Abgas­skandal

Abgas­skandal: Chronik der Ereig­nisse

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31.05.2023 Rechts­anwältin Sandra Mader von Wawra & Gaibler Rechtsanwälte berichtet: Das Ober­landes­gericht Dresden hat es der Besitzerin und dem Hersteller eines erst­mals im November 2015 zugelassenen Opel Astra Sports Tourer mit 1.6 Liter CTDi-Motor angesichts des EuGH-Urteils zum Abgas­skandal (s. u. unter 21.03.2023) nahegelegt, sich auf einen Vergleich zu einigen. Sie wertet das als Anzeichen für eine Trendwende, nachdem die Gerichte in Deutsch­land Schaden­ersatz­klagen bei bloß fahr­lässiger Verletzung der EU-Typzulassungs­regeln zuvor in fast allen Fällen abge­wiesen hatten.
Der Bundes­gerichts­hof werde im Abgas­skandal wohl so ähnlich argumentieren wie bei Kartell­rechts­fällen und in seinen Caroline von Monaco-Urteilen, vermutet Zivil­rechts­professor Hans-Peter Schwintowski in einer Analyse und Einordnung der Äußerungen von BGH-Richterin Eva Menges in der Verhandlung Anfang Mai in der Legal Tribune Online (LTO). Der Schaden­ersatz müsse so bemessen sein, dass Auto­hersteller künftig die EU-Typzulassungs­regeln strikt beachten. Er schlägt vor, die Hersteller zu verurteilen, pauschal 30 bis 35 Prozent des Neupreises zu erstatten.
Am Montag, 26. Juni, um 12 Uhr verkündet Eva Menges das wohl letzte wichtige Grund­satz­urteil des Bundes­gerichts­hofs zum Abgas­skandal. Es zeichnet sich ab, dass auch die Besitzer von Autos Schaden­ersatz bekommen sollen, bei denen die Motorsteuerung die Abgas­reinigung nicht wie bei den VW-Skandal­autos bei normalen Fahrten im Straßenverkehr voll­ständig abschaltet, sondern sie je nach Temperatur, Luft­druck, Kühl­mittel­temperatur und anderen Faktoren illegal häufig reduziert. Die Deutsche Umwelt­hilfe DUH, Verbraucherschützer und -anwälte gehen davon aus: Das betrifft fast alle Autos mit Diesel­motoren bis einschließ­lich Euro 6c. Unklar ist vor allem noch, wie viel Geld die Besitzer solcher Autos erhalten sollen.
Fest steht schon jetzt: Viele Besitzer von Skandal­autos werden trotzdem leer ausgehen. Durch­setz­bar sind ihre Schaden­ersatz­ansprüche nur, so lange ab Ende des Jahres, indem sie von der womöglich illegalen Steuerung ihres Wagens erfahren haben, nicht mehr als drei Jahre vergangen sind. Kein Geld bekommt auch, wessen Schaden­ersatz­klage deutsche Gerichte rechts­kräftig abge­wiesen haben, auch wenn das dem verbraucherfreundlichen Grund­satz­urteil des Europäische Gerichts­hofs vom 21. März wider­spricht und das gleiche Gericht den Auto­hersteller jetzt zu Schaden­ersatz verurteilen würde.

17.05.2023 Wie erwartet: Gegen das Urteil des Verwaltungs­gerichts in Schleswig, mit dem das Gericht die Genehmigung der von VW nach Bekannt­werden des Abgas­skandals neu entwickelten Motorsteuerung als rechts­widrig aufhebt, haben sowohl das Kraft­fahrt­bundes­amt in Flens­burg als auch der VW-Konzern Berufung einge­legt. Zuständig ist jetzt der 5. Senat am Ober­verwaltungs­gericht in Schleswig. Folge: Das Verfahren wird noch Jahre dauern. Schon normale Berufungs­verfahren dauern in Schleswig über zwei Jahre im Durch­schnitt. Der 5. Senat dort ist unter anderem zuständig fürs Straßenverkehrs- und Umwelt­recht und besonders stark belastet.

09.05.2023 Das wohl letzte grund­legende Urteil zum Abgas­skandal verkündet der Bundes­gerichts­hof am Montag, 26. Juni, um 12 Uhr. Den ganzen Tag lang verhandelten Gericht und Anwälte gestern. Die Richter in Karls­ruhe erklärten ausdrück­lich, dass sie sich an die verbraucherfreundlichen Vorgaben des Europäischen Gerichts­hofs in Luxemburg gebunden sehen. Klar damit: Auch Besitzer von Autos, bei denen die Motorsteuerung die Abgas­reinigung nicht nur im Prüf­stand akti­viert wie bei den ursprüng­lichen VW-Skandalmodellen, bekommen Schaden­ersatz. Es reicht aus, wenn die Auto­hersteller fahr­lässig illegale Mecha­nismen einge­setzt haben. Es entlastet sie nicht, dass das Kraft­fahrt­bundes­amt die meisten Tricks ausdrück­lich erlaubt hatte. Unklar ist allerdings, worin genau der Schaden zu sehen ist und wie viel Geld Besitzern von solchen Skandal­autos 2.0 jetzt zusteht. Laut Legal Tribune Online (LTO) neigen die Richter in Karls­ruhe dazu, am enttäuschten Vertrauen der Käufer auf ein vorschrifts­mäßiges und umwelt­freundliches Auto anzu­setzen und damit recht­liches Neuland zu betreten. Was das genau heißt, blieb noch offen. Einzel­heiten zur Verhand­lung gestern im ausführlichen Bericht der LTO.

04.05.2023 Klare Ansagen: Wenn VW es nicht schafft, Motoren so zu konstruieren, dass sie unter in Europa gängigen Bedingungen sauber sind, dann darf es keine Autos damit verkaufen. So begründen die Verwaltungs­richter in Schleswig ihr bereits im Februar verkündetes Urteil gegen das Kraft­fahrt­bundes­amt (siehe unten unter 20.02.2023). Die Behörde habe die von VW nach Bekannt­werden des Abgas­skandals neu entwickelte Motorsteuerung zu Unrecht genehmigt.
In insgesamt 454 Absätzen erklären die Richter, wie sie die Rechts­lage sehen. Letzt­lich kaschiere VW, dass die seiner­zeit einge­setzte Technik der Abgasrück­führung nicht geeignet war, um die Diesel­motoren ausreichend sauber zu machen. Die Motorsteuerung für die Prüf­stand-Bedingungen zur Messung des Schad­stoff­ausstoßes zu optimieren, sei keine legale Lösung.
Kraft­fahrt­bundes­amt und VW haben sich zur Urteils­begründung bisher nicht geäußert. Es läuft jetzt die Frist, in der sie Berufung oder Revision einlegen können. Unsere Rechts­experten halten für sicher: Sie werden in Berufung gehen. Die Folge: Es wird noch Jahre dauern, bis das Verfahren abge­schlossen ist.
Schleswig-Holsteinisches Verwaltungs­gericht, Urteil vom 20.02.2023
Aktenzeichen:  3 A 113/18
Verbraucher­anwälte: Rechtsanwälte Remo Klinger und David Krebs, Berlin

25.04.2023 Die Sicherungs­abtretung aller Rechte gegen den Hersteller an die Bank bei Kredit­finanzierung schließt Schaden­ersatz­ansprüche nicht aus. Der Bundes­gerichts­hof urteilte: Die Regelung zur Sicherungs­abtretung in Mercedes-Bank-Kredit­verträgen ist unwirk­sam. Die Begründung ist kompliziert. Die Mercedes-Abtretungs­klausel weiche von zugunsten des Klägers zwingenden gesetzlichen Vorgaben ab. Sie führe entgegen einer der Regelung zu den Folgen eines Widerrufs im Bürgerlichen Gesetz­buch dazu, dass der Kreditkäufer seine Anzahlung auch dann nicht sofort zurück­fordern kann, wenn er den Wagen zurück­gegeben hat.
Es ging um einen Mercedes GLC 250 GLC (Euro 6), den der Kläger 2019 für genau 55 335,89 Euro erworben hatte. Er kann jetzt weiter auf Erstattung des Kauf­preises abzüglich Nutzungs­ersatz hoffen. Das Ober­landes­gericht Stutt­gart muss den Fall neu aufrollen.
D-Day für Auto­hersteller und Abgas­skandal­opfer: Am Montag, 8. Mail 2023, verhandelt und entscheidet der Bundes­gerichts­hof erneut grund­legend über Schaden­ersatz­ansprüche wegen des Abgas­skandals. Der Europäische Gerichts­hof hat inzwischen geur­teilt: Schaden­ersatz steht Skandal­autobesitzern nicht erst zu, wenn der Einsatz einer illegalen Motorsteuerung als vorsätzliche und sittenwid­rige Schädigung erscheint (siehe dazu unten unter 21.03.2023). Schon die fahr­lässige Verletzung der EU-Vorschriften zur Abgas­reinigung begründet die Pflicht, Schäden zu ersetzen. Der Bundes­gerichts­hof hatte seinen Verhand­lungs­termin mehr­fach verschoben, um die Verkündung des Urteils in Luxemburg abzu­warten. Die Urteile aus Karls­ruhe werden mit Spannung erwartet, nachdem einzelne Ober­landes­gerichte Klagen trotz der Ansagen der EU-Richter in Luxemburg abge­wiesen hatten. Ihrer Meinung nach schützen die EU-Regeln jedenfalls nicht die wirt­schaftlichen Interessen der Auto­besitzer schützen.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 24.04.2023
Aktenzeichen: VIa ZR 1517/22
Pressemitteilung des Gerichts zum Urteil
Kläger­vertreter: Noch unbekannt, bitte melden

31.03.2023 Rechtsanwalt Sebastian Schlote berichtet: Das Land­gericht Stutt­gart hat Mercedes erst­mals auch gestützt auf das neue Urteil des Europäischen Gerichts­hofs zu Schaden­ersatz verurteilt. Allerdings: Richter Andreas Köhler, gleich­zeitig auch renommierter Rechts­wissenschaftler und Ausbilder von Referendaren, sieht auch eine vorsätzliche sittenwid­rige Schädigung, obwohl es um einen nach der Euro 6-Norm zugelassenen Wagen ging. Er meint auf der Grund­lage der strengen Auslegung der Typzulassungs­regeln durch den Europäischen Gerichts­hof: Mercedes wusste, dass der Wagen im normalen Fahr­betrieb ganz oft viel mehr giftiges Stick­oxid ausstößt als zulässig. Die Autos trotzdem zu verkaufen, sei sittenwid­rig. Die Mercedes­anwälte hatten vorgetragen: Nur unter den Prüf­stand-Bedingungen sei der Grenz­wert für den Stick­oxid einzuhalten. Sie bestritten nicht, dass Wagen bei normalen Fahrten im Straßenverkehr oft Schad­stoffe über die Grenz­werte hinaus ausstößt.
Es ging um einen Mercedes ML 350 Bluetech 4Matic von 2013, den die Klägerin im Jahr 2014 gebraucht gekauft hatte.
Land­gericht Stutt­gart, Urteil vom 29.03.2023
Aktenzeichen: 8 O 24/23 (nicht rechts­kräftig)
Verbraucher­anwälte: Gansel Rechtsanwälte, Berlin

21.03.2023 Jetzt also doch: Die Auto­hersteller müssen alle Käufer von Autos entschädigen, bei denen die Abgas­reinigung häufiger als zulässig verringert oder abge­schaltet wird. Das hat der Europäische Gerichts­hof entschieden. Es ist in viel mehr Fällen Schaden­ersatz fällig als nach Ansicht des Bundes­gerichts­hofs. Der hatte Auto­hersteller wegen des Abgas­skandals nur zu Schaden­ersatz verurteilt, wenn die Unter­nehmens­führung vorsätzlich und sittenwid­rig gehandelt hat. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichts­hof reicht aus, wenn den verantwort­lichen Managern des jeweiligen Auto­herstel­lers Fahr­lässig­keit zur Last fällt. Danach ist nicht einmal sicher, ob Schaden­ersatz ausgeschlossen ist, wenn das Kraft­fahrt­bundes­amt eine bestimmte Motorsteuerung in Kennt­nis aller Umstände ausdrück­lich als legal beur­teilt hat. Spätestens seit Verkündung des Abgas­skandal-Urteils des Europäischen Gerichts­hofs vom 17.12.2020, Aktenzeichen: C-693/18, steht fest: Die Behörde hat die EU-Rege­lungen zur Typzulassung zu Unrecht viel zu lax ausgelegt. Auf die Genehmigungen aus Flens­burg durften die Auto­hersteller sich nicht verlassen. Die Juristen bei test.de denken: Es handelt sich insoweit um einen so genannten vermeid­baren Verbots­irrtum, der den Schuld­vorwurf nicht entfallen lässt.
Europäischer Gerichts­hof, Urteil vom 21.03.2023
Aktenzeichen: C-100/21
Verbraucher­anwälte: Prorights Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München

20.02.2023 Jubel bei der Deutschen Umwelt­hilfe: Das Verwaltungs­gericht Schleswig hat nach langer Verhand­lung geur­teilt: Die Thermo­fenster in den von VW auf Geheiß des Kraft­fahrt­bundes­amts (KBA) neu entwickelten Motorsteuerungen für die rund 2,5 Millionen Skandal­autos sind rechts­widrig. Das Gericht hob die Genehmigung der so genannten „Updates“ auf. Danach muss das KBA alle Skandal­autos erneut zurück­rufen und VW verpflichten, den Schad­stoff­ausstoß noch weiter zu verringern. Die Deutsche Umwelt­hilfe (DUH) als Kläger geht davon aus: VW muss in die Autos wie in den USA damals einen zusätzlichen Katalysator einbauen.
Allerdings: Das Urteil ist noch nicht rechts­kräftig. Das Gericht ließ sowohl die Sprungrevision zum Bundes­verwaltungs­gericht als auch die Berufung zu. test.de ist sicher: Die wird das KBA einlegen. Bis ein rechts­kräftiges Urteil fällt, werden wahr­scheinlich noch Jahre ins Land gehen. Wie viele Skandal­autos das dann noch betrifft, bleibt abzu­warten. Allerdings: Das Urteil ist auf zahlreiche jüngere Autos anderer Hersteller über­trag­bar. Während VW später die Abgas­reinigung nur bei extrem nied­rigen und hohen Temperaturen herab­setzte, waren Thermo­fenster bei anderen Autos mit Diesel­motoren bis einschließ­lich Schad­stoff­norm Euro 6c gang und gäbe. Wie viele Autos das betrifft, lässt sich noch nicht genauer abschätzen. Fest steht: Wenn das Urteil rechts­kräftig wird, muss das KBA Millionen Autos entweder erneut zurück­rufen oder stillegen.
Schleswig-Holsteinisches Verwaltungs­gericht, Urteil vom 20.02.2023
Aktenzeichen: 3 A 113/18 (nicht rechts­kräftig)
Verbraucher­anwälte: Rechtsanwälte Remo Klinger und David Krebs, Berlin

20.02.2023 Show­down in Schleswig: Vor der 3. Kammer des Verwaltungs­gerichts dort haben die Anwälte der Deutschen Umwelt­hilfe und der Volks­wagen AG und die Juristen des Kraft­fahrt­bundes­amts (KBA) in Flens­burg von 9.30 Uhr an darüber verhandelt, ob die Behörde die Abgas­skandal­autos zu Recht hat weiterfahren lassen. Wenn die Klage Erfolg hat, muss das KBA die Skandal­autos erneut zurück­rufen, um den Ausstoß an giftigem Stick­oxid weiter zu verringern.
Die Deutsche Umwelt­hilfe ist der Meinung: Auch die von VW entwickelte und vom KBA genehmigte neue Motorsteuerung für die Skandal­autos ist rechts­widrig. Fest steht: Voll wirk­sam war die Abgas­reinigung nur bei Luft­temperaturen ab 10 Grad. Darunter reduzierte die Motorsteuerung die Rück­führung von Abgas in den Ansaugtrakt und damit die Reduzierung von Stick­oxiden. Zulässig ist eine solche Reduktion der Abgas­reinigung nur, wenn Motorschäden und Unfälle drohen, erklärte Vorsitzender Richter Uwe Kars­tens und verwies auf die strengen Ansagen des Europäischen Gerichts­hofs zum Thema (s. u. unter 14.07.2022). Selbst wenn die Abschaltung notwendig ist, darf sie nicht genehmigt werden, wenn sie unter gängigen Bedingungen zur Verringerung oder Abschaltung der Abgas­reinigung führt und Autos dadurch oft mehr als die nach den EU-Regeln damals zulässigen 180 Milligramm Stick­oxid pro Kilo­meter ausstoßen.
Kraft­fahrt­bundes­amt und VW argumentierten unisono: Bei nied­rigen Luft­temperaturen droht wegen dramatisch erhöhter Russ­bildung und Versottung ein Verklemmen des Ventils für die Abgasrück­führung und die könne inner­halb weniger Minuten zu Motorschäden und Bränden führen. DUH-Anwalt Remo Klinger und Axel Friedrich hielten dagegen: Es hätte tech­nische Alternativen wie andere Formen der Abgasrück­führung und Katalysatoren gegeben. Die habe VW nur nicht gewollt, weil die Autos dadurch teurer geworden wären. Klinger monierte zahlreiche geschwärzte Seiten in den von VW und dem KBA vorgelegten Gutachten und stellte noch sieben so genannte Hilfs­beweis­anträge. Mit ihnen muss sich das Gericht noch befassen, wenn es die Klage abweisen will.
Die Richter äußerten sich zunächst zurück­haltend und äußerten Verständnis für die Argumente beider Parteien. Es gehe immer um eine Abwägung zwischen dem Interesse an gesunder Umwelt einer­seits und effizientem und preis­werten Indivi­dual­verkehr anderer­seits. Sie neigten zunächst dazu, die Abschaltung der Abgas­reinigung bei Luft­temperaturen unter­halb von 10 Grad für zulässig zu halten.
Das Urteil steht noch aus. Die drei Berufs­richter und die beiden Schöffen zogen sich gegen 14.40 Uhr zur Beratung zurück. Ihre Entscheidung – entweder der Beschluss, weitere Beweise zu erheben oder ein abschließendes Urteil – wollen sie noch heute verkünden.
Am Rande der Verhand­lung interes­sant: KBA-Justitiar Frank Liebhart erklärte, dass die Behörde inzwischen auch der Meinung ist, dass die Skandal­autos seiner­zeit nicht der an sich recht­mäßigen Typgenehmigung entsprachen. Auf test.de-Nach­frage erklärte er allerdings: Trotzdem war es richtig, dass die Autos damals weiterfahren durften. Die test.de-Juristen sind anderer Meinung. Die Skandal­autos hätten ihrer Ansicht nach sofort aus dem Verkehr gezogen werden müssen.

09.01.2023 Rechts­anwältin Sandra Mader aus der Kanzlei Wawra & Gaibler in Augs­burg berichtet: Das Land­gericht Ravens­burg hat Opel auf ihre Klage hin zu Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher sittenwid­riger Schädigung verurteilt. Es ging um einen Opel Insignia Sports Tourer 2,0 l Diesel mit einem Motor vom Typ „B20“, der die Euro 6 Norm erfüllen soll. Nach den Fest­stel­lungen des Gerichts reduzierte die Motorsteuerung die Abgas­reinigung unter­halb von 16 Grad Luft­temperatur, bei einer Geschwindig­keit von 140 und mehr Stundenkilo­metern, einer Motordrehzahl von 2 900 und mehr Umdrehungen pro Minute sowie bei einem Luft­druck von 91,5 Kilopascal entsprechend 915 Millibar und weniger, wie er bei normalem Wetter bei einer Höhe von rund 800 und mehr Metern über dem Meeresspiegel herrscht. Bei einer solchen Kombination von Para­metern sei wie bei VWs Abschaltung der Abgas­reinigung bei anderen als den für die Prüf­stands­versuche zur Ermitt­lung des Schad­stoff­ausstoßes vorgeschriebenen Bedingungen von Vorsatz und Sittenwid­rigkeit auszugehen, begründet Richter Harald Göller sein Urteil. Das Urteil ist auf Opel Cascada und Zafira mit dem gleichen 2.0 Diesel­motor vom Typ B20 über­trag­bar. Es ist aber noch nicht rechts­kräftig.
Land­gericht Ravens­burg, Urteil vom 30.12.2022
Aktenzeichen: 2 O 200/22 (nicht rechts­kräftig)
Verbraucher­anwälte: Rechtsanwälte Wawra & Gaibler, Augsburg

23.12.2022 Immer noch: Kein Urteil des Europäischen Gerichts­hofs (EuGH) zum möglichen Recht auf Schaden­ersatz für Auto­besitzer bloß wegen Verstößen der Auto­hersteller gegen die EU-Regeln über die Typzulassung, siehe die Berichte hier unter 13.10.2022 und vor allem 04.07.2022. Auf Anfrage von test.de erklärte ein Gerichts­sprecher, es gebe immer noch keinen Termin für die Urteils­verkündung. In einer anderen Sache urteilte der EuGH allerdings: Die EU-Regeln über Grenz­werte giftiger Gase wie Stick­oxid in der Luft geben einzelnen Menschen kein Recht auf Schaden­ersatz. Der EuGH argumentiert darin so ähnlich, wie der Bundes­gerichts­hof es bei dessen Verweigerung von Schaden­ersatz nur wegen der Verletzung der EU-Typzulassungs­regeln getan hatte. Danach spricht viel dafür, dass der EuGH zum gleichen Ergebnis kommt, auch wenn sein General­anwalt anderer Meinung war. Das war er beim aktuellen Luft­grenz­werte-Urteil auch.
Europäischer Gerichts­hof, Urteil vom 22.12.2022
Aktenzeichen: C-61/21

20.12.2022 Soweit uns bekannt erst­mals über­haupt kommt ein Gutachter zu dem Ergebnis: Auch ein Auto mit einer bisher nicht vom Kraft­fahrt­bundes­amt bean­standeten Motorsteuerung schaltet die Abgas­reinigung illegal ab.
Es ging um einen Audi Q5 3.0 TDI Quattro S tronic mit 176 Kilowatt/239 PS Motor­leistung, unter dem Code el*2001/116*0473*09 typzugelassen nach der Norm Euro 5, Erst­zulassung des umstrittenen Wagens: März 2012, Lauf­leistung bis dato: 82 588 Kilo­meter.
Das Land­gericht Mann­heim ordnete im Dezember 2020 an: Es ist ein Sach­verständigen-Gutachten zur Behauptung des Besitzers des Wagens einzuholen, wonach die Motorsteuerung die Abgas­reinigung illegal reduziert oder abschaltet.
Gutachter Hartmut Lehnert findet heraus: Der Ausstoß von Stick­oxid erhöht sich bei ein und demselben Norm-Fahr­versuch stark, wenn die Lenkung betätigt wird. Steht sie gerade, waren durch­schnitt­lich 227 Milligramm Stick­oxid pro simuliertem Kilo­meter im Abgas – auch schon 26 Prozent mehr als die damals maximal erlaubten 180 Milligramm. Bei 15 und mehr Grad Lenkwinkel stieg der Stick­oxid­ausstoß auf 637 Milligramm. Bei einer weiteren Messung im Prüf­stand bei 10 statt der üblichen 20 Grad Luft­temperatur stieg der Stick­oxid­ausstoß sogar auf 1 564 Milligramm – fast das Neunfache des Erlaubten.
Fazit des Gutachters: „Das streit­gegen­ständliche Fahr­zeug verfügt über eine sog. Fahr­zyklus­erkennung. Die Software des Motorsteuergeräts erkennt anhand des Lenkwinkel­einschlags, ob sich das Fahr­zeug auf einem Prüf­stand befindet. Sobald die Software die Prüf­fahrt fest­stellt, schaltet sie die Abgas­reinigung in einen optimierten, effektiven Modus. Im Normal­betrieb außer­halb des Prüf­stands ist dagegen die Abgas­reinigung erheblich reduziert (...). Im normalen Fahr­betrieb kommt zudem ein sog. Thermo­fenster zum Einsatz. Ab einer Umge­bungs­temperatur von weniger als 17 °C und mehr als 30 °C wird die Abgas­reinigung sehr stark reduziert (...).“
Klarer Fall für Rechtsanwältin Eva Bohle von Gansel Rechtsanwälte: „Außer den Lenk­rad­einschlägen in den Stand­phasen wurden keine weiteren Para­meter im Gegen­satz zum vorgeschriebenen NEFZ-Zyklus verändert. Somit konnte verläss­lich die Lenkwinkel­erkennung als unzu­lässige prüf­stands­bezogene Abschalt­einrichtung fest­gestellt werden“, kommentiert sie das Gutachten. Sie sieht jetzt gute Chancen, dass ihr Mandant Schaden­ersatz bekommt, obwohl das KBA seinen Wagen nicht zurück­gerufen hat.
test.de hat sowohl Audi als auch das Kraft­fahrt­bundes­amt (KBA) Gelegenheit zur Stellung­nahme gegeben. Audi äußerte sich nicht. KBA-Sprecher Stephan Immen erklärte test.de gegen­über: „Für das hier in Rede stehende Fahr­zeug wurde insbesondere die temperaturgeführte Steuerung der Abgasrück­führung (AGR), das sog. „Thermo­fenster“ kritisch hinterfragt. Aufgrund der Informationen des Fahr­zeug­herstel­lers und als Ergebnis der durch das KBA durch­geführten Unter­suchungen konnte die Argumentation der Audi AG hinsicht­lich der Zulässig­keit der gegen­ständlichen Abschalt­einrichtung zum Zwecke des Motor­schutzes nach bisherigen Erkennt­nissen nicht entkräftigt werden.“ Allerdings: Nach den strengen Ansagen des Europäischen Gerichts­hofs führe das KBA zurzeit „...eine weitere tech­nische und verwaltungs­recht­liche Prüfung des Sach­verhaltes unter Einbeziehung aller aktuellen Erkennt­nisse durch“, erklärte Immen weiter.
Womöglich muss die Behörde auch die Entscheidungen wegen zahlreicher anderer Autos revidieren. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichts­hofs, wonach die Deutsche Umwelt­hilfe (DUH) berechtigt ist, gegen die aus ihrer Sicht rechts­widrige Freigabe der vom VW-Konzern nach Bekannt­werden des Skandals neu entwickelten Motorsteuerungen zu klagen, könnte das Verwaltungs­gericht Schleswig die bisherigen Entscheidungen der Behörde zu über 100 Skandal­auto-Varianten aufheben. VW müsste dann eine neue Lösung für die Skandal­autos entwickeln.
Nach Ansicht der DUH-Juristen einzige legale Möglich­keit: Die Skandal­autos bekommen zusätzlich zur Abgasrück­führung noch einen Katalysator, um den Ausstoß von giftigem Stick­oxid zuver­lässig unter den Grenz­wert zu halten. Das KBA hatte bisher für die allermeisten Skandal­autos für ausreichend gehalten, die Software für die Motorsteuerung zu ändern. Bei einigen Autos gab es zusätzlich nur ein kleine Änderung im Ansaugtrakt.

18.11.2022 Laut Taz-Bericht zu den Bosch-Dokumenten (siehe unten unter 17.11.2022) legen die Unterlagen nahe, dass alle wichtigen Auto­hersteller offen­bar schon vor 2006 begonnen haben, den Abgas­betrug vorzubereiten. Sie hätten die dafür nötigen Mecha­nismen in den Motorsteuergeräten gezielt in Auftrag gegeben.

17.11.2022 Neue Dokumente von Zulieferer Bosch belegen offen­bar: Schon vom Jahr 2006 an planten praktisch alle wichtigen Auto­hersteller, wie sie die EU-Rege­lungen zu den Abgas­grenz­werte umgehen können. Spiegel und Bayerischer Rundfunk berichten: Ihnen liegen bisher geheime Unterlagen vor, nach denen Bosch nach eigenen Unter­suchungen 44 „sensible Funk­tionen“ identifiziert hatte, die womöglich illegal sind. Dabei ging es nicht nur um Diesel-Aggregate, sondern auch um Benzin-Motoren.

14.11.2022 Gansel Rechtsanwälte weisen darauf hin: Am 31. Dezember dieses Jahres verjähren Schaden­ersatz­ansprüche wegen etlicher Mercedes-Modelle mit Turbodiesel-Motoren und anerkannt illegaler Motorsteuerung (darunter C-Klasse, E-Klasse, S-Klasse, der GLK und der GLE sowie der ML), vieler ebensolcher Audi A4, A5, A6, A7, A8 und Q7 und des VW Multivan T6. Im Normalfall gilt: Die Verjährung beginnt am Ende des Jahres, in dem Besitzer von Skandal­autos erfahren, dass ihr Wagen eine illegale Motorsteuerung hat und zur Nach­rüstung in die Werk­statt muss. test.de empfiehlt: Wegen der aktuell für viele der betroffenen Modelle unklaren Erfolgs­aussicht von Schaden­ersatz­forderungen sollten Besitzer solcher Autos zunächst nicht gleich Rechts­anwälte einschalten, sondern selbst die Verjährung stoppen.

So geht es am einfachsten: Fordern Sie sofort mit Hilfe unserer Mustertexte Schaden­ersatz. Der Auto­hersteller wird nicht zahlen. Sie können sich dann bei einer der beiden Universalschlichtungs­stellen

beschweren. Damit können Sie den Hersteller Ihres Wagens zwar nicht zur Zahlung von Schaden­ersatz zwingen, aber die Schlichtung stoppt die Verjährung bis sechs Monate nach Ende des Verfahrens und verschafft Ihnen so genügend Zeit, um das grund­legende Urteil des Europäischen Gerichts­hofs zum Schaden­ersatz wegen des Abgas­skandals abzu­warten. Wir erwarten es in den nächsten Wochen. Es geht um die Frage, ob schon die Verletzung der EU-Zulassungs­regeln Auto­besitzern ein Recht auf Schaden­ersatz gibt oder ob es entsprechend der bisherigen Ansagen des Bundes­gerichts­hofs dabei bleibt, dass die Auto­hersteller nur zahlen müssen, wenn sie vorsätzlich und sittenwid­rig handelten.

09.11.2022 Wie wichtig die gestern vom Europäischen Gerichts­hof endlich bestätigte (siehe unten unter 08.11.2022) Befugnis von Umwelt­verbänden zur Klage gegen Typgenehmigungen ist, zeigt schon: Die Bundes­regierung und damalige Koalition verhinderten es 2017, dass sie ins Gesetz kam. Dies und weitere Einzel­heiten zur Rechts­lage beschreibt ein ausführlicher Bericht der Legal Tribune Online.

08.11.2022 Das Kraft­fahrt­bundes­amt muss den Abgas­skandal noch mal ganz neu aufrollen: Laut Europäischer Gerichts­hof (EuGH) darf die Deutsche Umwelt­hilfe (DUH) gegen die Freigabe­bescheide klagen, mit denen die Behörde den Auto­herstel­lern und vor allem VW nach Bekannt­werden des Abgas­skandals eine neue Motorsteuerung genehmigt hatte. Solche Klagen sind nach deutschem Recht nicht zulässig. Die EU-Regeln zwingen aber zur Zulassung der Klagen, verkündete der EuGH heute in Luxemburg.
Die DUH und zahlreiche Experten sind davon über­zeugt: Auch die nach Bekannt­werden des Abgas­skandals neu entwickelten Motorsteuerungen sind rechts­widrig. Die Abgas­reinigung werde je nach Luft­temperatur, Luft­druck und zahlreichen weiteren Faktoren ganz oft verringert oder sogar ganz abge­schaltet, erklärte DUH-Experte Axel Friedrichs bei einer Presse­konferenz.
DUH-Anwalt Remo Klinger erwartet inner­halb des nächsten Jahres etliche Urteile gegen die Genehmigung der Motorsteuerung von rund 120 verschiedenen Auto­modellen mit Diesel­motoren, gegen die die DUH Klage erhoben hat. Die Bundes­regierung müsse die Auto­hersteller jetzt zwingen, die rund fünf Millionen betroffenen Autos mit wirk­samer Abgas­reinigungs­technik nach­zurüsten, forderte DUH-Vorsitzender Jürgen Resch. Die Kosten dafür müsse die Industrie tragen. Soweit Auto­besitzern durch die rechts­widrige Genehmigung der Nach­rüstung für ihre Wagen ein Vermögens­nacht­eil entstanden ist, hat nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz der Staat sie zu entschädigen.
Immerhin: Bei den auf Anordnung des Kraft­fahrt­bundes­amts in Flens­burg mit einer neu entwickelten Motorsteuerung nachgerüsteten Skandal­autos steht fest: Sie dürfen weiterfahren. Sie entsprechen der geänderten Typgenehmigung. Das gleiche gilt für Autos, für die das Kraft­fahrt­bundes­amt die Reduktion oder Abschaltung der Abgas­reinigung nach­träglich ohne Änderungen gebil­ligt hat. Autos allerdings, bei denen die Behörden trotz illegaler Motorsteuerung bisher nichts unternommen haben, droht nach wie vor die Still­legung. Nach Ansicht von DUH-Anwalt Remo Klinger und den test.de-Juristen entsprechen sie nicht der in Unkennt­nis der Motorsteuerung erteilten Typgenehmigung und hätten deshalb nie zugelassen werden dürfen.
Europäischer Gerichts­hof, Urteil vom 08.11.2022
Aktenzeichen: C-873/19
Kläger­vertreter: Rechtsanwalt Remo Klinger, Berlin

17.10.2022 Da staunen die Juristen bei test.de: Der Bundes­gerichts­hof urteilt über den Rest­schaden­ersatz, den VW Käufern von Skandal­autos auch über die normale dreijäh­rige Verjährung hinaus zu zahlen hat, über­raschend verbraucherunfreundlich. So lautet die maßgebliche Regelung im Bürgerlichen Gesetz­buch: „Hat der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt, so ist er auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs (...) zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet.“ Über­raschende Ansage der Bundes­richter dazu: Auto­besitzer bekommen doch von vorneherein nicht den Schaden­ersatz, der ihnen eigentlich zusteht. Das ist: Kauf­preis abzüglich Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrene Kilo­meter („Nutzungs­ersatz“). Statt­dessen gibt es nur noch: Einkaufs­preis (also: Kauf­preis abzüglich Händ­lermarge) minus Nutzungs­ersatz. Dabei wird der anhand des vollen Kauf­preises errechnet. Praktische Auswirkung in einem Fall, zu dem der Bundes­gerichts­hof heute sein Urteilt veröffent­licht hat: Der Besitzer eines VW Beetle 2.0 TDI bekommt jetzt nur noch 13 022,22 Euro. Das Land­gericht Trier und das Ober­landes­gericht Koblenz hatten ihm noch 16 247,67 Euro zugesprochen. Sie waren – wie die Juristen der Stiftung Warentest es auch für richtig gehalten hatten – davon ausgegangen: Opfern des Abgas­skandals steht voller Schaden­ersatz zu. Nach Ablauf der Verjährungs­frist ist der aber begrenzt durch den Betrag, den VW selbst bei Lieferung des Wagens Anfang 2015 für den Wagen erhalten hatte. Das waren 20 040 Euro, so dass für den Auto­besitzer der volle Schaden­ersatz drin gewesen wäre.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 21.02.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 57/21
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 12.09.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 176/22

13.10.2022 Geschädigte Auto­fahrer warten weiter auf das nächste Urteil des Europäischen Gerichts­hofs (EuGH) zum Abgas­skandal. Die Richter dort haben zu klären, ob entgegen der Auffassung der deutschen Gerichte jeder Verstoß gegen die EU-Regeln zur Zulassung von Auto­typen Käufer betroffener Autos ein Recht auf Schaden­ersatz gibt. EuGH-General­anwalt Athanasios Rantos und die EU-Kommis­sion haben sich bereits geäußert. Sie meinen: Auto­hersteller sind nicht nur gegen­über den Behörden, sondern auch Auto­fahrern gegen­über verpflichtet, die Typzulassungs­regeln einzuhalten (siehe auch unten unter: 04.07.2022).

13.10.2022 Ein weiteres Kapitel des Abgas­skandals ist – vorläufig jedenfalls – abge­schlossen: Es bleibt bei der Einigung des VW-Konzerns mit den seiner­zeit verantwort­lichen Managern, darunter auch die damaligen Chefs von VW und Audi, Martin Winter­korn und Rupert Stadler. Das Land­gericht Hannover wies Aktionärs­klagen gegen die Beschlüsse zurück, mit der die Haupt­versamm­lung den Vergleich gebil­ligt hatte. Danach bekommt VW als Ersatz für die Schäden, die dem Unternehmen durch den Einsatz von Motorsteuerungen mit illegaler Abschaltung der Abgas­reinigung entstanden sind, insgesamt 288 Millionen Euro, darunter 11,2 Millionen Euro von Martin Winter­korn, 4,1 Millionen Euro von Rupert Stadler und 270 Millionen Euro von einer D&O-Versicherung, einer Berufs­haft­pflicht­versicherung, die für die Schäden von Management­fehlern eintritt. Große Unternehmen schließen solche Versicherungen ab, damit sie gegen die finanziellen Folgen von Management­fehlern zumindest teil­weise abge­sichert sind. Policen, mit denen verantwort­liche Mitarbeiter sich selbst gegen Schaden­ersatz­forderungen schützen können, hat die Stiftung Warentest untersucht. Unter Vermögenshaftpflichtversicherung: D & O-Versicherungen im Test gibt‘s die Ergeb­nisse.
Land­gericht Hannover, Urteil vom 12.10.2022
Aktenzeichen: 23 O 63/21 (nicht rechts­kräftig)
Pressemitteilung des Gerichts zum Urteil

Geklagt hatten die beiden Aktionärs­ver­eine Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SDK) und Verbraucherzentrale für Kapitalanleger. Sie sind der Meinung: Die Manager kommen zu billig davon. Es stehe noch gar nicht fest, wie viel Geld der Abgas­skandal den VW-Konzern insgesamt koste. Die Staats­anwalt­schaft Braun­schweig, die gegen etliche Manager Anklage wegen Betrugs erhoben hat, schätzt: Es geht um insgesamt 78 Milliarden Euro. test.de vermutet: Die Aktionärs­ver­eine werden Berufung einlegen. Die VDK erklärte: Die Anwälte des Vereins prüfen das Urteil noch.

15.07.2022 Inzwischen hat das Kraft­fahrt­bundes­amt zu den Urteilen des Europäischen Gerichts­hofs (EuGH) von gestern Stellung genommen. Die Behörde meint: Ihre Entscheidungen entsprachen bereits der strengen Rechts­auffassung des Gerichts. Eine Reduktion der Abgas­reinigung bei Temperaturen unter­halb von 15 und ober­halb von 33 Grad Celsius habe die Behörde immer schon für illegal gehalten. Welche Temperatur­grenzen ihrer Auffassung nach statt­dessen gelten, sagt sie allerdings nicht. Bei dem Wagen, um den es im Rechts­streit geht, funk­tionierte die Abgas­reinigung laut Gericht nur zwischen 15 und 33 Grad Celsius und unter­halb von 1 000 Metern Höhe über Normalnull korrekt. Laut VW als Herstel­lers des Wagens handelt es sich dabei um ein Miss­verständnis. Diese Temperatur­grenzen beziehen sich auf die Lade­luft, die sich im Motor bereits etwas erwärmt habe. Tatsäch­lich funk­tioniere die Abgas­reinigung bis zu Temperaturen von 10 Grad Celsius ohne Einschränkungen. Auch das reicht nicht, glauben die Rechts­experten von test.de. Die Luft­temperatur in Deutsch­land lag laut statistischem Bundes­amt im Jahres­durch­schnitt zuletzt bei 9,1 Grad Celsius, so das die Abgas­reinigung auch danach die meiste Zeit des Jahres nicht korrekt funk­tioniert. Der EuGH verlangt ausdrück­lich: Die Abgas­reinigung darf nur ausnahms­weise wegen unmittel­bar drohender Motorschäden oder Unfälle verringert werden und muss die meiste Zeit des Jahres voll­ständig funk­tionieren.
Stellungnahme des Kraftfahrtbundesamts zu den EuGH-Urteilen vom 14.07.2022

14.07.2022 Der Europäische Gerichts­hof (EuGH) in Luxemburg bekräftigt in heute verkündeten Urteilen: Wenn die Motorsteuerung die Abgas­reinigung bei Temperaturen verringert, wie sie in Europa oft vorkommen, ist das illegal. Nur ausnahms­weise und wenn akut Motorschäden drohen, darf die Abgas­reinigung reduziert oder abge­schaltet werden. In dem Verfahren ging es um einen mit der von VW nach Bekannt­werden des Abgas­skandals neu entwickelten Motorsteuerung ausgerüsteten Wagen. Auch diese Motorsteuerung halten die Richter in Luxemburg für illegal. Ob und was das Kraft­fahrt­bundes­amt jetzt unternimmt, ist noch unklar. „Das Kraft­fahrt­bundes­amt hat das Urteil zur Kennt­nis genommen. Nach Abschluss der aktuell statt­findenden Bewertung werden Sie kurz­fristig weitere Informationen erhalten“, schrieb Behörden-Sprecher Stephan Immen an test.de.
Europäischer Gerichts­hof, Urteil vom 14.07.2022
Aktenzeichen: C-128/20
Pressemitteilung des Gerichts

Offen ist noch, ob Hersteller von Autos mit illegaler Motorsteuerung Käufer auch dann entschädigen müssen, wenn ihnen keine vorsätzliche und sittenwid­rige Schädigung zur Last fällt. Lesen Sie dazu den Beitrag unter dem 02.06.2022. Insider rechnen im Spätsommer oder Herbst mit einem Urteil des EuGH zu dieser Frage.

04.07.2022 Die juristische Aufarbeitung des Abgas­skandals geht in den Endspurt. Der Bundes­gerichts­hof (BGH) hat angekündigt, Ende November erneut über Schaden­ersatz­ansprüche wegen des Abgas­skandals zu verhandeln. Es geht um einen VW mit nach der Abgasnorm Euro 6 zugelassenen VW mit EA288-Turbodiesel­motor, den das Kraft­fahrt­bundes­amt nicht bean­standet hat. Bis dahin dürfte das Urteil des Europäischen Gerichts­hof (EuGH) zu Entschädigungen wegen des Abgas­skandals vorliegen. Die Richter dort haben darüber zu entscheiden, ob auch der fahr­lässige Verstoß gegen die EU-Regeln über die Typzulassung Besitzern solcher Autos ein Recht auf Schaden­ersatz gibt. Der Bundes­gerichts­hof urteilte bisher: Nur, wenn verantwort­lichen Mitarbeitern des Auto­herstel­lers Vorsatz und Sittenwid­rigkeit vorzuwerfen ist, haftet das Unternehmen auf Schaden­ersatz. EuGH-General­anwalts Athanasios Rantos und die EU-Kommis­sion haben sich bereits geäußert. Sie meinen: Jede Verletzung der EU-Regeln muss zur Entschädigung führen.
Thema beim BGH laut Presse­mitteilung vor allem: Können Auto­hersteller sich darauf berufen, dass das Kraft­fahrt­bundes­amt Typengenehmigungen erteilt und zum Teil in Kennt­nis der Einzel­heiten der Motorsteuerung bestätigt hat? Die Juristen der Stiftung Warentest glauben: Wo die Typzulassungs­behörden in Kennt­nis aller Einzel­heiten ihren Segen gegeben haben und dies nicht erkenn­bar falsch war, ist eine Haftung der Auto­hersteller kaum zu begründen. Wo umge­kehrt die Auto­hersteller beim Antrag auf Typzulassung – wie soweit bekannt die Regel – die Motorsteuerung nicht offengelegt haben, müssen Sie sich den Vorwurf zumindest fahr­lässiger Verstöße gegen die EU-Zulassungs­regeln gefallen lassen, wenn die Abgas­reinigung im Fahr­betrieb schlechter funk­tioniert als bei den Prüf­stand­versuchen zur Ermitt­lung des Schad­stoff­ausstoßes.
Pressemitteilung des BGH zur Verhandlung am Montag, 21. November 2022

24.06.2022 Nach dem von der bisherigen Recht­sprechung des Bundes­gerichts­hofs deutlich abweichenden Votum des General­anwalts Athanasios Rantos beim Europäischen Gerichts­hofs (EuGH, s. u. unter 02.06.2022) hat der VII. Senat des Bundes­gerichts­hofs (BGH) die für kommenden Donners­tag geplante Verhandlung über Schadenersatzforderungen wegen eines VW mit jüngerem EA288-Motor abge­sagt und will erst einmal abwarten. Das teilte BGH-Sprecher Kai Hamdorf test.de auf Anfrage mit. Wie die übrigen BGH-Senate mit Abgas­skandalfällen weiter verfahren, könne er derzeit noch nicht sagen, erklärte er weiter. Der eigens wegen der VW-Klagewelle einge­richtete VIa. Sonder­senat hat zwar in der vergangenen Woche zwei Urteile zum Abgas­skandal verkündet (s. u. unter 14.06.2022). In diesen Fällen spielten die Ansagen des EuGH-Anwalts zu den EU-Zulassungs­regeln allerdings keine Rolle. Urteilt der EuGH wie von Rantos empfohlen, wird der Bundes­gerichts­hof die Auto­hersteller wegen Autos mit illegaler Motorsteuerung anders als bisher auch zu Schaden­ersatz verurteilen müssen, wenn ihnen Vorsatz und Sittenwid­rigkeit nicht nach­zuweisen ist. Ausgeschlossen ist Schaden­ersatz nur noch, wenn Auto­hersteller davon ausgehen durften, dass die jeweilige Motorsteuerung recht­mäßig ist.

14.06.2022 Zwei weitere Ansagen des Bundes­gerichts­hofs zum Abgas­skandal: Myright.de darf nicht nur deutsche, sondern auch ausländischen Abgas­skandal-Schaden­ersatz­forderungen gesammelt einklagen.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 13.06.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 418/21

Und: Auch bei aus anderen EU-Ländern reimportierten Autos können die Käufer unter Umständen noch über die Verjährung hinaus Schaden­ersatz gegen VW durch­setzen. Voraus­setzung für diesen so genannte Rest­schaden­ersatz­anspruch ist allerdings: Die Lieferung des Wagens an den Händler beruht auf ihrer Bestellung. Das gilt auch, wenn noch Zwischenhändler im Einsatz waren. Wo Händler auf eigene Rechnung und eigenes Risiko Autos einge­kauft und sie später weiterverkauft haben, liegt keine Zahlung des Käufers an VW vor und sind über die normale Verjährung hinaus keine Schaden­ersatz­ansprüche mehr durch­setz­bar.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 13.06.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 680/21

02.06.2022 Gerade hat der Bundes­gerichts­hof einmal mehr verkündet: Eine illegale Abschaltung der Abgas­reinigung allein berechtigt Auto­besitzer nicht zum Schaden­ersatz (Aktenzeichen: VI ZR 435/20). Da kommt die Nach­richt aus Luxemburg: General­anwalt Athanasios Rantos beim Europäischen Gerichts­hof (EuGH) sieht ein Recht auf Schaden­ersatz bei jedem Verstoß gegen die EU-Regeln über die Typzulassung. Anlass ist eine Klage gegen Daimler wegen eines im März 2013 neu zugelassenen Mercedes C 220 CDI, bei dem die Motorsteuerung die Abgas­reinigung unter­halb bestimmter Temperaturen reduziert. Auf der Grund­lage der Ansagen des Bundes­gerichts­hof war die Klage gleich­wohl abzu­weisen, da Daimler nicht vorsätzlich und sittenwid­rig handelte. Doch die Richter in Ravens­burg setzten das Verfahren aus und fragten beim EuGH nach, ob nicht schon bei fahr­lässigen Verstößen gegen die Regeln über die EU-Typzulassung Schaden­ersatz fällig ist. Das hatte der Bundes­gerichts­hof bisher stets abge­lehnt. Die Regeln dienten der Allgemeinheit und nicht dem Schutz von Auto­käufern, argumentierten sie. Ganz anders der hohe EU-Jurist in seinem Plädoyer: „Die Richt­linie 2007/46 (...) ist dahin auszulegen, dass (...) ein Erwerber eines Fahr­zeugs einen Ersatz­anspruch gegen den Fahr­zeug­hersteller hat, wenn dieses Fahr­zeug mit einer unzu­lässigen Abschalt­einrichtung (...) ausgestattet ist“, erklärt er. Jetzt müssen die Richter in Luxemburg beraten und entscheiden. Sie halten sich oft, aber nicht immer an das Votum des General­anwalts. Wenn Sie es tun, dann dürfte so ziemlich jedem Besitzer von Autos mit Diesel­motoren bis einschließ­lich Euro 6c Schaden­ersatz zustehen, wenn ihre Rechte nicht inzwischen verjährt oder ihre Klagen rechts­kräftig abge­wiesen sind. Erst nach Euro 6d zugelassene Diesel­motoren sind Messungen der Deutschen Umwelthilfe zu Folge halb­wegs zuver­lässig so sauber, wie es die EU-Regeln vorschreiben. Die zuvor zugelassenen Autos stießen bei Fahrten im Straßenverkehr aber viel mehr Stick­oxid aus als im Prüf­stand und wie es nach den EU-Regeln zulässig war.
Land­gericht Ravens­burg, Beschluss vom 12.02.2021
Aktenzeichen: 2 O 393/20
Verbraucher­anwälte: Prorights Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München
General­anwalt beim Europäischen Gerichts­hof Athanasios Rantos, Schlussanträge vom 02.06.2022
Aktenzeichen: C-100/21
Verbraucher­anwälte: Prorights Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München

06.04.2022 Über sechs Jahre nach Bekannt­werden des Abgas­skandals ist immer noch unklar: Durften die Behörden die Autos mit der illegalen Motorsteuerung damals einfach weiter fahren lassen oder hätten sie sie sofort aus dem Verkehr ziehen müssen? Über die Frage muss jetzt das Ober­verwaltungs­gericht Sachsen nach­denken. Die Besitzerin eines Skandal-Skoda klagt gegen die Still­legung des Wagens. Sie meint: Die britische Typgenehmigung legalisiert den Betrieb des Wagens auch ohne das von VW entwickelte Software-Update. Anders als das Kraft­fahrt­bundes­amt hat die britische Behörde die Typgenehmigung für Skandal­autos nicht nach­träglich geändert. Sie hatte allerdings später erklärt: Autos wie der Wagen der Klägerin entsprachen nicht den Anforderungen der EU-Regeln. Das Verwaltungs­gericht in Chemnitz hatte die Klage in erster Instanz abge­wiesen und die Still­legung des Wagens bestätigt. Das Ober­verwaltungs­gericht in Bautzen bezweifelt, dass das richtig ist, und hat die Berufung zugelassen. Es muss jetzt klären, ob die Typgenehmigung den Betrieb des Wagens trotz der illegalen Motorsteuerung legalisierte. Mögliche Entscheidungen: Die Autos entsprachen wegen der den Behörden verschwiegenen Abschaltung der Abgas­reinigung gar nicht der Typgenehmigung und hätten nie zugelassen werden dürfen. Oder: Die Typgenehmigung legalisierte den Betrieb der Autos trotz der illegalen Abschaltung der Abgas­reinigung, so lange die Behörden sie nicht ändern, widerrufen oder aufheben.
Sächsisches Ober­verwaltungs­gericht, Beschluss vom 31.03.2022
Aktenzeichen: 6 A 607/20
Klägerin­anwälte: Rechtsanwälte Schulze & Greif, Chemnitz

22.03.2022 Das Ober­landes­gericht Brandenburg muss klären, ob die von VW nach Bekannt­werden des Abgas­skandals auf Geheiß des Kraft­fahrt­bundes­amts neu entwickelte Motorsteuerung ebenfalls illegal ist und eine sittenwid­rige Schädigung der Auto­besitzer darstellt. Laut der Anwälte des Klägers enthielt auch die neue Motorsteuerung eine illegalen Prüf­stand­erkennung. Nach dem Anlassen erhöhe der Motor die Abgas­reinigung zunächst, fahre sie aber nach einem bestimmten Sprit­verbrauch wieder herunter. Auf diese Weise seien Autos für die Dauer des behördlichen Test­verfahrens sauber unterwegs, danach aber nicht mehr. VW habe somit im Ergebnis nur eine Betrugs­software durch eine andere ersetzt. Diese Darstellung hatte das Ober­landes­gericht über­gangen und die Klage abge­wiesen. Der Bundes­gerichts­hof hob das Urteil auf und verwies den Fall zurück nach Brandenburg.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 22.02.2022
Aktenzeichen: VI ZR 934/20
Kläger­anwälte: Rechtsanwälte Hillmann und Partner, Oldenburg

Weiteres spektakuläres Abgas­skandal-Urteil: Laut Ober­landes­gericht Köln hat VW auch den Besitzer eines Skoda Superb mit nach der Euro 6-Norm zugelassenen EA288-Motor vorsätzlich und sittenwid­rig geschädigt. Die Motorsteuerung enthalte eine nach den Ansagen des Europäischen Gerichts­hof illegale Abschalt­einrichtung, die VW nicht gerecht­fertigt habe und für die auch keine Recht­fertigung erkenn­bar sei, argumentierten die Richter in Köln. Weitere Einzelheiten zum Fall auf der Homepage der Klägeranwälte.
Ober­landes­gericht Köln, Urteil vom 10.03.2022
Aktenzeichen: 24 U 112/21
Kläger­anwälte: Gansel Rechtsanwälte, Berlin

17.03.2022 Keine Über­raschung mehr: Der Bundes­gerichts­hof (BGH) bestätigte die Abweisung einer Staats­haftungs­klage gegen die Bundes­republik Deutsch­land wegen des Abgas­skandals. Der Besitzer eines Audi mit Skandal­motor von 2014 hatte argumentiert: Das Kraft­bundes­amt habe die Einhaltung der EU-Regeln über die Typzulassung nicht ausreichend über­wacht und es dem VW-Konzern damit ermöglicht, ihn durch Lieferung eines nicht der Typgenehmigung entsprechenden Wagens zu schädigen. Die EU-Regeln, so der BGH, schützen den Auto­besitzer aber nur davor, dass er einen Wagen erhält, mit dem er dann nicht fahren darf. Das durfte der Audi-Besitzer aber. Sein Vermögen schützen die EU-Regeln aber nicht, so dass die womöglich mangelnde Beaufsichtigung der Auto­hersteller nicht dazu führen würde, dass der Staat für die Auto­käufern entstehenden finanziellen Nachteile einstehen muss.
Einfacher ausgedrückt: Nach den EU-Regeln sind die Mitglieds­staaten verpflichtet, ausreichend hohe Strafen gegen Hersteller zu verhängen, die die Zulassungs­regeln verletzen. Für Auto­fahrer müssen sie danach aber erst etwas tun, wenn die tatsäch­lich mit ihrem illegalen Auto nicht mehr fahren dürfen.
Bundes­gerichts­hof, Beschluss vom 10.02.2022
Aktenzeichen: III ZR 87/21

Der dritte Senat schließt damit an die Urteile der anderen mit Abgas­skandal-Fällen befassten Senate an, wonach die Verletzung der EU-Zulassungs­regeln als solche Auto­besitzer nicht zum Schaden­ersatz berechtigt. Die schützen in erster Linie die Allgemeinheit und die Umwelt. Bei Klagen gegen Auto­hersteller spielte das praktisch keine Rolle, weil die ja wegen der Reglen zur vorsätzlichen und sittenwid­riger Schädigung im deutschen Recht hafteten und es deshalb auf die EU-Regeln direkt in der Regel nicht ankam.

09.03.2022 In einer Feinheit lag test.de beim Bericht über das Urteil des Bundes­gerichts­hof zum so genannten „kleinen Schaden­ersatz“ vom 25.01.2022 um die dritte Stelle hinter dem Komma falsch: Der Wert der Nutzungen richtet sich anders als von test.de auf Grund der Presse­mitteilung zum Urteil angenommen auch in dieser Konstellation nicht nach dem Wert des Wagens beim Kauf, sondern nach dem Kauf­preis einschließ­lich Umsatz­steuer. So ergibt es aus der seit gestern öffent­lich vorliegenden Begründung zum Urteil.
Der Wert der Nutzungen je Kilo­meter ist also: Kauf­preis / Rest­lauf­leistung. Für den vom BGH entschiedenen Fall (gebrauchter Seat Ibiza für 12 999 Euro mit 60 400 Kilo­metern auf dem Tacho) heißt das: Wenn von einer Lebens­erwartung des Wagens von 250 000 Kilo­metern auszugehen ist, dann liegt der Nutzungs­ersatz bei (12 999 Euro ./. (250 000 Kilo­meter - 60 400 Kilo­meter =) 0,063 Euro/Kilo­meter. Bei einem Kilo­meter­stand von 275 000 Kilo­metern ist dann der Wert der 25 000 Kilo­meter über die normale Lebens­erwartung des Wagens hinaus gefahrenen Kilo­meter auf den Anspruch des Klägers auf Ersatz des Minderwerts anzu­rechnen. Er bekommt also nur noch dann Geld, wenn ihm ursprüng­lich mehr als 1 582 Euro zustanden.

03.03.2022 Im Abgas­skandal wirds noch mal spannend. Athanasios Rantos, General­anwalt am Europäischen Gerichts­hofs (EuGH), meint: Umwelt­verbände wie die Deutsche Umwelt­hilfe (DUH) dürfen gegen rechts­widrige Typgenehmigungen klagen. Jetzt muss der EuGH entscheiden. Urteilt der, wie von Rantos vorgeschlagen, könnten mittel­fristig Hundert­tausende von Autos mit Euro 4, 5 und 6-Diesel­motoren still­zulegen sein.
Das Verwaltungs­gericht in Schleswig hat beim EuGH in Luxemburg nachgefragt, ob Umwelt­verbände nach EU-Regeln befugt sind, gegen Typgenehmigungen für Autos zu klagen. Nach deutschem Recht seien solche Klagen nicht zu lässig.
Klare Ansage des EuGH-General­anwalt: Umwelt­verbände müssen gericht­lich prüfen lassen können, ob eine Typgenehmigung recht­mäßig ist. Er ergänzte gleich noch: Mecha­nismen zur Reduktion der Abgas­reinigung sind allenfalls in seltenen Ausnahme­situationen zum Schutz des Motors vor akuten Schäden oder zur Verhinderung von Unfällen zulässig und ansonsten stets illegal.
Wenn der EuGH sich dem Votum des Anwalts anschließt, muss das Verwaltungs­gericht in Schleswig auf die Klagen des DUH hin darüber urteilen, ob die Genehmigung für verschiedene Diesel­motoren recht­mäßig ist, darunter auch die von VW nach Bekannt­werden des Abgas­skandals auf Geheiß des Kraft­fahrt­bundes­amts entwickelte neue Motorsteuerung („Update“).
Dazu hatte der EuGH schon sehr streng geur­teilt (s. u., 17.12.2020). Rechts­experten glauben: Gemessen an diesem Maßstab dürfte kaum eine Steuerung für Diesel­motoren bis einschließ­lich Schad­stoff­norm Euro 6 recht­mäßig sein. Folge für Besitzer solcher Autos: Wenn Verwaltungs­gerichte die Typgenehmigungen aufheben, ist auch die Zulassung rechts­widrig. Immerhin: Wenn die Behörden sie kassieren und die Autos stillegen, dürfte den Besitzern der Autos eine Entschädigung zustehen.

21.02.2022 Der Aktienkurs von VW sinkt, die Stimmung bei VW-Skandal-Opfern steigt: Der Auto­konzern muss auch über die normale Verjährung hinaus Schaden­ersatz zahlen, wenn der Besitzer den Wagen mit der illegalen Motorsteuerung neu gekauft hat. Das hat der Bundes­gerichts­hof heute entschieden. Geschädigten steht der so genannte Rest­schaden­ersatz zu. Nach § 852 des Bürgerlichen Gesetzbuchs haftet der Schädiger auch über die Verjährung hinaus, soweit er durch seine Tat noch bereichert ist. Entscheidend ist laut den Richtern in Karls­ruhe, was VW beim Verkauf des Autos entweder direkt vom jetzigen Besitzer oder über einen Händler für den Wagen erhalten hat. Das dürfte in der Regel ausreichen, um Abgas­skandal­opfer voll zu entschädigen. Wie sonst auch gilt: Der Ersatz­anspruch geht auf die Erstattung des Kauf­preises. Sie ist um eine Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter zu kürzen. Hat der Wagen die insgesamt von ihm zu erwartende Lauf­leistung erreicht, gehen Abgas­skandal­opfer ganz leer aus. Davon gehen die Gerichte bei kleineren Autos meist nach 250 000 Kilo­metern aus und bei größeren nach 300 000 Kilo­metern. Der Rest­schaden­ersatz verjährt erst 10 Jahre nach dem Kauf. Wenn sich der zehnte Jahres­tag des Vertrags­schlusses nähert, ist allerdings Eile geboten. Nur recht­liche Schritte wie die Klageerhebung oder ein wirk­samer Schlichtungs­antrag stoppen die Verjährung. Betroffene – also Käufer eines neuen Autos aus dem VW-Konzern mit einem der TDI-Motoren vom Typ EA189, deren illegale Steuerung VW im September 2015 einräumen musste – sollten dafür einen Rechts­anwalt einschalten. Berück­sichtigen Sie, dass der Rechts­anwalt auch noch etwas Zeit braucht, um den Fall zu bearbeiten.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 21.02.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 8/21
Kläger­vertreter: Noch unbekannt, bitte melden!

Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 21.02.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 57/21
Kläger­vertreter: Noch unbekannt, bitte melden!
Weitere Einzel­heiten zu den Urteilen in der Pressemitteilung des Gerichts.

11.02.2022 Ein Fehler des Bundes­amts für Justiz (BfJ) könnte Hunderte von VW-Skandal­opfern um ihre Entschädigung gebracht haben. Sie hatten ihre Ansprüche erst am 30. September 2019 zur Muster­fest­stellungs­klage des Verbraucherzentrale Bundes­verbands (vzbv) gegen VW angemeldet. An dem Tag hatte die mündliche Verhand­lung in der Stadt­halle Braun­schweig begonnen. Laut Zivil­prozess­ordnung ist die Anmeldung von Rechten aber nur bis zum Tag vor der erst mündlichen Verhand­lung zulässig.
Allerdings: Der 30. September 2019 war ein Montag. Grund­regel in solchen Fällen: Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonn­tag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonn­abend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werk­tages. Die Juristen im BfJ dachten: Die Regel ist auf die Anmeldung von Rechten zu Muster­fest­stellungs­klagen nicht anwend­bar, weil sich dann Menschen noch anmelden könnten je nachdem, wie die Ansagen der Richter in der Verhand­lung ausfallen. Außerdem war die Anmeldung der Rechte über die Online-Formulare der Behörde auch am Sonn­tag, 29. September 2019, möglich.
Trotzdem: Anmeldungen zu Muster­fest­stellungs­klagen sind auch am Tag der mündlichen Verhand­lung noch zulässig, entschieden Ober­landes­gericht Köln und Bundes­gerichts­hof und korrigierten damit die Entscheidung der Behörde. Die ließ darauf­hin nach Auskunft von Sprecherin Pia Figge 352 Anmeldungen zur Muster­fest­stellungs­klage nach­träglich zu.
Ob es noch etwas nützt, ist allerdings unklar. VW weigerte sich zumindest einem test.de-Leser gegen­über, ihm nach­träglich ein Vergleichs­angebot entsprechend der Vereinbarungen mit dem vzbv zu machen. Seine Rechte seien inzwischen verjährt, meint der Konzern.
Tatsäch­lich: Als der Bundes­gerichts­hof entschied, dass die Anmeldungen von Montag, 30. September 2019 auch noch gültig sind, war die normale Verjährungs­frist für Teilnehmer an der Muster­fest­stellungs­klage bereits längst abge­laufen. VW-Skandal­opfer, die ihren Wagen gebraucht gekauft haben, gehen damit nach den Urteilen des Bundes­gerichts­hofs von gestern (s. u.) leer aus, wenn es dabei bleibt. Neuwagenkäufer können noch darauf hoffen, dass Ihnen über die Verjährung hinaus Schaden­ersatz zusteht und sie damit VW vielleicht doch noch dazu bewegen können, ihnen eine den Muster­fest­stellungs­ver­einbarungen entsprechende Entschädigung anzu­bieten. Darüber entscheidet der Bundes­gerichts­hof am Montag, 21. Februar 2022.
Wer im Vertrauen auf die rechts­widrige Ablehnung der Anmeldung zur Muster­fest­stellungs­klage einen Vermögens­nacht­eil erleidet, kann nach einer Regelung im Verwaltungs­verfahrens­gesetz eine Entschädigung beim BfJ beantragen. Ob die Behörde ein Recht auf den Ausgleich von Vermögens­nachteilen von erst nach­träglich zur Muster­fest­stellungs­klage zugelassenen VW-Skandal­opfern sieht, ließ Sprecherin Pia Figge test.de gegen­über offen. Das sei eine Frage des Einzel­falls. Bisher liege kein Antrag auf eine solche Entschädigung vor.
Ober­landes­gericht Köln, Beschluss vom 27.04.2020
Aktenzeichen: 7 VA 2/20
Bundes­gerichts­hof, Beschluss vom 31.03.2021
Aktenzeichen: V AR(VZ) 6/20

10.02.2022 Abgas­skandal­opfer, die ihren Wagen neu erworben hatten, können sich Hoff­nung darauf machen, Schaden­ersatz von VW auch über die Verjährung hinaus durch­setzen zu können. Für Gebraucht­wagenkäufer allerdings hat der Bundes­gerichts­hof das ausgeschlossen. Die Haftung auf Rest­schaden­ersatz über die Verjährung setze voraus, dass VW vom Kauf des jeweiligen Skandal­autos profitiert habe. Das sei bei Gebraucht­wagen nicht mehr der Fall. Es reiche allerdings aus, wenn eine indirekte Vermögens­verschiebung vom Geschädigten zu VW statt­gefunden hat, heißt es in der Presseerklärung des Gerichts. Nach Auffassung der test.de-Rechts­experten liegt bei Neuwagenkäufen eine solche indirekte Vermögens­verschiebung vor, auch wenn VW das Auto nicht selbst verkauft hat, sondern es an einen Händler geliefert hat und der es schließ­lich an den jetzigen Besitzer verkauft hat. Die endgültige Entscheidung darüber fällt am Montag, 21. Februar. An diesem Tag verhandelt der Bundes­gerichts­hof über die Klagen einiger Käufer seiner­zeit neuer Skandal­autos.
Bundes­gerichts­hof, Urteile vom 10.02.2022
Aktenzeichen: VII ZR 365/21, VII ZR 679/21, VII ZR 692/21 und VII ZR 717/21

Über­raschendes Urteil in einem weiteren Fall: Schaden­ersatz­ansprüche gegen VW waren bei Klageerhebung vor Ende 2019 noch nicht verjährt, wenn der Besitzer des Wagens nicht noch im Jahr 2015 erfahren hatte, dass sein Wagen ein Skandal­auto ist. Es sei zwar davon auszugehen, dass Skandal­autobesitzer bereits im Jahr 2015 vom Abgas­skandal allgemein erfuhren. Es sei aber nicht grob fahr­lässig, wenn sie nicht gleich nach Start der VW-Webseite zur Identifizierung von Autos mit illegaler Motorsteuerung über­prüften, ob ihr Auto betroffen ist, entschieden die Bundes­richter. Grob fahr­lässig handelte ihrer Ansicht nach nur, wer dies nicht bis spätestens Ende 2016 machte. Schaden­ersatz­ansprüche gegen VW verjährten damit in solchen Fällen nicht bereits Ende 2018, sondern erst ein Jahr später.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 10.02.2022
Aktenzeichen: VII ZR 396/21

Noch ein verbraucherfreundliches Urteil des Bundes­gerichts­hofs: Skandal­autobesitzer haben Anspruch darauf, dass die Gerichte zusätzliche zur Verurteilung von VW zum Schaden­ersatz fest­stellen, dass die Konzern­ver­antwort­lichen vorsätzlich handelten. VW kann dann nämlich Gegen­ansprüche etwa im Zusammen­hang mit der Rück­gabe des Wagens nicht mit dem Schaden­ersatz­anspruch des Auto­besitzers verrechnen.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 21.12.2021
Aktenzeichen: VI ZR 457/20

28.01.2022 Nächster kleiner Schritt in der juristischen Aufarbeitung des Abgas­skandals: VW kann sich gegen­über Skandal­autobesitzern, die an der Muster­fest­stellungs­klage des vzbv teil­genommen, nicht mit Verjährung verteidigen. Das gilt auch, wenn sich Abgas­skandal­opfer später wieder abge­meldet haben, um doch selbst gegen VW zu klagen. Das sei Rechts­gebrauch und kein -miss­brauch, urteilten die Bundes­richter. Zuvor hatten einzelne Gerichte wie das Ober­landes­gericht Stutt­gart geur­teilt: Erst die Anmeldung der Rechte zur Muster­fest­stellungs­klage stoppt die Verjährung. Das hatte vor dem BGH keinen Bestand. Es komme auf den Zeit­punkt der Erhebung der Muster­fest­stellungs­klage bereits im Jahr 2018 an, urteilen die Richter in Karls­ruhe, weitere Einzel­heiten in der Pressemitteilung des Gerichts. Damit sind die Rechte von Abgas­skandal­opfern auch dann nicht verjährt, wenn sie sich erst im Jahr 2019 zur Muster­fest­stellungs­klage angemeldet haben.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 27.01.2022
Aktenzeichen: VII ZR 303/20
Kläger­vertreter: Noch unbekannt, bitte melden
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 29.07.2021
Aktenzeichen: VI ZR 1118/20
Kläger­vertreter: Noch unbekannt, bitte melden

25.01.2022 Neue Ansage des Bundes­gerichts­hofs (BGH): Auch der so genannte „kleine Schaden­ersatz“, also der Ausgleich der Wert­minderung ohne Rück­gabe des Wagens, verringert sich, aber erst, wenn Käufer von Skandal­autos ihren Wagen weiterfahren können als das ursprüng­lich zu erwarten war. Es ging um einen Skandal­auto, das der Kläger bereits 2013 gebraucht gekauft hatte und inzwischen rund 275 000 Kilo­meter auf dem Tacho hat. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es wörtlich: „Damit steht im Raum, dass der Käufer sich im Wege der Vorteils­ausgleichung den Wert von Nutzungen (...) in dem Umfang anrechnen lassen muss, in dem der Wert der Nutzungen den Wert des Fahr­zeugs bei Vertrags­schluss über­steigt.“
Das heißt nach Ansicht von Rechtsanwalt Andree Hübner von Gansel Rechtsanwälte : Der Anspruch auf Ausgleich des mit der illegalen Motorsteuerung verbundenen Minderwerts bleibt zunächst trotz Nutzung des Wagens unver­ändert. Wenn aber die Nutzungen den Wert des Wagens über­steigen, ist dieser über­steigende Wert auf den Schaden­ersatz­anspruch anzu­rechnen. Anders formuliert: Wenn der Wagen mehr Kilo­meter schafft als ursprüng­lich zu erwarten war, dann mindern zusätzliche Kilo­meter den Schaden­ersatz­anspruch. Je Kilo­meter ist dabei der Betrag anzu­setzen, der sich bei Division des Wert des Wagens beim Kauf durch die insgesamt noch zu erwartenden Kilo­meter ergibt.
Für den vom BGH entschiedenen Fall heißt das: Soweit von einer Gesamt­lauf­leistung von 300 000 Kilo­meter auszugehen ist, erhält der Kläger noch vollen Ersatz für den skandalbe­dingten Minderwert, den die Gerichte oft auf zehn bis 20 Prozent des Kauf­preises schätzen. Geht das Gericht von der Gesamt­lauf­leistung von nur 250 000 Kilo­metern aus, dann ist der Anspruch des Klägers um 25 000 x 0,06 = 1 500 Euro zu kürzen, wenn der Minderwert wegen der illegalen Motorsteuerung bei 15 Prozent liegt. Er würde dann trotz der verstrichenen Zeit und der mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter noch fast 500 Euro bekommen.
Bundes­gerichts­hof, Urteil vom 24.01.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 100/21
Kläger­vertreter: Noch unbekannt, bitte melden

06.01.2022 Am Montag, 21. Februar, wird wohl endgültig fest­stehen, was Skandal­autokäufer noch verlangen können, wenn ihre Schaden­ersatz­forderung als solche bereits verjährt ist. An dem Tag verhandelt der Bundes­gerichts­hof (BGH) über zwei Fälle, in denen es um den Kauf von Neuwagen geht, Einzel­heiten zu den Fällen in der Ankündigung der Verhandlung. Bereits am Donners­tag, 10. Februar, geht es in Karls­ruhe um gebraucht gekaufte Autos (s. u. unter 04.01.2022). Die Ober­landes­gerichte urteilten bisher unterschiedlich. Die große Mehr­heit der Rechts­wissenschaftler hält für richtig: Bei neu erworbenen Skandal­autos können Käufer vom Hersteller über die Verjährung hinaus zumindest die Heraus­gabe des mit dem Verkauf des Wagens erzielten Erlöses verlangen. Erst zehn Jahre nach Kauf verjährt auch diese Forderung. Bei Kauf eines Skandal­autos als Gebraucht­wagen ist umstritten, ob VW noch zum so genannten Rest­schadens­ersatz verpflichtet ist.

04.01.2022 Der Bundes­gerichts­hof (BGH) kämpft immer noch mit dem Abgas­skandal. Die Legal Tribune Online (LTO) berichtet: Am Jahres­ende waren 1 200 Abgas­skandal-Streitig­keiten an verschiedenen BGH-Senaten anhängig. Das höchste deutsche Zivilge­richt hat wegen des Abgas­skandals mehr­fach die Geschäfts­verteilung geändert und inzwischen eigens für die Streitig­keiten um Autos mit womöglich illegal gesteuerten Diesel­motoren einen Hilfs­senat einge­richtet. Einzel­heiten im ausführlichen Bericht der LTO.

Offen ist vor allem noch, wovon genau der Beginn der Verjährung der Schaden­ersatz­forderungen von Auto­besitzern beginnt. Bisher gingen die Richter in Karls­ruhe davon aus: Die Presse­mitteilung im September 2015, in der der VW-Konzern einräumte, eine beschönigend „Umschalt­logik“ genannte Abschaltung der Abgas­reinigung einge­setzt zu haben, reichte aus, um den Beginn der Verjährung auszulösen. Offen ist noch, unter welchen Voraus­setzungen im Einzel­fall die Verjährung erst später beginnt, wenn Auto­käufer davon nichts mitbekommen haben oder sie nicht wussten, dass ihr Wagen betroffen ist.

Noch wichtiger: Der Bundes­gerichts­hof muss noch klären, unter welchen Voraus­setzungen Skandal­autobesitzern über den Ablauf der normalen Verjährungs­frist hinaus der so genannte Rest­schadens­ersatz­anspruch zusteht. Verbraucher­anwälte gehen davon aus: Zumindest Neuwagenkäufer können sich auf diese Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch berufen und bekommen dann vollen Schaden­ersatz, wenn sie spätestens zehn Jahre nach Kauf des Wagens gericht­liche Schritte einge­leitet haben.

Offen ist außerdem noch, ob VW in bestimmten Leasing-Fällen nicht doch noch Schaden­ersatz zahlen muss. Im Ansatz klar: Soweit Auto­besitzer den Wagen nutzen konnten und nur dafür gezahlt haben, dann ist ihnen kein Schaden entstanden und muss VW nicht zahlen. Soweit die mit der illegalen Motorsteuerung verbundene Wert­minderung zum Tragen kommt, ist Schaden­ersatz fällig.

Die wichtigen noch offenen Rechts­fragen wird der Bundes­gerichts­hof noch im Früh­jahr klären. Er hat in etlichen Fällen bereits Verhand­lungs­termine anberaumt. Die Entscheidung um den Rest­schadens­ersatz dürfte laut dieser BGH-Ankündigung am Donners­tag, 10. Februar, fallen.

Klar ist: Auto­hersteller haben Käufern von Autos mit illegaler Motorsteuerung Schaden­ersatz wegen vorsätzlicher Schädigung zu zahlen. Sie müssen den Kauf­preis abzüglich einer Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter zahlen. Voraus­setzung ist, dass der Auto­hersteller bewusst eine illegale Motorsteuerung einsetzt, um Kosten- und Wett­bewerbs­vorteile zu erzielen. Fest steht das für insgesamt rund drei Millionen Autos aus dem VW-Konzern. Umstritten ist, ob und für welche Modelle von Daimler, BMW und anderen Herstel­lern Schaden­ersatz fällig ist. Daimler etwa ist anders als VW gegen das Kraft­fahrt­bundes­amt vors Verwaltungs­gericht gezogen, als die Behörde Motorsteuerungen des Konzerns als illegal bewertete und die Entwick­lung und Nach­rüstung neuer Software anordnete. Eine rechts­kräftige Entscheidung wird wohl noch Jahre auf sich warten lassen.

Ältere Einträge:
Chronik des Abgasskandals (2021-2019)
Chronik des Abgasskandals (2018-2016)

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Profilbild Stiftung_Warentest am 20.04.2023 um 15:32 Uhr
Musterbriefe

@ulrich.barthel: Da hatte sich ein technischer Fehler eingeschlichen. Die Links zu der Musterbrief-Datei sollten genau an der Stelle sein, wo Sie sie gesucht haben. Wir haben den Fehler korrigiert. Sie sollten die Musterbrief-Datei jetzt problemlos aufrufen können. Vielen Dank für Ihren Hinweis! Bitte entschuldigen Sie den Fehler!

ulrich.barthel am 20.04.2023 um 15:07 Uhr
Kann Musterbriefe nicht finden

Die Musterbriefe, die im aktuellen Artikel "Hersteller haften auch ohne Vorsatz" mehrfach angekündigt werden, kann ich leider nirgends finden. Die Hinweise wie "Muster­texte samt ausführ­licher Hinweise" haben auch keinen Link.

pinkepanke am 13.04.2023 um 09:47 Uhr
OLG Schleswig Urteil vom 29.03.2023 – 12 U 119/22

Zu BMW hat das OLG Schleswig Urteil vom 29.03.2023 – 12 U 119/22 ausgeführt:
"Amtliche Leitsätze:
(...) Mangels Schadens (s. Punkte 9 und 10) und aufgrund fehlenden
Fahrlässigkeitsvorwurfs ergibt sich ein Anspruch eines Fahrzeugkäufers nach der
Entscheidung des EuGH vom 21.03.2023 (Rechtssache C 100-21) jedenfalls im
vorliegenden Fall auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EGFGV
oder Art. 5 VO 715/2007/EG. Der Hersteller hat nicht gegen den zivilrechtlichen
Fahrlässigkeitsmaßstab des § 276 Abs. 2 BGB verstoßen. Das Thermofenster war bei
Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs sog. Industriestandard und
wurde weitreichend von einer Vielzahl von Autoherstellern in Dieselfahrzeugen
eingesetzt, ohne dass dies vom KBA damals oder später – trotz mehrfacher
Untersuchungen – beanstandet worden wäre."
Warten wir den BGH am 08.05.2023 ab...

Profilbild Stiftung_Warentest am 13.04.2023 um 08:52 Uhr
OLG Hamm Bedeutung des EuGH-Thermofenster-Urteils

@pinkepanke: Vielen Dank für den Hinweis!
Wir staunen, dass das Oberlandesgericht Hamm den Irrtum über die Zulässigkeit von Thermofenstern für unvermeidbar hält und dass es keine grundsätzliche Bedeutung sieht. Die Überlegungen des Gerichts zum Schutzzweck der Typgenehmigungsregeln tragen die Entscheidung nicht.
Wir halten es kaum für vorstellbar, dass der Bundesgerichtshof nicht dabei bleibt, dass der Kauf eines nicht den Abgasvorschriften entsprechenden Autos, das jederzeit stillgelegt werden kann, einen Schaden darstellt, für den die Hersteller einzustehen haben. Wir denken allerdings auch, dass der Bundesgerichtshof dabei bleiben wird, mit dem Wagen gefahrene Kilometer der Sache nach als Verringerung des Schadens zu begreifen. Dass der Wagen dabei mehr Schadstoffe ausgestoßen haben mag, als es dem Käufer bewusst und recht war, wird er weiterhin nicht als entschädigungspflichtigen Schaden begreifen, denken wird. Die Richter in Karlsruhe werden aber ihre Ansicht prüfen müssen, ob die Anrechnung der Nutzung des Wagens dazu führen kann, dass der Schaden vollständig kompensiert ist. Auch über die zu erwartende Strecke hinaus gefahrene Autos stellen noch einen Wert da und dieser ist dadurch eingeschränkt, dass das Auto - gerade jetzt nach den Urteilen des Europäischen Gerichtshof und des Verwaltungsgerichts in Schleswig - wohl entweder aufwändig nachzurüsten oder stillzulegen ist.
Bitte entschuldigen Sie die späte Reaktion, der zuständige Redakteur ist erst jetzt dazu gekommen, sich das Urteil genau anzuschauen.

pinkepanke am 03.04.2023 um 13:22 Uhr
OLG Hamm Bedeutung des EuGH-Thermofenster-Urteils

OLG Hamm, Beschluss vom 23.03.2023 - 7 U 113/22 - openJur :
Auch in Anbetracht der Entscheidung des EuGH vom EUGH 21.3.2023 in der Sache EUGH Aktenzeichen C-100/21 bleibt es dabei, dass § BGB § 823 Abs. BGB § 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Rahmenrichtlinie sowie mit Art. EWG_VO_715_2007 Artikel 5 Abs. EWG_VO_715_2007 Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 715/2007 als Schutzgesetze in sachlicher Hinsicht das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht umfasst.