso im Abgas­skandal („Myright“-Sammelklage) für sicher: Das Angebot entspricht dem Rechts­dienst­leistungs-Gesetz und wird es Audi nicht wie seiner­zeit VW in dem Myright-Fällen (siehe unten unter 04.08.2021 und 11.09.2020) gelingen, das Verfahren immer wieder hinaus­zuzögern. Die gesammelte Geltendmachung werde Audi sofort massiv unter Druck setzen, so dass es gute Chancen auf einen Vergleich gibt und so Auto­besitzer schnell zu ihrem Geld kommen, denkt Gansel. Fest steht: Audi schuldet wegen der illegal gesteuerten V6-TDI-Motoren Schaden­ersatz. Dutzende von Urteilen sind bereits rechts­kräftig. Allein Gansel Rechts­anwälte haben in Hunderten weiterer Fälle für einzelne Mandanten außerge­richt­lich Schaden­ersatz durch­gesetzt.

Allerdings: Es eilt. Schon zum Ende dieses Jahres verjähren die meisten Schaden­ersatz­forderungen von V6-TDI-Besitzern. Wenn sie sich an der Gansel-Sammelklage beteiligen wollen, sollten sie sich so schnell wie möglich anmelden, damit es der Kanzlei noch gelingt, die Verjährung recht­zeitig vor Jahres­ende zu stoppen.

19.08.2021 Der Bundes­gerichts­hof bestätigt: Abgas­skandal­opfer müssen nicht unbe­dingt auf Erstattung des Kauf­preises gegen Rück­gabe des Wagens klagen, sondern können auch eine Entschädigung für den mit der illegalen Motorsteuerung verbundenen Minderwert des Wagens fordern. Juristen nennen das: „Kleiner Schaden­ersatz“, siehe in den Fragen & Antworten zum Abgasskandal die Antwort auf die Frage: „Unterstellt, ich habe als Besitzer eines Skandal­autos ein Anrecht auf Schaden­ersatz: Was kann ich dann vom Hersteller verlangen?“. Allerdings: Es ist fast unmöglich vorherzusagen, welche Beträge die Gerichte für angemessen halten werden. Dabei ist laut Bundes­gerichts­hof maßgeblich, was das Auto jetzt wert ist und muss gegebenenfalls die nachgerüstete neue Motorsteuerung werterhöhend und ihre Nachteile wert­mindernd berück­sichtigt werden. Die Differenz dieses aktuellen Werts zum Wert eines Wagens mit von Anfang an legaler Motorsteuerung hat VW dem Besitzer des Wagens auszugleichen. Wie viel die vor dem Bundes­gerichts­hof siegreiche Klägerin am Ende erhalten wird, ist nach wie vor unklar. Das muss jetzt das Ober­landes­gericht Stutt­gart klären. Die Klägerin hatte den Betrag ins Ermessen des Gerichts gestellt, mindestens aber 25 Prozent des Kauf­preises gefordert. test.de vermutet: Sie wird viel weniger bekommen.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 06.07.2021
Aktenzeichen: VI ZR 40/20

17.08.2021 Kurzer Prozess mit weitreichender Bedeutung: Das Schleswig-holsteinische Verwaltungs­gericht hat eine Klage auf Erteilung einer Tüv-Prüfplakette für einen unver­ändert typzugelassenen Skoda Yeti mit 2.0 TDI-Motor abge­wiesen. Der Wagen entspreche wegen illegaler Abschaltung der Abgas­reinigung nicht der Typgenehmigung und habe deshalb einen erheblichen Mangel, urteilte Richter Uwe Kars­tens als Einzel­richter. Mit anderen Worten: Alle 2,5 Millionen Skandal­autos aus dem VW-Konzern waren seiner Meinung nach von Anfang an illegal unterwegs. Die Behörden hätten sie sofort aus dem Verkehr ziehen können und wohl auch müssen.
Erstaunlich: Das Gericht misst seiner Entscheidung keine grund­sätzliche Bedeutung zu und sieht auch keinen Wider­spruch zu den Entscheidungen anderer Verwaltungs­gerichte, wonach die Still­legung von Skandal­autos trotz der von Anfang an illegalen Motorsteuerung erst und nur zulässig ist, wenn die Behörden die Typgenehmigung ändern (s. u. unter 06.01.2020). Danach hätte der Skoda des Klägers unver­ändert weiterfahren dürfen. Er hatte eine fort­bestehende Typzulassung der britischen Vehicle Certification Agency (VCA). Die Behörde hatte anders als das Kraft­fahrt­bundes­amt in Schleswig keine Rechts­grund­lage dafür gehen, die Typzulassung zu ändern und den VW-Konzern zur Nach­rüstung der Skandal-Skodas zu verpflichten.
Der Kläger kann jetzt nur noch Zulassung der Berufung beim Ober­verwaltungs­gericht in Schleswig-Holstein beantragen. Dazu müsste er aber einen Rechts­anwalt einschalten und ihn bezahlen. Auf den Kosten bleibt er sitzen, wenn sein Antrag auf Zulassung oder die später die Berufung scheitert.

Schleswig-Holsteinisches Verwaltungs­gericht, Urteil vom 13.08.2021
Aktenzeichen: 3 A 310/20 (nicht rechts­kräftig)

04.08.2021 Gute Nach­richten für die verbleibenden Teilnehmer an den Myright.de-Sammelklagen gegen VW: Der Bundes­gerichts­hof hat heute die Begründung zu einem Urteil in einem Flug­gast­rechte-Fall veröffent­licht, wonach das Inkasso durch Abtretung der Forderungen von Verbrauchern an ein Unternehmen so ziemlich ohne Einschränkungen zulässig ist. Danach dürften die bisherigen Zurück­weisungen der Abgas­skandal-Sammelklagen durch die Instanzge­richte keinen Bestand haben. Myright.de-Sammelklage-Kunden haben jetzt gute Chancen, doch noch zu Schaden­ersatz zu kommen.
Viele der ursprüng­lich rund 50 000-Myright-Sammelklage-Kunden waren allerdings schon zur individuellen Geltendmachung ihrer Rechte mit Prozess­finanzierung gewechselt, als sich abzeichnete, dass bis zum Abschluss der Sammelklagen, in denen Myright die Rechte vieler Tausend Abgas­skandal­opfer gemein­sam gericht­lich geltend machte, noch viele Jahre vergehen werden.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 13.07.2021
Aktenzeichen: II ZR 84/20

03.08.2021 Fast sechs Jahre Abgas­skandal und die zentrale recht­liche Frage ist immer noch offen: Dürfen Autos mit illegaler Motorsteuerung weiterfahren oder nicht? Das Kraft­fahrt­bundes­amt (KBA) hatte bisher immer vertreten: Ja, die Typgenehmigung und die Zulassung für die Skandal­autos gilt trotz der illegalen Motorsteuerung weiter. Erst die Änderung der Typgenehmigung mit der Auflage, eine neue Motorsteuerung ohne illegale Abschaltung der Abgas­reinigung zu installieren, machte die Zulassung der Skandal­autos rechts­widrig und konnten die Zulassungs­stellen erst danach gegen Auto­besitzer vorgehen, wenn die die von VW auf Geheiß des Kraft­fahrt­bundes­amts neu entwickelte Motorsteuerung nicht installieren ließen.
Doch jetzt erklärte die Behörde auf Anfrage des Verwaltungs­gerichts Schleswig zum Verfahren 3 A 310/20: Autos sind auch ohne Änderung der Typzulassung nicht EU-regel­konform, wenn die Motorsteuerung die Abgas­reinigung illegal abschaltet. Ein nicht mit der neuen Motorsteuerung nachgerüsteter Skoda dürfe deshalb keine neue Tüv-Plakette bekommen, obwohl die zuständige britische VCA die Typzulassung nicht änderte.
Mit anderen Worten: Das KBA ist jetzt der Meinung, dass VW-Skandal­autos mit der ursprüng­lichen illegalen Motorsteuerung erhebliche Mängel haben und deshalb nicht weiter am Verkehr teilnehmen dürfen. Mit der ursprüng­lichen Ansicht der Behörde, dass alle Skandal­autos zunächst weiterfahren dürfen, ist das nicht vereinbar.
Die Verwaltungs­gerichte hatten bisher entschieden: Die Still­legung von nicht nachgerüsteten Skandal­autos war erst nach Änderung der Typzulassung zulässig und bei Skodas mit unver­änderter britischer Typzulassung dementsprechend gar nicht.
Das Verwaltungs­gericht Schleswig muss jetzt entscheiden: Bekommt der unver­ändert typzugelassene Skoda des Klägers wie gewünscht ohne Nach­rüstung neuen Tüv? Oder haben Skandal­autos mit illegaler Motorsteuerung stets einen erheblichen Mangel und dürfen nicht weiterfahren?

30.07.2021 Der Bundes­gerichts­hof urteilt über die Verjährung von Schaden­ersatz­ansprüchen gegen VW bei Teil­nahme an der Muster­fest­stellungs­klage wie erwartet verbraucherfreundlich: Mit Anmeldung der Rechte zur Muster­fest­stellungs­klage stoppte die Verjährung rück­wirkend zum Zeit­punkt der Klageerhebung am 1. November 2018. Damit konnten Teilnehmer an der Musterfeststellungsklage, die den zwischen VW und Verbraucherzentrale Bundes­verband ausgehandelten Vergleich nicht akzeptieren wollten, auch dann noch Klage erheben, wenn sie sich erst 2019, als ihre Rechte oft eigentlich schon verjährt waren, angemeldet hatten.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 29.07.2021
Aktenzeichen: VI ZR 1118/20

21.07.2021 Neue Ansagen des Bundes­gerichts­hofs zur Sachmängelhaftung von Auto­händ­lern: Die Nach­lieferung eines nagelneuen Wagens ohne für die bisherige Nutzung von Skandal­autos zahlen zu müssen, kommt auch, wenn keine Verjährung einge­treten ist, nur in Frage, wenn Käufer sie inner­halb von zwei Jahren ab Kauf fordern.

Eine weitergehende Haftung der Auto­händ­lern erschien dem Bundes­gerichts­hof offen­bar zu streng. Ein juristisch über­zeugendes Argument lässt die Pressemitteilung des Gerichts zu den neuen Urteilen jedenfalls nicht erkennen.

Tatsäch­lich bringt der Nach­lieferungs­anspruch Käufern von Skandal­autos gegen­über dem Händler mehr, als ihnen an Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung vom Hersteller zusteht. Dort müssen sie sich nach der Recht­sprechung des Bundes­gerichts­hof stets eine Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter anrechnen lassen.
Bundes­gerichts­hof, Urteile vom 21.07.2021
Aktenzeichen: VIII ZR 254/20, VIII ZR 118/20, VIII ZR 275/19 und VIII ZR 357/20

14.06.2021 Gansel Rechtsanwälte-Sprecher Ingo Valldorf berichtet: Das Land­gericht Stutt­gart hat die Daimler AG jetzt auch wegen eines Mercedes B180 CDI mit OM607-Motor zu Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung verurteilt. Der Kläger hatte den Wagen im Dezember 2015 mit wenigen Tausend Kilo­metern auf dem Tacho gekauft.

Den Motoren­typ hatte Daimler gemein­sam mit Renault entwickelt. Es handelt sich um Diesel­motoren mit 1,5 Litern Hubraum. Der Konzern baute sie von 2012 bis 2018 in Mercedes A, B, Citan, CLA und GLA ein. Sie waren nach den Normen Euro 5 oder Euro 6 zugelassen.

Bei Messfahrten der Deutschen Umwelthilfe (DUH) stieß ein nach Euro 6 zugelassener Mercedes B180d mit OM607-Motor von 2016 durch­schnitt­lich über 1 000 Milligramm Stick­oxid je Kilo­meter Fahrt aus, mehr als das 13-fache des Grenz­wertes.

Daimler meinte, die Reduktion der Abgas­reinigung unter- und ober­halb bestimmter Temperaturen für zulässig halten zu dürfen. Ganz und gar nicht, urteilte dagegen das Land­gericht. Es handelte sich um eine eindeutig illegale Abschaltung der Abgas­reinigung. Der Konzern habe sie bewusst dem Kraft­fahrt­bundes­amt verschwiegen.
Land­gericht Stutt­gart, Urteil vom 21.05.2021
Aktenzeichen: 23 O 103/20
Kläger­vertreter. Gansel Rechtsanwälte, Berlin

10.06.2021 Das Kraft­fahrt­bundes­amt hat im Streit um die Tüv-Plakette für einen Skoda Yeti 2.0 TDI (Motor­typ: EA189, 81 Kilowatt/110 PS Leistung) erklärt: Die Bundes­behörde in Flens­burg sei für die Typzulassung nicht zuständig und wisse auch nichts über die Dokumentation der Abgas­reinigung des Wagens.

Das Verwaltungs­gericht Schleswig-Holstein hatte die Behörde Anfang Januar zur amtlichen Auskunft über den Wagen aufgefordert. Anfang Juni kam die knappe Antwort. Für Autos der Marke Skoda hatte der VW-Konzern die Typgenehmigung in Groß­britannien beantragt. Inzwischen ist eine tsche­chische Behörde zuständig.

Allerdings: Das Kraft­fahrt­bundes­amt selbst hatte den Kläger aufgefordert, die von VW neu entwickelte Motorsteuerung installieren zu lassen, weil die ursprüng­liche Motorsteuerung illegal war. Eigentlich wollte die Bundes­behörde den nicht nachgerüsteten Wagen auch an die örtliche Zulassungs­stelle melden, damit dort die Still­legung ange­ordnet werden kann. Davon sah das Kraft­fahrt­bundes­amt aber ab, nachdem der Kläger recht­lichen Widerstand angekündigt hatte.

Dem Kläger aus dem Kreis Herzogtum Lauenburg nützte das aber nur vorüber­gehend etwas. Als sein Tüv abge­laufen war, bekam er — wie andere Skandal­autos aus dem VW-Konzern ohne neue Motorsteuerung auch — keine neue Prüfplakette. Der Wagen habe einen erheblichen Mangel, hieß es.

Dabei gilt die Typgenehmigung für den Skoda des Klägers nach Ansicht der Verwaltungs­gerichte trotz der illegalen Motorsteuerung weiter. Anders als das Kraft­fahrt­bundes­amt in Deutsch­land änderten nämlich weder die Behörden in Groß­britannien noch in Tschechien die Typzulassung für Skandal­autos aus dem VW-Konzern.

Nachdem das Kraft­fahrt­bundes­amt dem Verwaltungs­gericht nichts dazu sagte, wieso der Wagen womöglich einen erheblichen Mangel hat, dürfte der Besitzer des Wagens gute Chancen haben, jetzt doch noch eine Prüfplakette zu bekommen, ohne das Software­update zu installieren.

test.de fragte beim Kraft­fahrt­bundes­amt nach, wieso die Behörde auch bei nicht in Deutsch­land zugelassenen Autos aus dem VW-Konzern darauf gedrängt hat, das Software-Update zu installieren, obwohl sie für deren Typzulassung gar nicht zuständig ist. Wir wollten außerdem wissen, wieso die Behörde fast fünf Monate gebraucht hat, um dem Gericht mitzuteilen, dass sie nicht zuständig ist. Bisher antwortete das Kraft­fahrt­bundes­amt nicht.

08.06.2021 Rechtsanwalt Christian Rugen berichtet: Das Land­gericht Köln muss Sach­verständigen­gut­achten zur Motorsteuerung eines erst­mals im März 2015 zugelassenen sehr leistungs­starken und teuren BMW M550d xDrive (Euro 6) einholen, nachdem das Ober­landes­gericht die Abweisung der Klage aufgehoben und das Verfahren zurück ans Land­gericht verwiesen hat.

Hahn Rechts­anwälte hatten für den Kläger vorgetragen, dass gleich eine ganze Reihe von Mecha­nismen von der Lenkwinkel­erkennung über Thermo­fenster bis hin zur Kühl­mittel­soll­temperatur-Regelung dafür sorgen, dass der über 380 PS starke Wagen die Euro 6-Abgas­grenz­werte nur unter Prüf­stands­bedingungen einhalte.

Das sei kein Vortrag ins blaue Hinein, sondern ohne weiteres zulässig, urteilte das Ober­landes­gericht, obwohl die Staats­anwalt­schaft keinen hinreichenden Tatverdacht auf Betrug sah und das Kraft­fahrt­bundes­amt die Motorsteuerung insoweit nicht bean­standet hatte.
Ober­landes­gericht Köln, Urteil vom 28.05.2021
Aktenzeichen: 19 U 134/20
Kläger­anwälte: Hahn Rechts­anwälte, Hamburg

01.06.2021  test.de-Leser floflo1990 berichtet: Der Land­kreis Vulkan­eifel (Auto­kenn­zeichen: DAU) hat die Betriebs­untersagung für einen Skoda mit EA189-Motor ohne Software-Update zurück­genommen, nachdem der Besitzer des Wagens vor das Verwaltungs­gericht Trier gezogen war. Zuvor hatte das Gericht darauf hingewiesen, dass es den Bescheid für rechts­widrig hält.

O-Ton aus dem Hinweis des Gerichts: „Vorliegend ist (...) nicht ansatz­weise erkenn­bar, aus welchen Gründen die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessens­betätigung zu einem Über­wiegen der öffent­lichen Belange gekommen ist, da diese erkenn­bar weder konkret ermittelt noch gewichtet worden sind. So fehlt es an jeglichen Angaben dazu, unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang die durch das Kraft­fahrt-Bundes­amt mitgeteilte Vorschrifts­widrigkeit des Fahr­zeugs Auswirkungen auf die freigesetzten Emissionen oder sons­tige schützens­werte öffent­liche Belange haben soll.“ (Hinweis vom 14.04.2021, Aktenzeichen: 1 K 3087/20.TR

Recht­licher Hintergrund: Autos der Marke Skoda hatten seiner­zeit eine Typzulassung aus Groß­britannien. Diese gilt unver­ändert. Anders als das Kraft­fahrt­bundes­amt erließ die britische Behörde keinen Bescheid mit Neben­bestimmungen zur ursprüng­lichen Typgenehmigung.

Während in Deutsch­land typzugelassene Skandal­autos damit ohne weiteres still­gelegt werden dürfen, wenn die Besitzer sie nicht mit der nach Bekannt­werden des VW-Skandals neu entwickelten Motorsteuerung ausrüsten lassen, ist das bei unver­ändert typzugelassenen Autos mit denselben Motoren nicht ohne weiteres zulässig.

Nach Ansicht der Verwaltungs­richter in Trier müssen die Behörden für solche Autos klären, welche Auswirkungen das von VW entwickelte Update für die Motorsteuerung auf den Schad­stoff­ausstoß hat, bevor sie ihnen den Betrieb untersagen.

Tech­nischer Hintergrund: Die Abgasrück­führung, wie sie bei Skandal­autos zur Abgas­reinigung einge­setzt wird, funk­tioniert je nach Bedingungen sehr unterschiedlich. Vor allem bei Fahrten mit geringer Last und entsprechend wenig heißem Motor kann sie den Stick­oxid­ausstoß erheblich senken, während sie sonst weniger wirk­sam ist.

Das Kraft­fahrt­bundes­amt kam in einer Untersuchung zum Ergebnis: Bei manchen Auto­typen bringen Software-Updates im normalen Fahr­betrieb wenig bis gar nichts.

17.05.2021  Rechts­anwalt Marco Manes berichtet: Nach den Land­gerichten Koblenz und Stade (s. u. unter 21.04.2021 und 03.03.2021) hat auch das Land­gericht Görlitz Fiat Chrysler Auto­mobile zu Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung verurteilt. Es ging um ein Wohn­mobil vom Typ Challenger 398 XLB Special Edition von Juni 2020 mit einem Fiat Multijet-Diesel­motor mit 2,3 Litern Hubraum, Euro 6. Es blieb unstreitig, dass die Motorsteuerung die Abgas­reinigung vom Anlassen an nach 22 Minuten abschaltet.

Noch bemerkens­wert: Die zuständige Richterin in Görlitz errechnete den Nutzungs­ersatz nicht anhand des Kilo­meter­stands, sondern anhand des Alters des Wagens. Es sei davon auszugehen, dass Wohn­mobile normaler­weise 25 Jahre lang im Einsatz sind, bis sie ausgemustert werden. Der Kläger muss sich daher für die Nutzung des neu 55 890 Euro teure Wohn­mobils 6,12 Euro am Tag anrechnen lassen.

Allerdings: Die Fiat Chrysler Auto­mobilie FCA Italy SpA hatte sich erneut nicht gegen die Klage verteidigt. Das Gerichte urteilte deshalb allein auf der Grund­lage der Darstellung des Falls durch Kläger­anwalt Marco Manes. Versäumnis­urteil heißen solche Entscheidungen. Fiat kann gegen das Urteil Einspruch einlegen und sich anschließend gegen die Klage verteidigen.
Land­gericht Görlitz, (Versäumnis-)Urteil vom 11.05.2021
Aktenzeichen: 5 O 28/21 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: Rechts­anwalt Marco Manes, Bonn

10.05.2021 Obwohl VW einem Skandal­autobesitzer den voll­ständigen Kauf­preis ohne Abzug einer Nutzungs­entschädigung erstattet hat, geht der Rechts­streit am Europäischen Gerichts­hof (EuGH) in Luxemburg vor­erst weiter. Der Auto­besitzer und das Land­gericht Erfurt weigern sich trotz der Zahlung von VW, das Verfahren als erledigt zu betrachten.

Der zuständige Richter beschloss statt­dessen: Es bleibt bei der Vorlage in Luxemburg. Er hatte im Jahr 2020 beim EuGH nachgefragt, ob das EU-Recht die Entschädigung von Skandal­autobesitzern ohne Abzug einer Nutzungs­entschädigung gebietet und ob deutsche Gerichte in Abgas­skandalfällen über­haupt wie vom Vertrag über die Arbeits­weise der Europäischen Union gefordert unabhängig und unparteiisch seien.

Begründung: Die Zahlung von VW stelle keine Erfüllung der Forderung des Klägers dar. Es handele sich um eine aufgedrängte Bereicherung. VW verhalte sich aus rein prozess­taktischen Gründen wider­sprüchlich, wenn der Konzern den Kläger auszahle, ohne die Forderung wirk­lich anzu­erkennen, argumentiert Richter Dr. Martin Borow­sky.

Wenn es nach VW gegangen wäre, hätte das Land­gericht Erfurt das Verfahren für beendet erklärt. In etlichen Parallel­verfahren hatte das Unternehmen die Kläger ebenfalls ausgezahlt und hatten die das Geld genommen (s. u. unter 19.05.2019, 28.03.2019 und 14.03.2019).
Land­gericht Erfurt, Beschluss vom 20.04.2021
Aktenzeichen: 8 O 1045/18
Kläger­vertreter: noch unbekannt, bitte melden

Recht­licher Hintergrund: Das Land­gericht Erfurt hält die Ansagen des Bundes­gerichts­hof zum Abgas­skandal für falsch. Wenn VW eine Entschädigung für die Nutzung der Skandal­autos vom Kauf­preis abziehen dürfe, führe das dazu, dass der Konzern einen erheblichen Teil seines Gewinns behält, obwohl er die Rege­lungen zur Begrenzung des Schad­stoff­ausstoßes vorsätzlich und sittenwid­rig miss­achtet hat. Zweifel an der Unabhängig­keit der Justiz hat das Land­gericht Erfurt wegen der Verwick­lung staatlicher Stellen in den Abgas­skandal. Weitere Einzelheiten dazu bei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwälten.

28.04.2021 Rechtsanwalt Dr. Ingo Gasser berichtet: Allein er hat in den letzten Monaten an den Land­gerichten Flens­burg, Kiel und München II acht Urteile gegen die Audi AG erstritten, wonach das Unternehmen Besitzer von nach den Normen Euro 5 und Euro 6 zugelassenen Autos mit 3.0 TDI-Motoren vom Typ EA897 entschädigen muss. Sie sind zum Teil sogar schon rechts­kräftig und in unserer umfangreichen Urteilsliste zum Abgasskandal mit der Suche nach 28.04.2021 zu finden.

26.04.2021 Aslandis, Kress & Häcker-Hollmann-Rechtsanwälte berichten: Das Ober­landes­gericht Naumburg hat VW wegen eines nach der Norm Euro 6 zugelassenen VW Golf mit EA288-Motor zu Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung verurteilt. Auch die Steuerung für diesen Motor enthalte eine besondere Form der Prüf­stands­erkennung, urteilte das Gericht.

Es bezog sich auf vertrauliche VW-Unterlagen, die die Rechts­anwälte des Klägers im Prozess vorgelegt hatten. Danach erkennt die Motorsteuerung die so genannte Prekonditionierung für die Prüf­stands­versuche. Sie stellt dann sicher, dass der Katalysator am Ende der Vorbereitungs­fahrt für den Prüf­zyklus regeneriert wird und das während des 20 Minuten dauernden Prüf­zyklus mit der Simulation von elf Kilo­metern Fahrt keine Regeneration erfolgt.

„Durch die Verwendung der Fahr­kurven­erkennung im VW-Motor EA 288 wurden die Erwerber im Ergebnis genauso getäuscht wie durch die Verwendung der Kipp­schalterlogik mit Prüf­stand­erkennung im VW-Motor EA 189“, meinen die Richter in Naumburg schließ­lich.

Die VW-Anwälte hatten behauptet: Auch ohne die Prüf­stands­erkennung halte der Motor die Schad­stoff­grenz­werte ein. Die Richter in Naumburg ließen das nicht gelten. Die Änderung in der Abgas­reinigung bei der Vorbereitung der Prüf­stands­fahrten stelle so oder so eine gemessen an den EU-Regeln illegale Abschalt­einrichtung dar. Abge­sehen davon habe VW nicht erklärt, wieso es den Mecha­nismus über­haupt gebe, wenn der Motor die Grenz­werte auch ohne die besondere Reaktion der Motorsteuerung auf die Vorbereitung auf Prüf­stands­fahrten einhält.

Dass das Kraft­fahrt­bundes­amt (KBA) für den Wagen keinen Rück­ruf ange­ordnet habe, ändere auch nichts an der Beur­teilung, erklärten die Ober­landes­richter in Naumburg weiter. Wörtlich heißt es in der Urteils­begründung: „Die hier­von abweichende recht­liche Bewertung bzw. Verwaltungs­praxis des KBA hat keinerlei Grund­lage in der VO (EG) Nr. 715/2007 und ist auch sonst haltlos.“
Die Richter in Naumburg waren sich ihrer Sache so sicher, dass sie nicht mal die Revision zuließen. Allerdings kann VW dagegen noch Beschwerde einlegen und den Fall so doch noch zum Bundes­gerichts­hof nach Karls­ruhe bringen. Weitere Einzelheiten zum Urteil auf der Homepage der Rechtsanwälte.
Ober­landes­gericht Naumburg, Urteil vom 09.04.2021
Aktenzeichen: 8 U 68/20 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­anwälte: Aslandis, Kress & Häcker-Hollmann-Rechtsanwälte, Esslingen

23.04.2021 Endlich kommt zumindest ein Teil der Abgas­skandal-Akten in die Öffent­licht­keit: Die Deutsche Umwelt­hilfe (DUH) hat heute etliche hundert Seiten Unterlagen des Kraft­fahrt­bundes­amt (KBA) aus September und Oktober 2015 veröffent­licht. Resümee von DUH-Bundes­geschäfts­führer Jürgen Resch: „Die Papiere aus dem KBA und BMVI zeigen eine erschre­ckend enge Kumpanei von Politik, Behörden und den betrügerischen Auto­mobil­konzernen zu Lasten der Umwelt und Millionen betroffener Diesel-Eigner.“

Zusätzlich veröffent­lichte der Verein ihm anonym zugespielte Freigabe­bescheide des KBA, die sich aus Sicht des Vereins auch nach Oktober 2015 noch auf Motoren mit illegaler Abschaltung der Abgas­reinigung beziehen. Etliche Unterlagen hat der Verein an die Staats­anwalt­schaft in Braun­schweig weitergeleitet. DUH-Rechts­anwalt Remo Klinger hält für möglich, dass sie in den Straf­verfahren gegen verschiedene VW-Mitarbeiter von Bedeutung sind.

Die Unterlagen wollte das KBA geheim halten. Die DUH klagte auf Heraus­gabe und setzte sich durch. Trotzdem erhielt der Verein die jetzt vorliegenden Akten erst, nachdem das Verwaltungs­gericht der Behörde die Verhängung von Zwangs­geldern angedroht hatte (siehe unten unter 22.03.2021). Weitere Einzelheiten mit Links zu den Original-Unterlagen aus dem KBA in der Pressemitteilung der DUH.

22.04.2021 Noch eine Erfolgs­meldung von Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwälten: Nach den Ober­landes­gerichten Oldenburg und Stutt­gart hat auch das in Koblenz VW verurteilt, obwohl Schaden­ersatz­ansprüche der Besitzerin eines VW Polo TDI bei Klageerhebung eigentlich schon verjährt waren. Die Frau habe Anspruch auf Rest­schadens­ersatz, der erst nach 10 Jahren verjährt, urteilten die rhein­land-pfäl­zischen Ober­landes­richter. So sehen es inzwischen die meisten Gerichte. Umstritten ist noch, ob der Rest­schadens­ersatz­anspruch nur beim Kauf von Skandal­autos als Neuwagen oder auch beim Kauf als Vorführ- oder Gebraucht­wagen gilt.
Ober­landes­gericht Koblenz, Urteil vom 31.03.2021
Aktenzeichen: 7 U 1602/20 (nicht rechts­kräftig)
Klägerin­anwälte: Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwälte, Lahr

22.04.2021 Nach­trag zur Meldung über die Verurteilung von Fiat Chrysler Auto­mobile gestern: Das ARD-Magazin Plusminus berichtet, dass auch erst lange nach Bekannt­werden des Abgas­skandals zugelassene Wohn­mobile mit 2,3-Liter-Turbodiesel­motoren von Fiat weit mehr giftiges Stick­oxid ausstoßen als zulässig. Einzelheiten auf www.daserste.de.

21.04.2021 Christoph Rigling aus der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer berichtet: Das Land­gericht Stade hat Fiat Chrysler Auto­mobile zu Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung verurteilt. Der Konzern muss dem Käufer eines Wohn­mobils auf der Basis eines Fiat Ducato mit 2,3 Liter-TDI-Motors von 2017, zugelassen nach der Norm Euro 6b, den Kauf­preis erstatten. Eine Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter ist abzu­ziehen.

Außerdem bekommt der Hersteller den Wagen zurück. Es handelte sich um einen Wagen, bei dem die Abgas­reinigung nach dem Start etwa 22 Minuten lang funk­tioniert und dann abge­schaltet wird. Der seiner­zeit für die Ermitt­lung des Schad­stoff­ausstoßes vorgeschriebene Prüf­stand versuche dauerte 20 Minuten. Weitere Einzelheiten auf der Homepage der Rechtsanwälte.
Land­gericht Stade, (Versäumnis-)Urteil vom 15.04.2021
Aktenzeichen: 2 0 12/21 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­anwälte: Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwälte, Lahr

20.04.2021 Erstaunlich: Der frühere Leiter der VW-Haupt­abteilung „Entwick­lung Aggregate Diesel“ (EAD) bleibt trotz des Skandals um illegale Motorsteuerungen für jedenfalls einen großen Teil der Diesel­motoren aus dem Konzern weiter VW-Mitarbeiter. So hat es jetzt das Landes­arbeits­gericht Nieder­sachsen bestätigt.

Der Konzern hatte dem Manager nach Einsicht die Ermitt­lungs­akten bei der Staats­anwalt­schaft Braun­schweig im Jahr 2018 vorgeworfen, er habe die illegale Abschaltung der Abgas­reinigung in den Diesel­motoren ange­ordnet, die in Autos für den US-Markt einge­baut wurden. Dieser Manipulation waren die US-Behörden auf die Schliche gekommen und hatten so den VW-Skandal ausgelöst. VW kündigte dem Mann sowohl frist­los als auch ordentlich und forderte Schaden­ersatz in Millionenhöhe.

Der Manager zog vors Arbeits­gericht. Und setzte sich auf der ganzen Linie durch. Schon das Arbeits­gericht Braun­schweig hatte den Rauswurf für unwirk­sam gehalten. Das Landes­arbeits­gericht in Hannover bestätigte jetzt: VW habe nicht nachgewiesen, dass der Mann seine Pflichten gegen­über VW verletzt habe. Der Konzern hatte einen einzigen Zeugen benannt und der hatte ich auf ein Zeug­nisverweigerungs­recht berufen.

Das Gericht bestätigte außerdem: Das Arbeits­verhältnis sei auch nicht wegen Unzu­mutbarkeit der Fortsetzung aufzulösen. VW muss jetzt sämtliches Gehalt (zuletzt 16 957 Euro brutto pro Monat, Boni in Höhe von zuletzt 212 000 Euro brutto pro Jahr berück­sichtigte das Gericht nicht) abzüglich des von den Behörden gezahlten Arbeits­losengelds nach­zahlen und den Mann weiterbeschäftigen.
Arbeits­gericht Braun­schweig, Urteil vom 10.02.2020
Aktenzeichen: 8 Ca 334/18
Arbeitnehmer­vertreter: Rechtsanwalt Peter Rölz, Frankfurt a. Main

Landes­arbeits­gericht Nieder­sachsen, Urteil vom 19.04.2021
Aktenzeichen: 15 Sa 557/20 (nicht rechts­kräftig, das Gericht hat zwar keine Revision zugelassen, aber dagegen kann VW noch Beschwerde einlegen und den Fall so doch noch­vor das Bundes­arbeits­gericht in Kassel bringen)
Arbeitnehmer­vertreter: noch unbekannt, bitte melden

15.04.2021 Der Rechtswissenschaftler und Hochschullehrer Alexander Bruns hat untersucht, wie sich der über die normale Verjährung hinaus durch­setz­bare Rest­schadens­ersatz­anspruch im Abgas­skandal auswirkt. Seine Ergeb­nisse stellt er in einem Aufsatz (nur gegen Bezahlung) in der aktuellen Ausgabe der wichtigsten Jura-Fach­zeit­schrift Neue Juristische Wochenschrift dar.

Danach greift die gesetzliche Regel zugunsten von Abgas­skandal­opfern erst ein, wenn fest­steht: Hersteller haben Käufer der Autos vorsätzlich geschädigt – so wie im Abgas­skandal häufig. Wenn dem so ist, erhalten nach Bruns Ergeb­nissen Auto­besitzer aber auch dann über die normale dreijäh­rige Verjährung hinaus Rest­schadens­ersatz, wenn sie den Wagen gebraucht gekauft haben.

Ober­grenze für den Rest­schadens­ersatz ist das, was VW beim ursprüng­lichen Verkauf des Wagens in der Regel von einem Händler erhalten hat. Herstellungs­kosten und andere Spesen dürfen Auto­hersteller aber nicht abziehen. Allerdings erhalten sie wie sonst auch Zug um Zug gegen Zahlung den Wagen zurück.

Allerdings: Das Thema ist umstritten. Manche Juristen meinen: Nur Neuwagenkäufern steht Rest­schadens­ersatz zu. Andere halten für richtig: Skandal­autobesitzer haben nur noch Anspruch auf den Gewinn, den VW beim ursprüng­lichen Verkauf des Wagens erwirt­schaftet hat. Setzt sich Bruns Auffassung durch, muss VW noch viele Jahre lang Schaden­ersatz­forderungen von Abgas­skandal­opfern erfüllen.

14.04.2021 Hinweis von Michael Heese, Inhaber eines Zivil­rechts­lehr­stuhls und Leiter des Projekts Dieselskandal der Uni Regens­burg: Die 12. Kammer des Land­gerichts Saarbrücken hat eine besonders aufwendige und sorgfältige Begründung für die Verurteilung der Daimler AG zu Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher und sittenwid­riger Schädigung geliefert. Es ging um einen Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4Matic von 2013, Euro 5. Das Kraft­fahrt­bundes­amt hat einen Rück­ruf ange­ordnet, aber Daimler klagt dagegen vor dem Verwaltungs­gericht.
Die Saarbrücker Richter unter dem Vorsitz von Dr. Sigurd Wern fragten beim Kraft­fahrt­bundes­amt nach. Am Ende waren sie über­zeugt: Die Motorsteuerung ist illegal. Die so genannte „Kühl­mittel-Soll­temperatur-Regelung“ und ein Thermo­fenster dienten ihrer Über­zeugung nach letzt­lich nur dazu, die Stick­oxid-Grenz­werte fast nur bei den Prüf­stands­versuchen für die Typzulassung einzuhalten. Die gegen­teiligen Beteuerungen von Daimler über­zeugten sie nicht, zumal Daimler zu etlichen Punkten unter Berufung auf Betriebs­geheim­nisse vage geblieben war.
Weiter heißt es in der Urteils­begründung wörtlich: „Das Verhalten der Beklagten verstieß auch gegen die guten Sitten. Bei Vorliegen einer Software, die – wie hier – letzt­lich auf die Erkennung des Prüf­zyklusses ausgerichtet ist, ist das gegebenenfalls einge­setzte Mittel – Täuschung einer öffent­lichen Stelle sowie einer Vielzahl potentieller Kunden – als besonders verwerf­lich anzu­sehen.“ Der einzig denk­bare Zweck einer solchen Täuschung sei eine Kostensenkung und Gewinn­maximierung, argumentiert das Gericht weiter.
Land­gericht Saarbrücken, Urteil vom 09.04.2021
Aktenzeichen: 12 O 320/19 (nicht rechts­kräftig)
Verbraucher­anwälte: Rechts­anwälte Gebhardt & Kollegen, Homburg/Saar

13.04.2021 Aktuelles Urteil des Bundes­gerichts­hofs: VW muss einer Skandal­autobesitzerin auch die Zinsen für einen Auto­kredit und die horrend teure Prämie für eine Rest­schuld­versicherung ersetzen. Einzel­heiten dazu in der Antwort auf die Frage Was ist mit Zinsen, die Skandal­autobesitzer bei der Finanzierung ihres Wagens gezahlt haben? Mehr in den Fragen & Antworten zum Abgasskandal.

12.04.2021 Decker & Böse Rechtsanwälte berichten: Das Land­gericht Stutt­gart hat Daimler verurteilt, den Besitzer eines Mercedes C220 CDI zu entschädigen. Der Mann hatte den nach Euro 6 zugelassenen Wagen 2017 gebraucht gekauft. Daimler hat später eine neue Motorsteuerung entwickelt und dem Kläger angeboten. Das Kraft­fahrt­bundes­amt ist nicht einge­schritten. Daimler hatte einge­räumt: Unter­halb von 7 Grad Luft­temperatur werde die Abgasrück­führung um bis zu 19 Prozent verringert. Welche Auswirkungen das hat, sagten die Anwälte der Auto­bauer nicht.

Es sei davon auszugehen, dass es sich um eine illegale Abschaltung der Abgas­reinigung handele, die Daimler bewusst und mit Kennt­nis der verantwort­lichen Manager im Vorstand einge­setzt habe, urteilten die Richter in Stutt­gart. „Wir sind über­zeugt, dass dieses Urteil der Anfang vom Ende eines gigantischen Betruges an den Kunden der Auto­industrie ist“, kommentierte Rechtsanwalt Ulf Böse das Urteil. Das Land­gericht habe entsprechend der Vorgaben des Bundes­gerichts­hofs zur Darlegungs- und Beweislast geur­teilt.
Land­gericht Stutt­gart, Urteil vom 25.03.2021
Aktenzeichen: 7 O 224/20 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­anwälte: Decker & Böse Rechtsanwälte, Köln

08.04.2021 Das Land­gericht Gießen urteilt: Auch beim VW-Bus T6 mit 2.0 TDI-Motor vom Typ EA288, Euro 6, hat VW Käufer des Wagens vorsätzlich und sittenwid­rig geschädigt. Die Motorsteuerung enthalte eine illegale Prüf­stands­erkennung und reduziere bei Bedingungen jenseits der Prüf­stand­versuche zur Ermitt­lung des Schad­stoff­ausstoßes die Abgas­reinigung.
Land­gericht Gießen, Urteil vom 25.03.2021
Aktenzeichen: 5 O 450/20 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­anwälte: Gansel Rechtsanwälte, Berlin

06.04.2021 Laut Kraft­fahrt­bundes­amt ruft Iveco oft als Grund­lage für Wohn­mobile einge­setzte Trans­porter vom Typ Daily zurück. „Durch eine unge­eignete Software können Störungen auftreten, durch die sich die Verringerung von Stick­oxiden ggf. verschlechtert“, heißt es in der Rückrufdatenbank der Behörde. Iveco entwickelt eine neue Motorsteuerung für die betroffenen Daily-Modelle der Baujahre 2015 bis 2019. Die Behörde prüft noch, ob es den bisher freiwil­ligen Rück­ruf verbindlich anordnet.

Rechts­anwälte Dr. Stoll & Sauer vermuten: Die Motorsteuerung schaltet die Abgas­reinigung illegal ab. Es droht dann die Zwangs­still­legung, wenn Besitzer der Trans­porter keine neue legale Motorsteuerung nach­rüsten. Weitere Einzelheiten in der Pressemitteilung der Kanzlei.

22.03.2021 Hahn Rechtsanwälte berichten: Das Ober­landes­gericht Köln sieht eine vorsätzliche sittenwid­rige Schädigung, soweit Daimler bei Motoren vom Typ OM642 (Euro 6) die Einsprit­zung von AdBlue einige Zeit nach dem Start reduziere und sie erst nach einem Neustart wieder voll funk­tioniere. Auch das Kraft­fahrt­bundes­amt hatte das als illegal bewertet und einen Rück­ruf ange­ordnet. Das Gericht wies darauf hin: Es sei nach dem Vortrag der Kläger­anwälte auch davon auszugehen, dass die Einsprit­zung absicht­lich reduziert wurde und deshalb eine vorsätzliche und sittenwid­rige Schädigung vorliege. Es ging um einen Mercedes-Benz ML 350 Bluetec 4matic.

Jetzt sind die Daimler-Anwälte in der Pflicht. Wenn es Ihnen nicht gelingt, den Verdacht der vorsätzlichen sittenwid­rigen Schädigung zu entkräften, wird das Gericht den Konzern dazu verurteilen, den Wagen den Kauf­preis abzüglich Nutzungs­entschädigung zurück­zunehmen. Im Gegen­zug bekommt Daimler das Auto zurück. Weitere Einzelheiten im Bericht auf der Homepage der Rechtsanwälte.
Ober­landes­gericht Köln, (Hinweis-)Beschluss vom 22.02.2021
Aktenzeichen: I 14 U 56/20
Kläger­vertreter: Hahn Rechtsanwälte, Bremen/Hamburg/München/Stuttgart

22.03.2021 Trotz Verurteilung zur Heraus­gabe von Abgas­skandal-Akten hat das Kraft­fahrt­bundes­amt in Flens­burg weder der Deutschen Umwelt­hilfe (DUH) noch dem ZDF-Journalisten Hans Kober­stein die Prüfung aller ange­forderten Akten ermöglicht. Das Verwaltungs­gericht Schleswig hat der Behörde gerade auf Antrag der Deutschen Umwelt­hilfe angedroht, ein Zwangs­geld zu verhängen, wenn sie die Akten zum Abgas­skandal nicht binnen zwei Wochen vorlegt.

ZDF-Journalist Hans Kober­stein hatte nach Androhung der Voll­stre­ckung bereits Akten zu den auf Geheiß der Behörde von VW entwickelten neuen Motorsteuerung für die Skandal­motoren erhalten. Sie seien aber unvoll­ständig, berichtet er. Laut der ihm vorliegenden Akten habe das Kraft­fahrt­bundes­amt alle Abschalt­einrichtungen in dieser Motorsteuerung mit nur einer einzigen Ausnahme anstands­los genehmigt.

Es sei nicht erkenn­bar, dass die Beamten sich mit dem Text der EU-Verordnung über die Typzulassungen genauer auseinander­gesetzt haben, berichtet Kober­stein. Nach dieser Verordnung sind die Schad­stoff­grenz­werte im normalen Fahr­betrieb einzuhalten und ist die Abschaltung der Abgas­reinigung nur ausnahms­weise zulässig, um Motorschäden und Unfälle zu verhindern.

Fazit von Hans Kober­stein: „Das Kraft­fahrt­bundes­amt erscheint als der Wackelda­ckel im Heck der Auto­industrie“.

18.03.2021 Eine weitere Etappe in der juristischen Aufarbeitung des Abgas­skandals: Das Verwaltungs­gericht Schleswig muss jetzt prüfen, ob das Kraft­fahrt­bundes­amt in Schleswig die Daimler AG zu Recht dazu verpflichtet hat, für etliche Modelle eine neue Motorsteuerung zu entwickeln. Der Konzern hat inzwischen gegen drei Rück­rufbescheide Klage erhoben. Eine weitere Klage folgt wahr­scheinlich noch.

Daimler meint nach wie vor: Die Motorsteuerungen waren recht­mäßig. Dabei hat der Europäische Gerichts­hof inzwischen entschieden: Die EU-Regeln für die Typzulassung von Autos sind noch viel strenger auszulegen, als es das Kraft­fahrt­bundes­amt getan hat. Auf Schaden­ersatz­forderungen von Auto­besitzern hat die verwaltungs­gericht­liche Beur­teilung der Rückruf­aktionen keine direkten Auswirkungen.

Ohnehin ist mit Urteilen frühestens 2022 und wahr­scheinlich sogar erst später zu rechnen. Bisher liegen den Richtern in Schleswig weder Klagebegründungen noch die Akten des Kraft­fahrt­bundes­amts zu den Rückruf­aktionen vor.

17.03.2021 Rechts­anwalt Dr. Marcus Hoff­mann berichtet: Das Land­gericht Nürn­berg-Fürth hat VW zu vollem Schaden­ersatz wegen des Abgas­skandals verurteilt, obwohl Ansprüche wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung bei Klageerhebung bereits verjährt waren. Das Gericht stützte sein Urteil auf den so genannten Rest­schaden­ersatz­anspruch. Danach können Geschädigte auch über die Verjährung hinaus Schaden­ersatz­ansprüche durch­setzen, soweit der Schädiger durch seine Tat auf Kosten des Opfers etwas erlangt hat.

Das Ober­landes­gericht Oldenburg hat das bereits für einen Auto­besitzer anerkannt, der seinen Wagen direkt von VW gekauft hatte (siehe unten, 05.03.2021). Doch der Fall beim Land­gericht Nürn­berg-Fürth lag – wie die Mehr­heit der Abgas­skandalfälle –anders: Der Auto­besitzer hatte seinen Wagen bei einem Händler gekauft. Der dürfte ihn direkt von VW erworben haben. Denk­bar ist aber auch der Vertrieb über Zwischenhändler. Trotzdem habe VW den Kauf­preis abzüglich Händ­lermarge auf Kosten des Auto­besitzers erhalten, meint das Land­gericht Nürn­berg-Fürth. So sehen es auch viele Rechts­wissenschaftler und Verbraucher­anwälte (s. u. unter 22.06.2020).Rechtsanwalt Dr. Marcus Hoffmann

Ob ein Händler das Geld des Kunden an VW weiterleite oder den Wagen bei VW zunächst selbst bezahle, könne keinen Unterschied machen. Manche Juristen meinen allerdings: VW ist zwar bereichert, aber nur um den Gewinn. Das Unternehmen dürfe den Aufwand für die Herstellung des Wagens gegen­rechnen. Nach Verjährung von Schaden­ersatz­ansprüchen hafte das Unternehmen nur noch, soweit es beim Verkauf des Skandal­autos einen Gewinn gemacht hat.

Der Bundes­gerichts­hof hat bisher nur geäußert: Gerichte müssen den Rest­schaden­ersatz­anspruch nicht von sich aus berück­sichtigen, so lange der Kläger nichts dazu vorgetragen hat, ob und inwieweit das Unternehmen auf seine Kosten bereichert ist. Weitere Einzel­heiten zum Fall und zum Thema auf der Home­page der Rechts­anwälte.
Land­gericht Nürn­berg-Fürth, Urteil vom 09.03.2021
Aktenzeichen: 9 0 7845/20 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­anwälte: Dr. Hoff­mann & Partner Rechts­anwälte, Nürn­berg

16.03.2021 Der Abgas­skandal belastet den Bundes­gerichts­hof (BGH) nach wie vor stark. Gerichts­sprecherin Dietlind Wein­land erklärte auf Anfrage von test.de zu den Abgas­skandalfällen: „Eine Verfahrens­statistik nach Verfahrens­inhalten führen wir nicht. Daher kann ich nur ein grobe Schät­zung vornehmen. Beim VI. Zivil­senat waren etwa 1 000 Diesel­verfahren anhängig, von denen circa zwei Drittel erledigt sind.“

Knapp 350 Fälle sind danach immer noch anhängig, obwohl bereits seit 1. November 2020 der VII. Senat für alle neu beim BGH einge­henden Abgas­skandalfälle zuständig ist. 350 Fälle sind viel. Beim VI. Senat landeten im Jahr 2017 nur insgesamt gut 500 Verfahren, bevor dann ab 2018 der Abgas­skandal über ihn herein­brach.

Jetzt setzt der Senat Verbraucher­anwälte unter Druck. Die verstehen die Presseerklärung von vergangenem Donners­tag (siehe Einträge 11.03. und 12.03.2021) jedenfalls als Signal an die Abgas­skandal-Kanzleien, ihre Nicht­zulassungs­beschwerde-Verfahren schleunigst zu über­prüfen und alle nach den bisherigen Entscheidungen zum Abgas­skandal klaren Fälle jetzt schleunigst zu erledigen. Sowohl die Abweisung der Nicht­zulassungs­beschwerde eines Skandal­autobesitzers als auch die Presseerklärung dazu kamen über­raschend. Das Verfahren hatte aktuell niemand auf dem Zettel und der Sache nach sind die Ansagen der Richter nicht wirk­lich neu, so dass es eigentlich keinen Anlass für eine Presseerklärung gab.

Irreführender und für die Abgas­skandal-Kanzleien verheerender Tenor der Presse-Bericht­erstattung auf der Grund­lage der BGH-Presse­mitteilung: Die von VW auf Geheiß des Kraft­fahrt­bundes­amts entwickelte neue Motorsteuerung für die Skandal­motoren ist keine vorsätzliche sittenwid­rige Schädigung. Noch schwierig für Verbraucher­anwälte: Sie sind tatsäch­lich in der Pflicht, BGH-Verfahren so schnell und kostengünstig wie möglich zu beenden, wenn in einem Parallel­verfahren eine Grund­satz­entscheidung ergeht. Sie müssen jetzt befürchten, dass der BGH weitere Nicht­zulassungs­beschwerden abweist und sie für die dadurch zusätzlich entstehenden Kosten gerade stehen müssen.

12.03.2021 Land­auf landab heißt es wie hier bei Spiegel Online zur Entscheidung des Bundes­gerichts­hofs von gestern (s. u., 11.03.2021): „Kein Schadens­ersatz wegen Software-Update (...) VW habe sich dabei nicht sittenwid­rig verhalten, teilte der Bundes­gerichts­hof (BGH) (...) mit.“ Das ist schlicht falsch. Der BGH hat das nicht mitgeteilt. Er hat gar nicht geprüft, ob sich VW bei der Entwick­lung der neuen Motorsteuerung sittenwid­rig verhalten hat. Er hat den Fall nur so beur­teilt, wie die Parteien ihn dargestellt haben.

Entscheidend: Der Kläger­anwalt hatte aus Sicht der BGH-Richter nichts vorgetragen, was das Verhalten von VW als sittenwid­rig erscheinen lässt. Dass auch die neue von VW auf Geheiß des Kraft­fahrt­bundes­amts entwickelte Motorsteuerung nach seiner Ansicht ebenfalls illegal war, reicht dafür laut BGH nicht aus, siehe weitere Einzel­heiten unten unter 11.03.2021.

Zum Schwur kommt es, wenn der Bundes­gerichts­hof über die von VW einge­legte Revision gegen das Urteil des Ober­landes­gerichts Köln vom 18.12.2020, Aktenzeichen: 20 U 288/19 (siehe unten, 22.12.2020) entscheidet. Die Richter dort hatten nämlich geur­teilt : Auch beim Software-Update verhielt VW sich sittenwid­rig und muss betroffene Auto­besitzer deshalb entschädigen.

Rogert & Ulbrich-Rechtsanwälte hatten dort vorgetragen: Beim Software-Update hat VW eine neue illegale Abschalt­einrichtung implementiert. Auch mit der neuen Motorsteuerung werden die Grenz­werte nicht einge­halten. Auch sonst hat das Software-Update negative Auswirkungen. VW hat dies alles bewusst und wahr­heits­widrig verschwiegen, um die Käufer zur Durch­führung des Software-Updates zu bewegen.

Beim Bundes­gerichts­hof hat das Verfahren das Aktenzeichen VII ZR 70/21. Wann die Verhand­lung und Entscheidung dieses Falls in Karls­ruhe ansteht, steht noch in den Sternen. Die VW-Anwälte haben ihre Revision gegen das Urteil bisher noch nicht einmal begründet. Sie haben statt­dessen beantragt, ihnen dafür noch mehr Zeit zu geben.

Noch interes­sant: Alles bisherigen Entscheidungen zum Abgas­skandal kamen vom VI. Senat des Bundes­gerichts­hofs. Der ist eigentlich fürs Recht der unerlaubten Hand­lungen zuständig. Doch das Präsidium des höchsten deutschen Zivil­gerichts hat die Geschäfts­verteilung geändert. Jetzt hat der VII. Senat Abgas­skandal-Fälle zu beur­teilen. Der ist sonst eigentlich vor allem fürs Werk­vertrags- , Architekten- und Handels­vertreterrecht zuständig.

Ob die Richter im VII. Senat mit dem Fall aus Köln viel Arbeit haben werden, bleibt abzu­warten. VW kann die Revision jeder­zeit zurück­nehmen oder sich mit dem Kläger einigen. In der Vergangenheit war der Konzern immer wieder so verfahren. Er verhinderte damit verbraucherfreundliche Urteile und die mit ihnen verbundene Signalwirkung.

11.03.2021 Noch eine Ansage des Bundes­gerichts­hofs zum Abgas­skandal: Bei Kauf von Skandal­autos gibt es wegen der auf Geheiß des Kraft­fahrt­bundes­amts erneuerten Motorsteuerungs­software nicht ohne weiteres Schaden­ersatz, auch wenn auch die neue Motorsteuerung wegen der Abschaltung oder Reduktion der Abgas­reinigung ober­halb und unter­halb bestimmter Luft­temperaturen („Thermo­fenster“) vielleicht rechts­widrig war.

O-Ton aus der Pressemitteilung des Gerichts: „Der darin liegende – unterstellte – Gesetzes­verstoß reicht (...) nicht aus, um das Gesamt­verhalten der Beklagten als sittenwid­rig zu qualifizieren. Die Applikation eines solchen Thermo­fens­ters ist nicht mit der Verwendung der Prüf­stands­erkennungs­software zu vergleichen, die die Beklagte zunächst zum Einsatz gebracht hatte. Während letztere unmittel­bar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungs­behörde abzielte und einer (...) Täuschung der Fahr­zeug­erwerber (...) gleich­steht, ist der Einsatz einer temperatur­abhängigen Steuerung des Emissions­kontroll­systems nicht von vorneherein durch Arglist geprägt. (...) Bei dieser Sachlage hätte sich die Verwerf­lich­keit des Verhaltens der Beklagten durch die Implementation des Thermo­fens­ters nur dann fortgesetzt, wenn (...) weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerf­lich erscheinen ließen. Dies würde jedenfalls voraus­setzen, dass diese Personen bei der Entwick­lung (...) in dem Bewusst­sein handelten, eine unzu­lässige Abschalt­einrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzes­verstoß billigend in Kauf nahmen. Anhalts­punkte hierfür waren aber nicht dargetan.“

Das heißt aber auch: Stellen die Kläger-Anwälte wie im vom Ober­landes­gericht Köln unter dem Aktenzeichen 19 U 151/20 entschiedenen Fall das Verhalten von VW bei der Entwick­lung der Steuerung für EA288-Motoren so dar, dass es als vorsätzliche und sittenwid­rige Schädigung erscheint, und VW bestreitet das, dann müssen die Gerichte den Fall weiter aufklären. Es kommt dann darauf an, wie die neue Motorsteuerung funk­tioniert, ob sie legal ist und was VW-Manager und Ingenieure sich bei der Entwick­lung gedacht haben (s. u., 25.02.2021).

11.03.2021 Per Presse­mitteilung rät R+V-Versicherung Besitzern von Skandal­autos: Vorsicht bei der Anwalts­wahl. Es kursierten „...irreführende Informationen...“, beklagt der Versicherer. Allein in den ersten zwei Monaten des Jahres hätten 600 Rechts­schutz-Kunden der R + V Schaden­ersatz­ansprüche wegen des Abgas­skandals angemeldet. Im Jahr 2020 registrierte der Versicherer 5 000 Abgas­skandal-Rechts­schutz­fälle.

Appell des Versicherers an die Rechts­schutz­kunden: Sie sollen sich zunächst von die Spezialisten des Unter­nehmens halten. „Dabei vermitteln wir gerne auch einen fach­kundigen Anwalt“, heißt es weiter.

test.de empfiehlt dagegen: Verlassen Sie sich nicht auf die Beratung Ihres Rechts­schutz­versicherers. Den Unternehmen geht es darum, Geld zu sparen. Doch die Unternehmen sind in der Pflicht. Der Abgas­skandal berechtigt Millionen von Auto­besitzern zur Klage. Wer zur Klage entschlossen ist, sollte selbst nach einem Anwalt suchen. Haupt­kriterium: Er hat bereits erfolg­reich Schaden­ersatz­ansprüche im Abgas­skandal durch­gesetzt. test.de nennt hier zu jedem verbraucherfreundlichen Urteil die Kanzlei, die es erstritten hat.

Zu beachten allerdings: Die großen im Abgas­skandal erfolg­reichen Kanzleien arbeiten anders, als Mandanten es von Rechts­anwälten vor Ort gewohnt sind. Kontakt und Informationen gibt es übers Internet oder per Post. Statt individueller Ansprache gibt es aus Text­bausteinen hergestellte Schreiben und Schriftsätze. Persönliche Betreuung ist selten. Wichtiger für Mandanten sollte allerdings sein: Die Rechts­anwälte kennen den Abgas­skandal und wie die Gerichte ihn beur­teilen, so dass sie für ihre Mandanten so viel Schaden­ersatz wie möglich durch­setzen können.

Richtig allerdings: Auf Skandal­autobesitzer zielt reichlich Anwalts- und Prozess­finanzierungs­werbung ab, die mehr Aussicht auf Schaden­ersatz verspricht als auch nach Ansicht der test.de-Experten erreich­bar ist. Zwar hat der Europäische Gerichts­hof (EuGH) tatsäch­lich ein klares und europaweit verbindliches Urteil gefällt, nach dem ein Groß­teil der Motorsteuerungen für nach den Normen Euro 4 bis Euro 6 zugelassene Diesel­motoren rechts­widrig ist.

Das aber berechtigt Besitzer betroffener Autos noch nicht zum Schaden­ersatz. Den gibt es nach den Ansagen des Bundes­gerichts­hofs nur, wenn Auto­hersteller die Behörden bei der Typzulassung getäuscht haben und sie zur Steigerung von Absatz und Gewinn bewusst Autos verkauft haben, die die Einhaltung der Abgas­grenz­werte bloß vortäuschen. So lange die Ingenieure Tricks bei der Motorsteuerung für legal halten durften, liegt keine sittenwid­rige Schädigung der Auto­besitzer vor, und die Typzulassungs­behörden waren offen­bar europaweit viel groß­zügiger als es laut EuGH jetzt angemessen ist.

Die Rechts­experten der Stiftunf Warentest fürchten: Die Prozesslawine in Folge des Abgas­skandals wird Verkehrsrechtsschutz-Policen noch teurer machen. Den Versicherern bleibt nichts übrig, als ihre Angebote unter Berück­sichtigung der zum Teil dramatisch gestiegenen Kosten und Risiken neu zu kalkulieren. Schon die für Rechts­schutz­versicherer kost­spieligen Streitig­keiten mit Banken und Versicherern wegen des Widerrufs von Kredit- und Kapital­lebens­versicherung hatte zu steigenden Preisen bei sinkenden Leistungen geführt.

Es ist nicht angebracht, das auf die Klagewut von Skandal­autobesitzern oder die Werbung von Anwälten zu schieben. Ursache für die Misere ist das Unrecht, das nach Banken und Versicherern jetzt auch Auto­hersteller in Serie produziert haben, ohne betroffene Kunden nach der Aufdeckung von sich aus zu ihrem Recht zu verhelfen.

Rechts­schutz­kunden sollten ihren Versicherern bei Prämien­erhöhungen zugute halten: Ohne den Rechts­schutz gehen sie mit hoher Wahr­scheinlich­keit leer aus, wenn ein Unternehmen sie nach Art des Abgas­skandals schädigt. Ohne die Finanzierung der Versicherer hätten Kanzleien wie allen voran Dr. Stoll & Sauer oder Rogert & Ullbrich kaum einem Skandal­autobesitzer zu Schaden­ersatz verhelfen können.

10.03.2021 Noch ein Hinweis von Michael Heese aus der Arbeit am Projekt Dieselskandal der Uni Regensburg: Das Land­gericht Braun­schweig hat VW wegen eines von Audi entwickelten nach der Norm Euro 6 zugelassenen 3.0 TDI-Motors zu Schaden­ersatz verurteilt. Es sei davon auszugehen, „...dass die Entscheidung bei der Motor­entwick­lung, eine illegale Abschalt­einrichtung zu verwenden, von der Beklagten als Konzern­entscheidung entweder selbst getroffen, mindestens aber bewusst mitgetragen wurde. Dies ist vorliegend als unstreitig anzu­sehen, da der Kläger die Kennt­nis des Konzern­vorstandes behauptet und die Beklagte dies – obwohl es ihr im Rahmen einer sekundären Darlegungs­last obliegt – trotz eines entsprechenden gericht­lichen Hinweises nicht erheblich bestritten hat“, begründen die Richter ihr Urteil.

Für Klagen gegen Audi wegen der von VW entwickelten Diesel­motoren mit illegaler Steuerung hatte der Bundes­gerichts­hof gerade noch entscheiden: Es sei nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass die Verantwort­lichen bei Audi an der Entwick­lung beteiligt waren oder sie zumindest kannten und mittrugen. Das müssen die Berufungs­gerichte in diesen Fällen jetzt noch klären und dann erneut entscheiden.

Noch interes­sant: Die Kläger­anwälte hatten den Rück­ruf-Bescheid für den SUV des Klägers mit seinem 6 Zylinder Diesel-Motor mit drei Litern Hubraum und 204 PS vorgelegt. Das Kraft­fahrt­bundes­amt hatte fünf verdächtige Mecha­nismen entdeckt, darunter vor allem die so genannte „Aufheiz­strategie A“. Die akti­vierte die Motorsteuerung bei Bedingungen, wie sie für die Prüf­stand­versuche zur Ermitt­lung des Schad­stoff­ausstoßes für die Typzulassung vorgeschrieben sind. Bei abweichenden Bedingungen schaltete die Motorsteuerung auf eine andere Strategie um, bei der der Motor viel mehr Stick­oxid ausstieß. Dies sei eindeutig illegal. Einen solchen Mecha­nismus einzusetzen, erscheine als sittenwid­rig, begründeten die Richter in Braun­schweig ihr Urteil.

Die Verringerung der Abgas­reinigung unter­halb und ober­halb bestimmter Temperaturen dagegen bewerteten die Richter in Braun­schweig nicht als sittenwid­rig. Nicht mal die Beamten im Kraft­fahrt­bundes­amt hatten das als eindeutig illegale Abschaltung der Abgas­reinigung bewertet. „Ein Handeln unter vertret­barer Auslegung gesetzlicher Vorschriften aber kann nicht als verwerf­liches Tun (...) angesehen werden“, heißt es in der Urteils­begründung wörtlich.
Land­gericht Braun­schweig, Urteil vom 29.01.2021
Aktenzeichen: 11 O 2136/19 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: 21legal Rechtsanwaltsgesellschaft, München

05.03.2021 Michael Heese, Zivil­rechts­professor und Leiter des Projekts Dieselskandal an der Uni Regensburg, berichtet: Der 12. Senat am Ober­landes­gericht Oldenburg hat VW zu Rest­schadens­ersatz wegen der verjährten Entschädigungs-Forderung eines Skandal­autobesitzers verurteilt. Zumindest bei direkt von VW erworbenen Autos sei das Unternehmen bereichert und müsse jedenfalls einen großen Teil des Kauf­preises heraus­geben, auch wenn der eigentliche Schaden­ersatz­anspruch bereits verjährt ist.

Ob und welche Aufwendungen VW anrechnen darf, blieb offen. Der Konzern hatte sich dazu nicht geäußert, obwohl ihn die Darlegungs- und Beweislast trifft. Die Auto­besitzerin aus dem Emsland erhält jetzt vollen Schaden­ersatz. Kern des Rest­schadens­ersatz­anspruch: Soweit einem Schädiger eine Bereicherung verbleibt, soll er diese auch über die Verjährung hinaus an die Opfer heraus­geben müssen.

Aus dem gleichen Grund könnte der Rest­schadens­ersatz­anspruch auch dazu führen, dass VW in Fällen, in denen Auto­besitzern wegen der Nutzung des Wagens über dessen normale Lebens­erwartung von je nach Gericht und Modell 250 000 oder 300 000 Kilo­metern hinaus kein Schaden­ersatz mehr zusteht, wenigs­tens noch den Gewinn heraus­zugeben hat, den das Unternehmen beim Verkauf des Wagens jeweils erzielt hat. Doch so lesen nur einzelne Verbraucherschützer und Rechts­wissenschaftler die Regelung über den Restschadensersatz im Bürgerlichen Gesetzbuch. Die Gerichte gehen bisher davon aus: Was Opfer direkt an Schaden­ersatz fordern können, ist die Ober­grenze. Der Rest­schadens­ersatz­anspruch spielt nur eine Rolle, soweit sie den wegen Verjährung nicht mehr durch­setzen können.

Wahr­scheinlich muss sich jetzt der Bundes­gerichts­hof mit dem Fall und dem Rest­schadens­ersatz­anspruch befassen. Jedenfalls hat der 12. Senat in Oldenburg die Revision zugelassen. Der 2. Senat des Gerichts hatte geur­teilt: Der Rest­schadens­ersatz­anspruch hilft Skandal­autobesitzern nicht weiter. In solchen Fällen ist Bundes­gerichts­hof dafür zuständig, für eine einheitliche Recht­sprechung zu sorgen.
Ober­landes­gericht Oldenburg, Urteil vom 02.03.2021
Aktenzeichen: 12 U 161/20 (nicht rechts­kräftig)
Klägerin­vertreter: Wintermann Rechts­anwälte, Lingen

04.03.2021 Myright.de-Anwalt Dr. Stefan Zimmermann berichtet: VW hat eine Abgas­skandal-Klägerin ausgezahlt, deren Fall beim Europäischen Gerichts­hof (EuGH) in Luxemburg lag. Das Land­gericht Erfurt wollte dort klären lassen, ob der Abzug einer Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter recht­mäßig ist. So sieht es der Bundes­gerichts­hof.

Der Richter in Erfurt und viele Rechts­wissenschaftler wie Michael Heese halten das für falsch. VW dürfe durch die Anrechnung trotz der vorsätzlichen und sittenwid­rigen Schädigung der Auto­besitzer einen guten Teil der Gewinne behalten. Sie hofften darauf, dass der EuGH ein Macht­wort spricht. Doch daraus wird jetzt nicht. VW hat die Klage anerkannt. Das Verfahren endet dadurch, ohne dass sich der EuGH noch dazu äußern kann. Myright will weiter versuchen, ein Votum aus Luxemburg zu bekommen. Weitere Einzelheiten in der Myright.de-Pressemitteilung.

03.03.2021 Soweit bekannt erst­mals über­haupt hat ein Gericht Fiat dazu verurteilt, den Besitzer eines Wagens aus dem italienischen Konzern wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung zu entschädigen. Allerdings: Das Unternehmen hatte sich nicht gegen die Klage verteidigt. Das Gerichte urteilte deshalb allein auf der Grund­lage der Darstellung des Falls durch Kläger­anwalt Marco Manes. Versäumnis­urteil heißen solche Entscheidungen.

Marco Manes und seine Kollegen hatten vorgetragen: Die Motorsteuerung des Ducato 2.2-Turbodiesel mit 150 PS von 2017 schalte die Abgas­reinigung nach 22 Minuten völlig ab. So halte das nach der Norm Euro 6 zugelassene Wohn­mobil die Grenz­werte während der etwa 20 Minuten langen Messung des Schad­stoff­ausstoßes für die Typzulassung ein. Anschließend steige er allerdings weit darüber hinaus.

Zu Vorsatz und Sittenwid­rigkeit und der Verantwortung des Unter­nehmens für die betrügerische Motorsteuerung verliert der für den Fall als Einzel­richter zuständige Thomas Weimer kein Wort. Vermutlich hält er das wegen der laut Kläger­anwalt besonders dreisten Umge­hung der Abgas­grenz­werte für selbst­verständlich. Fiat hat jetzt einen Monat Zeit, gegen das Urteil Einspruch einzulegen. Wenn die Fiat-Anwälte ihn erheben und die Vorwürfe des Kläger­anwalts bestreiten, wird das Gericht klären müssen, was es mit den Vorwürfen gegen Fiat auf sich hat.
Land­gericht Koblenz, (Versäumnis-)Urteil vom 01.03.2021
Aktenzeichen: 12 O 316/20 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: Rechtsanwalt Marco Manes, Bonn

26.02.2021 Das kann für Kläger-Anwälte teuer werden: Allein beim Bundes­gerichts­hof haben sie inzwischen etliche Abgas­skandal-Klagen zurück­genommen, nachdem der Bundes­gerichts­hof wenig über­raschend geur­teilt hatte: Schaden­ersatz ist nicht für jedes Auto mit illegaler Motorsteuerung fällig. Hersteller müssen nur zahlen, wenn, O-Ton Bundes­gerichts­hof: „...die handelnden Personen bei der Entwick­lung und/oder Verwendung (...) des Emissions­kontroll­systems in dem Bewusst­sein handelten, eine unzu­lässige Abschalt­einrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzes­verstoß billigend in Kauf nahmen.“

Folge des Urteils: Ob Klagen Aussicht auf Erfolg haben, hängt zunächst davon ab, wie die Kläger­anwälte den Fall dargestellt und sie sie begründet haben. Wo sie sich darauf beschränkt haben, Schaden­ersatz-Klagen mit dem Einbau einer illegalen Motorsteuerung zu begründen, gibt es nach den Ansagen des Bundes­gerichts­hofs keine Chance mehr auf Schaden­ersatz. Stellt sich in anderen Fällen mit besser begründeten Klagen am Ende heraus, dass einem Auto­hersteller wegen des gleichen Autos doch eine vorsätzliche sittenwid­rige Schädigung zur Last fällt, könnten gescheiterte Kläger von ihren Anwälten Schaden­ersatz verlangen. Anwälte haften für jeden Fehler. Wenn Rechts­anwälte sich weigern, Schäden zu ersetzen, können Mandanten sich ohne Kostenrisiko an die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft wenden.

Miss­lich für Rechts­anwälte: Was genau sie zusätzlich vortragen mussten, damit eine Schaden­ersatz­klage Aussicht auf Erfolg hat, wird erst jetzt erkenn­bar. Danach muss den verantwort­lichen Managern bewusst gewesen sein, dass ihre Motorsteuerung illegal ist und sie den Gesetzes­verstoß billigend in Kauf genommen haben.

Das wäre nach Ansicht der Juristen bei test.de schon ausgeschlossen, wenn sie die Motorsteuerung im Typzulassungs­antrag voll­ständig und korrekt dargestellt und die zuständige Behörde sie in Kennt­nis aller Einzel­heiten zugelassen hat. Dann ist Auto­herstel­lern allenfalls dann noch vorsätzliche und sittenwid­rige Schädigung vorzuwerfen, wenn sie gewusst haben sollten, dass die vor Verkündung der Ansagen des Europäischen Gerichts­hofs zum Thema (siehe unten, 17.12.2020 und 18.12.2020) sehr groß­zügige Rechts­auffassung des Kraft­fahrt­bundes­amts zur Zulässig­keit der Abschaltung oder Verringerung der Abgas­reinigung mit den EU-Richt­linien nicht vereinbar ist.

Allerdings: Soweit bisher bekannt nannten die Hersteller in den Typzulassungs­anträgen oft längst nicht alle Einzel­heiten zur Motorsteuerung. Soweit sie den Behörden Mecha­nismen des Emmissions­kontroll­systems verschwiegen haben, liegt nahe: Sie hielten es für illegal und sahen die Typzulassung in Gefahr. So sah es jedenfalls das Ober­landes­gericht Hamm (siehe unten, 03.02.2021).

Fest steht außerdem: Der Verweis auf ein internes Papier, nachdem die Motorsteuerung die Abgas­reinigung für Bedingungen, wie sie bei den Prüf­stand­versuchen für die Ermitt­lung des Schad­stoff­ausstoß herr­schen, ohne Kennt­nis der Zulassungs­behörde anders regelt als sonst, reicht jedenfalls nach Ansicht der Richter am Ober­landes­gericht Köln aus, um eine Klage wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung zu begründen. Es liege dann indirekt auch eine verwerf­liche Täuschung der Auto­käufer vor. (siehe unten, 25.02.2021).

25.02.2021 Rechtsanwälte Dr. Stoll & Sauer berichten: Das Ober­landes­gericht Köln hat VW wegen eines Autos mit EA288-Motor zu Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung verurteilt. Allerdings: Die VW-Anwälte waren nicht zur Verhand­lung erschienen. Einwände von VW waren daher nach den Regeln in der Zivil­prozess­ordnung nicht zu berück­sichtigen.

Gleich­wohl sei das Urteil ein Meilen­stein, kommentierten Dr. Stoll & Sauer Rechts­anwälte die Entscheidung. Das Gericht hielt den auf ein internes VW-Papier gestützten Vortrag, wonach VW auch bei dem Nach­folgemodell des als Skandalmodell bekannten EA189 bewusst eine illegale Abschaltung oder Reduktion der Abgas­reinigung einge­setzt habe, für schlüssig.

Wenn VW Einspruch gegen das Urteil einge­legt und dies – wie gegen­über der Öffent­lich­keit und in anderen Verfahren bisher stets – bestreitet, wird das Gericht Beweis darüber erheben erheben müssen, wie die EA288-Motorsteuerung wirk­lich funk­tioniert.
Ober­landes­gericht Köln, (Versäumnis-)Urteil vom 19.02.2021
Aktenzeichen: 19 U 151/20
Kläger­anwälte: Dr. Sincar & Basun Rechtsanwälte, Düsseldorf

22.02.2021 Der Bundes­gerichts­hof will offen­bar eine Verurteilung von Audi wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung des Käufers eines Audi A6 aufheben und das Ober­landes­gericht Naumburg den Fall neu aufrollen lassen. Das berichtet Rechtsanwalt Claus Goldenstein aus der Verhand­lung heute in Karls­ruhe. Die Richter im fürs Schaden­ersatz­recht zuständigen VI. Senat haben ihr Urteil allerdings noch nicht verkündet. Den Motor und die Motorsteuerung für den Wagen hatte VW geliefert.

Die Äußerungen der Richter in der Verhand­lung ließen erkennen: Ihnen fehlten in den Prozess­akten ausreichende Anhalts­punkte dafür, dass die Verantwort­lichen bei Audi Bescheid wussten. Die Frage hat bisher nur für wenige Fälle Bedeutung. Die allermeisten Klagen wegen des Abgas­skandals richten sich gegen VW als wichtigstem Hersteller von Motoren mit illegaler Motorsteuerung.

Eine weitere für heute anberaumte Verhand­lung hatte der Bundes­gerichts­hof abge­sagt. Dort sollte es darum gehen, ob auch die von VW auf Geheiß des Kraft­fahrt­bundes­amts entwickelte neue Motorsteuerung für Skandal­autos die Abgas­reinigung illegal unter- und ober­halb bestimmter Luft­temperaturen abschaltet und der Konzern deshalb Schaden­ersatz zu zahlen hat. Der Besitzer eines VW Touran 2.0 TDI hatte seine Revision gegen die Abweisung der Schaden­ersatz­klage durchs Ober­landes­gericht Stutt­gart kurz vor der Verhand­lung zurück­genommen. Die Hintergründe sind unklar.

06.02.2021 Das Kraft­fahrt­bundes­amt in Flens­burg bleibt dabei: Auch Daimler hat zahlreiche Autos mit illegaler Motorsteuerung ausgeliefert. Bei Fahrten im normalen Straßenverkehr wird die Abgas­reinigung unzu­lässig reduziert oder abge­schaltet. Die Behörde hatte ange­ordnet, dass Daimler für gut eine halbe Million Autos in Deutsch­land eine neue Motorsteuerung ohne illegale Abschaltung der Abgas­reinigung entwickeln und verbreiten muss. Daimler hatte dagegen jeweils Wider­spruch einge­legt. Diese Wider­sprüche hat die Behörde jetzt über­einstimmenden Medienbe­richten zufolge zurück­gewiesen. Daimler hat ab Zustellung der Wider­spruchs­bescheide einen Monat Zeit, Klage zum Verwaltungs­gericht Schleswig zu erheben.

Einzel­heiten sind – noch jedenfalls – nicht bekannt. Unklar bleibt vor allem, welchen Maßstab das Kraft­fahrt­bundes­amt anlegt, um die Recht­mäßig­keit einer Motorsteuerung zu beur­teilen. Die Beamten in Flens­burg urteilten ursprüng­lich viel weniger streng als zuletzt der Europäische Gerichts­hof. Der gab zur Auslegung der EU-Richt­linien über die Typzulassung von Kraft­fahr­zeugen verbindlich vor: Die Abgas­reinigung darf nur vermindert oder herab­gesetzt werden, wenn dadurch unmittel­bar bevor­stehende Motorschäden oder Unfälle verhindert werden.

Die Hersteller hatten es auch zur Verringerung von Verschleiß und Wartungs­bedarf für zulässig gehalten, die Abgasrück­führung zur Verringerung des Ausstoßes giftiger Stick­oxide in Abhängig­keit von Faktoren wie Luft­temperatur, Drehzahl und Geschwindig­keit variabel zu regeln. Wo genau sie jeweils die Grenzen des Zulässigen sahen, ist nach wie vor weit­gehend unbe­kannt.

Das Kraft­fahrt­bundes­amt hielt es jedenfalls in einem vor gut einem Jahr vorgelegten ausführ­lichen Bericht zur Wirksamkeit von Software-Updates für ausreichend, wenn die von den Herstel­lern entwickelten neuen Motorsteuerungen den Ausstoß von Stick­oxid im normalen Fahr­betrieb gegen­über der ursprüng­lichen Software mehr oder weniger deutlich verringern. Dabei lag der Stick­oxid-Ausstoß, den die Beamten in Flens­burg bei zahlreichen Fahrten mit neuer Motorsteuerung nachgerüsteter Autos maßen, meist immer noch weit über den Grenz­werten, die die Autos bei den Prüf­stand­versuchen im Typzulassungs­verfahren einhalten mussten.

Besitzer von Autos mit illegaler Motorsteuerung müssen mit Sanktionen bis hin zur Still­legung ihres Wagens rechnen. Schaden­ersatz können sie nur verlangen, wenn der Hersteller sie vorsätzlich und sittenwid­rig geschädigt hat. Sittenwid­rig handelten die Auto­hersteller nach der Recht­sprechung des Bundes­gerichts­hofs, wenn sie illegale Mecha­nismen zur Verringerung der Abgas­reinigung im Typzulassungs­verfahren bewusst verschwiegen oder verschleierten, um ihre Autos güns­tiger anbieten und dadurch mehr davon verkaufen zu können.

04.02.2021 Check24 wird BMW-Besitzern gegen­über nicht mehr für Schaden­ersatz­klagen wegen des Abgas­skandals werben. Das Unternehmen verpflichtete sich dem Wett­bewerbs­zentrale e. V. gegen­über, nicht mehr zu behaupten, „immer mehr Gerichte sprechen BMW-Kunden ... eine Entschädigung zu“. Wett­bewerbs­zentrale-Anwalt Dr. Andreas Ottofülling hatte das als unlauteren Wett­bewerb bean­standet. Tatsäch­lich ist BMW soweit bekannt bisher in keinem einzigen Fall wegen des Abgas­skandals rechts­kräftig zu Schaden­ersatz verurteilt worden.

Check24-Sprecherin Dagmar Ginzel sagte auf Nach­frage von test.de, das Unternehmen habe bereits über 10 000 Kunden im Abgas­skandal zu Schadens­ersatz verholfen und sei weiterhin davon über­zeugt, dass es grund­sätzlich richtig und berechtigt war, ausgewählte Kunden auf das Thema anzu­sprechen. Die Werbung habe sich ausschließ­lich an Kunden gerichtet, bei deren Fahr­zeug konkrete Anhalts­punkte für Abgasmanipulation vorlagen – entweder durch Rück­rufe des Kraft­fahrt­bundes­amts oder Mess­ergeb­nisse von Umwelt­organisationen wie der Deutschen Umwelt­hilfe. Nur wegen einzelner Formulierungen in Bezug auf BMW als Hersteller habe sich Check24 zur Unterlassung verpflichtet.

03.02.2021 Das klingt nach Sensation und ganz neuen Erkennt­nissen: „Wenn die Beklagte zu 1 (= Volks­wagen AG, Anm. d. Red.) das Software-Update erneut bewusst mit Manipulations­vorrichtungen (...) versehen hat, fallen die entscheidenden Gesichts­punkte, die in der vom Bundes­gerichts­hof entschiedenen Sach­verhalts­konstellation zur Beseitigung des Sittenwid­rigkeits­vorwurfs geführt haben, weg. Eine Zusammen­arbeit der Beklagten zu 1 mit dem Kraft­fahrt-Bundes­amt ist auf der Grund­lage dieses Sach­verhalts nur zum Schein erfolgt. Das Software-Update hat sie in Wirk­lich­keit nicht entwickelt, um den rechts­widrigen Zustand der Fahr­zeuge zu beseitigen, sondern um ihn durch einen gleichermaßen rechts­widrigen Zustand zu ersetzen, diesen Umstand erneut zu verheimlichen und so zu Unrecht die drohende Still­legung der Fahr­zeuge zu vermeiden. Ihre strategische unternehmerische Entscheidung, im eigenen Kosten- und Gewinn­interesse das Kraft­fahrt-Bundes­amt und letzt­lich die Fahr­zeugkäufer zu täuschen, hat sie nicht aufgegeben, sondern fortgesetzt. Ihre bislang gleichgültige Gesinnung im Hinblick auf etwaige Folgen und Schäden für Käufer ihrer Fahr­zeuge und auf die die Umwelt und Gesundheit der Bevölkerung schützenden Rechts­vorschriften hat sie nicht aufgegeben, sondern beibehalten“, urteilt der 19. Senat des Ober­landes­gericht Hamm zu einem Skoda Rapid Spaceback Ambition 1.6 TDI, den der Kläger erst knapp ein halbes Jahr nach Bekannt­werden des VW-Skandals im September 2015 gebraucht gekauft hatte.

Allerdings: „In diesem Verfahren ist uns ein Fehler unter­laufen. Trotz Nach­frage des Senats haben wir nicht mehr Stellung genommen. Normaler­weise entspricht es ständiger Recht­sprechung des 19. Senats, Ansprüche bei Kauf nach der ad hoc-Mitteilung im September 2015 abzu­lehnen.“, erklärt VW-Sprecher Christopher Hauss das denkwürdige Urteil.

Recht­licher Hintergrund: Zivil­richter ermitteln nicht von sich aus, was geschehen ist. Sie beur­teilen den Fall so, wie die Rechts­anwälte der Parteien ihn vor Gericht darstellen. Das gilt selbst dann, wenn das Gericht aus zahlreichen anderen Verfahren viel mehr über den Fall weiß. Nachdem die VW-Anwälte sich nicht äußerten, musste das Gericht deshalb nach den Regeln in der Zivil­prozess­ordnung davon ausgehen: Der Fall liegt so, wie die Kläger­anwälte ihn dargestellt haben.

Die VW-Anwälte können ihren Fehler auch nicht mehr korrigieren. Das Gericht ließ kein Revision zu und eine Beschwerde dagegen, mit dem VW den Fall trotzdem noch zum Bundes­gerichts­hof hätte bringen können, ist nicht zulässig, weil es um weniger als 20 000 Euro ging.

Wie das Gericht geur­teilt hätte, wenn VW sich nach allen Regeln der Kunst verteidigt hätte, lässt allerdings nicht sagen. Der 19. Senat des Ober­landes­gerichts Hamm hat Klagen von VW-Besitzern, die ihre Wagen erst nach September 2015 erworben haben, bisher regel­mäßig abge­wiesen, so wie es zuletzt auch der Bundes­gerichts­hof bestätigte. Es ist aber unklar, ob die Kläger­anwälte ihre Fälle genau so geschickt dargestellt haben, wie es die Kläger­anwälte jetzt getan haben. Weitere Einzelheiten dazu auf deren Homepage.
Ober­landes­gericht Hamm, Urteil vom 19.01.2021
Aktenzeichen: 19 U 1304/19
Kläger­vertreter: Gunkel, Kunzenbacher & Partner Rechtsanwälte, Bielefeld

02.02.2021 Der Bundes­gerichts­hof hat heute die Begründung zu seinem Thermo­fenster-Beschluss vom 19.01.2021 (siehe unten, 26.01.2021) veröffent­licht. Er lässt deutlicher als die Presseerklärung erkennen, worauf es den höchsten deutschen Richtern im Abgas­skandal ankommt. Soweit Auto­hersteller es im Typzulassungs­verfahren verschleiert haben, dass die Abgas­reinigung entgegen der EU-Richt­linien zum Beispiel von der Luft­temperatur abhängt, deute das auf ein sittenwid­riges Verhalten hin. Laut Kläger­anwälten hatte Daimler nur angegeben: Die Abgasrück­führung zur Senkung des Stick­oxid­anteils im Abgas sei kenn­feld­abhängig. Den unzu­lässigen Einfluss der Luft­temperatur habe Daimler nicht offengelegt.
Bundes­gerichts­hof, Beschluss vom 19.01.2021
Aktenzeichen: VI ZR 433/19
Kläger­vertreter: Von Rueden Rechtsanwälte, Berlin

26.01.2021 Sowohl Daimler als auch Verbraucher­anwälte fühlen sich durch die Entscheidung des Bundes­gerichts­hof zu so genannten „Thermo­fens­tern“ gestern bestätigt. Daimler verbucht für sich: Die von der Luft­temperatur abhängige Reduzierung der Abgas­reinigung allein löst laut Bundes­gerichts­hof keine Pflicht zum Schaden­ersatz aus.

Verbraucher­anwälte wie Dr. Ralf Stoll heben hervor: Auch ohne Rück­ruf vom Kraft­fahrt­bundes­amt ist Schaden­ersatz möglich. Die Gerichte müssen klären, was die Manager der Auto­hersteller sich wohl gedacht haben, als sie Motoren entwickelten, die auf dem Prüf­stand sauber waren und im Straßenverkehr allenfalls sehr selten.

Wie die Auto­hersteller dachten, lässt die Äußerung eines Daimler-Sprechers gestern gut erkennen: „Aus unserer Sicht sind Thermo­fenster tech­nisch notwendig und haben nichts mit einer Täuschungs­aktion zu tun“, erklärte er den Medien gestern. Hintergrund: Laut EU-Verordnung darf die Abgas­reinigung abge­schaltet werden, um Motorschäden zu verhindern. Für die Ingenieure ist erhöhter Verschleiß die Vorstufe zu einem Motorschaden. Da die Abgas­reinigung häufig zu erhöhtem Verschleiß führt, haben sie sie häufig reduziert oder abge­schaltet.

Die EU-Rege­lungen sagen allerdings: Unter normalen Bedingungen müssen die Motoren sauber sein. Nur in Extremsituationen darf die Abgas­reinigung abge­schaltet werden, um einen unmittel­bar bevor­stehenden Motorschaden zu verhindern. So hat es inzwischen der Europäische Gerichts­hof entschieden und hält seine Auslegung der Rege­lungen für eindeutig.

Daimler und die übrigen Auto­hersteller müssen die Gerichte jetzt davon über­zeugen, dass sie sich trotzdem für berechtigt halten durften, die Abgas­reinigung viel häufiger abzu­schalten als das tatsäch­lich zulässig ist.

Ob und für welche Motorsteuerungen das gelingt, ist nicht absehbar. Allerdings: Soweit eine Motorsteuerung die Abgas­reinigung unter normalen Bedingungen häufiger reduziert oder abschaltet, als sie in Betrieb ist, erscheint ausgeschlossen, dass Auto­hersteller das ernst­haft für legal halten durften. Dabei kommt es nicht nur auf in offen­bar allen nach den Normen EU4 bis EU6 zugelassenen Diesel­motoren enthaltene Thermo­fenster, sondern die Motorsteuerung insgesamt an.

Daimler und anderen Auto­herstel­lern hätte helfen können, dass das Kraft­fahrt­bundes­amt Motorsteuerungen offen­bar auch viel groß­zügiger beur­teilt hat als das nach den Ansagen des Europäischen Gerichts­hofs zulässig war. Wenn die Beamten dort etwas ausdrück­lich für zulässig halten, kann das nicht sittenwid­rig sein. Dazu allerdings hätten die Auto­hersteller den Beamten genau erklären müssen, wie ihre Motorsteuerung funk­tioniert. Das hat soweit bekannt keiner getan, sondern Einzel­heiten als Betriebs­geheimnis für sich behalten. Die Behörde erfuhr, bis der Abgas­skandal ruch­bar wurde, offen­bar kaum mehr als die Mess­werte aus den für den normalen Fahr­betrieb wenig aussagekräftigen Prüf­stands­versuchen zur Ermitt­lung des Schad­stoff­ausstoßes.

26.01.2021 Klare Ansage vom Bundes­gerichts­hof: Auch wegen vom Kraft­fahrt­bundes­amt nicht bean­standeter Autos können Besitzer Anspruch auf Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung haben. Wenn Auto­besitzer behaupten, dass der Hersteller die Behörde bewusst nicht korrekt über die Motorsteuerung und darin enthaltene illegale Mecha­nismen informiert hat, müssen die Gerichte dem nachgehen.

Voraus­setzung für die Verurteilung laut Bundes­gerichts­hof: Die Mitarbeiter des Auto­herstel­lers handelten in dem Bewusst­sein, eine unzu­lässige Abschalt­einrichtung zu verwenden, und nahmen den darin liegenden Gesetzes­verstoß billigend in Kauf. Das Land­gericht und das Ober­landes­gericht Köln hatten die Klage des Besitzers eines Mercedes 220 CDI von 2012 abge­wiesen, weil es keine Anhalts­punkte für eine Schädigung durch Daimler gebe. Das Ober­landes­gericht muss den Fall jetzt neu aufrollen. Weitere Einzel­heiten zum Verfahren in der Pressemitteilung des Bundesgerichtshof.

Daimler hatte sogar für vom Kraft­fahrt­bundes­amt zurück­gerufene Autos stets behauptet: Die Motorsteuerung ist legal. Der Konzern ist gegen die Behörde vors Verwaltungs­gericht gezogen. Für die Zivilklage auf Schaden­ersatz gilt: Die Beweislast dafür, dass Daimler sittenwid­rig handelte, hat der Kläger. Soweit aber nach den strengen Vorgaben des Europäischen Gerichts­hofs (siehe unten, 17.12.2020 und 18.12.2020) fest­steht, dass die Motorsteuerung eine illegale Abschaltung der Abgas­reinigung enthält, ist Daimler aber in der Pflicht über­zeugend zu erklären, wieso das Unternehmen das seiner­zeit für legal halten durfte.
Bundes­gerichts­hof
, Beschluss vom 19.01.2021
Aktenzeichen: VI ZR 433/19
Kläger­vertreter: Von Rueden Rechtsanwälte, Berlin

22.01.2021 Das Land­gericht Münster hat beschlossen, einen Sach­verständigen damit zu beauftragen, einen Mercedes Benz C 220 BC Avantgarde mit einem Turbodiesel-Motor vom OM 651 zu unter­suchen. Der Sach­verständige soll klären, ob die Motorsteuerung die Abgas­reinigung regel­mäßig dann abschaltet, wenn der Wagen jenseits der Bedingungen der Prüf­stand­versuche im Straßenverkehr unterwegs ist. Ausführ­licher Hinweis von Richter Dr. Oliver Laubinger zu seinem Beschluss: Wie die Mecha­nismen zur Regelung der Abgas­reinigung genau funk­tionieren und ob es sich wie bei den EA189-Motoren von VW um eine regelrechte Prüf­stands­erkennung handelt, spielt angesichts der Ansagen des Europäischen Gerichts­hof zum Abgas­skandal keine Rolle. Wenn im Ergebnis die Abgas­reinigung praktisch nur auf dem Prüf­stand korrekt funk­tioniert, dann sei das illegal und sei auch regel­mäßig davon auszugehen, dass der Hersteller dies absicht­lich so gestaltet habe, um sich Wett­bewerbs­vorteile zu verschaffen und er Kunden dadurch sittenwid­rig geschädigt. Ausnahme allerdings: Soweit das Kraft­fahrt­bundes­amt den betroffenen Mecha­nismus ausdrück­lich gebil­ligt hat, handele der Hersteller nicht sittenwid­rig.
Noch interes­sant: Der Kläger oder vielmehr seine Rechts­schutz­versicherung muss nach dem Gerichts­beschluss 30 000 Euro und Daimler 20 000 Euro Vorschuss auf das Honorar des Sach­verständigen einzahlen. Begründung des Richters: Der Kläger müsse die Voraus­setzungen für Schaden­ersatz und Daimler die Zulässig­keit von Abschalt­einrichtungen in der Motorsteuerung nach­weisen. Es sei deshalb gerecht, wenn beide gemein­sam das Sach­verständigen­gut­achten vorfinanzieren.
Land­gericht Münster, (Hinweis- und Beweis-)Beschluss vom 18.12.2020
Aktenzeichen: 011 O 45/20
Kläger­vertreter: Gunkel, Kunzenbacher & Partner Rechtsanwälte, Bielefeld

21.01.2021 Auch wegen eines nicht vom Kraft­fahrt­bundes­amt bean­standeten VW Touareg 3.0 TDI von 2009 muss VW Schaden­ersatz zahlen, urteilte das Land­gericht Köln. Andere Autos mit Motoren des gleichen Typs hatte das Kraft­fahrt­bundes­amt bean­standet. Im Prozess hatte VW nicht bestritten, dass der umstrittene Wagen eine vergleich­bare Motorsteuerung hat. Ob und welche Unterschiede es gibt, blieb offen. Unter diesen Umständen gDr. Sincar & Basun Rechtsanwaltskanzlei, Düsseldorfg schaltet die Abgas­reinigung illegal ab und sei VW eine vorsätzliche und sittenwid­rige Schädigung vorzuwerfen.
Land­gericht Köln, Urteil vom 14.01.2021
Aktenzeichen: 14 O 411/19 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: Dr. Sincar & BDr. Sincar & Basun Rechtsanwaltskanzlei, Düsseldorf

06.01.2021 Neue Muster­fest­stellungs­klage gegen VW: Die Verbraucherzentrale Südtirol will fest­gestellt wissen, dass VW auch für in Italien erworbene Autos mit illegaler Motorsteuerung Schaden­ersatz zahlen muss. Die italienischen Verbraucherschützer haben die Klage erhoben, nachdem die Einigung über eine Entschädigung für die Teilnehmer an der Muster­fest­stellungs­klage des Verbraucherzentrale Bundes­verbands nur in Deutsch­land erworbene Autos erfasste. Einzelheiten zur Klage sind auf der Homepage der Verbraucherzentrale Südtirol nachzulesen. Die amtlichen Informationen zur Musterfeststellungsklage finden sich im Klageregister des Bundesamts für Justiz.

22.12.2020 Spektakuläres Urteil des Ober­landes­gerichts Köln: VW hat auch den Käufer eines bereits mit der auf Anordnung des Kraft­fahrt­bundes­amts neu entwickelten Motorsteuerung versehenen Euro 5-VW Tiguan vorsätzlich und sittenwid­rig geschädigt. Der Bundes­gerichts­hof hatte geur­teilt: Nach Bekannt­werden des Skandals handelte VW nicht mehr sittenwid­rig. Dabei ging der Bundes­gerichts­hof allerdings davon aus, dass VW auf Geheiß des Kraft­fahrt­bundes­amts eine legale Motorsteuerung entwickelt und installiert habe. Der Kläger beim Ober­landes­gericht Köln trug jedoch vor: Auch die neue Motorsteuerung enthalte eine illegale Abschaltung der Abgas­reinigung, wenn die Luft­temperatur - so wie hier­zulande häufig - unter 10 Grad Celsius lag. Außerdem habe VW das System zur Onboard-Diagnose (OBD) so manipuliert, dass es die Abschaltung der Abgas­reinigung nicht als Fehler speicherte und nicht die dafür vorgesehene Warn­lampe im Tacho akti­vierte. Im September 2020 habe das Kraft­fahrt­bundes­amt VWs vom Typ Eos wegen dieser illegaler Mecha­nismen in der neu entwickelten Motorsteuerung erneut zurück­gerufen. VW hatte sich zu den Vorwürfen nicht geäußert, obwohl das Gericht den Anwälten des Konzerns dafür eigens Zeit gegeben hatte.
Das Gericht ging deshalb davon aus: Die neue Motorsteuerung enthält tatsäch­lich wie vom Kläger vorgetragen mindestens eine illegale Abschalt­einrichtung und sei zudem das Diagnose­system so manipuliert, dass Besitzer des Wagens die unzu­reichende Abgas­reinigung nicht erkennen können. Das sei VW auch bewusst gewesen und sei dem Konzern deshalb weiterhin vorsätzliches und sittenwid­riges Verhalten vorzuwerfen.
Das Gericht ließ die Revision zum Bundes­gerichts­hof zu. Weitere Einzel­heiten zum Urteil in der Pressemitteilung von Rechtsanwälten Rogert & Ulrich.
Ober­landes­gericht Köln, Urteil vom 18.12.2020
Aktenzeichen: 20 U 288/19
Kläger­vertreter: Rechts­anwälte Rogert & Ulbrich, Düssel­dorf

18.12.2020 Nach Verkündung des Urteils des Europäischen Gerichts­hof gestern besonders brisant: Ein vom Land­gericht Stutt­gart in einem Rechts­streit um einen 2013 erst­mals zugelassenen Mercedes E 250 CDI einge­schalteter Software-Gutachter kommt zum Ergebnis, dass die Motorsteuerung des Wagens die Abgas­reinigung gezielt verbessert, wenn er unter Prüf­stands­bedingungen unterwegs ist.
So beschreibt Dr. Markus Heitz von der 43IT GmbH in Stutt­gart den Mecha­nismus: Zunächst liegt die Kühl­mittel­soll­temperatur bei 70 Grad. Bei so geringer Temperatur entsteht weniger Stick­oxid. Sobald Drehzahl und Luft­strom im Ansaugtrakt für fünf Sekunden über denen liegen, die für die Prüf­stand­versuche zur Ermitt­lung des Schad­stoff­ausstoßes für die Typzulassung vorgeschrieben ist, schaltet der Motor die Kühl­mittel­soll­temperatur auf 100 Grad. Der Motor funk­tioniert dann effizienter und mit geringerem Verschleiß - und stößt mehr Stick­oxid aus.
Gleich­zeitig bleibe bei einer Kühl­mittel­soll­temperatur von 70 Grad die Jalousie vor dem Kühler durch­gängig geöffnet. Das verbessert die Kühlung. Neben­effekt: Der Luft­widerstand des Wagens und damit auch Sprit­verbrauch und Kohlen­dioxid­ausstoß sinken.
Danach erscheint die Motorsteuerung gemessen an den Ansagen des Europäischen Gerichts­hofs von gestern als eindeutig illegal. Rechtsanwalt Thorsten Krause von der KAP Rechtsanwaltsgesellschaft glaubt: Nach dem Gutachten werden die Gerichte nicht daran vorbeikommen, Daimler wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung zu verurteilen.
Daimler allerdings hält das Gutachten für fehler­haft. Es stelle Zusammenhänge falsch dar und komme zu nicht zutreffenden Schluss­folgerungen, erklärte Daimler-Sprecher Johannes Leifert test.de gegen­über. So habe der Wagen, um den vor dem Land­gericht Stutt­gart gestritten werde, über­haupt keine Kühlerjalousie. Nach seiner Darstellung werde die Kühl­mittel­soll­temperatur nicht schon bei Leistungs­anforderungen wie im Prüf­stand, sondern erst bei erheblich mehr Drehzahl erhöht. Die tatsäch­liche Schwelle stehen in keiner Verbindung zum amtlichen Prüf­zyklus.
Er räumte ein: Auch das Kraft­fahrt­bundes­amt hat die Kühl­mittel­temperatur­regelung in diesem und rund 100 000 weiteren Mercedes-Modellen bean­standet und eine Änderung der Motorsteuerung erzwungen. Dagegen habe Daimler Wider­spruch einge­legt. Das Unternehmen halte die Kühl­mittel­temperatursoll­regelung nach wie vor für zulässig.

17.12.2020 Die erwartet klare Ansage vom Europäischen Gerichts­hof: Es ist egal, ob es um Soft- oder Hard­ware geht, die Abgas­reinigung für Prüf­standbedingungen verbessert oder umge­kehrt für Fahrten jenseits des Prüf­stands verringert wird, es handelt sich um eine Abschalt­einrichtung. Sie ist nur gerecht­fertigt, wenn sie unmittel­bar bevor­stehende Schäden verhindern soll. So wie über Jahre hinweg branchenweit üblich die Abgas­reinigung zur Verringerung von Verschleiß oder Wartungs­aufwand zum Teil mit ausdrück­licher Billigung des Kraft­fahrt­bundes­amtes zu reduzieren, ist stets eine illegale Abschaltung der Abgas­reinigung.
Europäischer Gerichts­hof, Urteil vom 17.12.2020
Aktenzeichen: C-693/18
Pressemitteilung des Gerichts zum Urteil

Die Rechts­experten bei test.de meinen: Das Urteil ist streng. Nach seinem Maßstab erscheinen alle Mecha­nismen als rechts­widrig, nach denen die Abgasrück­führung oder die Einsprit­zung von Adblue-Zusatz zum Abbau von Stick­oxid im Abgas mit Rück­sicht auf Leistung, Sprit­verbrauch, Verschleiß und Wartung verringert wird. Das beträfe wohl sogar auch die von VW nach Bekannt­werden des Abgas­skandals neu entwickelte Motorsteuerung, die die Abgasrück­führung offen­bar zum Beispiel auch abhängig von der Luft­temperatur reduziert.
Ganz anders wertet das Bundes­verkehrs­ministerium die Ansagen aus Luxemburg: „Die Auslegung des EuGH entspricht der deutschen Rechts­auffassung. Sie bestätigt die bisherige Anwendung der europäischen Vorschriften durch das KBA und das Vorgehen der Unter­suchungs­kommis­sion Volks­wagen“, erklärte Ministeriums­sprecherin Julie Heinl auf Anfrage von test.de zur Über­raschung unserer Juristen wörtlich.

15.12.2020 Heute hat der Bundes­gerichts­hof mitgeteilt: Am kommenden Donners­tag, 17. Dezember 2020, um 14.30 Uhr wird der das Verjährungs­urteil zur Verhand­lung gestern (s. u. , 14.12.2020) verkünden.

14.12.2020 Noch kein höchst­richterliches Urteil zur Verjährung von Schaden­ersatz­forderungen im VW-Skandal. Der Bundes­gerichts­hof hat heute über eine erst 2019 erhobene Klage verhandelt, will aber das Urteil erst später verkünden. Anwälte, die die Verhand­lung beob­achtet hatten, berichteten aber: Die Richter sehen den Verjährungs­beginn regel­mäßig bereits Ende 2015, so dass viele Schaden­ersatz­forderungen am 1. Januar 2019 bereits verjährt waren. Es bleibe aber der so genannte Rest­schaden­ersatz­anspruch. Wegen der Einzel­heiten bleibt abzu­warten, wie der Bundes­gerichts­hof urteilt und seine Entscheidung begründet.
Das Verfahren um den Schaden­ersatz wegen eines Mercedes endete erneut unter unklaren Umständen. Der Bundes­gerichts­hof hatte mitgeteilt, dass der vor dem Ober­landes­gericht unterlegene Kläger die Revision zurück­genommen hat, so dass die Abweisung seiner Klage jetzt rechts­kräftig ist. So war bereits der erste Anlauf des Bundes­gerichts­hofs gescheitert, sich mit Forderungen auf Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung gegen Daimler zu befassen. Auch in diesem Fall hatte der Kläger seine Klage zurück­genommen, ohne dafür Gründe zu nennen.
Unterdessen hat der Gesamt­verband der Versicherungs­wirt­schaft (GDV) Zahlen zum VW-Skandal genannt. Der Streit­wert aller Klagen summiere sich inzwischen auf über sieben Milliarden Euro. Bis Ende Oktober nahmen über 290 000 Kunden im Streit mit Auto­herstel­lern wegen mutmaß­lich manipulierter Abgas­werte ihre Rechts­schutz­versicherung in Anspruch. Die Versicherer wendeten bislang 805,6 Millionen Euro für Anwalts-, Gerichts- und Gutachter­kosten auf, berichtete der GDV. „Wir rechnen damit, dass in den nächsten Monaten noch weitere Fälle dazu kommen werden, denn mitt­lerweile werden auch zahlreiche Verfahren gegen andere Hersteller geführt“, sagte GDV-Haupt­geschäfts­führer Jörg Asmussen. Seit der Zählung im Oktober 2019 sind damit inner­halb eines Jahres rund 86 000 Rechts­schutz­fälle und weitere Ausgaben von 257 Millionen Euro hinzugekommen. Der durch­schnitt­liche Streit­wert pro Dieselfall liegt bei rund 24 000 Euro. Insgesamt bearbeiten die Rechts­schutz­versicherer jähr­lich über vier Millionen Fälle und leisten dafür rund drei Milliarden Euro.

01.12.2020 Das ARD-Magazin Report berichtet heute Abend in der Sendung ab 21.45 Uhr: Bei Messungen der Schad­stoffe im Abgas eines Golf VII mit EA288-Diesel­motor hat ein Ingenieur neue Belege für illegale Mecha­nismen in der Motorsteuerung gefunden. Die Abgas­reinigung werde bei Luft­temperaturen unter­halb bestimmter Werte verringert. VW und Kraft­fahrt­bundes­amt beteuerten stets: Bei EA288-Motoren gebe es keine illegale Abschaltung der Abgas­reinigung. Weitere Einzelheiten in der Pressemitteilung des Senders.

24.11.2020 Die erste Runde im Streit um Staats­haftungs­ansprüche wegen mangelhafter Über­prüfung der Abgas­reinigung geht an die Behörden. Das Land­gericht Frank­furt am Main wies vier Staats­haftungs­klagen ab. Die Bundes­republik Deutsch­land habe die EU-Vorgaben für Zulassungs­regeln korrekt in deutsches Recht umge­setzt, heißt in der Presse­mitteilung zu den Urteilen zunächst. Auch seien die Sanktionen bei Verstoß gegen die Regeln ausreichend. Für völlig schuldlos am Skandal halten die Richter die Behörden allerdings nicht. Wörtlich heißt es in den Urteils­begründungen: „Dass das Kraft­fahr­zeug­bundes­amt offen­bar den Herstel­ler­angaben zu Laufstand­messungen vertraute, ist nicht so verwerf­lich, dass darin der für die Staats­haftung erforderliche qualifizierte Verstoß zu sehen ist. Dass der namhafte Hersteller des Fahr­zeugs, an dessen Konzern­mutter das Land Nieder­sachsen aktienrecht­lich erheblich beteiligt ist, Messungen mithilfe der Abschalt­einrichtung manipulierte, war bis Herbst 2015 wohl eher als abwegig anzu­sehen.“ Weitere Einzel­heiten in der Pressemitteilung des Gerichts.
Die voll­ständigen Urteils­begründungen liegen noch nicht vor. test.de vermutet, dass es den Klägern nicht gelang, ausreichend belast­bare Hinweise dafür zu liefern, dass die Beamten im für die Typzulassung zuständigen Kraft­fahrt­bundes­amt (KBA) in Flens­burg genügend Anhalts­punkte für den Verdacht auf illegale Mecha­nismen in der Motorsteuerung hatten, um von sich aus zu ermitteln und so den Skandal früher aufzudecken. „Die Beamten schauten systematisch weg“, hatte der Spiegel im Jahr 2017 berichtet. Sowohl die Deutsche Umwelt­hilfe (DUH) als auch das Umwelt­bundes­amt hätten die Behörden Jahre vor Bekannt­werden des VW-Skandals darauf hingewiesen, dass viele Diesel­motoren bei Fahrten im Straßenverkehr viel mehr Stick­oxid ausstoßen als bei den für die Typzulassung entscheidenden Prüf­stand­versuchen. Die DUH legte bereits im Jahr 2011 Mess­ergeb­nisse vor, die einen über­höhten Schad­stoff­ausstoß von VW-Diesel­motoren belegen.

18.11.2020 Der Bundes­gerichts­hof will im Februar darüber entscheiden, ob VW auch wegen der nach Bekannt­werden neu entwickelten Motorsteuerung Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung zahlen muss. Die meisten Juristen glauben: Auch die neu entwickelte Motorsteuerung ist rechts­widrig, weil die Abgas­reinigung bei einer Luft­temperatur unter­halb von fünf Grad Celsius nicht so funk­tioniert wie bei den Prüf­stand­versuchen zur Ermitt­lung des Schad­stoff­ausstoßes. Derartige Temperatur­fenster seien illegale Abschalt­einrichtungen. So sieht es auch Eleanor Sharps­ton, die General­anwältin beim Europäischen Gerichts­hof (s. u., 30.04.2020).
Allerdings: Das Kraft­fahrt­bundes­amt in Flens­burg hat die nach dem Skandal neu entwickelte Motorsteuerung gebil­ligt und hält sie für legal. Das schließe eine vorsätzliche sittenwid­rige Schädigung von Auto­käufern durch VW auch dann aus, wenn sich die Genehmigung der Motorsteuerung als rechts­widrig erweisen sollte, urteilten die Ober­landes­gerichte Stutt­gart und Celle in den beiden Fällen, über die der Bundes­gerichts­hof am Dienstag, 23. Februar, verhandelt. Weitere Einzel­heiten zu den Fällen in der Ankündigung der Verhandlungen beim Bundesgerichtshof.

12.11.2020 Schlappe für Daimler vor dem Ober­landes­gericht Köln: Der Hersteller muss den Besitzer eines Wohn­mobils vom Typ Mercedes Benz 250 Marco Polo entschädigen. Er hatte den nach der Norm Euro 6 zugelassenen Wagen 2017 erhalten. Es liege wie bei VW eine vorsätzliche sittenwid­rige Schädigung vor, urteilten die Kölner Richter. Das Kraft­fahrt­bundes­amt in Flens­burg hatte die Motorsteuerung wegen verschiedener Mecha­nismen zur Verringerung der Abgas­reinigung als illegal bean­standet und es sei davon auszugehen, dass der Hersteller sie bewusst und gewollt einge­setzt und Käufer der Autos damit sittenwid­rig geschädigt habe, begründeten die Richter ihr Urteil. Die Daimler-Anwälte hatten argumentiert: Der Bescheid aus Flens­burg sei rechts­widrig. Das Unternehmen habe Wider­spruch einge­legt. Die Motorsteuerung sei nicht zu bean­standen. Allerdings: Daimler legte nur eine mit umfang­reichen Schwär­zungen versehene Version des Bescheids ohne Anlagen vor und berief sich auf Betriebs­geheim­nisse. Das reiche nicht, um die Vorwürfe zu entkräften, erklärten die Richter in Köln zur Begründung ihres Urteils. Weitere Einzel­heiten und Hintergründe zum Fall im Bericht auf der Homepage der Rechtsanwälte.
Ober­landes­gericht Köln, Urteil vom 05.11.2020
Aktenzeichen: 7 U 35/20 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwälte, Lahr

Rechtsanwalt Dr. Ralf Stoll hofft nach dem Erfolg seiner Kanzlei in Köln, dass auch der Bundes­gerichts­hof in Karls­ruhe Daimler in der Pflicht sieht, Mercedes-Käufer zu entschädigen. Der verhandelt am Montag, 14. Dezember 2020, über die Klage eines Auto­käufers auf Schaden­ersatz. Es handelt sich allerdings um einen älteren nach Euro 5 zugelassenen Wagen, für den das Kraft­fahrt­bundes­amt keinen Rück­ruf ange­ordnet hat.

30.09.2020 Erst­mals hat das nur wenige Kilo­meter von der VW-Konzern­zentrale entfernte Ober­landes­gerichts Braun­schweig VW gestern zu Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung verurteilt. Das berichtet Rechtsanwalt Claus Goldenstein.“Das ist ein symbolträchtiges Urteil. Der Diesel­skandal holt Volks­wagen nach fünf Jahren endlich auch zu Hause juristisch ein. Das macht den Weg frei für Verbraucherklagen aus ganz Europa”, kommentiert er das Urteil.
Das Urteil ist bereits rechts­kräftig. Das Ober­landes­gericht sah nach den bisherigen Grund­satz­urteilen des Bundes­gerichts­hof keinen grund­sätzlichen Klärungs­bedarf mehr und ließen die Revision nicht zu. Eine Nicht­zulassungs­beschwerde ist nicht zulässig, da es um einen bereits 2009 gebauten VW Passat ging und das Urteil VW daher weniger als 20 000 Euro kostet.
Bis zum Grund­satz­urteil des Bundes­gerichts­hofs im Mai 2020 hatten die Gerichte in Braun­schweig Abgas­skandal-Klagen gegen VW regel­mäßig abge­wiesen. Golden­stein vermutet: Grund dafür könnte auch die Furcht vor einer Prozesslawine gewesen sein.
Ober­landes­gericht Braun­schweig, Urteil vom 29.09.2020
Aktenzeichen: 7 U 337/18
Kläger­vertreter: Goldenstein & Partner Rechtsanwälte, Potsdam

25.09.2020 Richter, die selbst ein Skandal­auto fahren und darüber nach­denken, ob sie vom Hersteller Schaden­ersatz fordern, sind in Abgas­skandal­streitig­keiten befangen. Das hat der Bundes­gerichts­hof entschieden. Es ging um Johannes Gode, Vorsitzender Richter am Ober­landes­gericht Düssel­dorf. Bei seinem dritten Zivil­senat landete die Berufung eines Mercedes-Besitzers gegen ein Urteil des Land­gerichts Duisburg, wonach ihm kein Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Steuerung zusteht. Gode selbst fährt ebenfalls einen Mercedes mit Diesel­motor, für den das Kraft­fahrt­bundes­amt die Installation einer neuen Motorsteuerung ange­ordnet hat. Er denkt darüber nach, Daimler als Hersteller ebenfalls auf Schaden­ersatz zu verklagen und lässt sich von einem Vertrags­anwalt des ADAC beraten. Als das Verfahren bei seinem Senat landete, zeigte er das als möglichen Befangen­heits­grund selbst an. Seine Kollegen entschieden: Gode ist nicht befangen.
Doch der Bundes­gerichts­hof kassierte die Entscheidung auf die Beschwerde von Daimler hin. Gode ist doch befangen, meinen die Bundes­richter in Karls­ruhe. Das Ober­landes­gericht muss über die Mercedes-Klage jetzt ohne ihn entscheiden. Es komme nicht darauf an, ob ein Richter tatsäch­lich voreinge­nommen ist. Befangenheit liegt schon vor, wenn aus Sicht der Parteien die Besorgnis besteht, er könne wegen eigener Betroffenheit nicht voll­kommen unparteiisch sein.
Sobald ein Richter ernst­haft in Betracht zieht, wegen einer dem zu entscheidenden Fall gleich gelagerten Sache Schaden­ersatz zu fordern, liege die Vermutung nahe: Eigene Interessen beein­flussen das Verfahren. test.de kommentiert: Im Umkehr­schluss folgt daraus: Der bloße Besitz eines Autos mit illegaler Motorsteuerung führt nicht zur Befangenheit. Vorteil also für die Auto­industrie: Sie kann Richter, die selbst Schaden­ersatz fordern, als befangen ablehnen. Abgas­skandal­opfer dagegen müssen es sich gefallen lassen, wenn über ihre Klage Richter entscheiden, die selbst in der gleichen Situation wie der Kläger keinen Schaden­ersatz fordern.
Sowohl VW als auch Daimler haben bereits mehrere verbraucherfreundliche Richter mit Befangen­heits­anträgen aus Abgas­skandal­verfahren heraus­gedrängt. Demgegen­über kennt test.de keinen einzigen Fall, in dem ein industriefreundlicher Richter für befangen erklärt worden ist. Informationen zu weiteren Fällen auf der Homepage von Stoll & Sauer Rechtsanwälte.
Bundes­gerichts­hof, Beschluss vom 28.07.2020
Aktenzeichen: VI ZB 95/19
Kläger­vertreter: Rechtsanwälte Steinebach & Kollegen, Oberhausen

23.09.2020 Erst­mals hat ein Ober­landes­gericht Daimler zu Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung verurteilt. Es ging um einen Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4Matic von 2013, den der Kläger im September 2014 gebraucht in einer Nieder­lassung der Daimler AG erworben hatte. Es war mit einem Motor des Typs OM651, Schad­stoff­klasse Euro 5, ausgestattet. Das Kraft­fahrt­bundes­amt hat 2019 ange­ordnet, dass Daimler eine neue Motorsteuerung entwickeln muss. Springender Punkt in dem Verfahren: Unter Bedingungen, wie sie bei den Prüf­stand­versuchen für die Ermitt­lung des Schad­stoff­ausstoßes für die Typzulassung herr­schen, bleibt die Kühl­mittel­temperatur gering. Dadurch erwärmt sich das Motoröl lang­sam und sorgt die Abgas­reinigung für einen Stick­oxid-Ausstoß unter­halb der damals gültigen Grenz­werte. Im Fahr­betrieb dagegen heizt sich das Kühl­mittel schneller auf und stoßen Motoren mit dieser Kühl­mittel-Soll­temperatur-Regelung meist erheblich mehr giftiges Stick­oxid aus. Daimler hatte das bestritten. Es gebe keine Prüf­stands­erkennung. Das Gericht war der Meinung: Daimler habe nicht über­zeugend erklärt, wieso die Motorsteuerung aus Sicht des Unter­nehmens legal war oder zumindest, warum es sie für legal halten durfte. Der Konzern hatte ein Schreiben des Kraft­fahrt­bundes­amt unter Berufung auf Betriebs­geheim­nisse gar nicht und ein weiteres nur mit Schwär­zung wesentlicher Passagen vorgelegt. Es sei daher davon auszugehen, dass die Kühl­mittel-Soll­temperatur-Regelung eine illegale Abschaltung der Abgas­reinigung darstelle.
Allerdings: Das ausführ­lich und sorgfältig begründete Urteil ist direkt nur auf gut 50 000 Autos über­trag­bar. Das Gericht lässt in der Urteils­begründung erkennen, dass für Autos mit verschiedenen anderen Varianten der Daimler-Motorsteuerung mit Kühl­mittel-Soll­temperatur-Regelung, die das Kraft­fahrt­bundes­amt wegen der Einhaltung der Schad­stoff­grenz­werte auch bei höheren Kühl­mittel­temperaturen ausdrück­lich als legal beur­teilt hatte, anders zu entscheiden sein dürfte.
Ober­landes­gericht Naumburg, Urteil vom 18.09.2020
Aktenzeichen: 8 U 8/20 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: Von Rüden Partnerschaft von Rechtsanwälten, Berlin

22.09.2020 Heute vor genau fünf Jahren erklärte VW: „Volks­wagen treibt die Aufklärung von Unregelmäßig­keiten einer verwendeten Software bei Diesel-Motoren mit Hoch­druck voran. (...) Volks­wagen duldet keinerlei Gesetzes­verstöße. Oberstes Ziel des Vorstands bleibt es, verloren gegangenes Vertrauen zurück­zugewinnen und Schaden von unseren Kunden abzu­wenden.“
Unterdessen ist die juristische Aufarbeitung des Skandals immer noch nicht abge­schlossen. Gerade kamen zwei Verwaltungs­gerichte entgegen der Ansicht des Kraft­fahrt­bundes­amts zum Ergebnis: Autos mit illegaler Motorsteuerung hätten sofort aus dem Verkehr gezogen werden müssen.
Es ging jeweils um Autos der Marke Skoda. Deren Typgenehmigung hatte die britische Vehicle Certification Agency erteilt. Anders als das für VW zuständige deutsche Kraft­fahrt­bundes­amt hat die britische Behörde keinen Rück­ruf ange­ordnet und auch nicht die Genehmigung geändert.
Vor beiden Verwaltungs­gerichten forderten Skoda-Besitzer per Eil-Verfahren eine neue Tüv-Plakette. Die verweigerten ihnen die Prüfer, weil sie die von VW neu entwickelte Motorsteuerung nicht hatten installieren lassen. Auch bei den Verwaltungs­richtern blitzten sie ab. Begründung der Verwaltungs­richter in Mainz: Die illegale Abschaltung der Abgas­reinigung sei unabhängig von der Typgenehmigung ein Mangel. Es dürfe deshalb keine Prüfplakette erteilt werden.
Verwaltungs­gericht Mainz, Beschluss vom 10.09.2020
Aktenzeichen: 3 L 513/20MZ (nicht rechts­kräftig)

Zum gleichen Ergebnis kommt das Schleswig-Holsteinische Verwaltungs­gericht – mit jedoch ganz anderer Begründung: Die britische Typgenehmigung sei grund­sätzlich weiter wirk­sam und legalisiere eigentlich den Betrieb des Skoda Yeti, um dessen Prüfplakette es in Schleswig ging. Allerdings wusste die Typzulassungs­behörde nichts von der illegalen Abschaltung der Abgas­reinigung. Die Typzulassung erfasse sie daher nicht und erscheine sie wiederum als erheblicher Mangel, der die Erteilung einer Tüv-Plakette ausschließe.
Schleswig-Holsteinisches Verwaltungs­gericht, Beschluss vom 07.09.2020
Aktenzeichen: 3 B 92/20 (nicht rechts­kräftig)

Im Streit um die Still­legung von nicht nachgerüsteten Skandal­autos hatten die Verwaltungs­gerichte bisher einhellig die Auffassung des Kraft­fahrt­bundes­amts bestätigt: Die Typgenehmigung blieb danach trotz der illegalen Abschaltung der Abgas­reinigung wirk­sam. Erst durch die Änderung des Bescheids wurden die Skandal­autos illegal und blieben es, wenn die Besitzer nicht die von VW entwickelte neue Motorsteuerung installieren ließen.

Außerdem interes­sant am Skandal­jahres­tag: Soweit bekannt erst­mals urteilte ein Gericht über Hemmung der Verjährung durch die Anmeldung von Rechten zur Muster­fest­stellungs­klage: Die Verjährung stoppte mit der Erhebung der Klage am 1. November 2018 durch den Verbraucherzentrale Bundes­verband (vzbv) und nicht erst mit der Anmeldung der Rechte, entschied das Land­gericht Limburg. So legt es der Gesetzes­wort­laut nahe und so hatten es praktisch alle Rechts­wissenschaftler gesehen. Die VW-Anwälte waren allerdings anderer Meinung.
Land­gericht Limburg an der Lahn, Urteil vom 08.09.2020
Aktenzeichen: 2 O 284/19 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: Wietbrok Rechtsanwälte, Hamburg

Noch ein verbraucherfreundliches Urteil zur Verjährung: Das Land­gericht Stutt­gart hielt die Schaden­ersatz­forderung eines Tiguan-Besitzers für noch nicht verjährt, obwohl er erst im Jahr 2020 Klage erhoben und nicht an der Muster­fest­stellungs­klage teil­genommen hatte. Der Verjährung begann nach Auffassung von Vorsitzendem Richter am Land­gericht Andreas Patschke erst, als der Kläger im Jahre 2017 erfuhr, dass die Behörden seinen Wagen stillegen und er keinen neuen Tüv bekommt, wenn der Kläger nicht die von VW auf Geheiß des Kraft­fahrt­bundes­amts neu entwickelte Motorsteuerung („Update“) installieren lässt. VW habe nicht dargelegt, dass der Kläger bereits vorher von allen wesentlichen Umständen erfuhr oder hätte erfahren müssen. Die Sittenwid­rigkeit beruhe nicht allein auf dem 2015 bekannt gewordenen erhöhten Ausstoß an Stick­oxid gegen­über den Prüf­stands­versuchen, sondern auf der Gefahr, dass die Behörden den Wagen aus dem Verkehr ziehen. Einzelheiten zum Fall auf der Homepage der Rechtsanwälte.
Land­gericht Stutt­gart, Urteil vom 14.09.2020
Aktenzeichen: 3 O 238/20 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: Rechtsanwälte Aslanidis, Kress & Häcker-Hollmann, Stuttgart

14.09.2020 Das Land­gericht Gera hat sein Vorabent­scheidungs­verfahren beim Europäischen Gerichts­hof in Luxemburg (s. u., 06.09.2019) ohne Zustimmung des Klägers gestoppt. Rechts­anwalt Torsten Schutte berichtet: VW zahlte alles, was der Kläger gefordert hatte, und teilte dies dem Land­gericht Gera mit. Damit sei alles erledigt, einschließ­lich des Verfahrens in Luxemburg, meinte der Konzern. Am Land­gericht Gera hatte inzwischen die Beset­zung der für den Fall zuständigen 7. Kammer gewechselt. Die jetzt dort tätigen Richter beschlossen darauf­hin sofort, das Vorabent­scheidungs­ersuchen in Luxemburg zurück­zunehmen. Dagegen legte der Kläger sofortige Beschwerde ein. Gleich­zeitig beantragte er beim Ober­landes­gericht in Thüringen, den Voll­zug des Beschluss auszusetzen. Trotzdem über­mittelte das Land­gericht seinen Beschluss nach Luxemburg. „Das ist aus meiner Sicht ein Justiz­skandal“, schimpfte Rechts­anwalt Torsten Schutte. Gerichte dürfen Verfahren nur als erledigt behandeln, wenn beide Parteien einverstanden sind.
Der Europäische Gerichts­hof sollte klären, ob Auto­hersteller wegen der Lieferung von Autos mit illegaler Motorsteuerung nicht nur wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung, sondern auch wegen der Verletzung der EU-Zulassungs­regeln Schaden­ersatz zahlen müssen. Die Auto­industrie müsste dann wegen zahlreicher weiterer Modelle Schaden­ersatz zahlen. Kläger hätten gute Chancen, Schaden­ersatz ohne Abzug einer Entschädigung wegen der mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter zu bekommen.
Auch ein weiteres, vom Land­gericht Franken­thal in Luxemburg vorgelegtes Verfahren zum gleichen Thema (s. u., 06.09.2019) ist gestoppt. Der Hintergrund dort ist unklar. test.de hat beim Kläger­vertreter nachgefragt, aber bisher keine Antwort erhalten. Wahr­scheinlich hat VW den Kläger dort ebenfalls ausgezahlt und ist dieser einverstanden damit, das Verfahren zu beenden.

11.09.2020 Myright.de bietet Kunden an, von den Sammelklagen des Unternehmens zu einer Indivi­dualklage zu wechseln. Das bestätigte Financial­right-Geschäfts­führer Sven Bode test.de gegen­über. Es sei klar geworden, dass sich die Myright.de-Klagen, denen das Unternehmen die Forderungen von insgesamt rund 45 000 VW-Skandal­opern gesammelt geltend macht, wegen Verzögerung der Verfahren beim über­lasteten Land­gericht Braun­schweig sowie des fortdauernden Widerstands von VW noch etliche Jahre hinziehen können, bis sie rechts­kräftig entschieden sind. Empfehlens­wert ist der Ausstieg aber nur für Myright-Kunden, deren Wagen noch nicht zu viele Kilo­meter gefahren sind. Außerdem sollten sie die Verjährung etwa durch von Myright.de seiner­zeit empfohlene Anmeldung der Rechte zur Muster­fest­stellungs­klage gestoppt haben. Solchen Kunden bietet Myright zusätzlich an, die Indivi­dualklage zu finanzieren. Dafür sind am Ende 20 Prozent Provision auf das fällig, was VW gegen Rück­gabe des Wagens zahlt, oder 30 Prozent der Summe, die VW zahlt, ohne dass der Wagen zurück­gegeben werden muss.
Zu beachten: Myright-Kunden gehen beim Ausstieg aus den Sammelklagen auch die bisher aufgelaufenen Prozess­zinsen auf ihre Forderung verloren. Allein das macht je 10 000 Euro Forderung und seit Klageerhebung vergangenem Jahr 412 Euro aus.

11.09.2020 Dr. Marcus Hoff­mann und Mirko Göpfert von Hoffmann & Partner Rechtsanwälte in Nürn­berg berichten: VW hat in einem Verfahren vor dem Land­gericht Kiel die Einrede der Verjährung fallen gelassen, nachdem das Gericht in der mündlichen Verhand­lung signalisiert hatte: Das Unternehmen hafte jedenfalls auf den so genannten Rest­schaden­ersatz nach § 852 des Bürgerlichen Gesetz­buches, der unabhängig von der normalen Verjährung zehn Jahre lang durch­setz­bar ist (s. u. unter 20.07.2020). test.de vermutet: Der Konzern will eine solche Verurteilung verhindern, damit nicht VW-Skandal­opfer, die bisher noch nichts unternommen haben, doch noch wieder Mut schöpfen und jetzt noch vor Gericht ziehen. Recht­licher Hintergrund: Verjährung ist nur Thema, wenn sich ein Beklagter darauf beruft. Wird die Einrede der Verjährung nicht erhoben oder wieder fallengelassen, beur­teilt das Gericht den Fall ohne Berück­sichtigung der Verjährung, so dass VW in dem Kieler Fall mit an Sicherheit grenzender Wahr­scheinlich­keit entsprechend der Vorgaben des Bundes­gericht­hof verurteilt werden wird, obwohl die Klage erst im Jahr 2020 einge­reicht wurde. Weitere Einzelheiten auf der Homepage der Kanzlei.

09.09.2020 Ex-VW-Vorstands­vorsitzender Martin Winter­korn und vier weitere damals bei VW-Verantwort­liche stehen jetzt unter Anklage. Das Land­gericht Braun­schweig hat das Haupt­verfahren wegen des Verdachts auf zahlreiche Straftaten, darunter das Verbrechen des gewerbs- und banden­mäßigen Betrugs, eröffnet. Allein darauf stehen Frei­heits­strafen zwischen einem und zehn Jahren. Hinzu kommen womöglich noch Steuer­hinterziehung und strafbare Werbung. Das Gericht hat damit die Anklage noch verschärft. Die Staats­anwälte sahen nur den Verdacht auf einen besonders schweren Fall des Betrugs. Das ist anders als der gewerbs- und banden­mäßige Diebstahl ein Vergehen und kein Verbrechen. Wann die öffent­liche Haupt­verhand­lung beginnt, steht noch nicht fest. Das Land­gericht hatte bereits weitere Ermitt­lungen ange­ordnet, die noch nicht abge­schlossen sind. Weitere Einzelheiten in der Pressemitteilung des Landgerichts.

09.09.2020 Rechtsanwälte Dr. Sincar & Basun berichten: Die Audi AG hat soweit bekannt erst­mals eine Verurteilung zu Schaden­ersatz wegen eines Wagens mit 3.0-TDI-Motor vom Typ EA896 rechts­kräftig werden lassen. Es ging um einen Audi A5 Sport­back 3.0. Laut Land­gericht Wuppertal ist die Motorsteuerung illegal und durfte Audi die illegale Verringerung der Abgas­reinigung nicht verschweigen. Über die Hintergründe ist nichts bekannt. test.de hält für unwahr­scheinlich, dass die Audi AG sich mit entsprechenden Urteilen abge­funden hat und Besitzer der Autos nun entschädigt, ohne Rechts­mittel einzulegen.
Land­gericht Wuppertal, Urteil vom 16.07.2020
Aktenzeichen: 4 O 31/20 (rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: Kanzlei Dr. Sincar & Basun, Düsseldorf

07.09.2020  Rechtsanwälte Dr. Stoll & Sauer berichten: Erst­mals hat ein Gericht die auf Geheiß des Kraft­fahrt­bundes­amt entwickelte neue Motorsteuerung für Skandal­autos ebenfalls als vorsätzliche sittenwid­rige Schädigung beur­teilt. Die Richter am Land­gericht Dort­mund urteilten: VW muss den Besitzer eines Audi A4 entschädigen. Er hatte den Wagen im Juli 2016 gebraucht gekauft. Auch die neue Motorsteuerung („Software-Update“) enthalte ein so genanntes „Temperatur­fenster“. Sie reduziere die Abgas­reinigung unter­halb von 17 und ober­halb von 33 Grad Luft­temperatur. Das sei illegal. Weitere Einzelheiten zum Urteil in der Pressemitteilung der Rechtsanwälte.
Tatsäch­lich spricht auch aus Sicht der Juristen bei test.de viel dafür, dass auch die neue VW-Steuerung – genau wie die anderer Hersteller – nicht den EU-Vorgaben genügt. Allerdings: Eine vorsätzliche sittenwid­rige Schädigung ist Auto­herstel­lern nur vorzuwerfen, wenn sie korrekte Abgas­reinigung nur vortäuschten und bewusst illegale Autos lieferten. Soweit sie ihre Motorsteuerung dem Kraft­fahrt­bundes­amt im Typzulassungs­verfahren korrekt beschrieben haben und die Behörde sie billigte, durften sich Hersteller nach Ansicht der Juristen bei test.de darauf verlassen, auch wenn sich das nun als rechts­widrig heraus­stellt.
Allerdings dürfte die erneut illegale Motorsteuerung wiederum ein Sach­mangel sein und Käufer der Autos zum Rück­tritt berechtigen. Das bringt Skandal­autobesitzern aber nur selten was. Die Sach­mangelrechte verjähren nämlich bereits zwei Jahre ab Kauf. Das gilt auch für Rechte wegen zunächst unbe­kannter Mängel.
Land­gericht Dort­mund, Urteil vom 28.08.2020
Aktenzeichen: 4 0 53/20 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: Rechtsanwälte Stoll & Sauer, Lahr

31.08.2020 Der VW-Skandal beschert dem fürs Schaden­ersatz­recht zuständigen VI. Senat eine gewaltige Anzahl von Verfahren. Dietlind Wein­land, Presse­sprecherin beim Bundes­gerichts­hof, berichtet auf Anfrage von test.de: Ende Juli 2020 waren beim VI. Senat insgesamt rund 1 200 Verfahren anhängig. Seit August und verstärkt November 2019 landeten allein 900 bis 1 000 Schaden­ersatz­klagen gegen VW in der Geschäfts­stelle. Aktuell seien davon noch rund 800 anhängig. Rund 120 Verfahren erledigten sich bereits nach dem ersten VW-Grund­satz­urteil von 25. Mai 2020. Vermutlich müssen die insgesamt neun Richter im VI. Senat nur in einem kleinen Teil der Verfahren noch aufwendige Urteile oder Beschlüsse erarbeiten. Verfahren, in denen es um Rechts­fragen geht, zu denen sich die Richter bereits geäußert haben, enden oft durch die Rück­nahme der Revision, ein Anerkennt­nis oder einen Vergleich auf Grund­lage der bisherigen Ansagen der Bundes­richter. Gleich­wohl steckt auch in solchen Verfahren noch viel Arbeit für die Richter, die wissenschaftlichen Mitarbeiter und die Beamten in der Geschäfts­stelle. Jedes einzelne Verfahren müsse einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden, um allein schon beur­teilen zu können, welche recht­liche Problematik im Vordergrund steht, erklärt Wein­land.

31.08.2020 Rechtsanwälte Dr. Sincar & Basun berichten: Das Land­gericht Krefeld hat – soweit bekannt erst­mals seit Verkündung des Bundes­gerichts­hofs­urteils von 30. Juli 2020 – VW verurteilt, wegen eines nach Bekannt­werden des Abgas­skandals im September 2015 erworbenen VW Tiguan 2.0 TDI Schaden­ersatz an einen Mandanten der Kanzlei zu zahlen. Er hatte den Wagen etwa ein Jahr später als Neuwagen direkt bei VW gekauft.
Zu diesem Zeit­punkt, so das Land­gericht Krefeld, konnte und durfte der Verbraucher darauf vertrauen, zumindest direkt bei der Volks­wagen AG ein Fahr­zeug mit legaler Motorsteuerung zu erhalten. Die „Arglosig­keit“ des Verbrauchers war aus Sicht der Richter in Krefeld zum Zeit­punkt des Erwerbs wieder­hergestellt.
Land­gericht Krefeld, Urteil vom 19.08.2020
Aktenzeichen: 2 O 541/19 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: Kanzlei Dr. Sincar & Basun, Düsseldorf

Von Rueden Rechtsanwälte ergänzen: Bereits am 14. August 2020 hat das Land­gericht Mönchengladbach VW dazu verurteilt, Schaden­ersatz wegen eines Seat mit illegaler Motorsteuerung zu zahlen, der ebenfalls erst nach September 2015 erworben worden war. Zwar ist Seat eine Tochtergesell­schaft des Volks­wagen­konzerns, aber es sei nicht naheliegend, dass die gleichen Motoren­typen verbaut wurden. Zudem sei einem durch­schnitt­lichen Verbraucher die Motorbezeichnung EA 189 zu Beginn des Abgas­skandals unbe­kannt gewesen. Es ließen sich keine Rück­schlüsse auf die Betroffenheit der Marke Seat ziehen, erklärte die Richter in Mönchengladbach. Anders als im vom Bundes­gerichts­hof am 30. Juli 2020 entschiedenen Fall sei der Käufer arglos gewesen. Weitere Einzelheiten auf der Homepage der Rechtsanwälte.
Land­gericht Mönchengladbach, Urteil vom 14.08.2020
Aktenzeichen: 11 O 432/19 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: Von Rueden Rechtsanwälte, Berlin

21.08.2020 VW-Skandal-Klägern stehen mehr Verzugs- und/oder Prozess­zinsen zu, als die Instanzge­richte ihnen bisher zugesprochen haben. Das ergibt sich aus der heute veröffent­lichten Begründung zu einem der Urteile von 30.07.2020, Nach­weis siehe unten. Die Gerichte müssen anhand des jeweiligen Kilo­meter­stands für jeden Tag einzeln ermitteln, wie viel Geld VW zusätzlich zahlen muss. Bisher haben die Gerichte Verzugs- oder Prozess­zinsen in der Regel nur auf die Entschädigung bewil­ligt, die mit dem Kilo­meter­stand ganz am Ende des Verfahrens errechnet worden ist. Es geht im Einzel­fall um etliche Tausend Euro. Einzel­heiten zu den Verzugs- oder Prozess­zinsen und ihrer Berechnung in der Antwort auf die Frage „Wie viele Zinsen muss mit der Hersteller eines Autos mit illegaler Motorsteuerung zahlen, wenn er am Ende verurteilt wird, mich zu entschädigen?“.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 30.07.2020
Aktenzeichen: VI ZR 397/19
Klägerin­vertreter: Hahn Rechtsanwälte, Bremen

19.08.2020 Auch bei Benzin-Motoren mit Direkt­einsprit­zung („TFSI“) trickste der VW-Konzern offen­bar illegal. tagesschau.de berichtet: In einem Rechts­streit wegen eines Audi Q5 von 2015 mit Zwei-Liter-TFSI-Motor, angeblich schad­stoff­arm nach der Norm Euro 6 fand der vom Gericht bestellte Gutachter heraus: Der Ausstoß an Stick­oxid und Kohlen­monoxid steigt, wenn der Fahrer des Wagens am Lenk­rad dreht. Experten sehen das als eindeutigen Hinweis auf eine so genannte Prüf­stands­erkennung. Bei den Prüf­stands­versuchen zur Ermitt­lung des Schad­stoff­ausstoßes für die Typzulassung wird das Lenk­rad nicht bewegt. Sobald das Lenk­rad bewegt wird, steht also fest: Der Wagen ist nicht im Prüf­stand. Offen­bar trimmten die Audi-Ingenieure die Motorsteuerung für diesen Fall auf Leistung und Effizienz und verringerten die Abgas­reinigung – genau wie bei den Diesel-Motoren vom Typ EA189, die im Mittel­punkt des Abgas­skandals stehen.

Laut tages­schau.de erhärten interne VW-Unterlagen, die Reportern des Südwest­rund­funks (SWR) zugespielt wurden, den Verdacht auf illegale Manipulationen auch bei Benzin-Motoren. Weder der VW-Konzern noch Verkehrs­ministerium und Kraft­fahrt­bundes­amt äußerten sich bisher zu den Unterlagen und den auffälligen Mess­werten des Gerichts­gut­achters.
Ausführ­lich bei tages­schau.de: Manipulation auch bei Audi-Benzinern?

13.08.2020 Der Abgas­skandal geht in die nächste Runde. Jetzt geht es um die VW-Motoren vom Typ EA288. Sie sind die Nach­folger des Skandal­motors EA189. Das Kraft­fahrt­bundes­amt hat sie bisher nicht zurück­gerufen, obwohl sicher ist, dass die Motorsteuerung verschiedene Mecha­nismen zur Abschaltung oder Verringerung der Abgas­reinigung enthält. Rechtsanwalt Andreas Schwering berichtet jetzt: Das Ober­landes­gericht Celle hat beschlossen, umfang­reich Beweis zu erheben über die Reich­weite der vom Kraft­fahrt­bundes­amt erteilten Typgenehmigung. Das Gericht will wissen, welche Mecha­nismen VW der Behörde gegen­über über­haupt offengelegt hat.

Recht­licher Hintergrund: Soweit VW illegale Mecha­nismen zur Verringerung der Stick­oxidreduktion im Genehmigungs­antrag erneut nicht genannt hat, liegt der Verdacht nahe: Der Konzern hat auch Käufer von Autos mit EA288-Motoren vorsätzlich und sittenwid­rig geschädigt. Wussten dagegen die Beamten in Flens­burg Bescheid und haben gleich­wohl die Typgenehmigung erteilt, dann muss VW wohl nicht erneut Schaden­ersatz zahlen.

Das gilt auch dann, wenn sich die Motorsteuerung trotz des Plazet aus Flens­burg als illegal erweist. Nach dem strengen Votum von EU-General­anwältin Sharps­ton zum Abgas­skandal (s. u., 30.04.2020) ist sehr wahr­scheinlich: Auch die Motorsteuerungen für Euro 6-Diesel - sowohl von VW als auch allen anderen Herstel­lern - dürften fast ausnahms­los illegal sein.
Weitere Einzel­heiten in dem Original-Bericht von Rechtsanwalt Andreas Schwering.
Ober­landes­gericht Celle, (Beweis-)Beschluss vom 14.07.2020
Aktenzeichen: 7 U 532/18

10.08.2020 Schaden­ersatz­ansprüche von Teilnehmern der Muster­festellungs­klage verjähren womöglich bereits im November oder Dezember. Details in der Antwort auf die Frage: „Wie lange habe ich Zeit für die Schadenersatzforderung?“ auf der Seite zur VW-Klage in test.de/musterklagen

07.08.2020 Rechtsanwälte Stoll & Sauer haben beim Land­gericht Freiburg die soweit bekannt erste Schaden­ersatz­klage wegen illegaler Motorsteuerung gegen Fiat Chrysler Auto­mobiles (FCA) erhoben. Es geht um ein „Adria Twin“-Wohn­mobil auf Basis eines Fiat Ducato 2.3 Diesel von 2012. Bei ihm schalte die Motorsteuerung die Abgas­reinigung immer nach genau 22 Minuten voll­ständig ab, heißt es in der Klageschrift. Hintergrund: Die Prüf­stand­versuche zur Ermitt­lung des Schad­stoff­ausstoßes dauern rund 20 Minuten und sind nach 22 Minuten in jedem Fall beendet. Der amerikanisch italienische Auto­konzern soll Besitzern von betroffenen Autos genau wie VW Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung zahlen. Möglich wurde die Klage in Deutsch­land, nachdem der Europäische Gerichts­hof entschieden hatte: Besitzer von ausländischen Skandal­autos können vor heimischen Gerichten klagen. Einzel­heiten zur Verstri­ckung von Fiat in den Abgas­skandal und zur ersten Klage in Deutsch­land auf der Homepage der Rechtsanwälte.

31.07.2020 Nach den gestern verkündeten neuen Grund­satz­urteilen des Bundes­gerichts­hofs zum Abgas­skandal steht fest: Es hat sich für VW gelohnt, alle recht­lichen Möglich­keiten auszuschöpfen und so fast fünf Jahre Zeit zu gewinnen. Jeder mit Skandal­autos gefahrene Kilo­meter reduziert den Schaden­ersatz und sichert dem Unternehmen trotz der vorsätzlichen sittenwid­rigen Schädigung der Verbraucher seinen Gewinn.
„Die VW-Strategie ist aufgegangen“, kommentiert die Legal Tribune Online den vorläufigen Abschluss des Abgas­skandals dementsprechend.
Professor Michael Heese, Leiter des Projekts Abgasskandal im Fachbereich Jura der Universität Regensburg, übt scharfe Kritik am Bundes­gerichts­hof. Er hält vor allem die Verweigerung der Verzinsung des Kauf­preises und die Anrechnung des Nutzungs­vorteils für falsch.
Immerhin: An Verjährung werden wohl nur wenige Abgas­skandal­opfer scheitern. Zwar sind die meisten Schaden­ersatz­ansprüche inzwischen verjährt. Es bleibt aber nach Auffassung einiger Gerichte und vieler Verbraucher­anwälte der so genannte „Restschadensersatzanspruch“ nach § 852 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der erst nach zehn Jahren verjährt und der jedenfalls einem großen Teil der Geschädigten alles bringt, was sie laut Bundes­gerichts­hof ohne Verjährung zu erhalten haben.

30.07.2020 So hatte es sich bereits abge­zeichnet: VW-Skandal-Opfer gehen leer aus, wenn ihr Wagen die insgesamt von ihm zu erwartende Lauf­leistung bereits absol­viert hat. So hat es der Bundes­gerichts­hof entschieden. Welche Lauf­leistung von dem jeweiligen Wagen zu erwarten ist, entscheiden die Instanzge­richte. Sie gehen meist von 250 000 Kilo­metern aus. Vor allem bei größeren Autos setzen sie auch schon mal 300 000 Kilo­meter an.
Gleich­zeitig urteilten die Richter in Karls­ruhe: Opfer des VW-Skandals erhalten keine Zinsen auf den Kauf­preis zusätzlich. Es bleibt bei der Erstattung des Kauf­preises abzüglich Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter. Etliche Ober­landes­gerichte hatten das anders gesehen und in dieser Frage verbraucherfreundlich geur­teilt.
Bundes­gerichts­hof, Urteile vom 30.07.2020
Aktenzeichen: VI ZR 354/19 und VI ZR 397/19

Ebenfalls nicht mehr über­raschend: Auch Skandal­auto-Besitzer, die ihren Wagen erst nach Bekannt­werden des Skandals am 22. September 2015 erworben haben, gehen leer aus. Begründung der Bundes­richter: Die Informationen von VW waren zumindest dazu geeignet, Verbraucher Verdacht schöpfen zu lassen. Sie waren deshalb bei Kauf nicht mehr arglos und relati­vieren sich die Vorwürfe gegen VW soweit, dass dem Unternehmen keine vorsätzliche sittenwid­rige Schädigung mehr vorzuwerfen ist.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 30.07.2020
Aktenzeichen: VI ZR 5/20

28.07.2020 Schlechte Nach­richten für viele VW-Skandal-Opfer: Die Richter am Bundes­gerichts­hof haben bei den beiden Verhand­lungen heute über­einstimmenden Berichten zufolge durch­blicken lassen, dass aus ihrer Sicht weder VW-Besitzer, die ihren Wagen erst nach September 2015 erworben haben, Anspruch auf Schaden­ersatz haben, noch VW-Skandal­opfer auf die Verzinsung des Kauf­preises hoffen können.

21.07.2020 Rechtsanwalt Claus J. Goldenstein berichtet: Keine Über­raschung in Karls­ruhe. Der VI. Senat bestätigte in zwei mündlichen Verhand­lungen heute seine Rechts­auffassung, dass VW Käufer von Skandal­autos vorsätzlich und sittenwid­rig geschädigt hat. Er wird Urteile des Land- und des Ober­landes­gerichts Braun­schweig aufheben, mit denen die Richter dort Klagen gegen VW abwiesen. Der Bundes­gerichts­hof bleibt dabei: Der Konzern muss den Kauf­preis abzüglich einer Nutzungs­entschädigung erstatten. Im Gegen­zug müssen Käufer den Wagen zurück­geben. Urteile fielen heute noch nicht. Die wird der Bundes­gerichts­hof erst in den nächsten Wochen verkünden. Weitere Einzel­heiten im Bericht des RWS-Verlags.

20.07.2020 Rechtsanwalt Dr. Marcus Hoffmann berichtet: Das Land­gericht Kiel glaubt auch, dass VW-Skandal­opfern über die normale Verjährung hinaus der so genannten Rest­schadens­ersatz­anspruch zusteht. VW-Reaktion auf den entsprechenden Hinweis in der mündlichen Verhand­lung: Die VW-Anwälte ließen die Einrede der Verjährung fallen. Recht­liche Folge: Die Verjährung ist dem Verfahren kein Thema mehr. test.de vermutet: Sinn und Zweck des Manö­vers ist es zu verhindern, dass das Land­gericht sich in der Urteils­begründung verbraucherfreundlich zum Rest­schaden­ersatz­anspruch äußert. Damit erhöht sich für den Auto­konzern auch die Chance, dass der Bundes­gerichts­hof sich nicht so bald verbraucherfreundlich äußert und so Betroffene dazu moti­viert, ihre Rechte doch noch geltend zu machen. Denn immer noch haben schät­zungs­weise deutlich über eine Million Auto­besitzer nicht den Schaden­ersatz gefordert, der ihnen nach den Ansagen des Bundes­gerichts­hof zusteht.
Land­gericht Kiel, Hinweis vom 02.07.2020
Aktenzeichen: 17 O 124/20
Kläger­vertreter: Rechtsanwalt Dr. Marcus Hoffmann, Nürnberg

09.07.2020 Klare Ansage des Europäischen Gerichts­hofs (EuGH) in Luxemburg: Ein Auto­hersteller, dessen widerrecht­lich manipulierte Fahr­zeuge in anderen Mitglied­staaten verkauft werden, kann vor den Gerichten dieser Staaten verklagt werden. Der jeweilige Schaden verwirk­liche sich in dem Mitglied­staat, in dem der Wagen mit der illegalen Motorsteuerung erworben wird, argumentierte das Gericht. Der österrei­chische Verein für Konsumenten­information (VKI) klagt vor dem Landes­gericht Klagenfurt gegen VW. Der Konzern soll 3 611 806 Euro an 574 österrei­chische Opfer des VW-Skandals zahlen, durch schnitt­lich also knapp 6 300 Euro pro Fall. VW war der Meinung: Verbraucher müssen nach den EU-Regeln über den allgemeinen Gerichts­stand in Deutsch­land klagen. Für Ersatz­ansprüche wegen unerlaubter Hand­lungen gelte nach EU-Recht ein besonderer Gerichts­stand, urteilte jetzt allerdings der EuGH. Solche Forderungen können auch dort geltend gemacht werden, wo der Schaden einge­treten ist, urteilte jetzt der EuGH. Mehr noch: Ein Auto­hersteller, der illegal manipulierte Autos in andere Mitglied­staaten liefere, dürfe vernünftiger­weise erwarten, dass er vor den dortigen Gerichten verklagt werde, schrieben die EU-Richter dem VW-Konzern ins Stamm­buch. Er hat im vergangenen Jahr in Deutsch­land 1 364 000, in Europa 4 552 800 und welt­weit 10 974 600 Autos ausgeliefert. Ausführ­lich: Die Pressemitteilung des Gerichts zum Urteil.
Europäischer Gerichts­hof, Urteil vom 09.07.2020
Aktenzeichen: C-343/19

01.07.2020 Erste Erfahrungen mit Schaden­ersatz­forderungen mit den test.de-Muster­texten: VW reagiert freundlich, aber unbe­stimmt, berichtet uns eine Leserin. Bei ihr habe das Unternehmen darauf verwiesen, dass die Forderung verjährt sein dürfte. Sie hatte ihre Schaden­ersatz­forderung nicht zur Muster­fest­stellungs­klage angemeldet. Nachdem Gerichte und Rechts­wissenschaftler trotz Verjährung noch einen so genannten Rest­schaden­ersatz­anspruch sehen (Details unter 22.06.2020) empfiehlt test.de in solchen Fällen, auf Schaden­ersatz­forderungen zu bestehen und erneut an VW zu schreiben. Möglicher­weise entscheidet der Bundes­gerichts­hof bereits in einem der VW-Skandal-Fälle, die am 21. und 28. Juli zur Verhand­lung anstehen, über die Verjährung.

22.06.2020 Verbraucher­anwälte, Rechts­wissenschaftler und jedenfalls einzelne Gerichte sind der Meinung: VW ist auch bei Klageerhebung nach Ablauf der Verjährungs­frist zum Schaden­ersatz zu verurteilen. Rechtsanwälte Dr. Stoll & Sauer berichten: Das Amts­gericht Marburg hält die Regelung über den so genannten Restschadensersatz in § 852 des Bürgerlichen Gesetzbuches für anwend­bar. Danach haften Schädiger auch über die Verjährung hinaus, soweit sie durch ihre Tat etwas erlangt haben.

Die Berliner Zivilrechtsprofessorin Susanne Augenhofer meint in der Zeitschrift Verbraucher und Recht: Das erfasst auch indirekt erworbenes Geld und damit die Beträge, die Händler für Skandal­autos an VW gezahlt haben. Wenn sich die Rechts­auffassung durch­setzt, dann können Skandal­autobesitzer Schaden­ersatz­forderungen gegen VW durch­setzen, auch wenn sie noch nichts unternommen haben, um die Verjährung zu stoppen. Begrenzt ist der Rest­schadens­ersatz­anspruch durch das Geld, das VW beim Verkauf des Wagens tatsäch­lich vom Händler erhalten hat. Das dürfte aber in den allermeisten Fällen ausreichen, um die Kauf­preis­erstattung abzüglich Nutzungs­ersatz abzu­decken.

Weitere Einzel­heiten und recht­liche Hintergründe auf der Homepage der Rechtsanwälte. test.de vermutet: Prozess­finanzierer werden zügig Angebote entwickeln, wie VW-Skandal­opfer ihre Forderungen trotz Verjährung noch bequem und ohne Prozess­kostenrisiko durch­setzen können.
Amts­gericht Marburg, (Hinweis-)Beschluss vom 16.06.2020
Aktenzeichen: 9 C 891/19
Kläger­vertreter: Rechtsanwälte Dr. Stoll & Sauer, Lahr

19.06.2020 Der Streit um die ursprüng­lichen Skandal­autos mit EA189-Motoren von VW neigt sich nach dem Grund­satz­urteil des Bundes­gerichts­hofs dem Ende zu. Vor den Gerichten geht es jetzt auch um später zugelassene Autos mit anderen Motoren. Soweit test.de bekannt hat jetzt erst­mals ein Ober­landes­gericht Audi wegen eines Wagens mit EA897evo-6 Zylinder-V-Motors mit 3.0 Litern Hubraum und Euro 6 zu Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung verurteilt. Mehr zum Fall auf der Homepage der Rechtsanwälte.
Ober­landes­gericht Koblenz
, Urteil vom 05.06.2020
Aktenzeichen: 8 U 1803/19 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: Hahn Rechtsanwälte, Bremen/Hamburg/Stuttgart

16.06.2020 Daimler muss weitere 170 000 Autos, 60 000 davon in Deutsch­land mit einer neuen Motorsteuerung ausrüsten. Das berichtet die Zeit. Es geht um von Diesel­motoren angetriebene Autos der A-, B-, C-, E- und S-Klasse, die nach der Norm Euro 5 als schad­stoff­arm gelten. Die Motorsteuerung funk­tioniert wie bei GLK-Modellen, die das Kraft­fahrt­bundes­amt bereits im März bean­standet hatte (siehe Eintrag vom 24.06.2019). Daimler hält den Zwangs­rück­ruf weiter für rechts­widrig und will sich juristisch wehren, aber die Autos gleich­wohl mit einer neuen Motorsteuerung ausrüsten.

16.06.2020 Auch an das Land Rhein­land-Pfalz muss VW Schaden­ersatz zahlen. Das Land­gericht Mainz verurteilte VW in zunächst drei Fällen wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung. Eine weitere Klage wegen eines zunächst geleasten und erst später endgültig erworbenen Wagens wies das Gericht ab. Das Land hatte wegen insgesamt 121 Autos Klage erhoben (siehe Eintrag vom 24.01.2019). Die Einzel­fälle jetzt hatte das Gericht vom Verfahren insgesamt abge­trennt, um die wichtigsten Rechts­fragen exemplarisch zu klären. Wie viel Geld VW an das Land zahlen soll, ist – noch jedenfalls – nicht bekannt.
Land­gericht Mainz, Urteile vom 24.04.2020
Aktenzeichen: 2 O 22/19, 2 O 24/19 und 2 O 25/19 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: Hahn Rechtsanwälte, Bremen
Einige weitere Einzel­heiten im Bericht der Kanzlei.

08.06.2020 Das Land­gericht Bonn hat geur­teilt: VW muss genau 469 120,79 Euro Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung an die Stadt Bonn zahlen. Im Gegen­zug muss die Stadt 27 Skandal-Autos an den VW-Konzern zurück­geben. Sie erhält allerdings zusätzlich vier Prozent Zinsen auf die Beträge jeweils ab Bezahlung der Autos vor fünf bis sieben Jahren, so dass VW deutlich über 100 000 Euro zusätzlich zahlen muss, wenn der Bundes­gerichts­hof im Juli die Pflicht zur Verzinsung des Kauf­preises bestätigt und das Urteil aus Bonn rechts­kräftig wird. Die Kosten für die Umrüstung der Autos für die Zwecke der Stadt muss VW allerdings nicht bezahlen. Die wären auch entstanden, wenn die Stadt Autos mit legaler Motorsteuerung erhalten hätte, argumentierte das Gericht.

Das Handels­blatt schreibt dazu: „Bundesländer ließen im Dieselskandal Millionen liegen“. Die allermeisten der 20 größten Kommunen und aller 16 Länder hätten darauf verzichtet, Schaden­ersatz­ansprüche gegen VW durch­zusetzen. Knapp 70 Millionen Euro hätte VW nach Schät­zungen des Handels­blatts für die rund 4 000 Skandal-Dienst­wagen aus dem VW-Konzern zahlen müssen.

Recht­lich ist das heikel für die verantwort­lichen Justiziare und Minister. Laut Haus­halts­recht dürfen sie nicht einfach auf Einnahmen verzichten. Allerdings: Zumindest einzelne Kommunen und Länder klagten gegen VW, ohne das bekannt zu machen. Einzelne Rechts­anwälte berichteten test.de, dass ihre Mandanten sie angewiesen haben, nichts über die Fälle verlauten zu lassen.
Land­gericht Bonn, Urteil vom 20.05.2020
Aktenzeichen: 1 O 481/18 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: Rogert & Ulbrich Rechtsanwälte, Düsseldorf

03.06.2020 Der Bundes­gerichts­hof befasst sich weiter mit dem Abgas­skandal. Er kündigt an: Am Dienstag, 27. Oktober, verhandelt der fürs Recht der unerlaubten Hand­lungen zuständige VI. Senat über eine Klage auf Schaden­ersatz gegen die Daimler AG. Der Käufer eines angeblich nach der Norm Euro 5 schad­stoff­armen Mercedes C 220 CDI von 2011 sieht sich vorsätzlich und sittenwid­rig geschädigt, weil die Abgas­reinigung nur bei einer Luft­temperatur von mehr als sieben Grad Celsius funk­tioniert.

Das Land­gericht Mainz und das Ober­landes­gericht Koblenz hatten seine Klage abge­wiesen. Es könne nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass den Verantwort­lichen bei Daimler bewusst war, möglicher­weise eine unzu­lässige Abschalt­einrichtung zu verwenden. Die Gesetzes­lage sei hinsicht­lich der Zulässig­keit von so genannten „Thermo­fens­tern“ – anders als hinsicht­lich der Prüf­stands­erkennung im VW-Motor EA189 – nicht eindeutig.

03.06.2020 Der Bundes­gerichts­hof teilt mit: Er verhandelt am Dienstag, 28. Juli, über eine weitere VW-Skandal-Schaden­ersatz­klage. Es geht um einen erst im August 2016 fast ein Jahr nach Bekannt­werden des Skandals gekauften Wagen. Die Bundes­richter werden klären, ob VW die Öffent­lich­keit und potenzielle Käufer von Skandal-Autos von September 2015 an ausreichend genau informiert hat, so dass der spätere Erwerb nicht mehr als vorsätzliche sittenwid­rige Schädigung erscheint.

02.06.2020 Inzwischen liegt auch die Urteils­begründung zum Grund­satz­urteil des Bundes­gerichts­hofs zu Schadenersatzansprüchen von Skandalautobesitzern vor. Die Richter kommen darin auch zum Ergebnis: Die Skandal­autos entsprachen nicht der Typgenehmigung. Sie hätten niemals zugelassen werden dürfen. Kritik an den Verwaltungs­gerichts­entscheidungen, wonach die Zulassung der Skandal­autos trotz der Abweichung von der Typgenehmigung jeweils wirk­sam blieb, üben die Zivil­richter allerdings nicht.

25.05.2020 Mit seinem Grund­satz­urteil heute hat der fürs Recht der unerlaubten Hand­lung zuständige VI. Senat des Bundes­gerichts­hofs in Karls­ruhe die vorherr­schende Linie der Land- und Ober­landes­gerichte bestätigt und endgültig Klarheit geschaffen: VW muss Käufern von Skandal­autos Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung zahlen. VW hat den Kauf­preis zu erstatten, darf aber eine Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter abziehen.

Senats­vorsitzender Stephan Seiters formulierte in der kurzen mündlichen Begründung fürs Urteil sehr deutlich: VW habe das Kraft­fahrt­bundes­amt bei der Typzulassung der Autos mit EA 189-Motoren arglistig getäuscht, um sich den Aufwand für korrekte Abgas­reinigung zu sparen und seine Autos kostengüns­tiger und damit gewinn­bringender verkaufen zu können. Es habe sich um eine strategische Entscheidung gehandelt und der Konzern sie über Jahre plan­mäßig verfolgt.

Ebenso deutlich sagte er allerdings: Die volle Erstattung des Kauf­preises ohne Abzug einer Nutzungs­entschädigung würde VW-Skandal­opfern einen unver­dienten und unan­gemessenen Vorteil bringen und so zu einer Art Strafschadens­ersatz führen, wie er im deutschen Recht – anders als in den USA – eben nicht vorgesehen sei.

In einem Punkt halten die Rechts­experten der Stiftung Warentest die Ansagen des Bundes­gerichts­hofs für zweifelhaft: Einen Anspruch auf Schaden­ersatz wegen der Verletzung der EU-Regeln über die Typzulassung stehe Skandal­autobesitzern nicht zu, hatte Seiters erklärt. Diese Regeln sollen der Allgemeinheit dienen und nicht einzelnen Auto­fahrern Rechte geben. Dies halte der Senat eindeutig. Es sei nicht erforderlich, beim Europäischen Gerichts­hof in Brüssel nach­zufragen. Dabei hat der Europäische Gerichts­hof in ähnlich gelagerten Fällen bereits mehr­fach verbraucherfreundlich entschieden und waren sogar einzelne deutsche Gerichte zum Ergebnis gekommen: Die EU-Regeln über die Typzulassung von Kraft­fahr­zeugen sollen auch Verbraucher schützen.

Noch zu berück­sichtigen: Für die Mehr­zahl der VW-Skandal­opfer kommt das Grund­satz­urteil des Bundes­gerichts­hofs fast sechs Monate zu spät. Die meisten Schaden­ersatz­ansprüche sind am 31. Dezember 2019 verjährt. Immerhin: Wegen der Einführung der Muster­fest­stellungs­klage, des Einsatzes des Verbraucherzentrale Bundes­verbands, zahlreicher Verbraucher­anwälte und Prozess­finanzierer wie Myright.de dürften nach unserer Schät­zung rund 500 000 der rund 2,5 Millionen Skandal­autobesitzer eine Entschädigung erhalten. Das ist gemessen an der geschätzt einstel­ligen Quote der Erstattung von Banken, Sparkassen und Versicherungen rechts­widrig kassierter Leistungen ziemlich viel. Gleich­wohl: Rund zwei Millionen Auto­besitzer werden leer ausgehen. Und vom eigentlichen Skandal, nämlich den durch das illegal ausgestoßene Stick­oxid verursachten Gesund­heits- und Umwelt­schäden, war noch gar nicht die Rede.

Die ausführ­liche schriftliche Urteils­begründung liegt noch nicht vor. Allerdings hat der Bundes­gerichts­hof eine Pressererklärung zur Urteilsverkündung veröffent­licht und erklärt darin die zentralen Gründe für das Urteil.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 25.05.2020
Aktenzeichen: VI ZR 252/19
Kläger­vertreter: Rechtsanwälte Goldenstein & Partner finanziert von: Myright.de

19.05.2020 Nieder­lage für die Bundes­regierung und VW vor dem Ober­verwaltungs­gericht in Schleswig: Das Gericht wies den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen die Verurteilung zur Heraus­gabe von Behörden­informationen zur Freigabe der neuen Motorsteuerung für die VW-Skandal-Autos (s. u. 10.05.2019 und 22.08.2019) zurück. Die Verurteilung durch das Verwaltungs­gericht Schleswig ist damit rechts­kräftig. Geklagt hatte Hans Kober­stein aus der Redak­tion Frontal 21. test.de vermutet. Das ZDF wird demnächst ausführ­lich berichten. Kober­stein vermutet: Die Akten des Kraft­fahrt­bundes­amts werden belegen, dass auch die neue Motorsteuerung illegale Abschalt­einrichtungen enthält.
Ober­verwaltungs­gericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 27.04.2020
Aktenzeichen: 4 LA 251/19

07.05.2020 Rechtsanwälte Dr. Marcus Hoffmann und Mirko Göpfert berichten in einer Pressemitteilung ausführ­lich über die Äußerungen des Bundes­gerichts­hofs zum VW-Skandal und wie die aus ihrer Sicht zu verstehen sind. Die beiden vertreten zahlreiche Skandal­autobesitzer und hatten die Verhand­lung persönlich beob­achtet.

05.05.2020 17.44 Uhr Die Süddeutsche Zeitung schreibt: „Ein verheerender Verhandlungstag für VW“.

05.05.2020 17.33 Uhr Auch Michael Heese, Jura-Professor und Leiter des Projekts Diesel­skandal an der Uni Regens­burg, meint: Am Bundes­gerichts­hof ist die Entscheidung über Schaden­ersatz­ansprüche im Abgas­skandal der Sache nach bereits gefallen. Die Bundes­richter werden VW zu Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung verurteilen, schreibt Heese auf der Website des Projekts. Weiter schreibt er: „Dagegen findet der VI. Zivil­senat offen­bar nicht den Mut zur Rechts­fort­bildung, soweit es um die Frage des Nutzungs­ersatzes geht. Damit ist eine historische Chance verpasst, die Gestaltungs­kraft des Privatrechts gegen vorsätzlich schädigendes Verhalten effektiv zur Geltung zu bringen“, kommentierte er. Er hatte stets argumentiert: Es könne nicht richtig sein, dass VW mit dem Recht auf Nutzungs­entschädigung vor allem bei Autos, die schon einen Groß­teil ihrer Lebens­erwartung hinter sich haben, trotz der vorsätzlichen sittenwid­rigen Schädigung einen Groß­teil seines mit dem Wagen erwirt­schafteten Gewinns behalten dürfe.

05.05.2020 17.04 Uhr Der Bundes­gerichts­hof gab soeben bekannt: Er wird das Urteil im heute verhandelten Fall am Montag, 25. Mai, um 11 Uhr verkünden. Die Verhand­lung heute ist trotz der recht klaren Ansagen der Richter kaum Thema in den Nach­richten. Die ARD etwa hatte ihren Rechts­experten Frank Bräu­tigam, der wieder­holt auch schon über den VW-Skandal berichtet hatte, zum Bundes­verfassungs­gericht geschickt, um über dessen spektakuläre Entscheidung zum Europäischen Gerichts­hof zu berichten. Da war keine Zeit mehr für den VW-Skandal. Noch einige weitere Reaktionen: Rechtsanwalt Ralph Sauer und Myright-Geschäfts­führer Jan-Eike Andresen begrüßten die verbraucherfreundlichen Ansagen des Bundes­gerichts­hofs. „Dieselgate 2.0 geht jetzt richtig los“, sagte Sauer. Andresen sagte der Neuen Presse: „Das sind Super-Vorzeichen für Verbraucher“.

05.05.2020 12.15 Uhr Auch Rechtsanwalt Claus Goldenstein berichtet: „Der BGH hat sich heute im Zusammen­hang mit dem VW-Diesel­skandal in aller Ausführ­lich­keit verbraucherfreundlich positioniert und scheint unserer Argumentation weitest­gehend zu folgen.” Golden­stein vertritt den Kläger. Finanziert hatte die Klage Myright.de, die auch eine Art Sammelklage gegen VW initiiert haben und für fast 50 000 Skandal­autobesitzer mit VW um Schaden­ersatz streiten. Im Schnelltest hatte test.de das Angebot als geeignet beur­teilt.

05.05.2020 12.05 Uhr Peter Kolba, Obmann des österreichischen Verbraucherschutzvereins mit Vermitt­lung von Prozessfinanzierung für VW-Skandal-Klagen in Österreich, ist in Karls­ruhe vor Ort. Er ist bereits sicher: Der Bundes­gerichts­hof (BGH) wird VW zu Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung von Käufern der Skandal­autos verurteilen. Allerdings müssen sie sich eine Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter anrechnen lassen. Von welcher Gesamt­lauf­leistung Gerichte bei der Berechnung ausgehen, sei Tatfrage und nicht vom BGH als Revisions­gericht zu prüfen, äußerten sie laut Kolba in der mündlichen Verhand­lung. Kolba kommentiert: „Damit steht endlich nach Jahren fest, dass VW haftet und wie man den Schaden­ersatz zu berechnen hat. Damit ist der Weg frei, in Indivi­dualklagen mit Erfolg gegen VW vorzugehen.“

05.05.2020 11.35 Uhr Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet: Zum Auftakt der Verhand­lung um Schaden­ersatz­ansprüche von Abgas­skandal­opfern vor dem Bundes­gerichts­hof wies Richter Stephan Seiters zentrale Argumente der VW-Anwälte zurück.

04.05.2020 Show­down vor dem Bundes­gerichts­hof in Karls­ruhe morgen: Der fürs Schaden­ersatz­recht zuständige VI. Senat verhandelt über die Klage eines Skandal­autobesitzers wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung. Zur Entscheidung stehen zwei zentrale Fragen an: Hat VW Schaden­ersatz zu zahlen? Falls ja: Muss es sich der Auto­besitzer gefallen lassen, dass davon eine Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter abzogen wird?
Die Richter haben schon erkennen lassen: Sie werden wohl nicht schon morgen ihr Urteil verkünden. Das deutet darauf hin, dass sie auch inner­halb des Senats noch Diskussions­bedarf sehen. Die Juristen bei test.de halten für sicher, dass der BGH VW zu Schaden­ersatz verurteilen wird (Hintergrund s. u. unter 30.04.2020). Sie vermuten: Ob und in welchem Umfang Auto­besitzer für die Nutzung der Skandal­autos zahlen müssen, ist noch offen. Die Frage ist kompliziert. Anerkannt ist einer­seits: Geschädigte sollen nicht mehr bekommen, als sie durch die Schädigung an Einbuße zu verzeichnen haben. Zu berück­sichtigen ist anderer­seits: Bei Autos, die bereits viele Kilo­meter gefahren sind, muss VW unter dem Strich trotz der vorsätzlichen Lieferung von Autos mit illegal hohem Ausstoß giftiger Stick­oxide je nach Lauf­leistung wenig bis gar nichts zahlen.
VW selbst ist sogar der Meinung: Der Bundes­gerichts­hof könnte die Klage voll­ständig abweisen. Der Kläger habe keinen Schaden erlitten, weil er den Wagen ohne Einschränkungen und genau so schnell und spar­sam wie versprochen habe benutzen können.

04.05.2020 Verbraucher­anwälte jubeln nach dem Votum von Eleanor Sharps­ton, General­anwältin am Europäischen Gerichts­hof (EuGH, s. u. unter 30.04.2020): VW und die übrigen Auto­hersteller werden noch viel mehr Auto­besitzer entschädigen müssen, als bisher vermutet, glauben sie.
Für ziemlich sicher halten die Rechts­experten bei test.de: Gemessen an den Maßstäben der General­anwältin dürften allerdings noch viel mehr Motorsteuerungen als bisher von den für die Typzulassung zuständigen Behörden als illegal zu beur­teilen sein. Wahr­scheinlich enthält danach auch die von VW neu entwickelte und vom Kraft­fahrt­bundes­amt in Flens­burg gebil­ligte neue Motorsteuerung für die Skandal­autos illegale Abschalt­mecha­nismen und bedarf der erneuten Über­arbeitung, sofern nicht sogar eine Hard­ware­nach­rüstung nötig ist, um die Motoren legal zu machen. So vertritt es die Deutsche Umwelt­hilfe (DUH) und hat vor dem Verwaltungs­gericht Schleswig gegen das Kraft­fahrt­bundes­amt geklagt. Dieser Fall liegt ebenfalls beim EuGH in Luxemburg.
test.de hat bereits am Donners­tag beim Kraft­fahrt­bundes­amt und beim Bundes­verkehrs­ministerium nachgefragt, ob erneut mit der Änderung von Typgenehmigungen und Rückruf­aktionen zu rechnen ist. Bisher hat keine der Behörden geant­wortet; vermutlich werden die Beamten abwarten wollen, ob der Europäische Gerichts­hof tatsäch­lich wie von der General­anwältin vorgeschlagen urteilt.
Allerdings zu beachten: Auto­besitzer erhalten nicht auto­matisch Schaden­ersatz, wenn sich heraus­stellt, dass die Motorsteuerung in ihrem Wagen illegal ist. Voraus­setzung ist zusätzlich, dass der Hersteller sie vorsätzlich und sittenwid­rig geschädigt hat. Wo die Beamten im Kraft­fahrt­bundes­amt die Motorsteuerung – anders als bei den Skandal­autos allerdings in Kennt­nis aller wesentlichen Umstände – als legal beur­teilt haben, lässt sich den Auto­herstel­lern ein solcher Vorwurf kaum machen.

30.04.2020 Mit Spannung erwartet: Eleanor Sharps­ton, General­anwältin am Europäischen Gerichts­hof (EuGH), hat heute ihren Antrag zum zentralen Verfahren zum Abgas­skandal verlesen. Wie von den meisten Juristen erwartet: Sie hält die Abschaltung der Abgasrück­führung unter anderem bei den VW-Turbodiesel­motoren vom Typ EA189 für illegal. Direkte Folge der Entscheidung: Die französische Justiz hat freie Bahn für die Fortsetzung des Straf­verfahrens gegen VW und drei weitere Auto­hersteller.
Die Verteidiger der Auto­industrie hatten vor dem Juge d’instruction du tribunal de grande instance de Paris – stark vereinfacht ausgedrückt – argumentiert: Die Abgasrück­führung sei schon kein „Emissions­kontroll­system“ im Sinne der EU-Richt­linie über den höchst­zulässigen Schad­stoff­ausstoß von Kraft­fahr­zeugen. Im übrigen werde die Abgasrück­führung unter den für sie vorgesehenen Bedingungen auch gar nicht abge­schaltet, sondern sie sei stets aktiv.
Der Ermitt­lungs­richter in Paris fragte deshalb beim EuGH in Luxemburg nach, ob Motorsteuerungen wie im VW-Diesel EA189 eine verbotene Abschalt­einrichtung im Sinne der EU-Regeln darstellen. Klare Antwort von Eleanor Sharps­ton: Die Reduktion der Abgas­reinigung unter Bedingungen jenseits der für die Prüf­stand­versuche zur Ermitt­lung des Schad­stoff­ausstoßes für die Typzulassung sei eine illegale Abschalt­einrichtung. Genauer noch: Eine Vorrichtung, die Prüf­standbedingungen ermittelt, um einen beliebigen Teils des Emissions­kontroll­systems zu akti­vieren oder zu verstärken, sei als illegal zu bewerten. Solche Mecha­nismen dürften nur unter engen Voraus­setzungen zum Schutz vor Unfällen oder Motorschäden genehmigt werden. Das Ziel, den Verschleiß oder die Verschmut­zung des Motors zu verzögern, recht­fertigen nach Ansicht der General­anwältin nicht den Einsatz einer Abschalt­einrichtung.
Der Antrag von Eleanor Sharps­ton bindet den EuGH nicht. In der Regel entscheidet der EuGH allerdings so, wie seine General­anwälte es empfehlen. Wann das endgültige Urteil fällt, ist noch nicht klar. Zumindest einige Wochen werden in jedem Fall noch vergehen.
Deutsche Juristen über­rascht die Entscheidung der General­anwältin nicht. Sie sind ohnehin fast geschlossen davon ausgegangen: Die fast voll­ständige Abschaltung der Abgas­reinigung ist illegal.
Über die Rechts­folgen der illegalen Motorsteuerung in Frank­reich, Deutsch­land und den übrigen EU-Mitglieds­ländern sagt der Schluss­antrag von Eleanor Sharps­ton direkt nichts aus. In Deutsch­land gehen die Verwaltungs­gerichte davon aus: Die Typzulassung der Skandal­autos blieb trotz der illegalen Abschaltung der Abgas­reinigung wirk­sam. Erst die Änderung der Typzulassung durch das Kraft­fahrt­bundes­amt nach Bekannt­werden des Abgas­skandals machte die Autos illegal, so lange nicht die neu entwickelte und von der Behörde genehmigte Motorsteuerung installiert war. Die Zivilge­richt gehen demgegen­über über­wiegend davon aus, dass Käufer eines Skandal­autos wegen der illegalen Motorsteuerung von Anfang an damit rechnen mussten, dass ihren Wagen die Zulassung entzogen wird.
Auch Eleanor Sharps­ton neigt wohl eher zu der Ansicht: Die Typzulassung war unwirk­sam. Jedenfalls ist sie der Meinung: Eine Abschaltung oder Verringerung der Abgas­reinigung zum Schutz vor Unfällen oder Motorschäden bedarf der ausdrück­lichen Genehmigung. Die Hersteller hatten jedoch die unterschiedliche Arbeits­weise der Abgas­reinigung je nach Bedingungen nicht offengelegt. Die Typgenehmigung dürfte sich also nach Ansicht der General­anwältin wohl nur auf die Motorsteuerung im Prüf­standmodus bezogen haben. Folge nach deutschem Recht wäre: Die nicht offengelegte Arbeits­weise der Abgas­reinigung unter vom Prüf­stand abweichenden Bedingungen erscheint als Veränderung des Fahr­zeugs gegen­über der Typgenehmigung, die zum sofortigen Erlöschen der Zulassung führt.
EuGH-General­anwältin Eleanor Sharps­ton, Schlussantrag vom 30.04.2020
Aktenzeichen: C-693/18

20.04.2020 Was test.de für unwahr­scheinlich gehalten hatte: VW verschickt bereits seit gestern E-Mail-Vergleichs­bestätigungen. Bis heute soll der Versand von rund 200 000 Mails abge­schlossen sein. Übrig sind nach Darstellung des Konzerns 21 000 Fälle, in denen die Prüfung noch nicht abge­schlossen ist. Weitere Einzel­heiten in der VW-Pressemitteilung zum Thema.
Folge des Versands schon heute: Die Widerrufs­frist läuft bereits am Montag, 4. Mai, ab. Vergleichs­partner können nicht mehr reagieren, wenn der Bundes­gerichts­hof am Dienstag, 5. Mai, verbraucherfreundlich urteilt.
Voraus­setzung allerdings: VW hat die vergleichs­willigen Abgas­skandal­opfer korrekt über das Widerrufs­recht informiert. Sollte sich die Information als fehler­haft oder unzu­reichend erweisen, dann beginnt die Widerrufs­frist nicht und können Verbraucher den Vergleich weiterhin widerrufen. test.de wird bei den wichtigen VW-Kanzleien nach­fragen, wie die Anwälte dort die Rechts­lage einschätzen.

17.04.2020 Das Handelsblatt berichtet: Auch Daimler bietet Abgaskandal-Klägern jetzt Vergleiche an. Für einzelne Fälle bestätigte der Auto­bauer das. Zu Gründen wollte er sich dem Handels­blatt gegen­über nicht äußern. Das Unternehmen halte die Mercedes-Motorsteuerungen nach wie vor für legal und Schaden­ersatz­forderungen für unbe­gründet.

17.04.2020 Prof. Heese und sein Team beim Projekt Dieselskandal der Uni Regensburg weisen darauf hin: Das Kraft­fahrt­bundes­amt (KBA) und das Umwelt­bundes­amt (UBA) bewerten die von VW neu entwickelte Motorsteuerung komplett unterschiedlich. Das KBA sieht nach seinen Unter­suchungen eine entscheidende Verringerung des Stick­oxid-Ausstoß gegen­über der ursprüng­lichen illegalen Motorsteuerung. Das UBA betonte demgegen­über, dass die nach der Norm Euro 5 schad­stoff­armen VW-Diesel­motoren auch mit der neuen Motorsteuerung im Straßenverkehr durch­schnitt­lich mehr als dreimal so viel der giftigen Gase ausstoßen, als bei den Prüf­stand­versuchen bei Typzulassung der Fahr­zeuge zulässig war. Hinzu komme noch: Der Kohlen­dioxid­ausstoß und damit der Kraft­stoff­verbrauch steige durch die neuen Motorsteuerung.

09.04.2020 Zum Urteil des High Court of Justice in London liegt inzwischen auch die vollständige Begründung vor. Sie ist 97 Seiten lang und setzt sich mit jedem einzelnen Argument der VW-Anwälte auseinander.

07.04.2020 Der High Court of Justice in London hat fest­gestellt: VW muss gut 90 000 Besitzern von Skandal­autos in England und Wales Schaden­ersatz zahlen. Die Richter hielten es für erwiesen, dass VW in Groß­britannien Autos mit illegaler Motorsteuerung und weit über­höhtem Schad­stoff­ausstoß verkaufte. Wie hoch die Entschädigung der Betroffenen jeweils zu sein hat, steht noch nicht fest. Das klärt die britische Justiz in einem separaten Verfahren. VW prüft, ob das Unternehmen Berufung einlegt. Weitere Einzelheiten im Bericht der Legal Tribune Online.

31.03.2020 Prof. Dr. Michael Heese, Initiator und Leiter des Abgasskandal-Projekts an der Uni Regensburg ist anders als die Juristen bei test.de der Meinung: Die gestern vom Bundes­gerichts­hof veröffent­lichen Verhand­lungs­termine (s. u., 30.03.2020) lassen noch keinen Rück­schluss darüber zu, wie die Richter dort die Rechts­lage sehen. Die Fälle müssten ja so oder so abge­arbeitet werden, argumentiert er. Revisions­verfahren enden aber oft durch eine Rück­nahme, ein Anerkennt­nis oder eine Einigung der Parteien, nachdem der Bundes­gerichts­hof in einem anderen Fall ein Grund­satz­urteil gefällt hat und klar ist, wie er den aktuell noch anhängigen Fall beur­teilen wird. Das ist schon aus Kostengründen naheliegend. Die Fortsetzung des Revisions­verfahrens trotz inzwischen klarer Ansagen führt bei einem Streit­wert von wie in Abgas­skandalfällen häufig 25 000 Euro zu zusätzlichen Kosten von 3 555 Euro. Rechts­schutz­versicherer bestehen in solchen Fällen darauf, das Verfahren sofort zu beenden und die Kosten zu vermeiden. Die arbeits­aufwendige Vorbereitung eines Verhand­lungs­termins ersparen sich Richter gern, wenn dieser Termin mit hoher Wahr­scheinlich­keit nicht mehr statt­finden wird. Die Juristen bei test.de glauben deshalb weiterhin: Der Bundes­gerichts­hof wird die Schaden­ersatz­klage, über die am 5. Mai verhandelt wird (s. u. unter 19.12.2019 und 09.03.2020), nicht abweisen.
Grund­sätzlich ist Prof. Heese selbst auch sehr opti­mistisch: VW sei vor Gericht letzt­lich chancenlos und werde Schaden­ersatz zahlen müssen, sagte er bereits im November dem Norddeutschen Rundfunk.

30.03.2020 Der Bundes­gerichts­hof (BGH) will VW offen­bar dazu verurteilen, Abgas­skandal­opfer zu entschädigen. Das halten die Rechts­experten bei test.de für an sicher grenzend wahr­scheinlich. Die für Schaden­ersatz­klagen zuständigen Richter des VI. Senats in Karls­ruhe haben nämlich in drei weiteren Abgas­skandalfällen Verhand­lungs­termine anberaumt. Das hat nur Sinn, wenn sie vorläufig der Meinung sind: VW schuldet Schaden­ersatz. Sonst wäre es nämlich bei der bereits vor Monaten angekündigten Verhand­lung am Dienstag, 5. Mai, geblieben (s. u. unter 19.12.2019 und unter 09.03.2020). Hier Einzel­heiten zu den zusätzlichen Terminen:
Um zwei bei den Gerichten in Braun­schweig gescheiterte Schaden­ersatz­klagen gegen VW geht es am Dienstag, 21. Juli. Der 7. Senat dort hatte die Klagen der Skandal­autobesitzer abge­wiesen, weil nicht klar ist, er ob Organe der VW AG – also Vorstands­mitglieder – verantwort­lich sind, und weil er keinen Betrug von VW-Verantwort­lichen zu erkennen vermochte. Besonderheit noch: Der Besitzer einer der beiden Wagen hatte sich geweigert, die neu von VW entwickelte Motorsteuerung installieren zu lassen. Sein Wagen ist seit 2018 still­gelegt. Weitere Einzel­heiten in der Ankündigung der Termine.
Am Dienstag, 28. Juli, will der fürs Schaden­ersatz­recht zuständige VI. Senat klären, ob und wie viel Schaden­ersatz einer Frau aus dem Raum Oldenburg zusteht. Sie hatte im August 2014 einen gebrauchten Golf VI 1.6 TDI. Er bekam im Jahr 2017 die neue, angeblich legale Motorsteuerung. Das Ober­landes­gericht Oldenburg verurteilte VW zur Erstattung des Kauf­preises abzüglich einer Nutzungs­entschädigung. Die berechnete es mit einer Gesamt­fahr­leistung von nur 200 000 Kilo­metern. Die meistern anderen Gerichte rechnen mit 250 000 Kilo­metern. Danach darf VW nur eine geringere Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter vom Kauf­preis abziehen. Verbraucherfreundlich allerdings: Laut Ober­landes­gericht Oldenburg hat VW der Frau zum Stichtag heute rund 3 600 Euro Zinsen auf den Kauf­preis zu zahlen. Weitere Einzel­heiten in der Ankündigung des Termins.
Ober­landes­gericht Oldenburg, Urteil vom 02.10.2019
Aktenzeichen: 5 U 47/19
Kläger­vertreter: Hahn Rechtsanwälte, Bremen/Hamburg/Stuttgart

Klar: Ob die Termine wirk­lich statt­finden, bleibt abzu­warten. Die Verhand­lung Anfang Mai könnte noch an der Corona-Krise scheitern. Und: Möglicher­weise bietet VW den jeweiligen Klägern so viel Geld, dass die sich dazu bereit erklären, die Verfahren jeweils ohne Urteil zu beenden. Hintergrund: VW will mit möglichst vielen von rund 260 000 Teilnehmern der Muster­fest­stellungs­klage zum Abgas­skandal Vergleiche abschließen, wonach diese zwischen 1 350 und 6 257 Euro erhalten sollen. Die haben jedoch 14 Tage Zeit, ihren Vergleich zu widerrufen. Diese 14 Tage werden jedenfalls in einem Teil der Fälle noch nicht abge­laufen sein, wenn der BGH am 5. Mai verhandelt. Urteilt der BGH an dem Tag verbraucherfreundlich, werden von diesem Recht wohl viele Gebrauch machen, um mehr Schaden­ersatz zu fordern, als VW ihnen jetzt von sich aus anbietet.

24.03.2020 Nach Vorstellung der von Dr. Stoll & Sauer Rechts­anwälten vermittelten Prozess­finanzierung gestern (s. u., 23.03.2020) zog heute die Profin Prozessfinanzierungs GmbH alias Lawbutler nach. Geschäfts­führer Christoph Rother erklärte in einer Online-Presse­konferenz die Einzel­heiten. Danach funk­tioniert Profin ziemlich genau so wie das Stoll & Sauer-Angebot. Allerdings liegt die Provision bei mindestens 20 statt 17 Prozent, ist bei einer 20 000 Euro-Klage also 600 Euro teurer. Wer bis zu 5 000 Euro schon bei Klageerhebung kassieren will, muss am Ende sogar 30 Prozent der Schaden­ersatz­zahlung von VW ans Unternehmen abtreten, bei besagter 20 000 Euro-Klage also insgesamt 6 000 Euro.
test.de empfiehlt: Niemand sollte jetzt kurz vor Verkündung der Grund­satz­urteile zum VW-Skandal durch den Bundes­gerichts­hof und den Europäischen Gerichts­hof einen Prozess­finanzierer einschalten oder sonst recht­liche Schritte gegen VW einleiten, sondern unbe­dingt abwarten. Teilnehmer der Muster­fest­stellungs­klage sollten zunächst nur entscheiden, ob sie den von VW angebotenen Vergleich annehmen. Kriterien dafür und weitere Einzel­heiten finden Sie im test.de-Special Musterfeststellungsklage: Dieselskandal und andere Verfahren – alle Infos. test.de erwartet: Die Durch­setzung von Schaden­ersatz­ansprüchen wird nach Verkündung der Grund­satz­urteile leichter und auch preis­werter.

23.03.2020 Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwälte berichten: Sie können Teilnehmern der VW-Muster­fest­stellungs­klage unter bestimmten Voraus­setzungen eine Prozess­kosten­finanzierung vermitteln, um mehr Schaden­ersatz durch­zusetzen, als VW bei Annahme des Vergleichs­angebots zahlen würde. Hat die Klage auf Erstattung des Kauf­preises abzüglich Nutzungs­entschädigung Erfolg, zahlen Stoll & Sauer-Mandanten dem Finanzierer eine Provision in Höhe von 17 Prozent dessen, was VW an sie zahlt. Der Wert des Wagens, den der Kläger am Ende an VW zurück­zugeben hat, wird dabei nicht berück­sichtigt. Mit anderen Worten: Die Erstattung des Kauf­preises abzüglich der Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter und der 17 Prozent Provision für den Prozess­kosten­finanzierer sowie abzüglich des mutmaß­lichen Erlöses bei Weiterverkauf des Wagens muss höher sein als der Betrag, den VW aktuell ohne Rück­gabe des Wagens anbietet. Die Kanzlei glaubt: Aussichts­reich ist die Prozess­finanzierung bei über 25 000 Euro teuren Autos, die noch keine 100 000 Kilo­meter gelaufen sind.
Noch zu beachten: Auch die Prozess­kosten haben Einfluss auf die Provision. Die Erstattung der Prozess­kosten von VW an den jeweiligen Kläger erhöht die Provision. Abge­zogen wird das Geld, dass der Prozess­kosten­finanzierer an Gerichts­kosten und Vorschuss auf die Anwalts­honorare ausgelegt hat. Beispiel: VW zahlt am Ende 20 000 Euro. Einge­klagt waren aber 25 000 Euro und der Kläger muss 20 Prozent der Prozess­kosten tragen. Er zahlt dann eine Provision von 17 Prozent auf (20 000 Euro zuzüglich 2 088,66 Euro (die VW nach Abzug der eigenen Kosten im Kosten­fest­setzungs­verfahren an den Kläger zu zahlen hat) – 3 481,10 Euro (die der Prozess­finanzierer vor Beginn des Verfahrens an Gerichts- und Anwalts­kosten ausgelegt hat), also 18 607,56 Euro. Der Kläger erhält am Ende diesen Betrag abzüglich 3 163,29 Euro Provision, also 15 444,27 Euro. Gegen­beispiel: VW zahlt 20 000 Euro. So viel war auch einge­klagt und VW muss alle Kosten tragen. Grund­lage für die Provision sind dann diese 20 000 Euro und der Kläger erhält am Ende 83 Prozent davon, also 16 600 Euro.
Klar: Allenfalls ausnahms­weise werden Kläger einen Anteil an den Kosten zu tragen haben. Dr. Stoll & Sauer werden im Gerichts­verfahren natürlich nur beantragen, was dem Kläger nach den Ansagen des Bundes­gerichts­hof auch wirk­lich zusteht.
Nicht in der Rechnung berück­sichtigt sind Zinsen. Von denen erhält der Kläger am Ende stets 83 Prozent. Sie werden bei der Kostenquote in aller Regel nicht berück­sichtigt. Anders ausgedrückt: Wegen der Abweisung von Zins­forderungen muss der Kläger praktisch nie einen Anteil der Verfahrens­kosten über­nehmen.

19.03.2020 Dr. Axel Friedrich, früher Abteilungs­leiter im Umwelt­bundes­amt und jetzt Sach­verständiger im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe (DUH), berichtet: Die DUH hat inzwischen den Stick­oxid­ausstoß von 142 Diesel-Modellen verschiedener Hersteller vor und nach der Installation einer neuen Motorsteuerung gemessen. Sein Fazit: Bei zahlreichen Modellen bringt das Software-Update wenig bis gar nichts. Nach wie vor funk­tioniere die Abgas­reinigung im wirk­lichen Leben kaum oder gar nicht. Ihm sei unklar, wieso das Kraft­fahrt­bundes­amt die geänderten Motorsteuerungen genehmigt habe. Ganz viele Fahr­zeuge seien aus seiner Sicht nach wie vor eindeutig illegal. Mehr Informationen der DUH zum Abgasskandal.

19.03.2020 VW hat die Entschädigung von VW-Skandal­opfern gestartet, die sich an der Musterfeststellungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverbands beteiligt haben. Die Metaclaims Sammelklagen Finanzierungsgesellschaft hat ein Angebot für Teilnehmer der Sammelklage entwickelt, denen VW kein Angebot macht. Voraus­setzung nur: Der Kauf erfolgte bis Ende 2015 oder das Schreiben mit der Aufforderung, in der Werk­statt eine neue Motorsteuerung installieren zu lassen, kam erst im Jahr 2017 – wie vor allem bei Besitzern von Skoda-Modellen häufig. Wie sonst auch bei Metaclaims: Die Teil­nahme ist kostenlos, solange sie keinen Erfolg hat. Soweit VW schließ­lich zahlt, erhält Metaclaims eine Provision in Höhe von 33 Prozent.

16.03.2020 Nach dem 19. (s. u., 25.07.2019) ist jetzt auch der 18. Senat am Ober­landes­gericht Köln der Meinung: VW muss zusätzlich zum Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung auch Zinsen auf den Kauf­preis zahlen. Das berichtet Rechtsanwalt Sven Petermann von Arnold Baller Mathias Rechtsanwälte. Das Urteil stehe zwar noch aus, aber die Ansagen in der mündlichen Verhand­lung seien eindeutig gewesen, berichtete Petermann.
Auch der 4. Senat in Köln trägt die verbraucherfreundliche Linie mit. Er hat gerade ein Urteil zum VW-Skandal veröffent­licht. Danach muss VW wegen eines im November 2014 erworbenen Audi Q5 4 786,60 Euro Zinsen auf den Kauf­preis und bis heute weitere 929,13 Euro Prozess­zinsen auf die Klage­forderung zahlen.
Ebenso verbraucherfreundlich urteilte jüngst auch das Ober­landes­gericht Brandenburg. Die Verzinsung des Kauf­preises bringt VW-Skandal­opfern viel Geld und gleicht den Abzug der Nutzungs­entschädigung zumindest teil­weise aus. Bei einem am 16.03.2014 für 30 000 Euro erworbenen Skandal­auto macht allein die Verzinsung des Kauf­preises bis heute genau 7 200 Euro aus.
Ober­landes­gericht Köln, Urteil vom 10.03.2020
Aktenzeichen: 4 U 219/19 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: Noch unbekannt, bitte melden
Ober­landes­gericht Köln, Urteil für 26.03.2020 angekündigt
Aktenzeichen: 18 U 177/19 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: Arnold Baller & Mathias Rechtsanwälte, Köln
Ober­landes­gericht Brandenburg, Urteil vom 04.03.2020 (nicht rechts­kräftig)
Aktenzeichen: 4 U 65/19
Kläger­vertreter: Rogert & Ulbrich Rechtsanwälte, Düsseldorf

09.03.2020 Der Bundes­gerichts­hof (BGH) hat heute Hinweise für Besucher veröffent­licht, die die öffent­liche Verhand­lung über Schaden­ersatz­ansprüche von Skandal­autobesitzern am Dienstag, 5. Mai, besuchen wollen. Nur wer sich recht­zeitig anmeldet, bekommt einen Platz. Es zählt die Reihen­folge des Eingangs der Anmeldungen. Hier die Hinweise im Original.
Passend dazu: Der Kläger in dem BGH-Verfahren hat sich öffent­lich zu Wort gemeldet. Der Allgemeinen Zeitung in Mainz sagte er: Er werde auf keinen Fall einen Vergleich mit Schweigeverpflichtung akzeptieren. (Unserem Leser „Lese­probe“: Vielen Dank für den Hinweis!)
Gleich­wohl: Der Termin kann trotzdem noch platzen. VW kann die eigene Revision gegen die Verurteilung zu Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung noch bis zum Beginn der mündlichen Verhand­lung zurück­nehmen. Die vom Kläger einge­legte Revision wegen des Abzugs einer Nutzungs­entschädigung beim Ober­landes­gericht Koblenz würde gegen­stands­los, wenn VW die Forderung des Klägers anerkennt. Es erginge dann nur ein Anerkennt­nis­urteil ohne Begründung. Allerdings kann der Bundes­gerichts­hof ausführ­liche Hinweise zur Rechts­lage beschließen. So war er seiner­zeit verfahren, als die Verhand­lung über die Revision eines VW-Händ­lers gegen die Verurteilung zur Erstattung des Kauf­preises platzte, siehe unten unter dem 23.02.2019 und dem 25.02.2019.

09.03.2020 Auch das Ober­landes­gericht Dresden hat VW jetzt zu Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung verurteilt. Sogar ein Mann, der erst im Dezember 2015 nach Bekannt­werden des Skandals einen VW Passat TDI gekauft hatte, erhält den Kauf­preis abzüglich Nutzungs­entschädigung zurück. Die Informationen von VW im September 2015 reichten aus Sicht der Richter in Dresden nicht aus, um potenzielle Käufer der Wagen korrekt über die tech­nische und recht­liche Reich­weite der Manipulationen zu informieren.
Ober­landes­gericht Dresden, Urteil vom 05.03.2020
Aktenzeichen: 10a U 1834/19 (nicht rechts­kräftig, die Revision ist zugelassen)
Ober­landes­gericht Dresden, Urteil vom 05.03.2020
Aktenzeichen: 10a U 1907/19 (nicht rechts­kräftig, die Revision ist zugelassen)
Kläger­vertreter jeweils: BRR Baumeister Rosing Rechtsanwälte, Berlin/Esslingen

02.03.2020 Jetzt also doch: VW und der Verbraucherzentrale Bundes­verband besiegeln ihren außerge­richt­lichen Vergleich im Muster­fest­stellungs­verfahren zwischen den Verbraucherschützern und dem Auto­konzern. Alle Teilnehmer sollen je nachdem, welches Auto­modell sie besitzen und aus welchem Modell­jahr es stammt, eine Entschädigung zwischen 1 350 und 6 257 Euro erhalten. Klar: Der Vergleich ist freiwil­lig. Wer ihn wie manche unserer Leser in den Kommentaren nicht für fair hält, kann noch bis mindestens Oktober seine Rechte selbst in die Hand nehmen. So lange ist die Verjährung noch mindestens gehemmt. Alle Details zum Vergleich im Special Musterfeststellungsklage auf der Seite Klage gegen Volkswagen.

27.02.2020 Ein weiteres Ober­landes­gericht hält für möglich, dass Käufer von Skandal­autos auch wegen erst nach Bekannt­werden des Skandals erworbener Autos Schaden­ersatz­ansprüche gegen VW haben. Der Käufer muss das Gericht dann allerdings davon über­zeugen, dass er nichts von der illegalen Motorsteuerung seines Wagens wusste. Hilfs­argument: VW habe nicht genug unternommen, um potenzielle Käufer der Wagen aufzuklären. „Jedenfalls nach dem im hiesigen Verfahren maßgeblichen Sach- und Streit­stand waren (...) die Presse­mitteilung vom 22.09.2015, die Frei­schaltung der Internet-Abfrage­möglich­keit Anfang Oktober 2015, die Information ihrer Vertriebs­partner und die öffent­liche Bericht­erstattung – nicht geeignet, (...) den Sittenwid­rigkeits­vorwurf abzu­wenden. Mit diesen Maßnahmen allein hat die Beklagte nicht die Schritte unternommen, die erforderlich sind, um weitere Schäden für potenzielle Käufer zu vermeiden und so eine Bewertung ihres Verhaltens als sittenwid­rig entfallen lassen zu können“, heißt es in der Urteils­begründung.
Ober­landes­gericht Brandenburg, Urteil vom 11.02.2020
Aktenzeichen: 3 U 89/19
Kläger­vertreter: Rechtsanwälte Hillmann und Partner, Oldenburg

20.02.2020 Neue Wendung im Streit zwischen Verbraucherzentrale Bundes­verband (vzbv) und VW: Die Parteien der Muster­fest­stellungs­klage wollen doch weiter über einen Vergleich verhandeln. Dazu hätten sie sich auf das dringende Anraten des Ober­landes­gerichts Braun­schweig entschlossen. Das teilt das Gericht per Presse­mitteilung mit. Die Verhand­lungs­führung über­nehme jetzt auf Antrag beider Parteien der Präsident des Ober­landes­gerichts, Wolfgang Scheibel.

20.02.2020 Rechts­anwalt Ralph Sauer, einer der Parner der vzbv-Musterklagekanzlei R.U.S.S.-Litigation, hat sich gegen­über dem Juve-Verlag ausführlich zum Scheitern der Verhandlungen über einen Vergleich zwischen VW und Verbraucherschützern geäußert. Danach war das Haupt­problem: VW wollte einen schnellen Vergleich vor Verkündung des ersten BGH-Urteils Anfang Mai 2020 und war ein solcher nach den dafür in der Zivil­prozess­ordnung vorgesehenen Regeln nicht schnell genug zu erreichen. VW- und vzbv-Anwälte hätten deshalb über einen außerge­richt­lichen Vergleich verhandelt. Die Abwick­lung eines solchen Vergleichs für 120 Euro pro Fall wäre für die Anwälte ein erhebliches Risiko gewesen.

17.02.2020 Die Vergleichs­verhand­lungen im Muster­fest­stellungs­streit zwischen VW und Verbraucherzentrale Bundes­verband (vzbv) sind geplatzt. VW behauptet, die Verbraucher­schutz­anwälte hätten zu viel Geld verlangt. Der vzbv hält das für einen Vorwand. VW habe die Verhand­lungen platzen lassen. „Ein zweiter Betrug“, schimpfte vzbv-Chef Klaus Müller gegen­über Redak­teuren des Handels­blatts sogar. VW will Musterklage-Teilnehmer jetzt am vzbv vorbei entschädigen. Weitere Einzel­heiten in den Fragen & Antworten zur VW-Musterklage im Musterklagen-Special.

31.01.2020 Rechtsanwalt Ehssan Khazaeli von Rüden Rechtsanwälte in Berlin berichtet: Das Ober­landes­gericht in Oldenburg hat soweit bekannt als bundes­weit erstes geur­teilt: Erst 2019 erhobene VW-Abgas­skandal-Klagen sind nicht verjährt. Außerdem verbraucherfreundlich: VW muss vier Prozent Zinsen auf den Kauf­preis zahlen – von der Zahlung an. Die Urteils­begründung liegt noch nicht vor, nur der Tenor ist bekannt. Die Revision zum Bundes­gerichts­hof ist zugelassen.
Land­gericht Osnabrück, Urteil vom 16.08.2019
Aktenzeichen: 5 O 1462/19 (nicht rechts­kräftig)
Ober­landes­gericht Oldenburg, Urteil vom 30.01.2020
Aktenzeichen: 1 U 131/19 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: von Rüden Rechtsanwälte, Berlin

24.01.2020 Das Verbraucherinkasso- und Prozess­finanzierungs­unternehmen Myright.de berichtet: Das Ober­landes­gericht Hamm hat VW auf eine Klage des Unter­nehmens hin zu Schaden­ersatz wegen eines VW Tiguan 2.0 TDI verurteilt. Der Käufer des Wagens hatte seine Ersatz­ansprüche gegen VW an das Unternehmen abge­treten und dieses erhob Klage. VW muss den Kauf­preis abzüglich einer Entschädigung für die damit gefahrenen Kilo­meter erstatten. Die berechnet das Gericht verbraucherfreundlich mit einer Gesamt­lauf­leistung von 300 000 Kilo­metern. Myright.de erhält knapp 28 000 Euro. Der Wagen hat rund 84 000 Kilo­meter gelaufen und kostete im Jahr 2007 rund 39 000 Euro. Hinzu kommen noch rund 3 000 Euro Zinsen für die Zeit ab Klageerhebung. Myright.de selbst hat eine ausführliche Pressemitteilung zum Fall veröffent­licht. Wie viel Provision Myright.de abzieht, bevor es das Geld an den Kläger weiterleitet, ist nicht bekannt. Maßgeblich war seiner­zeit ein Satz von 35 Prozent der VW-Zahlung abzüglich des Rest­werts des Wagens, den der Kläger ja an VW zurück­zugeben hat.
Ober­landes­gericht Hamm, Urteil vom 20.01.2020
Aktenzeichen: I-13 U 40/18 (nicht rechts­kräftig, die Revision ist zugelassen)
Kläger­vertreter: Hausfeld Rechtsanwälte, Berlin

23.01.2020 Womöglich bahn­brechend: Das Ober­landes­gericht Oldenburg hat VW mit ausführ­licher und aus Sicht von test.de sehr über­zeugender Begründung wegen eines erst nach Bekannt­werden des Abgas­skandals erworbenen Wagens zu Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung verurteilt. Nur wenn VW potenziellen Käufern klar mitgeteilt hätte, dass die Motorsteuerung der Autos illegal ist und ihnen deshalb die Zulassung entzogen werden kann, wäre die Schädigung von Käufern der Autos entfallen. VW habe aber nur von „Auffälligkeiten“ und „Unregelmäßig­keiten“ gesprochen. Die Mehr­zahl der Gerichte geht bisher davon aus: Wegen nach Bekannt­werden des Skandals erworbener Autos muss VW keine Entschädigung zahlen. Rogert & Ulbrich Rechts­anwälte, die das Urteil erstritten haben, kommentieren es in einer Pressemitteilung ausführ­lich selbst.
Ober­landes­gericht Oldenburg, Urteil vom 16.01.2020
Aktenzeichen: 14 U 166/19 (nicht rechts­kräftig, die Revision ist zugelassen)
Kläger­vertreter: Rogert & Ulbrich Rechtsanwälte, Düsseldorf

20.01.2020 Mit Abschluss eines Vergleichs ist der Rechts­streit um ein Skandal­auto noch nicht unbe­dingt zu Ende. Spiegel online berichtet unter Berufung auf einen nicht genannten Rechts­anwalt, der trotz der stets mit Vergleichs­schluss verbundenen Pflicht zum Still­schweigen einige Einzel­heiten berichtet: Immer wieder gibt es bei der Rück­abwick­lung Streit. Den Gegen­wert von Kratzern und Beulen zieht VW von der Zahlung ab, wenn es um mehr als bis 250 Euro teure Bagatell­schäden geht. Porsche verpflichtet sich in Vergleichen sogar nur zum Ankauf des Skandal­autos im Gegen­zug zur Erstattung des ursprüng­lichen Kauf­preises abzüglich einer Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter. Folge für den Besitzer des Wagens: Er haftet für Mängel bis hin zum völligen Ausschluss der Rück­abwick­lung. Zuweilen stocke die per Vergleich vereinbarte Rück­abwick­lung, weil der Händler, über den sie abge­wickelt wird, den so genannten „Abrechnungs­bogen“, mit dem Zustand und Besonderheiten des zurück­gegebenen Wagens erfasst werden, nicht oder nicht recht­zeitig ausfüllt und an VW schickt.

17.01.2020 Rechtsanwalt Frederik Wietbrok aus Hamburg teilt mit: Auch das Ober­landes­gericht Hamburg sieht VW in der Pflicht, an Käufer von Skandal­autos Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung zu zahlen. Besonders interes­sant: Die hanseatischen Ober­landes­richter halten in einem Hinweis­beschluss weder den voll­ständigen Abzug einer Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter noch die voll­ständige Erstattung des Kauf­preises für fair. Sie wollen die Erstattung des Kauf­preises nur um eine Entschädigung für bis zur Klageerhebung gefahrene Kilo­meter kürzen.
Hanseatisches Ober­landes­gericht (Hamburg), (Hinweis-)Beschluss vom 13.01.2020
Aktenzeichen: 15 U 190/19 (nicht rechts­kräftig)
Kläger­vertreter: Wietbrok Rechtsanwälte, Hamburg

16.01.2020 Das Land­gericht Braun­schweig teilt mit: Die Anklage gegen sechs weitere führende Mitarbeiter des VW-Konzerns ist bei Gericht einge­gangen. Die Staats­anwalt­schaft wirft ihnen wegen der Entwick­lung der illegalen Motorsteuerung mit Prüf­stand­erkennung und Abschaltung der Abgas­reinigung im Normal­betrieb vor allem Betrug im besonders schweren Fall vor.
Recht­lich interes­sant: Die Staats­anwälte glauben außerdem, dass die VW-Mitarbeiter sich der mittel­baren Falsch­beurkundung schuldig gemacht haben. Sie hätten die Ausstellung falscher Über­einstimmungs­erklärungen für die neun Millionen Skandal­autos veranlasst. Das heißt: Sie sind – wie einzelne Zivilge­richte, aber anders als das Kraft­fahrt­bundes­amt in Flens­burg, das Bundes­verkehrs­ministerium und alle Verwaltungs­gerichte, die sich bisher mit dem Thema befasst haben – der Meinung, dass sämtliche Skandal­autos sofort nach Bekannt­werden des Skandals hätten aus dem Verkehr gezogen werden müssen.
Außerdem haben die Straf­verfolger die für den VW-Skandal-Verantwort­lichen im Verdacht, eine Steuer­hinterziehung begangen zu haben, da ein Teil der Autos zu Unrecht als schad­stoff­arm nach der Norm „Euro 6“ einge­stuft und zeit­weise von der Kraft­fahr­zeugsteuer befreit war.
Umwelt­straftaten wie Luft­ver­unreinigung sind in der Anklage allerdings offen­bar nicht Thema.
Die Ankla­geschrift ist fast 900 Seiten stark. Allein die Haupt­akte umfasst 121 Bände. Hinzu kommen 114 Beweis­mittel­ordner und 70 Sonderbände.
Das Land­gericht stellt die Anklage zunächst den Angeklagten zu und gibt ihnen Gelegenheit zur Stellung­nahme. Es prüft dann, ob es eine Verurteilung für ausreichend wahr­scheinlich hält oder ob sie die Vorwürfe auf der Grund­lage der Darstellung des Falls durch die Staats­anwälte nicht für stichhaltig hält und entscheidet dann über die Zulassung der Anklage zur Haupt­versamm­lung. Wie lange das dauert, ist unklar. Zumindest werden Monate ins Land gehen, bevor fest­steht, ob und wegen welcher Vorwürfe VW-Manager auf der Ankla­gebank Platz nehmen müssen.
Insgesamt stehen jetzt elf Mitarbeiter des VW-Konzern, darunter auch Vorstands­chef Herbert Diess, Ex-Vorstands­vorsitzender Martin Winter­korn sowie Aufsichts­rats­chef Hans Dieter Pötsch, unter Anklage. Gegen 32 weitere wird noch ermittelt.
Der Berliner Rechtsanwalt Johannes von Rüden hat für eine nicht genannte Zahl von Mandanten beantragt, sie als Neben­kläger zum Straf­verfahren gegen Diess, Winter­korn und Pötsch zuzu­lassen. „Damit würden die Hundert­tausenden Verletzten auch im Straf­verfahren Gehör finden“, sagte er. Nachdem das Land­gericht seine Anträge zurück­gewiesen hat, liegt die Sache jetzt beim Ober­landes­gericht in Braun­schweig. Die Richter dort befürchten nach Darstellung des Rechts­anwalts, dass sich das Verfahren weiter in die Länge zieht und logistisch nicht zu bewältigen ist. Außerdem könnten vertrauliche Informationen zur Presse gelangen. Nun entscheidet das Ober­landes­gericht Braun­schweig.

10.01.2020 Myright.de berichtet: Das Land­gericht Braun­schweig hält die Musterklagen des Unter­nehmens für zulässig. Das Gericht wies die Parteien in dem Rechts­streit mit ausführ­licher Begründung darauf­hin, dass nach dem vom Bundes­gerichts­hof zu Wenigermiete.de (Urteil vom 27.11.2019, Aktenzeichen: VIII ZR 285/18) vertretenen Kriterien die Abtretung der Schaden­ersatz­forderungen gegen VW auf das Unternehmen wirk­sam sein dürfte. Der Beschluss erging in der zweiten von drei Klagen, mit der das Unternehmen rund 15 000 von Skandal­autobesitzern abge­tretene Schaden­ersatz­forderungen gegen VW durch­setzen will. „Wir erwarten jetzt in den weiteren Verfahren ähnliche Verfügungen und tragen gerade entsprechend vor“, erklärte Jan-Eike Andresen, Geschäfts­führer von Myright.de gegen­über test.de.
Land­gericht Braun­schweig, Hinweis vom 23.12.2019
Aktenzeichen: 3 O 5657/18 *903*
Kläger­vertreter: Hausfeld Rechtsanwälte LLP, Berlin

10.01.2020 Hahn Rechtsanwälte melden mit Verweis auf die Rückrufdatenbank beim Kraftfahrtbundesamt (KBA): Mercedes muss welt­weit 150 000 weitere Autos mit Diesel­motor mit einer neuen Motorsteuerung ausrüsten. In Deutsch­land sind etwa ein Drittel der Autos unterwegs. Es geht in Deutsch­land um verschiedene Modelle der C-, E-, M- und S-Klasse-Mercedes sowie verschiedene CLS, GLE und SLK aus den Baujahren 2012 bis 2018. Weitere Einzelheiten und eine Tabelle mit den betroffenen Modellen auf der Homepage der Kanzlei.

06.01.2020 Im fünften Jahr, nachdem der Abgas­skandal ruch­bar wurde, wird sich wohl endgültig entscheiden, ob und in welchem Umfang VW Besitzer von Autos mit illegaler Motorsteuerung entschädigen muss. Unmittel­bar nach Jahres­beginn verkündeten der Konzern und er Verbraucherzentrale Bundes­verband (vzbv): Die Muster­fest­stellungs­klage zu der beim Bundes­amt für Justiz fast 500 000 Anmeldungen von Rechten der Skandal­autobesitzer vorliegen, verhandeln über einen Vergleich. Wie lange das dauert, ist allerdings unklar. Die Parteien verhandeln zunächst unter Ausschluss der Öffent­lich­keit.
Branchen­experte Ferdinand Dudenhöfer vermutet allerdings: VW will nach der mutmaß­lichen Verjährung der meisten Ersatz­ansprüche schnell reinen Tisch machen und kommt noch im Früh­jahr ein Vergleich mit klaren Vereinbarungen darüber, wer unter welchen Voraus­setzungen wie viel Geld zu erhalten hat.
Hinzu kommt: Für Mai hat der Bundes­gerichts­hof die Verhand­lung eines VW-Skandal-Falls anberaumt (s. u., 19.12.2019).
Gleich­zeitig liegen diverse Fälle zum Abgas­skandal beim Europäischen Gerichts­hof in Luxemburg. Dort ist sogar noch umstritten, aber die Abgasrück­führung über­haupt eine Einrichtung zur Abgas­reinigung ist, deren Abschaltung durch die EU-Regeln verboten ist. VW hatte stets argumentiert: Die Abgasrück­führung reinigt keine Abgase. Durch die Verringerung des Sauer­stoff­gehalts des Luft-Kraft­stoff-Gemischs im Brenn­raum verringern sich Temperatur und Druck bei Zündung und sinkt dadurch der Stick­oxid­anteil in den Abgasen.
Umge­kehrt ist nach wie vor unklar, ob die Annahme der deutschen Behörden und Verwaltungs­gerichte, wonach die Skandal­autos aufgrund der Typgenehmigung weiterfahren durften, mit dem EU-Recht vereinbar ist. Manche Juristen - darunter die Rechts­experten der Stiftung Warentest - und einzelne Zivilge­richte meinen: Die Autos entsprachen nicht der Typgenehmigung gar nicht und hätten deshalb sofort still­gelegt werden müssen.

06.01.2020 Betriebs­untersagungen sind nur für Autos durch­setz­bar, für die die jeweils zuständige Behörde die Typgenehmigung geändert und die Hersteller zur Nach­rüstung der Autos mit einer neuen Motorsteuerung verpflichtet hat. Das hat das Verwaltungs­gericht Mainz entschieden. Ganz ähnlich hatte es bereits das Verwaltungs­gericht in Schleswig-Holstein gesehen.

In Mainz ging es um einen Skoda Yeti TDI, den der Besitzer nicht für den Austausch der Software zur Motorsteuerung in die Werk­statt gebraucht hatte. Das Kraft­fahrt­bundes­amt hatte das dem Land­kreis Alzey-Worms als Zulassungs­behörde mitgeteilt. Der hatte dem Besitzer darauf­hin den Betrieb des Wagens untersagt und die sofortige Voll­ziehung ange­ordnet.

Ständige Rechts­sprechung soweit bekannt aller Verwaltungs­gerichte in Deutsch­land: Das ist für Autos, deren Typzulassung das dafür in Deutsch­land zuständige Kraft­fahr­bundes­amt nach Bekannt­werden des Abgas­skandals geändert hat, ohne weiteres zulässig. Die Typzulassung für den Skoda Yeti kommt jedoch von der britischen Vehicle Certification Agency (VCA). Die hat zwar fest­gestellt, dass die Typzulassung rechts­widrig ist, sie jedoch offen­bar nicht geändert und die Nach­rüstung betroffener Autos ange­ordnet.

Folge laut der Verwaltungs­richter in Mainz: Der Wagen darf auch ohne Nach­rüstung der neuen Motorsteuerung einst­weilen weiterfahren. Die unver­änderte Typgenehmigung gilt weiter. test.de hält diese Sicht der Dinge für fragwürdig. Soweit bekannt wussten die Behörden bei der Typzulassung nichts davon, dass die VW-Motorsteuerung in Skandal­autos die Abgas­reinigung bei fast allen Fahrten im Straßenverkehr abschaltet. Das hieße: Die Autos entsprachen der Typgenehmigung gar nicht. Sie hätten sofort aus dem Verkehr gezogen werden müssen. Auf die Änderung der Typgenehmigung kam es danach gar nicht an.
Bemerkens­wert: Das Eilverfahren in Mainz machte seinem Namen alle Ehre. Die Betriebs­untersagung des Land­kreises nebst Anordnung des sofortigen Voll­zugs erging am Montag, 2. Dezember 2019. Am Freitag, 6. Dezember, legte der Auto­besitzer Wider­spruch ein und beantragte beim Verwaltungs­gericht in Mainz, den Voll­zug der Betriebs­untersagung zu stoppen. Bereits am Mitt­woch, 18. Dezember, entschied das Gericht.
Verwaltungs­gericht Mainz, Beschluss vom 18.12.2019
Aktenzeichen: 3 L 1127/19.MZ
Verbraucher­vertreter: Keiner (offen­bar ist der Besitzer des Skoda Yeti selbst Jurist und zog ohne Anwalt vor Gericht).

Ältere Einträge: Chronik des Abgasskandals (2016-2019)

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Chrix96 am 27.11.2022 um 13:21 Uhr
Danke für die Rückmeldungen!

Danke für die Rückmeldungen, obwohl ich mit der Frage spät dran bin.
Ich finde es schon ärgerlich, dass VW jetzt aufgrund der Gebrauchtwagenpreise Gewinne machen könnte, obwohl sie die jeweiligen Prozess eigentlich "verloren" haben.
Bei mir passt es auch nur, weil VW die kompletten Finanzierungskosten ersetzen muss.

floflo1990 am 25.11.2022 um 20:11 Uhr
Re: Was kann VW nach Abgabe in Rechnung stellen?

@Chris96
Zunächst die gute Nachricht: Die bei der Übergabe am Stoßfänger festgestellten Kratzer bleiben als normale Gebrauchsspuren unberücksichtigt, mindern also nicht die Schadensersatzforderung.
Die schlechte Nachricht: Wenn während einer langen Verfahrensdauer das Fahrzeug weiter genutzt wird, erhöht sich auch die anzurechnende Nutzungsentschädigung, wodurch die Schadensersatzforderung gemindert wird. Wie im vorausgegangen Beitrag bereits ausgeführt, wird das aber in der Regel im Urteil festgehalten. Fehlen Angaben hierzu, kommt es darauf an, welcher Betrag genau tituliert wurde. Im Zweifel ist für die Berechnung der Km-Stand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend. Da die Gebrauchtwagenpreise in den letzten Monaten stark angestiegen sind, könnte das zur Folge haben, dass der Restwert des Fahrzeugs höher ist als die Schadensersatzsumme. In dem Fall empfiehlt es sich, auf die Schadensersatzleistung zu verzichten und das Fahrzeug zu behalten.

Profilbild Stiftung_Warentest am 25.11.2022 um 14:29 Uhr
Was kann VW nach Abgabe in Rechnung stellen?

@Chris96: Die meisten unserer Leser sind mit dem Thema bereits durch. Es kann gut sein, dass Sie hier keine Rückmeldung bekommen. Unsere Redakteure können weiter nichts beitragen. Sie weisen allerdings darauf hin: Wenn VW dazu verurteilt ist, Ihnen den Kaufpreis abzüglich Nutzungsentschädigung zu erstatten, dann kommt es auf das Urteil an. In der Regel wird im Urteil festgelegt, wie viel Geld VW nach Abzug der Nutzungsentschädigung zu zahlen hat. Maßstab ist der Kilometer-Stand am Tag der letzten mündlichen Verhandlung.

Chrix96 am 25.11.2022 um 13:14 Uhr
Was kann VW nach Abgabe in Rechnung stellen?

Hallo, gibt es hier schon einen Austausch/Informationen zu der Frage, was VW nach Rückgabe des Fahrzeuges in Rechnung stellen kann?
Bei mir hat sich durch die Berufung von VW natürlich die Nutzungsdauer verlängert und damit wurde das Fzg. mit einen anderen Km-Stand als ursprünglich zur Berechnung der Nutzungspauschale erhoben, abgeben. Auch wurde bei der Übergabe Kratzer am Stoßfänger festgestellt und festgehalten. Kann VW eine neue Nutzungspauschale berechnen und mir z.B. die Reparatur der Kratzer in Rechnung stellen?

floflo1990 am 15.08.2022 um 18:51 Uhr
Re: OLGs vs. Schlussanträge Generalanwalt

In dem Trend der OLGe, die Schlussanträge des Generalanwalts nicht für einschlägig zu halten, wird ein weiterer Trend erkennbar, nämlich, dass man künftig die Frage, ob dem Verbraucher im Falle einer unzulässigen Abschalteinrichtung Schadensersatzansprüche zustehen, deutlich kritischer sehen wird. Das OLG Bamberg bringt es auf den Punkt und macht sich den Vorlagebeschluss des Generalanwalts dabei sogar zu eigen, indem es darauf verweist, dass eine Unkenntnis von der Abschalteinrichtung auf einer Täuschung der Genehmigungsbehörde beruhen muss. Da die Abgasstrategien und damit auch das Vorhandensein von Abschalteinrichtungen erst durch die ab 16.05.2016 gültige EU-VO 2016/646 verbindlich im Beschreibungsbogen anzugeben waren, konnte die Genehmigungsbehörde für Fahrzeuge, die vor diesem Datum ihre Typgenehmigung erhalten haben, auch nicht getäuscht werden. Schadensersatzansprüche werde sich daher nur noch dann begründen lassen, wenn sich eine aktive Prüfstandserkennung nachweisen lässt.