20.02.2023 Jubel bei der Deutschen Umwelthilfe: Das Verwaltungsgericht Schleswig hat nach langer Verhandlung geurteilt: Die Thermofenster in den von VW auf Geheiß des Kraftfahrtbundesamts (KBA) neu entwickelten Motorsteuerungen für die rund 2,5 Millionen Skandalautos sind rechtswidrig. Das Gericht hob die Genehmigung der so genannten „Updates“ auf. Danach muss das KBA alle Skandalautos erneut zurückrufen und VW verpflichten, den Schadstoffausstoß noch weiter zu verringern. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) als Kläger geht davon aus: VW muss in die Autos wie in den USA damals einen zusätzlichen Katalysator einbauen.
Allerdings: Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Gericht ließ sowohl die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht als auch die Berufung zu. test.de ist sicher: Die wird das KBA einlegen. Bis ein rechtskräftiges Urteil fällt, werden wahrscheinlich noch Jahre ins Land gehen. Wie viele Skandalautos das dann noch betrifft, bleibt abzuwarten. Allerdings: Das Urteil ist auf zahlreiche jüngere Autos anderer Hersteller übertragbar. Während VW später die Abgasreinigung nur bei extrem niedrigen und hohen Temperaturen herabsetzte, waren Thermofenster bei anderen Autos mit Dieselmotoren bis einschließlich Schadstoffnorm Euro 6c gang und gäbe. Wie viele Autos das betrifft, lässt sich noch nicht genauer abschätzen. Fest steht: Wenn das Urteil rechtskräftig wird, muss das KBA Millionen Autos entweder erneut zurückrufen oder stillegen.
Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 20.02.2023
Aktenzeichen: 3 A 113/18 (nicht rechtskräftig)
Verbraucheranwälte: Rechtsanwälte Remo Klinger und David Krebs, Berlin
20.02.2023 Showdown in Schleswig: Vor der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts dort haben die Anwälte der Deutschen Umwelthilfe und der Volkswagen AG und die Juristen des Kraftfahrtbundesamts (KBA) in Flensburg von 9.30 Uhr an darüber verhandelt, ob die Behörde die Abgasskandalautos zu Recht hat weiterfahren lassen. Wenn die Klage Erfolg hat, muss das KBA die Skandalautos erneut zurückrufen, um den Ausstoß an giftigem Stickoxid weiter zu verringern.
Die Deutsche Umwelthilfe ist der Meinung: Auch die von VW entwickelte und vom KBA genehmigte neue Motorsteuerung für die Skandalautos ist rechtswidrig. Fest steht: Voll wirksam war die Abgasreinigung nur bei Lufttemperaturen ab 10 Grad. Darunter reduzierte die Motorsteuerung die Rückführung von Abgas in den Ansaugtrakt und damit die Reduzierung von Stickoxiden. Zulässig ist eine solche Reduktion der Abgasreinigung nur, wenn Motorschäden und Unfälle drohen, erklärte Vorsitzender Richter Uwe Karstens und verwies auf die strengen Ansagen des Europäischen Gerichtshofs zum Thema (s. u. unter 14.07.2022). Selbst wenn die Abschaltung notwendig ist, darf sie nicht genehmigt werden, wenn sie unter gängigen Bedingungen zur Verringerung oder Abschaltung der Abgasreinigung führt und Autos dadurch oft mehr als die nach den EU-Regeln damals zulässigen 180 Milligramm Stickoxid pro Kilometer ausstoßen.
Kraftfahrtbundesamt und VW argumentierten unisono: Bei niedrigen Lufttemperaturen droht wegen dramatisch erhöhter Russbildung und Versottung ein Verklemmen des Ventils für die Abgasrückführung und die könne innerhalb weniger Minuten zu Motorschäden und Bränden führen. DUH-Anwalt Remo Klinger und Axel Friedrich hielten dagegen: Es hätte technische Alternativen wie andere Formen der Abgasrückführung und Katalysatoren gegeben. Die habe VW nur nicht gewollt, weil die Autos dadurch teurer geworden wären. Klinger monierte zahlreiche geschwärzte Seiten in den von VW und dem KBA vorgelegten Gutachten und stellte noch sieben so genannte Hilfsbeweisanträge. Mit ihnen muss sich das Gericht noch befassen, wenn es die Klage abweisen will.
Die Richter äußerten sich zunächst zurückhaltend und äußerten Verständnis für die Argumente beider Parteien. Es gehe immer um eine Abwägung zwischen dem Interesse an gesunder Umwelt einerseits und effizientem und preiswerten Individualverkehr andererseits. Sie neigten zunächst dazu, die Abschaltung der Abgasreinigung bei Lufttemperaturen unterhalb von 10 Grad für zulässig zu halten.
Das Urteil steht noch aus. Die drei Berufsrichter und die beiden Schöffen zogen sich gegen 14.40 Uhr zur Beratung zurück. Ihre Entscheidung – entweder der Beschluss, weitere Beweise zu erheben oder ein abschließendes Urteil – wollen sie noch heute verkünden.
Am Rande der Verhandlung interessant: KBA-Justitiar Frank Liebhart erklärte, dass die Behörde inzwischen auch der Meinung ist, dass die Skandalautos seinerzeit nicht der an sich rechtmäßigen Typgenehmigung entsprachen. Auf test.de-Nachfrage erklärte er allerdings: Trotzdem war es richtig, dass die Autos damals weiterfahren durften. Die test.de-Juristen sind anderer Meinung. Die Skandalautos hätten ihrer Ansicht nach sofort aus dem Verkehr gezogen werden müssen.
09.01.2023 Rechtsanwältin Sandra Mader aus der Kanzlei Wawra & Gaibler in Augsburg berichtet: Das Landgericht Ravensburg hat Opel auf ihre Klage hin zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verurteilt. Es ging um einen Opel Insignia Sports Tourer 2,0 l Diesel mit einem Motor vom Typ „B20“, der die Euro 6 Norm erfüllen soll. Nach den Feststellungen des Gerichts reduzierte die Motorsteuerung die Abgasreinigung unterhalb von 16 Grad Lufttemperatur, bei einer Geschwindigkeit von 140 und mehr Stundenkilometern, einer Motordrehzahl von 2 900 und mehr Umdrehungen pro Minute sowie bei einem Luftdruck von 91,5 Kilopascal entsprechend 915 Millibar und weniger, wie er bei normalem Wetter bei einer Höhe von rund 800 und mehr Metern über dem Meeresspiegel herrscht. Bei einer solchen Kombination von Parametern sei wie bei VWs Abschaltung der Abgasreinigung bei anderen als den für die Prüfstandsversuche zur Ermittlung des Schadstoffausstoßes vorgeschriebenen Bedingungen von Vorsatz und Sittenwidrigkeit auszugehen, begründet Richter Harald Göller sein Urteil. Das Urteil ist auf Opel Cascada und Zafira mit dem gleichen 2.0 Dieselmotor vom Typ B20 übertragbar. Es ist aber noch nicht rechtskräftig.
Landgericht Ravensburg, Urteil vom 30.12.2022
Aktenzeichen: 2 O 200/22 (nicht rechtskräftig)
Verbraucheranwälte: Rechtsanwälte Wawra & Gaibler, Augsburg
23.12.2022 Immer noch: Kein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum möglichen Recht auf Schadenersatz für Autobesitzer bloß wegen Verstößen der Autohersteller gegen die EU-Regeln über die Typzulassung, siehe die Berichte hier unter 13.10.2022 und vor allem 04.07.2022. Auf Anfrage von test.de erklärte ein Gerichtssprecher, es gebe immer noch keinen Termin für die Urteilsverkündung. In einer anderen Sache urteilte der EuGH allerdings: Die EU-Regeln über Grenzwerte giftiger Gase wie Stickoxid in der Luft geben einzelnen Menschen kein Recht auf Schadenersatz. Der EuGH argumentiert darin so ähnlich, wie der Bundesgerichtshof es bei dessen Verweigerung von Schadenersatz nur wegen der Verletzung der EU-Typzulassungsregeln getan hatte. Danach spricht viel dafür, dass der EuGH zum gleichen Ergebnis kommt, auch wenn sein Generalanwalt anderer Meinung war. Das war er beim aktuellen Luftgrenzwerte-Urteil auch.
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 22.12.2022
Aktenzeichen: C-61/21
20.12.2022 Soweit uns bekannt erstmals überhaupt kommt ein Gutachter zu dem Ergebnis: Auch ein Auto mit einer bisher nicht vom Kraftfahrtbundesamt beanstandeten Motorsteuerung schaltet die Abgasreinigung illegal ab.
Es ging um einen Audi Q5 3.0 TDI Quattro S tronic mit 176 Kilowatt/239 PS Motorleistung, unter dem Code el*2001/116*0473*09 typzugelassen nach der Norm Euro 5, Erstzulassung des umstrittenen Wagens: März 2012, Laufleistung bis dato: 82 588 Kilometer.
Das Landgericht Mannheim ordnete im Dezember 2020 an: Es ist ein Sachverständigen-Gutachten zur Behauptung des Besitzers des Wagens einzuholen, wonach die Motorsteuerung die Abgasreinigung illegal reduziert oder abschaltet.
Gutachter Hartmut Lehnert findet heraus: Der Ausstoß von Stickoxid erhöht sich bei ein und demselben Norm-Fahrversuch stark, wenn die Lenkung betätigt wird. Steht sie gerade, waren durchschnittlich 227 Milligramm Stickoxid pro simuliertem Kilometer im Abgas – auch schon 26 Prozent mehr als die damals maximal erlaubten 180 Milligramm. Bei 15 und mehr Grad Lenkwinkel stieg der Stickoxidausstoß auf 637 Milligramm. Bei einer weiteren Messung im Prüfstand bei 10 statt der üblichen 20 Grad Lufttemperatur stieg der Stickoxidausstoß sogar auf 1 564 Milligramm – fast das Neunfache des Erlaubten.
Fazit des Gutachters: „Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt über eine sog. Fahrzykluserkennung. Die Software des Motorsteuergeräts erkennt anhand des Lenkwinkeleinschlags, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet. Sobald die Software die Prüffahrt feststellt, schaltet sie die Abgasreinigung in einen optimierten, effektiven Modus. Im Normalbetrieb außerhalb des Prüfstands ist dagegen die Abgasreinigung erheblich reduziert (...). Im normalen Fahrbetrieb kommt zudem ein sog. Thermofenster zum Einsatz. Ab einer Umgebungstemperatur von weniger als 17 °C und mehr als 30 °C wird die Abgasreinigung sehr stark reduziert (...).“
Klarer Fall für Rechtsanwältin Eva Bohle von Gansel Rechtsanwälte: „Außer den Lenkradeinschlägen in den Standphasen wurden keine weiteren Parameter im Gegensatz zum vorgeschriebenen NEFZ-Zyklus verändert. Somit konnte verlässlich die Lenkwinkelerkennung als unzulässige prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung festgestellt werden“, kommentiert sie das Gutachten. Sie sieht jetzt gute Chancen, dass ihr Mandant Schadenersatz bekommt, obwohl das KBA seinen Wagen nicht zurückgerufen hat.
test.de hat sowohl Audi als auch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Audi äußerte sich nicht. KBA-Sprecher Stephan Immen erklärte test.de gegenüber: „Für das hier in Rede stehende Fahrzeug wurde insbesondere die temperaturgeführte Steuerung der Abgasrückführung (AGR), das sog. „Thermofenster“ kritisch hinterfragt. Aufgrund der Informationen des Fahrzeugherstellers und als Ergebnis der durch das KBA durchgeführten Untersuchungen konnte die Argumentation der Audi AG hinsichtlich der Zulässigkeit der gegenständlichen Abschalteinrichtung zum Zwecke des Motorschutzes nach bisherigen Erkenntnissen nicht entkräftigt werden.“ Allerdings: Nach den strengen Ansagen des Europäischen Gerichtshofs führe das KBA zurzeit „...eine weitere technische und verwaltungsrechtliche Prüfung des Sachverhaltes unter Einbeziehung aller aktuellen Erkenntnisse durch“, erklärte Immen weiter.
Womöglich muss die Behörde auch die Entscheidungen wegen zahlreicher anderer Autos revidieren. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach die Deutsche Umwelthilfe (DUH) berechtigt ist, gegen die aus ihrer Sicht rechtswidrige Freigabe der vom VW-Konzern nach Bekanntwerden des Skandals neu entwickelten Motorsteuerungen zu klagen, könnte das Verwaltungsgericht Schleswig die bisherigen Entscheidungen der Behörde zu über 100 Skandalauto-Varianten aufheben. VW müsste dann eine neue Lösung für die Skandalautos entwickeln.
Nach Ansicht der DUH-Juristen einzige legale Möglichkeit: Die Skandalautos bekommen zusätzlich zur Abgasrückführung noch einen Katalysator, um den Ausstoß von giftigem Stickoxid zuverlässig unter den Grenzwert zu halten. Das KBA hatte bisher für die allermeisten Skandalautos für ausreichend gehalten, die Software für die Motorsteuerung zu ändern. Bei einigen Autos gab es zusätzlich nur ein kleine Änderung im Ansaugtrakt.
18.11.2022 Laut Taz-Bericht zu den Bosch-Dokumenten (siehe unten unter 17.11.2022) legen die Unterlagen nahe, dass alle wichtigen Autohersteller offenbar schon vor 2006 begonnen haben, den Abgasbetrug vorzubereiten. Sie hätten die dafür nötigen Mechanismen in den Motorsteuergeräten gezielt in Auftrag gegeben.
17.11.2022 Neue Dokumente von Zulieferer Bosch belegen offenbar: Schon vom Jahr 2006 an planten praktisch alle wichtigen Autohersteller, wie sie die EU-Regelungen zu den Abgasgrenzwerte umgehen können. Spiegel und Bayerischer Rundfunk berichten: Ihnen liegen bisher geheime Unterlagen vor, nach denen Bosch nach eigenen Untersuchungen 44 „sensible Funktionen“ identifiziert hatte, die womöglich illegal sind. Dabei ging es nicht nur um Diesel-Aggregate, sondern auch um Benzin-Motoren.
14.11.2022 Gansel Rechtsanwälte weisen darauf hin: Am 31. Dezember dieses Jahres verjähren Schadenersatzansprüche wegen etlicher Mercedes-Modelle mit Turbodiesel-Motoren und anerkannt illegaler Motorsteuerung (darunter C-Klasse, E-Klasse, S-Klasse, der GLK und der GLE sowie der ML), vieler ebensolcher Audi A4, A5, A6, A7, A8 und Q7 und des VW Multivan T6. Im Normalfall gilt: Die Verjährung beginnt am Ende des Jahres, in dem Besitzer von Skandalautos erfahren, dass ihr Wagen eine illegale Motorsteuerung hat und zur Nachrüstung in die Werkstatt muss. test.de empfiehlt: Wegen der aktuell für viele der betroffenen Modelle unklaren Erfolgsaussicht von Schadenersatzforderungen sollten Besitzer solcher Autos zunächst nicht gleich Rechtsanwälte einschalten, sondern selbst die Verjährung stoppen.
So geht es am einfachsten: Fordern Sie sofort mit Hilfe unserer Mustertexte Schadenersatz. Der Autohersteller wird nicht zahlen. Sie können sich dann bei einer der beiden Universalschlichtungsstellen
beschweren. Damit können Sie den Hersteller Ihres Wagens zwar nicht zur Zahlung von Schadenersatz zwingen, aber die Schlichtung stoppt die Verjährung bis sechs Monate nach Ende des Verfahrens und verschafft Ihnen so genügend Zeit, um das grundlegende Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Schadenersatz wegen des Abgasskandals abzuwarten. Wir erwarten es in den nächsten Wochen. Es geht um die Frage, ob schon die Verletzung der EU-Zulassungsregeln Autobesitzern ein Recht auf Schadenersatz gibt oder ob es entsprechend der bisherigen Ansagen des Bundesgerichtshofs dabei bleibt, dass die Autohersteller nur zahlen müssen, wenn sie vorsätzlich und sittenwidrig handelten.
09.11.2022 Wie wichtig die gestern vom Europäischen Gerichtshof endlich bestätigte (siehe unten unter 08.11.2022) Befugnis von Umweltverbänden zur Klage gegen Typgenehmigungen ist, zeigt schon: Die Bundesregierung und damalige Koalition verhinderten es 2017, dass sie ins Gesetz kam. Dies und weitere Einzelheiten zur Rechtslage beschreibt ein ausführlicher Bericht der Legal Tribune Online.
08.11.2022 Das Kraftfahrtbundesamt muss den Abgasskandal noch mal ganz neu aufrollen: Laut Europäischer Gerichtshof (EuGH) darf die Deutsche Umwelthilfe (DUH) gegen die Freigabebescheide klagen, mit denen die Behörde den Autoherstellern und vor allem VW nach Bekanntwerden des Abgasskandals eine neue Motorsteuerung genehmigt hatte. Solche Klagen sind nach deutschem Recht nicht zulässig. Die EU-Regeln zwingen aber zur Zulassung der Klagen, verkündete der EuGH heute in Luxemburg.
Die DUH und zahlreiche Experten sind davon überzeugt: Auch die nach Bekanntwerden des Abgasskandals neu entwickelten Motorsteuerungen sind rechtswidrig. Die Abgasreinigung werde je nach Lufttemperatur, Luftdruck und zahlreichen weiteren Faktoren ganz oft verringert oder sogar ganz abgeschaltet, erklärte DUH-Experte Axel Friedrichs bei einer Pressekonferenz.
DUH-Anwalt Remo Klinger erwartet innerhalb des nächsten Jahres etliche Urteile gegen die Genehmigung der Motorsteuerung von rund 120 verschiedenen Automodellen mit Dieselmotoren, gegen die die DUH Klage erhoben hat. Die Bundesregierung müsse die Autohersteller jetzt zwingen, die rund fünf Millionen betroffenen Autos mit wirksamer Abgasreinigungstechnik nachzurüsten, forderte DUH-Vorsitzender Jürgen Resch. Die Kosten dafür müsse die Industrie tragen. Soweit Autobesitzern durch die rechtswidrige Genehmigung der Nachrüstung für ihre Wagen ein Vermögensnachteil entstanden ist, hat nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz der Staat sie zu entschädigen.
Immerhin: Bei den auf Anordnung des Kraftfahrtbundesamts in Flensburg mit einer neu entwickelten Motorsteuerung nachgerüsteten Skandalautos steht fest: Sie dürfen weiterfahren. Sie entsprechen der geänderten Typgenehmigung. Das gleiche gilt für Autos, für die das Kraftfahrtbundesamt die Reduktion oder Abschaltung der Abgasreinigung nachträglich ohne Änderungen gebilligt hat. Autos allerdings, bei denen die Behörden trotz illegaler Motorsteuerung bisher nichts unternommen haben, droht nach wie vor die Stilllegung. Nach Ansicht von DUH-Anwalt Remo Klinger und den test.de-Juristen entsprechen sie nicht der in Unkenntnis der Motorsteuerung erteilten Typgenehmigung und hätten deshalb nie zugelassen werden dürfen.
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 08.11.2022
Aktenzeichen: C-873/19
Klägervertreter: Rechtsanwalt Remo Klinger, Berlin
17.10.2022 Da staunen die Juristen bei test.de: Der Bundesgerichtshof urteilt über den Restschadenersatz, den VW Käufern von Skandalautos auch über die normale dreijährige Verjährung hinaus zu zahlen hat, überraschend verbraucherunfreundlich. So lautet die maßgebliche Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch: „Hat der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt, so ist er auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs (...) zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet.“ Überraschende Ansage der Bundesrichter dazu: Autobesitzer bekommen doch von vorneherein nicht den Schadenersatz, der ihnen eigentlich zusteht. Das ist: Kaufpreis abzüglich Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrene Kilometer („Nutzungsersatz“). Stattdessen gibt es nur noch: Einkaufspreis (also: Kaufpreis abzüglich Händlermarge) minus Nutzungsersatz. Dabei wird der anhand des vollen Kaufpreises errechnet. Praktische Auswirkung in einem Fall, zu dem der Bundesgerichtshof heute sein Urteilt veröffentlicht hat: Der Besitzer eines VW Beetle 2.0 TDI bekommt jetzt nur noch 13 022,22 Euro. Das Landgericht Trier und das Oberlandesgericht Koblenz hatten ihm noch 16 247,67 Euro zugesprochen. Sie waren – wie die Juristen der Stiftung Warentest es auch für richtig gehalten hatten – davon ausgegangen: Opfern des Abgasskandals steht voller Schadenersatz zu. Nach Ablauf der Verjährungsfrist ist der aber begrenzt durch den Betrag, den VW selbst bei Lieferung des Wagens Anfang 2015 für den Wagen erhalten hatte. Das waren 20 040 Euro, so dass für den Autobesitzer der volle Schadenersatz drin gewesen wäre.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.02.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 57/21
Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.09.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 176/22
13.10.2022 Geschädigte Autofahrer warten weiter auf das nächste Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Abgasskandal. Die Richter dort haben zu klären, ob entgegen der Auffassung der deutschen Gerichte jeder Verstoß gegen die EU-Regeln zur Zulassung von Autotypen Käufer betroffener Autos ein Recht auf Schadenersatz gibt. EuGH-Generalanwalt Athanasios Rantos und die EU-Kommission haben sich bereits geäußert. Sie meinen: Autohersteller sind nicht nur gegenüber den Behörden, sondern auch Autofahrern gegenüber verpflichtet, die Typzulassungsregeln einzuhalten (siehe auch unten unter: 04.07.2022).
13.10.2022 Ein weiteres Kapitel des Abgasskandals ist – vorläufig jedenfalls – abgeschlossen: Es bleibt bei der Einigung des VW-Konzerns mit den seinerzeit verantwortlichen Managern, darunter auch die damaligen Chefs von VW und Audi, Martin Winterkorn und Rupert Stadler. Das Landgericht Hannover wies Aktionärsklagen gegen die Beschlüsse zurück, mit der die Hauptversammlung den Vergleich gebilligt hatte. Danach bekommt VW als Ersatz für die Schäden, die dem Unternehmen durch den Einsatz von Motorsteuerungen mit illegaler Abschaltung der Abgasreinigung entstanden sind, insgesamt 288 Millionen Euro, darunter 11,2 Millionen Euro von Martin Winterkorn, 4,1 Millionen Euro von Rupert Stadler und 270 Millionen Euro von einer D&O-Versicherung, einer Berufshaftpflichtversicherung, die für die Schäden von Managementfehlern eintritt. Große Unternehmen schließen solche Versicherungen ab, damit sie gegen die finanziellen Folgen von Managementfehlern zumindest teilweise abgesichert sind. Policen, mit denen verantwortliche Mitarbeiter sich selbst gegen Schadenersatzforderungen schützen können, hat die Stiftung Warentest untersucht. Unter Vermögenshaftpflichtversicherung: D & O-Versicherungen im Test gibt‘s die Ergebnisse.
Landgericht Hannover, Urteil vom 12.10.2022
Aktenzeichen: 23 O 63/21 (nicht rechtskräftig)
Pressemitteilung des Gerichts zum Urteil
Geklagt hatten die beiden Aktionärsvereine Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SDK) und Verbraucherzentrale für Kapitalanleger. Sie sind der Meinung: Die Manager kommen zu billig davon. Es stehe noch gar nicht fest, wie viel Geld der Abgasskandal den VW-Konzern insgesamt koste. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig, die gegen etliche Manager Anklage wegen Betrugs erhoben hat, schätzt: Es geht um insgesamt 78 Milliarden Euro. test.de vermutet: Die Aktionärsvereine werden Berufung einlegen. Die VDK erklärte: Die Anwälte des Vereins prüfen das Urteil noch.
15.07.2022 Inzwischen hat das Kraftfahrtbundesamt zu den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von gestern Stellung genommen. Die Behörde meint: Ihre Entscheidungen entsprachen bereits der strengen Rechtsauffassung des Gerichts. Eine Reduktion der Abgasreinigung bei Temperaturen unterhalb von 15 und oberhalb von 33 Grad Celsius habe die Behörde immer schon für illegal gehalten. Welche Temperaturgrenzen ihrer Auffassung nach stattdessen gelten, sagt sie allerdings nicht. Bei dem Wagen, um den es im Rechtsstreit geht, funktionierte die Abgasreinigung laut Gericht nur zwischen 15 und 33 Grad Celsius und unterhalb von 1 000 Metern Höhe über Normalnull korrekt. Laut VW als Herstellers des Wagens handelt es sich dabei um ein Missverständnis. Diese Temperaturgrenzen beziehen sich auf die Ladeluft, die sich im Motor bereits etwas erwärmt habe. Tatsächlich funktioniere die Abgasreinigung bis zu Temperaturen von 10 Grad Celsius ohne Einschränkungen. Auch das reicht nicht, glauben die Rechtsexperten von test.de. Die Lufttemperatur in Deutschland lag laut statistischem Bundesamt im Jahresdurchschnitt zuletzt bei 9,1 Grad Celsius, so das die Abgasreinigung auch danach die meiste Zeit des Jahres nicht korrekt funktioniert. Der EuGH verlangt ausdrücklich: Die Abgasreinigung darf nur ausnahmsweise wegen unmittelbar drohender Motorschäden oder Unfälle verringert werden und muss die meiste Zeit des Jahres vollständig funktionieren.
Stellungnahme des Kraftfahrtbundesamts zu den EuGH-Urteilen vom 14.07.2022
14.07.2022 Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg bekräftigt in heute verkündeten Urteilen: Wenn die Motorsteuerung die Abgasreinigung bei Temperaturen verringert, wie sie in Europa oft vorkommen, ist das illegal. Nur ausnahmsweise und wenn akut Motorschäden drohen, darf die Abgasreinigung reduziert oder abgeschaltet werden. In dem Verfahren ging es um einen mit der von VW nach Bekanntwerden des Abgasskandals neu entwickelten Motorsteuerung ausgerüsteten Wagen. Auch diese Motorsteuerung halten die Richter in Luxemburg für illegal. Ob und was das Kraftfahrtbundesamt jetzt unternimmt, ist noch unklar. „Das Kraftfahrtbundesamt hat das Urteil zur Kenntnis genommen. Nach Abschluss der aktuell stattfindenden Bewertung werden Sie kurzfristig weitere Informationen erhalten“, schrieb Behörden-Sprecher Stephan Immen an test.de.
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 14.07.2022
Aktenzeichen: C-128/20
Pressemitteilung des Gerichts
Offen ist noch, ob Hersteller von Autos mit illegaler Motorsteuerung Käufer auch dann entschädigen müssen, wenn ihnen keine vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung zur Last fällt. Lesen Sie dazu den Beitrag unter dem 02.06.2022. Insider rechnen im Spätsommer oder Herbst mit einem Urteil des EuGH zu dieser Frage.
04.07.2022 Die juristische Aufarbeitung des Abgasskandals geht in den Endspurt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat angekündigt, Ende November erneut über Schadenersatzansprüche wegen des Abgasskandals zu verhandeln. Es geht um einen VW mit nach der Abgasnorm Euro 6 zugelassenen VW mit EA288-Turbodieselmotor, den das Kraftfahrtbundesamt nicht beanstandet hat. Bis dahin dürfte das Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu Entschädigungen wegen des Abgasskandals vorliegen. Die Richter dort haben darüber zu entscheiden, ob auch der fahrlässige Verstoß gegen die EU-Regeln über die Typzulassung Besitzern solcher Autos ein Recht auf Schadenersatz gibt. Der Bundesgerichtshof urteilte bisher: Nur, wenn verantwortlichen Mitarbeitern des Autoherstellers Vorsatz und Sittenwidrigkeit vorzuwerfen ist, haftet das Unternehmen auf Schadenersatz. EuGH-Generalanwalts Athanasios Rantos und die EU-Kommission haben sich bereits geäußert. Sie meinen: Jede Verletzung der EU-Regeln muss zur Entschädigung führen.
Thema beim BGH laut Pressemitteilung vor allem: Können Autohersteller sich darauf berufen, dass das Kraftfahrtbundesamt Typengenehmigungen erteilt und zum Teil in Kenntnis der Einzelheiten der Motorsteuerung bestätigt hat? Die Juristen der Stiftung Warentest glauben: Wo die Typzulassungsbehörden in Kenntnis aller Einzelheiten ihren Segen gegeben haben und dies nicht erkennbar falsch war, ist eine Haftung der Autohersteller kaum zu begründen. Wo umgekehrt die Autohersteller beim Antrag auf Typzulassung – wie soweit bekannt die Regel – die Motorsteuerung nicht offengelegt haben, müssen Sie sich den Vorwurf zumindest fahrlässiger Verstöße gegen die EU-Zulassungsregeln gefallen lassen, wenn die Abgasreinigung im Fahrbetrieb schlechter funktioniert als bei den Prüfstandversuchen zur Ermittlung des Schadstoffausstoßes.
Pressemitteilung des BGH zur Verhandlung am Montag, 21. November 2022
24.06.2022 Nach dem von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs deutlich abweichenden Votum des Generalanwalts Athanasios Rantos beim Europäischen Gerichtshofs (EuGH, s. u. unter 02.06.2022) hat der VII. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) die für kommenden Donnerstag geplante Verhandlung über Schadenersatzforderungen wegen eines VW mit jüngerem EA288-Motor abgesagt und will erst einmal abwarten. Das teilte BGH-Sprecher Kai Hamdorf test.de auf Anfrage mit. Wie die übrigen BGH-Senate mit Abgasskandalfällen weiter verfahren, könne er derzeit noch nicht sagen, erklärte er weiter. Der eigens wegen der VW-Klagewelle eingerichtete VIa. Sondersenat hat zwar in der vergangenen Woche zwei Urteile zum Abgasskandal verkündet (s. u. unter 14.06.2022). In diesen Fällen spielten die Ansagen des EuGH-Anwalts zu den EU-Zulassungsregeln allerdings keine Rolle. Urteilt der EuGH wie von Rantos empfohlen, wird der Bundesgerichtshof die Autohersteller wegen Autos mit illegaler Motorsteuerung anders als bisher auch zu Schadenersatz verurteilen müssen, wenn ihnen Vorsatz und Sittenwidrigkeit nicht nachzuweisen ist. Ausgeschlossen ist Schadenersatz nur noch, wenn Autohersteller davon ausgehen durften, dass die jeweilige Motorsteuerung rechtmäßig ist.
14.06.2022 Zwei weitere Ansagen des Bundesgerichtshofs zum Abgasskandal: Myright.de darf nicht nur deutsche, sondern auch ausländischen Abgasskandal-Schadenersatzforderungen gesammelt einklagen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.06.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 418/21
Und: Auch bei aus anderen EU-Ländern reimportierten Autos können die Käufer unter Umständen noch über die Verjährung hinaus Schadenersatz gegen VW durchsetzen. Voraussetzung für diesen so genannte Restschadenersatzanspruch ist allerdings: Die Lieferung des Wagens an den Händler beruht auf ihrer Bestellung. Das gilt auch, wenn noch Zwischenhändler im Einsatz waren. Wo Händler auf eigene Rechnung und eigenes Risiko Autos eingekauft und sie später weiterverkauft haben, liegt keine Zahlung des Käufers an VW vor und sind über die normale Verjährung hinaus keine Schadenersatzansprüche mehr durchsetzbar.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.06.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 680/21
02.06.2022 Gerade hat der Bundesgerichtshof einmal mehr verkündet: Eine illegale Abschaltung der Abgasreinigung allein berechtigt Autobesitzer nicht zum Schadenersatz (Aktenzeichen: VI ZR 435/20). Da kommt die Nachricht aus Luxemburg: Generalanwalt Athanasios Rantos beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) sieht ein Recht auf Schadenersatz bei jedem Verstoß gegen die EU-Regeln über die Typzulassung. Anlass ist eine Klage gegen Daimler wegen eines im März 2013 neu zugelassenen Mercedes C 220 CDI, bei dem die Motorsteuerung die Abgasreinigung unterhalb bestimmter Temperaturen reduziert. Auf der Grundlage der Ansagen des Bundesgerichtshof war die Klage gleichwohl abzuweisen, da Daimler nicht vorsätzlich und sittenwidrig handelte. Doch die Richter in Ravensburg setzten das Verfahren aus und fragten beim EuGH nach, ob nicht schon bei fahrlässigen Verstößen gegen die Regeln über die EU-Typzulassung Schadenersatz fällig ist. Das hatte der Bundesgerichtshof bisher stets abgelehnt. Die Regeln dienten der Allgemeinheit und nicht dem Schutz von Autokäufern, argumentierten sie. Ganz anders der hohe EU-Jurist in seinem Plädoyer: „Die Richtlinie 2007/46 (...) ist dahin auszulegen, dass (...) ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung (...) ausgestattet ist“, erklärt er. Jetzt müssen die Richter in Luxemburg beraten und entscheiden. Sie halten sich oft, aber nicht immer an das Votum des Generalanwalts. Wenn Sie es tun, dann dürfte so ziemlich jedem Besitzer von Autos mit Dieselmotoren bis einschließlich Euro 6c Schadenersatz zustehen, wenn ihre Rechte nicht inzwischen verjährt oder ihre Klagen rechtskräftig abgewiesen sind. Erst nach Euro 6d zugelassene Dieselmotoren sind Messungen der Deutschen Umwelthilfe zu Folge halbwegs zuverlässig so sauber, wie es die EU-Regeln vorschreiben. Die zuvor zugelassenen Autos stießen bei Fahrten im Straßenverkehr aber viel mehr Stickoxid aus als im Prüfstand und wie es nach den EU-Regeln zulässig war.
Landgericht Ravensburg, Beschluss vom 12.02.2021
Aktenzeichen: 2 O 393/20
Verbraucheranwälte: Prorights Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München
Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof Athanasios Rantos, Schlussanträge vom 02.06.2022
Aktenzeichen: C-100/21
Verbraucheranwälte: Prorights Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München
06.04.2022 Über sechs Jahre nach Bekanntwerden des Abgasskandals ist immer noch unklar: Durften die Behörden die Autos mit der illegalen Motorsteuerung damals einfach weiter fahren lassen oder hätten sie sie sofort aus dem Verkehr ziehen müssen? Über die Frage muss jetzt das Oberverwaltungsgericht Sachsen nachdenken. Die Besitzerin eines Skandal-Skoda klagt gegen die Stilllegung des Wagens. Sie meint: Die britische Typgenehmigung legalisiert den Betrieb des Wagens auch ohne das von VW entwickelte Software-Update. Anders als das Kraftfahrtbundesamt hat die britische Behörde die Typgenehmigung für Skandalautos nicht nachträglich geändert. Sie hatte allerdings später erklärt: Autos wie der Wagen der Klägerin entsprachen nicht den Anforderungen der EU-Regeln. Das Verwaltungsgericht in Chemnitz hatte die Klage in erster Instanz abgewiesen und die Stilllegung des Wagens bestätigt. Das Oberverwaltungsgericht in Bautzen bezweifelt, dass das richtig ist, und hat die Berufung zugelassen. Es muss jetzt klären, ob die Typgenehmigung den Betrieb des Wagens trotz der illegalen Motorsteuerung legalisierte. Mögliche Entscheidungen: Die Autos entsprachen wegen der den Behörden verschwiegenen Abschaltung der Abgasreinigung gar nicht der Typgenehmigung und hätten nie zugelassen werden dürfen. Oder: Die Typgenehmigung legalisierte den Betrieb der Autos trotz der illegalen Abschaltung der Abgasreinigung, so lange die Behörden sie nicht ändern, widerrufen oder aufheben.
Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 31.03.2022
Aktenzeichen: 6 A 607/20
Klägerinanwälte: Rechtsanwälte Schulze & Greif, Chemnitz
22.03.2022 Das Oberlandesgericht Brandenburg muss klären, ob die von VW nach Bekanntwerden des Abgasskandals auf Geheiß des Kraftfahrtbundesamts neu entwickelte Motorsteuerung ebenfalls illegal ist und eine sittenwidrige Schädigung der Autobesitzer darstellt. Laut der Anwälte des Klägers enthielt auch die neue Motorsteuerung eine illegalen Prüfstanderkennung. Nach dem Anlassen erhöhe der Motor die Abgasreinigung zunächst, fahre sie aber nach einem bestimmten Spritverbrauch wieder herunter. Auf diese Weise seien Autos für die Dauer des behördlichen Testverfahrens sauber unterwegs, danach aber nicht mehr. VW habe somit im Ergebnis nur eine Betrugssoftware durch eine andere ersetzt. Diese Darstellung hatte das Oberlandesgericht übergangen und die Klage abgewiesen. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf und verwies den Fall zurück nach Brandenburg.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.02.2022
Aktenzeichen: VI ZR 934/20
Klägeranwälte: Rechtsanwälte Hillmann und Partner, Oldenburg
Weiteres spektakuläres Abgasskandal-Urteil: Laut Oberlandesgericht Köln hat VW auch den Besitzer eines Skoda Superb mit nach der Euro 6-Norm zugelassenen EA288-Motor vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt. Die Motorsteuerung enthalte eine nach den Ansagen des Europäischen Gerichtshof illegale Abschalteinrichtung, die VW nicht gerechtfertigt habe und für die auch keine Rechtfertigung erkennbar sei, argumentierten die Richter in Köln. Weitere Einzelheiten zum Fall auf der Homepage der Klägeranwälte.
Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 10.03.2022
Aktenzeichen: 24 U 112/21
Klägeranwälte: Gansel Rechtsanwälte, Berlin
17.03.2022 Keine Überraschung mehr: Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte die Abweisung einer Staatshaftungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen des Abgasskandals. Der Besitzer eines Audi mit Skandalmotor von 2014 hatte argumentiert: Das Kraftbundesamt habe die Einhaltung der EU-Regeln über die Typzulassung nicht ausreichend überwacht und es dem VW-Konzern damit ermöglicht, ihn durch Lieferung eines nicht der Typgenehmigung entsprechenden Wagens zu schädigen. Die EU-Regeln, so der BGH, schützen den Autobesitzer aber nur davor, dass er einen Wagen erhält, mit dem er dann nicht fahren darf. Das durfte der Audi-Besitzer aber. Sein Vermögen schützen die EU-Regeln aber nicht, so dass die womöglich mangelnde Beaufsichtigung der Autohersteller nicht dazu führen würde, dass der Staat für die Autokäufern entstehenden finanziellen Nachteile einstehen muss.
Einfacher ausgedrückt: Nach den EU-Regeln sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, ausreichend hohe Strafen gegen Hersteller zu verhängen, die die Zulassungsregeln verletzen. Für Autofahrer müssen sie danach aber erst etwas tun, wenn die tatsächlich mit ihrem illegalen Auto nicht mehr fahren dürfen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.02.2022
Aktenzeichen: III ZR 87/21
Der dritte Senat schließt damit an die Urteile der anderen mit Abgasskandal-Fällen befassten Senate an, wonach die Verletzung der EU-Zulassungsregeln als solche Autobesitzer nicht zum Schadenersatz berechtigt. Die schützen in erster Linie die Allgemeinheit und die Umwelt. Bei Klagen gegen Autohersteller spielte das praktisch keine Rolle, weil die ja wegen der Reglen zur vorsätzlichen und sittenwidriger Schädigung im deutschen Recht hafteten und es deshalb auf die EU-Regeln direkt in der Regel nicht ankam.
09.03.2022 In einer Feinheit lag test.de beim Bericht über das Urteil des Bundesgerichtshof zum so genannten „kleinen Schadenersatz“ vom 25.01.2022 um die dritte Stelle hinter dem Komma falsch: Der Wert der Nutzungen richtet sich anders als von test.de auf Grund der Pressemitteilung zum Urteil angenommen auch in dieser Konstellation nicht nach dem Wert des Wagens beim Kauf, sondern nach dem Kaufpreis einschließlich Umsatzsteuer. So ergibt es aus der seit gestern öffentlich vorliegenden Begründung zum Urteil.
Der Wert der Nutzungen je Kilometer ist also: Kaufpreis / Restlaufleistung. Für den vom BGH entschiedenen Fall (gebrauchter Seat Ibiza für 12 999 Euro mit 60 400 Kilometern auf dem Tacho) heißt das: Wenn von einer Lebenserwartung des Wagens von 250 000 Kilometern auszugehen ist, dann liegt der Nutzungsersatz bei (12 999 Euro ./. (250 000 Kilometer - 60 400 Kilometer =) 0,063 Euro/Kilometer. Bei einem Kilometerstand von 275 000 Kilometern ist dann der Wert der 25 000 Kilometer über die normale Lebenserwartung des Wagens hinaus gefahrenen Kilometer auf den Anspruch des Klägers auf Ersatz des Minderwerts anzurechnen. Er bekommt also nur noch dann Geld, wenn ihm ursprünglich mehr als 1 582 Euro zustanden.
03.03.2022 Im Abgasskandal wirds noch mal spannend. Athanasios Rantos, Generalanwalt am Europäischen Gerichtshofs (EuGH), meint: Umweltverbände wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) dürfen gegen rechtswidrige Typgenehmigungen klagen. Jetzt muss der EuGH entscheiden. Urteilt der, wie von Rantos vorgeschlagen, könnten mittelfristig Hunderttausende von Autos mit Euro 4, 5 und 6-Dieselmotoren stillzulegen sein.
Das Verwaltungsgericht in Schleswig hat beim EuGH in Luxemburg nachgefragt, ob Umweltverbände nach EU-Regeln befugt sind, gegen Typgenehmigungen für Autos zu klagen. Nach deutschem Recht seien solche Klagen nicht zu lässig.
Klare Ansage des EuGH-Generalanwalt: Umweltverbände müssen gerichtlich prüfen lassen können, ob eine Typgenehmigung rechtmäßig ist. Er ergänzte gleich noch: Mechanismen zur Reduktion der Abgasreinigung sind allenfalls in seltenen Ausnahmesituationen zum Schutz des Motors vor akuten Schäden oder zur Verhinderung von Unfällen zulässig und ansonsten stets illegal.
Wenn der EuGH sich dem Votum des Anwalts anschließt, muss das Verwaltungsgericht in Schleswig auf die Klagen des DUH hin darüber urteilen, ob die Genehmigung für verschiedene Dieselmotoren rechtmäßig ist, darunter auch die von VW nach Bekanntwerden des Abgasskandals auf Geheiß des Kraftfahrtbundesamts entwickelte neue Motorsteuerung („Update“).
Dazu hatte der EuGH schon sehr streng geurteilt (s. u., 17.12.2020). Rechtsexperten glauben: Gemessen an diesem Maßstab dürfte kaum eine Steuerung für Dieselmotoren bis einschließlich Schadstoffnorm Euro 6 rechtmäßig sein. Folge für Besitzer solcher Autos: Wenn Verwaltungsgerichte die Typgenehmigungen aufheben, ist auch die Zulassung rechtswidrig. Immerhin: Wenn die Behörden sie kassieren und die Autos stillegen, dürfte den Besitzern der Autos eine Entschädigung zustehen.
21.02.2022 Der Aktienkurs von VW sinkt, die Stimmung bei VW-Skandal-Opfern steigt: Der Autokonzern muss auch über die normale Verjährung hinaus Schadenersatz zahlen, wenn der Besitzer den Wagen mit der illegalen Motorsteuerung neu gekauft hat. Das hat der Bundesgerichtshof heute entschieden. Geschädigten steht der so genannte Restschadenersatz zu. Nach § 852 des Bürgerlichen Gesetzbuchs haftet der Schädiger auch über die Verjährung hinaus, soweit er durch seine Tat noch bereichert ist. Entscheidend ist laut den Richtern in Karlsruhe, was VW beim Verkauf des Autos entweder direkt vom jetzigen Besitzer oder über einen Händler für den Wagen erhalten hat. Das dürfte in der Regel ausreichen, um Abgasskandalopfer voll zu entschädigen. Wie sonst auch gilt: Der Ersatzanspruch geht auf die Erstattung des Kaufpreises. Sie ist um eine Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilometer zu kürzen. Hat der Wagen die insgesamt von ihm zu erwartende Laufleistung erreicht, gehen Abgasskandalopfer ganz leer aus. Davon gehen die Gerichte bei kleineren Autos meist nach 250 000 Kilometern aus und bei größeren nach 300 000 Kilometern. Der Restschadenersatz verjährt erst 10 Jahre nach dem Kauf. Wenn sich der zehnte Jahrestag des Vertragsschlusses nähert, ist allerdings Eile geboten. Nur rechtliche Schritte wie die Klageerhebung oder ein wirksamer Schlichtungsantrag stoppen die Verjährung. Betroffene – also Käufer eines neuen Autos aus dem VW-Konzern mit einem der TDI-Motoren vom Typ EA189, deren illegale Steuerung VW im September 2015 einräumen musste – sollten dafür einen Rechtsanwalt einschalten. Berücksichtigen Sie, dass der Rechtsanwalt auch noch etwas Zeit braucht, um den Fall zu bearbeiten.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.02.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 8/21
Klägervertreter: Noch unbekannt, bitte melden!
Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.02.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 57/21
Klägervertreter: Noch unbekannt, bitte melden!
Weitere Einzelheiten zu den Urteilen in der Pressemitteilung des Gerichts.
11.02.2022 Ein Fehler des Bundesamts für Justiz (BfJ) könnte Hunderte von VW-Skandalopfern um ihre Entschädigung gebracht haben. Sie hatten ihre Ansprüche erst am 30. September 2019 zur Musterfeststellungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) gegen VW angemeldet. An dem Tag hatte die mündliche Verhandlung in der Stadthalle Braunschweig begonnen. Laut Zivilprozessordnung ist die Anmeldung von Rechten aber nur bis zum Tag vor der erst mündlichen Verhandlung zulässig.
Allerdings: Der 30. September 2019 war ein Montag. Grundregel in solchen Fällen: Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages. Die Juristen im BfJ dachten: Die Regel ist auf die Anmeldung von Rechten zu Musterfeststellungsklagen nicht anwendbar, weil sich dann Menschen noch anmelden könnten je nachdem, wie die Ansagen der Richter in der Verhandlung ausfallen. Außerdem war die Anmeldung der Rechte über die Online-Formulare der Behörde auch am Sonntag, 29. September 2019, möglich.
Trotzdem: Anmeldungen zu Musterfeststellungsklagen sind auch am Tag der mündlichen Verhandlung noch zulässig, entschieden Oberlandesgericht Köln und Bundesgerichtshof und korrigierten damit die Entscheidung der Behörde. Die ließ daraufhin nach Auskunft von Sprecherin Pia Figge 352 Anmeldungen zur Musterfeststellungsklage nachträglich zu.
Ob es noch etwas nützt, ist allerdings unklar. VW weigerte sich zumindest einem test.de-Leser gegenüber, ihm nachträglich ein Vergleichsangebot entsprechend der Vereinbarungen mit dem vzbv zu machen. Seine Rechte seien inzwischen verjährt, meint der Konzern.
Tatsächlich: Als der Bundesgerichtshof entschied, dass die Anmeldungen von Montag, 30. September 2019 auch noch gültig sind, war die normale Verjährungsfrist für Teilnehmer an der Musterfeststellungsklage bereits längst abgelaufen. VW-Skandalopfer, die ihren Wagen gebraucht gekauft haben, gehen damit nach den Urteilen des Bundesgerichtshofs von gestern (s. u.) leer aus, wenn es dabei bleibt. Neuwagenkäufer können noch darauf hoffen, dass Ihnen über die Verjährung hinaus Schadenersatz zusteht und sie damit VW vielleicht doch noch dazu bewegen können, ihnen eine den Musterfeststellungsvereinbarungen entsprechende Entschädigung anzubieten. Darüber entscheidet der Bundesgerichtshof am Montag, 21. Februar 2022.
Wer im Vertrauen auf die rechtswidrige Ablehnung der Anmeldung zur Musterfeststellungsklage einen Vermögensnachteil erleidet, kann nach einer Regelung im Verwaltungsverfahrensgesetz eine Entschädigung beim BfJ beantragen. Ob die Behörde ein Recht auf den Ausgleich von Vermögensnachteilen von erst nachträglich zur Musterfeststellungsklage zugelassenen VW-Skandalopfern sieht, ließ Sprecherin Pia Figge test.de gegenüber offen. Das sei eine Frage des Einzelfalls. Bisher liege kein Antrag auf eine solche Entschädigung vor.
Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 27.04.2020
Aktenzeichen: 7 VA 2/20
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 31.03.2021
Aktenzeichen: V AR(VZ) 6/20
10.02.2022 Abgasskandalopfer, die ihren Wagen neu erworben hatten, können sich Hoffnung darauf machen, Schadenersatz von VW auch über die Verjährung hinaus durchsetzen zu können. Für Gebrauchtwagenkäufer allerdings hat der Bundesgerichtshof das ausgeschlossen. Die Haftung auf Restschadenersatz über die Verjährung setze voraus, dass VW vom Kauf des jeweiligen Skandalautos profitiert habe. Das sei bei Gebrauchtwagen nicht mehr der Fall. Es reiche allerdings aus, wenn eine indirekte Vermögensverschiebung vom Geschädigten zu VW stattgefunden hat, heißt es in der Presseerklärung des Gerichts. Nach Auffassung der test.de-Rechtsexperten liegt bei Neuwagenkäufen eine solche indirekte Vermögensverschiebung vor, auch wenn VW das Auto nicht selbst verkauft hat, sondern es an einen Händler geliefert hat und der es schließlich an den jetzigen Besitzer verkauft hat. Die endgültige Entscheidung darüber fällt am Montag, 21. Februar. An diesem Tag verhandelt der Bundesgerichtshof über die Klagen einiger Käufer seinerzeit neuer Skandalautos.
Bundesgerichtshof, Urteile vom 10.02.2022
Aktenzeichen: VII ZR 365/21, VII ZR 679/21, VII ZR 692/21 und VII ZR 717/21
Überraschendes Urteil in einem weiteren Fall: Schadenersatzansprüche gegen VW waren bei Klageerhebung vor Ende 2019 noch nicht verjährt, wenn der Besitzer des Wagens nicht noch im Jahr 2015 erfahren hatte, dass sein Wagen ein Skandalauto ist. Es sei zwar davon auszugehen, dass Skandalautobesitzer bereits im Jahr 2015 vom Abgasskandal allgemein erfuhren. Es sei aber nicht grob fahrlässig, wenn sie nicht gleich nach Start der VW-Webseite zur Identifizierung von Autos mit illegaler Motorsteuerung überprüften, ob ihr Auto betroffen ist, entschieden die Bundesrichter. Grob fahrlässig handelte ihrer Ansicht nach nur, wer dies nicht bis spätestens Ende 2016 machte. Schadenersatzansprüche gegen VW verjährten damit in solchen Fällen nicht bereits Ende 2018, sondern erst ein Jahr später.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.02.2022
Aktenzeichen: VII ZR 396/21
Noch ein verbraucherfreundliches Urteil des Bundesgerichtshofs: Skandalautobesitzer haben Anspruch darauf, dass die Gerichte zusätzliche zur Verurteilung von VW zum Schadenersatz feststellen, dass die Konzernverantwortlichen vorsätzlich handelten. VW kann dann nämlich Gegenansprüche etwa im Zusammenhang mit der Rückgabe des Wagens nicht mit dem Schadenersatzanspruch des Autobesitzers verrechnen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.12.2021
Aktenzeichen: VI ZR 457/20
28.01.2022 Nächster kleiner Schritt in der juristischen Aufarbeitung des Abgasskandals: VW kann sich gegenüber Skandalautobesitzern, die an der Musterfeststellungsklage des vzbv teilgenommen, nicht mit Verjährung verteidigen. Das gilt auch, wenn sich Abgasskandalopfer später wieder abgemeldet haben, um doch selbst gegen VW zu klagen. Das sei Rechtsgebrauch und kein -missbrauch, urteilten die Bundesrichter. Zuvor hatten einzelne Gerichte wie das Oberlandesgericht Stuttgart geurteilt: Erst die Anmeldung der Rechte zur Musterfeststellungsklage stoppt die Verjährung. Das hatte vor dem BGH keinen Bestand. Es komme auf den Zeitpunkt der Erhebung der Musterfeststellungsklage bereits im Jahr 2018 an, urteilen die Richter in Karlsruhe, weitere Einzelheiten in der Pressemitteilung des Gerichts. Damit sind die Rechte von Abgasskandalopfern auch dann nicht verjährt, wenn sie sich erst im Jahr 2019 zur Musterfeststellungsklage angemeldet haben.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.01.2022
Aktenzeichen: VII ZR 303/20
Klägervertreter: Noch unbekannt, bitte melden
Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.07.2021
Aktenzeichen: VI ZR 1118/20
Klägervertreter: Noch unbekannt, bitte melden
25.01.2022 Neue Ansage des Bundesgerichtshofs (BGH): Auch der so genannte „kleine Schadenersatz“, also der Ausgleich der Wertminderung ohne Rückgabe des Wagens, verringert sich, aber erst, wenn Käufer von Skandalautos ihren Wagen weiterfahren können als das ursprünglich zu erwarten war. Es ging um einen Skandalauto, das der Kläger bereits 2013 gebraucht gekauft hatte und inzwischen rund 275 000 Kilometer auf dem Tacho hat. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es wörtlich: „Damit steht im Raum, dass der Käufer sich im Wege der Vorteilsausgleichung den Wert von Nutzungen (...) in dem Umfang anrechnen lassen muss, in dem der Wert der Nutzungen den Wert des Fahrzeugs bei Vertragsschluss übersteigt.“
Das heißt nach Ansicht von Rechtsanwalt Andree Hübner von Gansel Rechtsanwälte : Der Anspruch auf Ausgleich des mit der illegalen Motorsteuerung verbundenen Minderwerts bleibt zunächst trotz Nutzung des Wagens unverändert. Wenn aber die Nutzungen den Wert des Wagens übersteigen, ist dieser übersteigende Wert auf den Schadenersatzanspruch anzurechnen. Anders formuliert: Wenn der Wagen mehr Kilometer schafft als ursprünglich zu erwarten war, dann mindern zusätzliche Kilometer den Schadenersatzanspruch. Je Kilometer ist dabei der Betrag anzusetzen, der sich bei Division des Wert des Wagens beim Kauf durch die insgesamt noch zu erwartenden Kilometer ergibt.
Für den vom BGH entschiedenen Fall heißt das: Soweit von einer Gesamtlaufleistung von 300 000 Kilometer auszugehen ist, erhält der Kläger noch vollen Ersatz für den skandalbedingten Minderwert, den die Gerichte oft auf zehn bis 20 Prozent des Kaufpreises schätzen. Geht das Gericht von der Gesamtlaufleistung von nur 250 000 Kilometern aus, dann ist der Anspruch des Klägers um 25 000 x 0,06 = 1 500 Euro zu kürzen, wenn der Minderwert wegen der illegalen Motorsteuerung bei 15 Prozent liegt. Er würde dann trotz der verstrichenen Zeit und der mit dem Wagen gefahrenen Kilometer noch fast 500 Euro bekommen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.01.2022
Aktenzeichen: VIa ZR 100/21
Klägervertreter: Noch unbekannt, bitte melden
06.01.2022 Am Montag, 21. Februar, wird wohl endgültig feststehen, was Skandalautokäufer noch verlangen können, wenn ihre Schadenersatzforderung als solche bereits verjährt ist. An dem Tag verhandelt der Bundesgerichtshof (BGH) über zwei Fälle, in denen es um den Kauf von Neuwagen geht, Einzelheiten zu den Fällen in der Ankündigung der Verhandlung. Bereits am Donnerstag, 10. Februar, geht es in Karlsruhe um gebraucht gekaufte Autos (s. u. unter 04.01.2022). Die Oberlandesgerichte urteilten bisher unterschiedlich. Die große Mehrheit der Rechtswissenschaftler hält für richtig: Bei neu erworbenen Skandalautos können Käufer vom Hersteller über die Verjährung hinaus zumindest die Herausgabe des mit dem Verkauf des Wagens erzielten Erlöses verlangen. Erst zehn Jahre nach Kauf verjährt auch diese Forderung. Bei Kauf eines Skandalautos als Gebrauchtwagen ist umstritten, ob VW noch zum so genannten Restschadensersatz verpflichtet ist.
04.01.2022 Der Bundesgerichtshof (BGH) kämpft immer noch mit dem Abgasskandal. Die Legal Tribune Online (LTO) berichtet: Am Jahresende waren 1 200 Abgasskandal-Streitigkeiten an verschiedenen BGH-Senaten anhängig. Das höchste deutsche Zivilgericht hat wegen des Abgasskandals mehrfach die Geschäftsverteilung geändert und inzwischen eigens für die Streitigkeiten um Autos mit womöglich illegal gesteuerten Dieselmotoren einen Hilfssenat eingerichtet. Einzelheiten im ausführlichen Bericht der LTO.
Offen ist vor allem noch, wovon genau der Beginn der Verjährung der Schadenersatzforderungen von Autobesitzern beginnt. Bisher gingen die Richter in Karlsruhe davon aus: Die Pressemitteilung im September 2015, in der der VW-Konzern einräumte, eine beschönigend „Umschaltlogik“ genannte Abschaltung der Abgasreinigung eingesetzt zu haben, reichte aus, um den Beginn der Verjährung auszulösen. Offen ist noch, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall die Verjährung erst später beginnt, wenn Autokäufer davon nichts mitbekommen haben oder sie nicht wussten, dass ihr Wagen betroffen ist.
Noch wichtiger: Der Bundesgerichtshof muss noch klären, unter welchen Voraussetzungen Skandalautobesitzern über den Ablauf der normalen Verjährungsfrist hinaus der so genannte Restschadensersatzanspruch zusteht. Verbraucheranwälte gehen davon aus: Zumindest Neuwagenkäufer können sich auf diese Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch berufen und bekommen dann vollen Schadenersatz, wenn sie spätestens zehn Jahre nach Kauf des Wagens gerichtliche Schritte eingeleitet haben.
Offen ist außerdem noch, ob VW in bestimmten Leasing-Fällen nicht doch noch Schadenersatz zahlen muss. Im Ansatz klar: Soweit Autobesitzer den Wagen nutzen konnten und nur dafür gezahlt haben, dann ist ihnen kein Schaden entstanden und muss VW nicht zahlen. Soweit die mit der illegalen Motorsteuerung verbundene Wertminderung zum Tragen kommt, ist Schadenersatz fällig.
Die wichtigen noch offenen Rechtsfragen wird der Bundesgerichtshof noch im Frühjahr klären. Er hat in etlichen Fällen bereits Verhandlungstermine anberaumt. Die Entscheidung um den Restschadensersatz dürfte laut dieser BGH-Ankündigung am Donnerstag, 10. Februar, fallen.
Klar ist: Autohersteller haben Käufern von Autos mit illegaler Motorsteuerung Schadenersatz wegen vorsätzlicher Schädigung zu zahlen. Sie müssen den Kaufpreis abzüglich einer Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilometer zahlen. Voraussetzung ist, dass der Autohersteller bewusst eine illegale Motorsteuerung einsetzt, um Kosten- und Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Fest steht das für insgesamt rund drei Millionen Autos aus dem VW-Konzern. Umstritten ist, ob und für welche Modelle von Daimler, BMW und anderen Herstellern Schadenersatz fällig ist. Daimler etwa ist anders als VW gegen das Kraftfahrtbundesamt vors Verwaltungsgericht gezogen, als die Behörde Motorsteuerungen des Konzerns als illegal bewertete und die Entwicklung und Nachrüstung neuer Software anordnete. Eine rechtskräftige Entscheidung wird wohl noch Jahre auf sich warten lassen.
08.12.2021 Erneut hat der Bundesgerichtshof die Abweisung einer Abgasskandalklage durchs Oberlandesgericht Braunschweig kassiert. Das VW-Heimatgericht hatte eine Klage auf Nachlieferung eines neuen VW Caddy ohne illegale Motorsteuerung abgewiesen. Das sei für den Händler unverhältnismäßig, weil das neue Modell viel teurer sei als das alte. Das ließen die BGH-Richter in Karlsruhe nicht gelten. Der Nachlieferungsanspruch könne erst ausgeschlossen sein, wenn das Nachfolgemodell 25 Prozent teurer als das Skandalauto sei, erklärten sie. Bei einem solchen Preisunterschied setze die Nachlieferung eine Zuzahlung des Autokäufers voraus. Der müsse aber nicht den vollen Aufpreis, sondern nur ein Drittel der Differenz zahlen. Das Oberlandesgericht Braunschweig muss den Fall jetzt neu aufrollen und genau klären, was das Nachfolgemodell im Vergleich zum Original-Caddy des Klägers kostet. Weitere Einzelheiten in der Pressemitteilung des Gerichts.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.12.2021
Aktenzeichen: VIII ZR 190/19
Klägervertreter: Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwälte, Lahr
23.11.2021 Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) meldet: Bisher 1,2 Milliarden Euro haben die Rechtsschutzversicherer für Abgasskandal-Klagen ausgegeben. Der Streitwert liegt inzwischen bei insgesamt 9,8 Milliarden Euro. Tendenz: Weiter steigend. Mutmaßliche Folge: Die Beiträge vor allem in der Verkehrsrechtsschutzversicherung werden wohl steigen, auch wenn am Ende die Autohersteller noch mindestens etliche Hundert Millionen Euro an die Rechtsschutzversicherer werden erstatten müssen. Hintergrund: Die Versicherer der Skandalautobesitzer müssen gleich bei Einschaltung von Rechtsanwälten und Klageerhebung die Anwaltshonorare und die Gerichtskosten einzahlen. Wenn der Autohersteller am Ende verurteilt wird, hat er die Kosten oder jedenfalls einen Teil davon zu erstatten. Weitere Einzelheiten im Bericht des GDV.
19.11.2021 Absehbare Niederlage für VW: Das Oberlandesgericht in Schleswig verurteilte VW dazu, Schadenersatz an einen Skandalautobesitzer zu zahlen, obwohl dessen Forderung verjährt war. VW hatte in erster Instanz die Einrede der Verjährung zurückgezogen, nachdem das Gericht angekündigt hatte, den Konzern wegen des so genannten Restschadensersatzes über die Verjährung hinaus zu verurteilen (siehe unten unter 11.09.2020). Im Berufungsverfahren beriefen die VW-Anwälte sich dann wieder auf Verjährung. Das sei eine unzulässige Rechtsausübung und mit dem Gebot von Treu und Glauben nicht vereinbar, urteilten die Oberlandesrichter in Schleswig.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 31.08.2021
Aktenzeichen: 7 U 187/20
Klägeranwälte: Hoffmann & Partner Rechtsanwälte, Nürnberg
15.11.2021 Spannender Hinweis des Oberlandesgerichts Stuttgart zu einer Klage auf Schadenersatz wegen eines Mercedes V 250d: Daimler muss sich zur Behauptung der Klägeranwälte erklären, wonach den für die Entwicklung des Motors zuständigen Mitarbeitern des Konzerns bewusst war, dass ein Mechanismus zur Abschaltung der Abgasreinigung illegal war. Es handelt sich um einen Motor vom Typ OM651 EU6. Das Kraftfahrtbundesamt hatte die Motorsteuerung als illegal bewertet und einen Rückruf angeordnet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Betrugsverdacht. Laut Oberlandesgericht reicht es nicht aus, dass Daimler die Vorwürfe bestreitet. Der Konzern muss genau darstellen, wie es stattdessen war. Er muss auch die zuständigen Mitarbeiter benennen. Die können dann auf Antrag des Klägers als Zeugen vernommen werden. Allerdings sind sie zur Verweigerung der Aussage berechtigt, wenn sie Gefahr laufen, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.
Noch interessant: Der gleiche Senat entscheidet über die Musterfeststellungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) gegen Daimler. Die Richter gehen aktuell offensichtlich davon aus, dass die Daimler-Ingenieure bewusst und gewollt handelten, als sie die illegale Abschaltung der Abgasreinigung in die Motorsteuerung aufnahmen. Nur wenn Daimler überzeugend darlegt, dass sie die Strategie für legal hielten, kommt der Konzern an einer Verurteilung zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung herum.
Oberlandesgericht Stuttgart, (Hinweis-)Beschluss vom 09.11.2021
Aktenzeichen: 16a U 173/19
Klägervertreter: AKH-H-Rechtsanwälte, Esslingen
10.11.2021 Neues Angebot für Besitzer von Skandalautos von Audi, VW und Porsche mit V6-TDI-Motor mit 3.0 bis 4.2 Litern Hubraum: Gansel Rechtsanwälte starten eine neue Sammelklage auf Schadenersatz gegen Audi als Hersteller der illegal gesteuerten Motoren dieser Autos. Bis zu 25 Prozent des Kaufpreises ist laut Kanzlei als Schadenersatz drin – ohne den Wagen zurückgeben zu müssen. Klar: Je mehr Kilometer die Wagen schon gefahren haben, desto weniger Schadenersatz ist noch möglich. Hat die Klage Erfolg, zahlen Skandalautobesitzer 35 Prozent des Schadenersatzes als Provision an die Spreefels GmbH, den Prozessfinanzierer hinter der Sammelklage. Scheitert die Klage, zahlen Teilnehmer gar nichts. Anders als Prozessfinanzierungsangebote für die Finanzierung von Klagen auf Rückkauf des Wagens drohen keine wirtschaftlichen Nachteile. Teilnehmer der Audi-Sammelklage behalten ihre Autos. Besitzer von Skandalautos mit Audi-V6-TDI-Motoren, die keine Verkehrsrechtsschutzversicherung haben oder aus anderen Gründen nicht selbst vor Gericht ziehen wollen, können so nur gewinnen und vielleicht noch etliche Tausend Euro Schadenersatz kassieren. Über Einzelheiten informiert die Kanzlei unter www.gansel-rechtsanwaelte.de/abgasskandal-autofahrer/sammelklage-audi-im-dieselskandal Kanzlei-Chef Dr. Timo Gansel hält nach den bisherigen Urteilen zum Verbraucherinkasso im Abgasskandal („Myright“-Sammelklage) für sicher: Das Angebot entspricht dem Rechtsdienstleistungs-Gesetz und wird es Audi nicht wie seinerzeit VW in dem Myright-Fällen (siehe unten unter 04.08.2021 und 11.09.2020) gelingen, das Verfahren immer wieder hinauszuzögern. Die gesammelte Geltendmachung werde Audi sofort massiv unter Druck setzen, so dass es gute Chancen auf einen Vergleich gibt und so Autobesitzer schnell zu ihrem Geld kommen, denkt Gansel. Fest steht: Audi schuldet wegen der illegal gesteuerten V6-TDI-Motoren Schadenersatz. Dutzende von Urteilen sind bereits rechtskräftig. Allein Gansel Rechtsanwälte haben in Hunderten weiterer Fälle für einzelne Mandanten außergerichtlich Schadenersatz durchgesetzt.
Allerdings: Es eilt. Schon zum Ende dieses Jahres verjähren die meisten Schadenersatzforderungen von V6-TDI-Besitzern. Wenn sie sich an der Gansel-Sammelklage beteiligen wollen, sollten sie sich so schnell wie möglich anmelden, damit es der Kanzlei noch gelingt, die Verjährung rechtzeitig vor Jahresende zu stoppen.
19.08.2021 Der Bundesgerichtshof bestätigt: Abgasskandalopfer müssen nicht unbedingt auf Erstattung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Wagens klagen, sondern können auch eine Entschädigung für den mit der illegalen Motorsteuerung verbundenen Minderwert des Wagens fordern. Juristen nennen das: „Kleiner Schadenersatz“, siehe in den Fragen & Antworten zum Abgasskandal die Antwort auf die Frage: „Unterstellt, ich habe als Besitzer eines Skandalautos ein Anrecht auf Schadenersatz: Was kann ich dann vom Hersteller verlangen?“. Allerdings: Es ist fast unmöglich vorherzusagen, welche Beträge die Gerichte für angemessen halten werden. Dabei ist laut Bundesgerichtshof maßgeblich, was das Auto jetzt wert ist und muss gegebenenfalls die nachgerüstete neue Motorsteuerung werterhöhend und ihre Nachteile wertmindernd berücksichtigt werden. Die Differenz dieses aktuellen Werts zum Wert eines Wagens mit von Anfang an legaler Motorsteuerung hat VW dem Besitzer des Wagens auszugleichen. Wie viel die vor dem Bundesgerichtshof siegreiche Klägerin am Ende erhalten wird, ist nach wie vor unklar. Das muss jetzt das Oberlandesgericht Stuttgart klären. Die Klägerin hatte den Betrag ins Ermessen des Gerichts gestellt, mindestens aber 25 Prozent des Kaufpreises gefordert. test.de vermutet: Sie wird viel weniger bekommen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.07.2021
Aktenzeichen: VI ZR 40/20
17.08.2021 Kurzer Prozess mit weitreichender Bedeutung: Das Schleswig-holsteinische Verwaltungsgericht hat eine Klage auf Erteilung einer Tüv-Prüfplakette für einen unverändert typzugelassenen Skoda Yeti mit 2.0 TDI-Motor abgewiesen. Der Wagen entspreche wegen illegaler Abschaltung der Abgasreinigung nicht der Typgenehmigung und habe deshalb einen erheblichen Mangel, urteilte Richter Uwe Karstens als Einzelrichter. Mit anderen Worten: Alle 2,5 Millionen Skandalautos aus dem VW-Konzern waren seiner Meinung nach von Anfang an illegal unterwegs. Die Behörden hätten sie sofort aus dem Verkehr ziehen können und wohl auch müssen.
Erstaunlich: Das Gericht misst seiner Entscheidung keine grundsätzliche Bedeutung zu und sieht auch keinen Widerspruch zu den Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte, wonach die Stilllegung von Skandalautos trotz der von Anfang an illegalen Motorsteuerung erst und nur zulässig ist, wenn die Behörden die Typgenehmigung ändern (s. u. unter 06.01.2020). Danach hätte der Skoda des Klägers unverändert weiterfahren dürfen. Er hatte eine fortbestehende Typzulassung der britischen Vehicle Certification Agency (VCA). Die Behörde hatte anders als das Kraftfahrtbundesamt in Schleswig keine Rechtsgrundlage dafür gehen, die Typzulassung zu ändern und den VW-Konzern zur Nachrüstung der Skandal-Skodas zu verpflichten.
Der Kläger kann jetzt nur noch Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht in Schleswig-Holstein beantragen. Dazu müsste er aber einen Rechtsanwalt einschalten und ihn bezahlen. Auf den Kosten bleibt er sitzen, wenn sein Antrag auf Zulassung oder die später die Berufung scheitert.
Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 13.08.2021
Aktenzeichen: 3 A 310/20 (nicht rechtskräftig)
04.08.2021 Gute Nachrichten für die verbleibenden Teilnehmer an den Myright.de-Sammelklagen gegen VW: Der Bundesgerichtshof hat heute die Begründung zu einem Urteil in einem Fluggastrechte-Fall veröffentlicht, wonach das Inkasso durch Abtretung der Forderungen von Verbrauchern an ein Unternehmen so ziemlich ohne Einschränkungen zulässig ist. Danach dürften die bisherigen Zurückweisungen der Abgasskandal-Sammelklagen durch die Instanzgerichte keinen Bestand haben. Myright.de-Sammelklage-Kunden haben jetzt gute Chancen, doch noch zu Schadenersatz zu kommen.
Viele der ursprünglich rund 50 000-Myright-Sammelklage-Kunden waren allerdings schon zur individuellen Geltendmachung ihrer Rechte mit Prozessfinanzierung gewechselt, als sich abzeichnete, dass bis zum Abschluss der Sammelklagen, in denen Myright die Rechte vieler Tausend Abgasskandalopfer gemeinsam gerichtlich geltend machte, noch viele Jahre vergehen werden.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.07.2021
Aktenzeichen: II ZR 84/20
03.08.2021 Fast sechs Jahre Abgasskandal und die zentrale rechtliche Frage ist immer noch offen: Dürfen Autos mit illegaler Motorsteuerung weiterfahren oder nicht? Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hatte bisher immer vertreten: Ja, die Typgenehmigung und die Zulassung für die Skandalautos gilt trotz der illegalen Motorsteuerung weiter. Erst die Änderung der Typgenehmigung mit der Auflage, eine neue Motorsteuerung ohne illegale Abschaltung der Abgasreinigung zu installieren, machte die Zulassung der Skandalautos rechtswidrig und konnten die Zulassungsstellen erst danach gegen Autobesitzer vorgehen, wenn die die von VW auf Geheiß des Kraftfahrtbundesamts neu entwickelte Motorsteuerung nicht installieren ließen.
Doch jetzt erklärte die Behörde auf Anfrage des Verwaltungsgerichts Schleswig zum Verfahren 3 A 310/20: Autos sind auch ohne Änderung der Typzulassung nicht EU-regelkonform, wenn die Motorsteuerung die Abgasreinigung illegal abschaltet. Ein nicht mit der neuen Motorsteuerung nachgerüsteter Skoda dürfe deshalb keine neue Tüv-Plakette bekommen, obwohl die zuständige britische VCA die Typzulassung nicht änderte.
Mit anderen Worten: Das KBA ist jetzt der Meinung, dass VW-Skandalautos mit der ursprünglichen illegalen Motorsteuerung erhebliche Mängel haben und deshalb nicht weiter am Verkehr teilnehmen dürfen. Mit der ursprünglichen Ansicht der Behörde, dass alle Skandalautos zunächst weiterfahren dürfen, ist das nicht vereinbar.
Die Verwaltungsgerichte hatten bisher entschieden: Die Stilllegung von nicht nachgerüsteten Skandalautos war erst nach Änderung der Typzulassung zulässig und bei Skodas mit unveränderter britischer Typzulassung dementsprechend gar nicht.
Das Verwaltungsgericht Schleswig muss jetzt entscheiden: Bekommt der unverändert typzugelassene Skoda des Klägers wie gewünscht ohne Nachrüstung neuen Tüv? Oder haben Skandalautos mit illegaler Motorsteuerung stets einen erheblichen Mangel und dürfen nicht weiterfahren?
30.07.2021 Der Bundesgerichtshof urteilt über die Verjährung von Schadenersatzansprüchen gegen VW bei Teilnahme an der Musterfeststellungsklage wie erwartet verbraucherfreundlich: Mit Anmeldung der Rechte zur Musterfeststellungsklage stoppte die Verjährung rückwirkend zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 1. November 2018. Damit konnten Teilnehmer an der Musterfeststellungsklage, die den zwischen VW und Verbraucherzentrale Bundesverband ausgehandelten Vergleich nicht akzeptieren wollten, auch dann noch Klage erheben, wenn sie sich erst 2019, als ihre Rechte oft eigentlich schon verjährt waren, angemeldet hatten.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.07.2021
Aktenzeichen: VI ZR 1118/20
21.07.2021 Neue Ansagen des Bundesgerichtshofs zur Sachmängelhaftung von Autohändlern: Die Nachlieferung eines nagelneuen Wagens ohne für die bisherige Nutzung von Skandalautos zahlen zu müssen, kommt auch, wenn keine Verjährung eingetreten ist, nur in Frage, wenn Käufer sie innerhalb von zwei Jahren ab Kauf fordern.
Eine weitergehende Haftung der Autohändlern erschien dem Bundesgerichtshof offenbar zu streng. Ein juristisch überzeugendes Argument lässt die Pressemitteilung des Gerichts zu den neuen Urteilen jedenfalls nicht erkennen.
Tatsächlich bringt der Nachlieferungsanspruch Käufern von Skandalautos gegenüber dem Händler mehr, als ihnen an Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung vom Hersteller zusteht. Dort müssen sie sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof stets eine Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilometer anrechnen lassen.
Bundesgerichtshof, Urteile vom 21.07.2021
Aktenzeichen: VIII ZR 254/20, VIII ZR 118/20, VIII ZR 275/19 und VIII ZR 357/20
14.06.2021 Gansel Rechtsanwälte-Sprecher Ingo Valldorf berichtet: Das Landgericht Stuttgart hat die Daimler AG jetzt auch wegen eines Mercedes B180 CDI mit OM607-Motor zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verurteilt. Der Kläger hatte den Wagen im Dezember 2015 mit wenigen Tausend Kilometern auf dem Tacho gekauft.
Den Motorentyp hatte Daimler gemeinsam mit Renault entwickelt. Es handelt sich um Dieselmotoren mit 1,5 Litern Hubraum. Der Konzern baute sie von 2012 bis 2018 in Mercedes A, B, Citan, CLA und GLA ein. Sie waren nach den Normen Euro 5 oder Euro 6 zugelassen.
Bei Messfahrten der Deutschen Umwelthilfe (DUH) stieß ein nach Euro 6 zugelassener Mercedes B180d mit OM607-Motor von 2016 durchschnittlich über 1 000 Milligramm Stickoxid je Kilometer Fahrt aus, mehr als das 13-fache des Grenzwertes.
Daimler meinte, die Reduktion der Abgasreinigung unter- und oberhalb bestimmter Temperaturen für zulässig halten zu dürfen. Ganz und gar nicht, urteilte dagegen das Landgericht. Es handelte sich um eine eindeutig illegale Abschaltung der Abgasreinigung. Der Konzern habe sie bewusst dem Kraftfahrtbundesamt verschwiegen.
Landgericht Stuttgart, Urteil vom 21.05.2021
Aktenzeichen: 23 O 103/20
Klägervertreter. Gansel Rechtsanwälte, Berlin
10.06.2021 Das Kraftfahrtbundesamt hat im Streit um die Tüv-Plakette für einen Skoda Yeti 2.0 TDI (Motortyp: EA189, 81 Kilowatt/110 PS Leistung) erklärt: Die Bundesbehörde in Flensburg sei für die Typzulassung nicht zuständig und wisse auch nichts über die Dokumentation der Abgasreinigung des Wagens.
Das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein hatte die Behörde Anfang Januar zur amtlichen Auskunft über den Wagen aufgefordert. Anfang Juni kam die knappe Antwort. Für Autos der Marke Skoda hatte der VW-Konzern die Typgenehmigung in Großbritannien beantragt. Inzwischen ist eine tschechische Behörde zuständig.
Allerdings: Das Kraftfahrtbundesamt selbst hatte den Kläger aufgefordert, die von VW neu entwickelte Motorsteuerung installieren zu lassen, weil die ursprüngliche Motorsteuerung illegal war. Eigentlich wollte die Bundesbehörde den nicht nachgerüsteten Wagen auch an die örtliche Zulassungsstelle melden, damit dort die Stilllegung angeordnet werden kann. Davon sah das Kraftfahrtbundesamt aber ab, nachdem der Kläger rechtlichen Widerstand angekündigt hatte.
Dem Kläger aus dem Kreis Herzogtum Lauenburg nützte das aber nur vorübergehend etwas. Als sein Tüv abgelaufen war, bekam er — wie andere Skandalautos aus dem VW-Konzern ohne neue Motorsteuerung auch — keine neue Prüfplakette. Der Wagen habe einen erheblichen Mangel, hieß es.
Dabei gilt die Typgenehmigung für den Skoda des Klägers nach Ansicht der Verwaltungsgerichte trotz der illegalen Motorsteuerung weiter. Anders als das Kraftfahrtbundesamt in Deutschland änderten nämlich weder die Behörden in Großbritannien noch in Tschechien die Typzulassung für Skandalautos aus dem VW-Konzern.
Nachdem das Kraftfahrtbundesamt dem Verwaltungsgericht nichts dazu sagte, wieso der Wagen womöglich einen erheblichen Mangel hat, dürfte der Besitzer des Wagens gute Chancen haben, jetzt doch noch eine Prüfplakette zu bekommen, ohne das Softwareupdate zu installieren.
test.de fragte beim Kraftfahrtbundesamt nach, wieso die Behörde auch bei nicht in Deutschland zugelassenen Autos aus dem VW-Konzern darauf gedrängt hat, das Software-Update zu installieren, obwohl sie für deren Typzulassung gar nicht zuständig ist. Wir wollten außerdem wissen, wieso die Behörde fast fünf Monate gebraucht hat, um dem Gericht mitzuteilen, dass sie nicht zuständig ist. Bisher antwortete das Kraftfahrtbundesamt nicht.
08.06.2021 Rechtsanwalt Christian Rugen berichtet: Das Landgericht Köln muss Sachverständigengutachten zur Motorsteuerung eines erstmals im März 2015 zugelassenen sehr leistungsstarken und teuren BMW M550d xDrive (Euro 6) einholen, nachdem das Oberlandesgericht die Abweisung der Klage aufgehoben und das Verfahren zurück ans Landgericht verwiesen hat.
Hahn Rechtsanwälte hatten für den Kläger vorgetragen, dass gleich eine ganze Reihe von Mechanismen von der Lenkwinkelerkennung über Thermofenster bis hin zur Kühlmittelsolltemperatur-Regelung dafür sorgen, dass der über 380 PS starke Wagen die Euro 6-Abgasgrenzwerte nur unter Prüfstandsbedingungen einhalte.
Das sei kein Vortrag ins blaue Hinein, sondern ohne weiteres zulässig, urteilte das Oberlandesgericht, obwohl die Staatsanwaltschaft keinen hinreichenden Tatverdacht auf Betrug sah und das Kraftfahrtbundesamt die Motorsteuerung insoweit nicht beanstandet hatte.
Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 28.05.2021
Aktenzeichen: 19 U 134/20
Klägeranwälte: Hahn Rechtsanwälte, Hamburg
01.06.2021 test.de-Leser floflo1990 berichtet: Der Landkreis Vulkaneifel (Autokennzeichen: DAU) hat die Betriebsuntersagung für einen Skoda mit EA189-Motor ohne Software-Update zurückgenommen, nachdem der Besitzer des Wagens vor das Verwaltungsgericht Trier gezogen war. Zuvor hatte das Gericht darauf hingewiesen, dass es den Bescheid für rechtswidrig hält.
O-Ton aus dem Hinweis des Gerichts: „Vorliegend ist (...) nicht ansatzweise erkennbar, aus welchen Gründen die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessensbetätigung zu einem Überwiegen der öffentlichen Belange gekommen ist, da diese erkennbar weder konkret ermittelt noch gewichtet worden sind. So fehlt es an jeglichen Angaben dazu, unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang die durch das Kraftfahrt-Bundesamt mitgeteilte Vorschriftswidrigkeit des Fahrzeugs Auswirkungen auf die freigesetzten Emissionen oder sonstige schützenswerte öffentliche Belange haben soll.“ (Hinweis vom 14.04.2021, Aktenzeichen: 1 K 3087/20.TR
Rechtlicher Hintergrund: Autos der Marke Skoda hatten seinerzeit eine Typzulassung aus Großbritannien. Diese gilt unverändert. Anders als das Kraftfahrtbundesamt erließ die britische Behörde keinen Bescheid mit Nebenbestimmungen zur ursprünglichen Typgenehmigung.
Während in Deutschland typzugelassene Skandalautos damit ohne weiteres stillgelegt werden dürfen, wenn die Besitzer sie nicht mit der nach Bekanntwerden des VW-Skandals neu entwickelten Motorsteuerung ausrüsten lassen, ist das bei unverändert typzugelassenen Autos mit denselben Motoren nicht ohne weiteres zulässig.
Nach Ansicht der Verwaltungsrichter in Trier müssen die Behörden für solche Autos klären, welche Auswirkungen das von VW entwickelte Update für die Motorsteuerung auf den Schadstoffausstoß hat, bevor sie ihnen den Betrieb untersagen.
Technischer Hintergrund: Die Abgasrückführung, wie sie bei Skandalautos zur Abgasreinigung eingesetzt wird, funktioniert je nach Bedingungen sehr unterschiedlich. Vor allem bei Fahrten mit geringer Last und entsprechend wenig heißem Motor kann sie den Stickoxidausstoß erheblich senken, während sie sonst weniger wirksam ist.
Das Kraftfahrtbundesamt kam in einer Untersuchung zum Ergebnis: Bei manchen Autotypen bringen Software-Updates im normalen Fahrbetrieb wenig bis gar nichts.
17.05.2021 Rechtsanwalt Marco Manes berichtet: Nach den Landgerichten Koblenz und Stade (s. u. unter 21.04.2021 und 03.03.2021) hat auch das Landgericht Görlitz Fiat Chrysler Automobile zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verurteilt. Es ging um ein Wohnmobil vom Typ Challenger 398 XLB Special Edition von Juni 2020 mit einem Fiat Multijet-Dieselmotor mit 2,3 Litern Hubraum, Euro 6. Es blieb unstreitig, dass die Motorsteuerung die Abgasreinigung vom Anlassen an nach 22 Minuten abschaltet.
Noch bemerkenswert: Die zuständige Richterin in Görlitz errechnete den Nutzungsersatz nicht anhand des Kilometerstands, sondern anhand des Alters des Wagens. Es sei davon auszugehen, dass Wohnmobile normalerweise 25 Jahre lang im Einsatz sind, bis sie ausgemustert werden. Der Kläger muss sich daher für die Nutzung des neu 55 890 Euro teure Wohnmobils 6,12 Euro am Tag anrechnen lassen.
Allerdings: Die Fiat Chrysler Automobilie FCA Italy SpA hatte sich erneut nicht gegen die Klage verteidigt. Das Gerichte urteilte deshalb allein auf der Grundlage der Darstellung des Falls durch Klägeranwalt Marco Manes. Versäumnisurteil heißen solche Entscheidungen. Fiat kann gegen das Urteil Einspruch einlegen und sich anschließend gegen die Klage verteidigen.
Landgericht Görlitz, (Versäumnis-)Urteil vom 11.05.2021
Aktenzeichen: 5 O 28/21 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter: Rechtsanwalt Marco Manes, Bonn
10.05.2021 Obwohl VW einem Skandalautobesitzer den vollständigen Kaufpreis ohne Abzug einer Nutzungsentschädigung erstattet hat, geht der Rechtsstreit am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorerst weiter. Der Autobesitzer und das Landgericht Erfurt weigern sich trotz der Zahlung von VW, das Verfahren als erledigt zu betrachten.
Der zuständige Richter beschloss stattdessen: Es bleibt bei der Vorlage in Luxemburg. Er hatte im Jahr 2020 beim EuGH nachgefragt, ob das EU-Recht die Entschädigung von Skandalautobesitzern ohne Abzug einer Nutzungsentschädigung gebietet und ob deutsche Gerichte in Abgasskandalfällen überhaupt wie vom Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union gefordert unabhängig und unparteiisch seien.
Begründung: Die Zahlung von VW stelle keine Erfüllung der Forderung des Klägers dar. Es handele sich um eine aufgedrängte Bereicherung. VW verhalte sich aus rein prozesstaktischen Gründen widersprüchlich, wenn der Konzern den Kläger auszahle, ohne die Forderung wirklich anzuerkennen, argumentiert Richter Dr. Martin Borowsky.
Wenn es nach VW gegangen wäre, hätte das Landgericht Erfurt das Verfahren für beendet erklärt. In etlichen Parallelverfahren hatte das Unternehmen die Kläger ebenfalls ausgezahlt und hatten die das Geld genommen (s. u. unter 19.05.2019, 28.03.2019 und 14.03.2019).
Landgericht Erfurt, Beschluss vom 20.04.2021
Aktenzeichen: 8 O 1045/18
Klägervertreter: noch unbekannt, bitte melden
Rechtlicher Hintergrund: Das Landgericht Erfurt hält die Ansagen des Bundesgerichtshof zum Abgasskandal für falsch. Wenn VW eine Entschädigung für die Nutzung der Skandalautos vom Kaufpreis abziehen dürfe, führe das dazu, dass der Konzern einen erheblichen Teil seines Gewinns behält, obwohl er die Regelungen zur Begrenzung des Schadstoffausstoßes vorsätzlich und sittenwidrig missachtet hat. Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz hat das Landgericht Erfurt wegen der Verwicklung staatlicher Stellen in den Abgasskandal. Weitere Einzelheiten dazu bei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwälten.
28.04.2021 Rechtsanwalt Dr. Ingo Gasser berichtet: Allein er hat in den letzten Monaten an den Landgerichten Flensburg, Kiel und München II acht Urteile gegen die Audi AG erstritten, wonach das Unternehmen Besitzer von nach den Normen Euro 5 und Euro 6 zugelassenen Autos mit 3.0 TDI-Motoren vom Typ EA897 entschädigen muss. Sie sind zum Teil sogar schon rechtskräftig und in unserer umfangreichen Urteilsliste zum Abgasskandal mit der Suche nach 28.04.2021 zu finden.
26.04.2021 Aslandis, Kress & Häcker-Hollmann-Rechtsanwälte berichten: Das Oberlandesgericht Naumburg hat VW wegen eines nach der Norm Euro 6 zugelassenen VW Golf mit EA288-Motor zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verurteilt. Auch die Steuerung für diesen Motor enthalte eine besondere Form der Prüfstandserkennung, urteilte das Gericht.
Es bezog sich auf vertrauliche VW-Unterlagen, die die Rechtsanwälte des Klägers im Prozess vorgelegt hatten. Danach erkennt die Motorsteuerung die so genannte Prekonditionierung für die Prüfstandsversuche. Sie stellt dann sicher, dass der Katalysator am Ende der Vorbereitungsfahrt für den Prüfzyklus regeneriert wird und das während des 20 Minuten dauernden Prüfzyklus mit der Simulation von elf Kilometern Fahrt keine Regeneration erfolgt.
„Durch die Verwendung der Fahrkurvenerkennung im VW-Motor EA 288 wurden die Erwerber im Ergebnis genauso getäuscht wie durch die Verwendung der Kippschalterlogik mit Prüfstanderkennung im VW-Motor EA 189“, meinen die Richter in Naumburg schließlich.
Die VW-Anwälte hatten behauptet: Auch ohne die Prüfstandserkennung halte der Motor die Schadstoffgrenzwerte ein. Die Richter in Naumburg ließen das nicht gelten. Die Änderung in der Abgasreinigung bei der Vorbereitung der Prüfstandsfahrten stelle so oder so eine gemessen an den EU-Regeln illegale Abschalteinrichtung dar. Abgesehen davon habe VW nicht erklärt, wieso es den Mechanismus überhaupt gebe, wenn der Motor die Grenzwerte auch ohne die besondere Reaktion der Motorsteuerung auf die Vorbereitung auf Prüfstandsfahrten einhält.
Dass das Kraftfahrtbundesamt (KBA) für den Wagen keinen Rückruf angeordnet habe, ändere auch nichts an der Beurteilung, erklärten die Oberlandesrichter in Naumburg weiter. Wörtlich heißt es in der Urteilsbegründung: „Die hiervon abweichende rechtliche Bewertung bzw. Verwaltungspraxis des KBA hat keinerlei Grundlage in der VO (EG) Nr. 715/2007 und ist auch sonst haltlos.“
Die Richter in Naumburg waren sich ihrer Sache so sicher, dass sie nicht mal die Revision zuließen. Allerdings kann VW dagegen noch Beschwerde einlegen und den Fall so doch noch zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe bringen. Weitere Einzelheiten zum Urteil auf der Homepage der Rechtsanwälte.
Oberlandesgericht Naumburg, Urteil vom 09.04.2021
Aktenzeichen: 8 U 68/20 (nicht rechtskräftig)
Klägeranwälte: Aslandis, Kress & Häcker-Hollmann-Rechtsanwälte, Esslingen
23.04.2021 Endlich kommt zumindest ein Teil der Abgasskandal-Akten in die Öffentlichtkeit: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat heute etliche hundert Seiten Unterlagen des Kraftfahrtbundesamt (KBA) aus September und Oktober 2015 veröffentlicht. Resümee von DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch: „Die Papiere aus dem KBA und BMVI zeigen eine erschreckend enge Kumpanei von Politik, Behörden und den betrügerischen Automobilkonzernen zu Lasten der Umwelt und Millionen betroffener Diesel-Eigner.“
Zusätzlich veröffentlichte der Verein ihm anonym zugespielte Freigabebescheide des KBA, die sich aus Sicht des Vereins auch nach Oktober 2015 noch auf Motoren mit illegaler Abschaltung der Abgasreinigung beziehen. Etliche Unterlagen hat der Verein an die Staatsanwaltschaft in Braunschweig weitergeleitet. DUH-Rechtsanwalt Remo Klinger hält für möglich, dass sie in den Strafverfahren gegen verschiedene VW-Mitarbeiter von Bedeutung sind.
Die Unterlagen wollte das KBA geheim halten. Die DUH klagte auf Herausgabe und setzte sich durch. Trotzdem erhielt der Verein die jetzt vorliegenden Akten erst, nachdem das Verwaltungsgericht der Behörde die Verhängung von Zwangsgeldern angedroht hatte (siehe unten unter 22.03.2021). Weitere Einzelheiten mit Links zu den Original-Unterlagen aus dem KBA in der Pressemitteilung der DUH.
22.04.2021 Noch eine Erfolgsmeldung von Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwälten: Nach den Oberlandesgerichten Oldenburg und Stuttgart hat auch das in Koblenz VW verurteilt, obwohl Schadenersatzansprüche der Besitzerin eines VW Polo TDI bei Klageerhebung eigentlich schon verjährt waren. Die Frau habe Anspruch auf Restschadensersatz, der erst nach 10 Jahren verjährt, urteilten die rheinland-pfälzischen Oberlandesrichter. So sehen es inzwischen die meisten Gerichte. Umstritten ist noch, ob der Restschadensersatzanspruch nur beim Kauf von Skandalautos als Neuwagen oder auch beim Kauf als Vorführ- oder Gebrauchtwagen gilt.
Oberlandesgericht Koblenz, Urteil vom 31.03.2021
Aktenzeichen: 7 U 1602/20 (nicht rechtskräftig)
Klägerinanwälte: Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwälte, Lahr
22.04.2021 Nachtrag zur Meldung über die Verurteilung von Fiat Chrysler Automobile gestern: Das ARD-Magazin Plusminus berichtet, dass auch erst lange nach Bekanntwerden des Abgasskandals zugelassene Wohnmobile mit 2,3-Liter-Turbodieselmotoren von Fiat weit mehr giftiges Stickoxid ausstoßen als zulässig. Einzelheiten auf www.daserste.de.
21.04.2021 Christoph Rigling aus der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer berichtet: Das Landgericht Stade hat Fiat Chrysler Automobile zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verurteilt. Der Konzern muss dem Käufer eines Wohnmobils auf der Basis eines Fiat Ducato mit 2,3 Liter-TDI-Motors von 2017, zugelassen nach der Norm Euro 6b, den Kaufpreis erstatten. Eine Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilometer ist abzuziehen.
Außerdem bekommt der Hersteller den Wagen zurück. Es handelte sich um einen Wagen, bei dem die Abgasreinigung nach dem Start etwa 22 Minuten lang funktioniert und dann abgeschaltet wird. Der seinerzeit für die Ermittlung des Schadstoffausstoßes vorgeschriebene Prüfstand versuche dauerte 20 Minuten. Weitere Einzelheiten auf der Homepage der Rechtsanwälte.
Landgericht Stade, (Versäumnis-)Urteil vom 15.04.2021
Aktenzeichen: 2 0 12/21 (nicht rechtskräftig)
Klägeranwälte: Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwälte, Lahr
20.04.2021 Erstaunlich: Der frühere Leiter der VW-Hauptabteilung „Entwicklung Aggregate Diesel“ (EAD) bleibt trotz des Skandals um illegale Motorsteuerungen für jedenfalls einen großen Teil der Dieselmotoren aus dem Konzern weiter VW-Mitarbeiter. So hat es jetzt das Landesarbeitsgericht Niedersachsen bestätigt.
Der Konzern hatte dem Manager nach Einsicht die Ermittlungsakten bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig im Jahr 2018 vorgeworfen, er habe die illegale Abschaltung der Abgasreinigung in den Dieselmotoren angeordnet, die in Autos für den US-Markt eingebaut wurden. Dieser Manipulation waren die US-Behörden auf die Schliche gekommen und hatten so den VW-Skandal ausgelöst. VW kündigte dem Mann sowohl fristlos als auch ordentlich und forderte Schadenersatz in Millionenhöhe.
Der Manager zog vors Arbeitsgericht. Und setzte sich auf der ganzen Linie durch. Schon das Arbeitsgericht Braunschweig hatte den Rauswurf für unwirksam gehalten. Das Landesarbeitsgericht in Hannover bestätigte jetzt: VW habe nicht nachgewiesen, dass der Mann seine Pflichten gegenüber VW verletzt habe. Der Konzern hatte einen einzigen Zeugen benannt und der hatte ich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen.
Das Gericht bestätigte außerdem: Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht wegen Unzumutbarkeit der Fortsetzung aufzulösen. VW muss jetzt sämtliches Gehalt (zuletzt 16 957 Euro brutto pro Monat, Boni in Höhe von zuletzt 212 000 Euro brutto pro Jahr berücksichtigte das Gericht nicht) abzüglich des von den Behörden gezahlten Arbeitslosengelds nachzahlen und den Mann weiterbeschäftigen.
Arbeitsgericht Braunschweig, Urteil vom 10.02.2020
Aktenzeichen: 8 Ca 334/18
Arbeitnehmervertreter: Rechtsanwalt Peter Rölz, Frankfurt a. Main
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 19.04.2021
Aktenzeichen: 15 Sa 557/20 (nicht rechtskräftig, das Gericht hat zwar keine Revision zugelassen, aber dagegen kann VW noch Beschwerde einlegen und den Fall so doch nochvor das Bundesarbeitsgericht in Kassel bringen)
Arbeitnehmervertreter: noch unbekannt, bitte melden
15.04.2021 Der Rechtswissenschaftler und Hochschullehrer Alexander Bruns hat untersucht, wie sich der über die normale Verjährung hinaus durchsetzbare Restschadensersatzanspruch im Abgasskandal auswirkt. Seine Ergebnisse stellt er in einem Aufsatz (nur gegen Bezahlung) in der aktuellen Ausgabe der wichtigsten Jura-Fachzeitschrift Neue Juristische Wochenschrift dar.
Danach greift die gesetzliche Regel zugunsten von Abgasskandalopfern erst ein, wenn feststeht: Hersteller haben Käufer der Autos vorsätzlich geschädigt – so wie im Abgasskandal häufig. Wenn dem so ist, erhalten nach Bruns Ergebnissen Autobesitzer aber auch dann über die normale dreijährige Verjährung hinaus Restschadensersatz, wenn sie den Wagen gebraucht gekauft haben.
Obergrenze für den Restschadensersatz ist das, was VW beim ursprünglichen Verkauf des Wagens in der Regel von einem Händler erhalten hat. Herstellungskosten und andere Spesen dürfen Autohersteller aber nicht abziehen. Allerdings erhalten sie wie sonst auch Zug um Zug gegen Zahlung den Wagen zurück.
Allerdings: Das Thema ist umstritten. Manche Juristen meinen: Nur Neuwagenkäufern steht Restschadensersatz zu. Andere halten für richtig: Skandalautobesitzer haben nur noch Anspruch auf den Gewinn, den VW beim ursprünglichen Verkauf des Wagens erwirtschaftet hat. Setzt sich Bruns Auffassung durch, muss VW noch viele Jahre lang Schadenersatzforderungen von Abgasskandalopfern erfüllen.
14.04.2021 Hinweis von Michael Heese, Inhaber eines Zivilrechtslehrstuhls und Leiter des Projekts Dieselskandal der Uni Regensburg: Die 12. Kammer des Landgerichts Saarbrücken hat eine besonders aufwendige und sorgfältige Begründung für die Verurteilung der Daimler AG zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung geliefert. Es ging um einen Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4Matic von 2013, Euro 5. Das Kraftfahrtbundesamt hat einen Rückruf angeordnet, aber Daimler klagt dagegen vor dem Verwaltungsgericht.
Die Saarbrücker Richter unter dem Vorsitz von Dr. Sigurd Wern fragten beim Kraftfahrtbundesamt nach. Am Ende waren sie überzeugt: Die Motorsteuerung ist illegal. Die so genannte „Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung“ und ein Thermofenster dienten ihrer Überzeugung nach letztlich nur dazu, die Stickoxid-Grenzwerte fast nur bei den Prüfstandsversuchen für die Typzulassung einzuhalten. Die gegenteiligen Beteuerungen von Daimler überzeugten sie nicht, zumal Daimler zu etlichen Punkten unter Berufung auf Betriebsgeheimnisse vage geblieben war.
Weiter heißt es in der Urteilsbegründung wörtlich: „Das Verhalten der Beklagten verstieß auch gegen die guten Sitten. Bei Vorliegen einer Software, die – wie hier – letztlich auf die Erkennung des Prüfzyklusses ausgerichtet ist, ist das gegebenenfalls eingesetzte Mittel – Täuschung einer öffentlichen Stelle sowie einer Vielzahl potentieller Kunden – als besonders verwerflich anzusehen.“ Der einzig denkbare Zweck einer solchen Täuschung sei eine Kostensenkung und Gewinnmaximierung, argumentiert das Gericht weiter.
Landgericht Saarbrücken, Urteil vom 09.04.2021
Aktenzeichen: 12 O 320/19 (nicht rechtskräftig)
Verbraucheranwälte: Rechtsanwälte Gebhardt & Kollegen, Homburg/Saar
13.04.2021 Aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs: VW muss einer Skandalautobesitzerin auch die Zinsen für einen Autokredit und die horrend teure Prämie für eine Restschuldversicherung ersetzen. Einzelheiten dazu in der Antwort auf die Frage Was ist mit Zinsen, die Skandalautobesitzer bei der Finanzierung ihres Wagens gezahlt haben? Mehr in den Fragen & Antworten zum Abgasskandal.
12.04.2021 Decker & Böse Rechtsanwälte berichten: Das Landgericht Stuttgart hat Daimler verurteilt, den Besitzer eines Mercedes C220 CDI zu entschädigen. Der Mann hatte den nach Euro 6 zugelassenen Wagen 2017 gebraucht gekauft. Daimler hat später eine neue Motorsteuerung entwickelt und dem Kläger angeboten. Das Kraftfahrtbundesamt ist nicht eingeschritten. Daimler hatte eingeräumt: Unterhalb von 7 Grad Lufttemperatur werde die Abgasrückführung um bis zu 19 Prozent verringert. Welche Auswirkungen das hat, sagten die Anwälte der Autobauer nicht.
Es sei davon auszugehen, dass es sich um eine illegale Abschaltung der Abgasreinigung handele, die Daimler bewusst und mit Kenntnis der verantwortlichen Manager im Vorstand eingesetzt habe, urteilten die Richter in Stuttgart. „Wir sind überzeugt, dass dieses Urteil der Anfang vom Ende eines gigantischen Betruges an den Kunden der Autoindustrie ist“, kommentierte Rechtsanwalt Ulf Böse das Urteil. Das Landgericht habe entsprechend der Vorgaben des Bundesgerichtshofs zur Darlegungs- und Beweislast geurteilt.
Landgericht Stuttgart, Urteil vom 25.03.2021
Aktenzeichen: 7 O 224/20 (nicht rechtskräftig)
Klägeranwälte: Decker & Böse Rechtsanwälte, Köln
08.04.2021 Das Landgericht Gießen urteilt: Auch beim VW-Bus T6 mit 2.0 TDI-Motor vom Typ EA288, Euro 6, hat VW Käufer des Wagens vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt. Die Motorsteuerung enthalte eine illegale Prüfstandserkennung und reduziere bei Bedingungen jenseits der Prüfstandversuche zur Ermittlung des Schadstoffausstoßes die Abgasreinigung.
Landgericht Gießen, Urteil vom 25.03.2021
Aktenzeichen: 5 O 450/20 (nicht rechtskräftig)
Klägeranwälte: Gansel Rechtsanwälte, Berlin
06.04.2021 Laut Kraftfahrtbundesamt ruft Iveco oft als Grundlage für Wohnmobile eingesetzte Transporter vom Typ Daily zurück. „Durch eine ungeeignete Software können Störungen auftreten, durch die sich die Verringerung von Stickoxiden ggf. verschlechtert“, heißt es in der Rückrufdatenbank der Behörde. Iveco entwickelt eine neue Motorsteuerung für die betroffenen Daily-Modelle der Baujahre 2015 bis 2019. Die Behörde prüft noch, ob es den bisher freiwilligen Rückruf verbindlich anordnet.
Rechtsanwälte Dr. Stoll & Sauer vermuten: Die Motorsteuerung schaltet die Abgasreinigung illegal ab. Es droht dann die Zwangsstilllegung, wenn Besitzer der Transporter keine neue legale Motorsteuerung nachrüsten. Weitere Einzelheiten in der Pressemitteilung der Kanzlei.
22.03.2021 Hahn Rechtsanwälte berichten: Das Oberlandesgericht Köln sieht eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, soweit Daimler bei Motoren vom Typ OM642 (Euro 6) die Einspritzung von AdBlue einige Zeit nach dem Start reduziere und sie erst nach einem Neustart wieder voll funktioniere. Auch das Kraftfahrtbundesamt hatte das als illegal bewertet und einen Rückruf angeordnet. Das Gericht wies darauf hin: Es sei nach dem Vortrag der Klägeranwälte auch davon auszugehen, dass die Einspritzung absichtlich reduziert wurde und deshalb eine vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung vorliege. Es ging um einen Mercedes-Benz ML 350 Bluetec 4matic.
Jetzt sind die Daimler-Anwälte in der Pflicht. Wenn es Ihnen nicht gelingt, den Verdacht der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zu entkräften, wird das Gericht den Konzern dazu verurteilen, den Wagen den Kaufpreis abzüglich Nutzungsentschädigung zurückzunehmen. Im Gegenzug bekommt Daimler das Auto zurück. Weitere Einzelheiten im Bericht auf der Homepage der Rechtsanwälte.
Oberlandesgericht Köln, (Hinweis-)Beschluss vom 22.02.2021
Aktenzeichen: I 14 U 56/20
Klägervertreter: Hahn Rechtsanwälte, Bremen/Hamburg/München/Stuttgart
22.03.2021 Trotz Verurteilung zur Herausgabe von Abgasskandal-Akten hat das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg weder der Deutschen Umwelthilfe (DUH) noch dem ZDF-Journalisten Hans Koberstein die Prüfung aller angeforderten Akten ermöglicht. Das Verwaltungsgericht Schleswig hat der Behörde gerade auf Antrag der Deutschen Umwelthilfe angedroht, ein Zwangsgeld zu verhängen, wenn sie die Akten zum Abgasskandal nicht binnen zwei Wochen vorlegt.
ZDF-Journalist Hans Koberstein hatte nach Androhung der Vollstreckung bereits Akten zu den auf Geheiß der Behörde von VW entwickelten neuen Motorsteuerung für die Skandalmotoren erhalten. Sie seien aber unvollständig, berichtet er. Laut der ihm vorliegenden Akten habe das Kraftfahrtbundesamt alle Abschalteinrichtungen in dieser Motorsteuerung mit nur einer einzigen Ausnahme anstandslos genehmigt.
Es sei nicht erkennbar, dass die Beamten sich mit dem Text der EU-Verordnung über die Typzulassungen genauer auseinandergesetzt haben, berichtet Koberstein. Nach dieser Verordnung sind die Schadstoffgrenzwerte im normalen Fahrbetrieb einzuhalten und ist die Abschaltung der Abgasreinigung nur ausnahmsweise zulässig, um Motorschäden und Unfälle zu verhindern.
Fazit von Hans Koberstein: „Das Kraftfahrtbundesamt erscheint als der Wackeldackel im Heck der Autoindustrie“.
18.03.2021 Eine weitere Etappe in der juristischen Aufarbeitung des Abgasskandals: Das Verwaltungsgericht Schleswig muss jetzt prüfen, ob das Kraftfahrtbundesamt in Schleswig die Daimler AG zu Recht dazu verpflichtet hat, für etliche Modelle eine neue Motorsteuerung zu entwickeln. Der Konzern hat inzwischen gegen drei Rückrufbescheide Klage erhoben. Eine weitere Klage folgt wahrscheinlich noch.
Daimler meint nach wie vor: Die Motorsteuerungen waren rechtmäßig. Dabei hat der Europäische Gerichtshof inzwischen entschieden: Die EU-Regeln für die Typzulassung von Autos sind noch viel strenger auszulegen, als es das Kraftfahrtbundesamt getan hat. Auf Schadenersatzforderungen von Autobesitzern hat die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Rückrufaktionen keine direkten Auswirkungen.
Ohnehin ist mit Urteilen frühestens 2022 und wahrscheinlich sogar erst später zu rechnen. Bisher liegen den Richtern in Schleswig weder Klagebegründungen noch die Akten des Kraftfahrtbundesamts zu den Rückrufaktionen vor.
17.03.2021 Rechtsanwalt Dr. Marcus Hoffmann berichtet: Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat VW zu vollem Schadenersatz wegen des Abgasskandals verurteilt, obwohl Ansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung bei Klageerhebung bereits verjährt waren. Das Gericht stützte sein Urteil auf den so genannten Restschadenersatzanspruch. Danach können Geschädigte auch über die Verjährung hinaus Schadenersatzansprüche durchsetzen, soweit der Schädiger durch seine Tat auf Kosten des Opfers etwas erlangt hat.
Das Oberlandesgericht Oldenburg hat das bereits für einen Autobesitzer anerkannt, der seinen Wagen direkt von VW gekauft hatte (siehe unten, 05.03.2021). Doch der Fall beim Landgericht Nürnberg-Fürth lag – wie die Mehrheit der Abgasskandalfälle –anders: Der Autobesitzer hatte seinen Wagen bei einem Händler gekauft. Der dürfte ihn direkt von VW erworben haben. Denkbar ist aber auch der Vertrieb über Zwischenhändler. Trotzdem habe VW den Kaufpreis abzüglich Händlermarge auf Kosten des Autobesitzers erhalten, meint das Landgericht Nürnberg-Fürth. So sehen es auch viele Rechtswissenschaftler und Verbraucheranwälte (s. u. unter 22.06.2020).Rechtsanwalt Dr. Marcus Hoffmann
Ob ein Händler das Geld des Kunden an VW weiterleite oder den Wagen bei VW zunächst selbst bezahle, könne keinen Unterschied machen. Manche Juristen meinen allerdings: VW ist zwar bereichert, aber nur um den Gewinn. Das Unternehmen dürfe den Aufwand für die Herstellung des Wagens gegenrechnen. Nach Verjährung von Schadenersatzansprüchen hafte das Unternehmen nur noch, soweit es beim Verkauf des Skandalautos einen Gewinn gemacht hat.
Der Bundesgerichtshof hat bisher nur geäußert: Gerichte müssen den Restschadenersatzanspruch nicht von sich aus berücksichtigen, so lange der Kläger nichts dazu vorgetragen hat, ob und inwieweit das Unternehmen auf seine Kosten bereichert ist. Weitere Einzelheiten zum Fall und zum Thema auf der Homepage der Rechtsanwälte.
Landgericht Nürnberg-Fürth, Urteil vom 09.03.2021
Aktenzeichen: 9 0 7845/20 (nicht rechtskräftig)
Klägeranwälte: Dr. Hoffmann & Partner Rechtsanwälte, Nürnberg
16.03.2021 Der Abgasskandal belastet den Bundesgerichtshof (BGH) nach wie vor stark. Gerichtssprecherin Dietlind Weinland erklärte auf Anfrage von test.de zu den Abgasskandalfällen: „Eine Verfahrensstatistik nach Verfahrensinhalten führen wir nicht. Daher kann ich nur ein grobe Schätzung vornehmen. Beim VI. Zivilsenat waren etwa 1 000 Dieselverfahren anhängig, von denen circa zwei Drittel erledigt sind.“
Knapp 350 Fälle sind danach immer noch anhängig, obwohl bereits seit 1. November 2020 der VII. Senat für alle neu beim BGH eingehenden Abgasskandalfälle zuständig ist. 350 Fälle sind viel. Beim VI. Senat landeten im Jahr 2017 nur insgesamt gut 500 Verfahren, bevor dann ab 2018 der Abgasskandal über ihn hereinbrach.
Jetzt setzt der Senat Verbraucheranwälte unter Druck. Die verstehen die Presseerklärung von vergangenem Donnerstag (siehe Einträge 11.03. und 12.03.2021) jedenfalls als Signal an die Abgasskandal-Kanzleien, ihre Nichtzulassungsbeschwerde-Verfahren schleunigst zu überprüfen und alle nach den bisherigen Entscheidungen zum Abgasskandal klaren Fälle jetzt schleunigst zu erledigen. Sowohl die Abweisung der Nichtzulassungsbeschwerde eines Skandalautobesitzers als auch die Presseerklärung dazu kamen überraschend. Das Verfahren hatte aktuell niemand auf dem Zettel und der Sache nach sind die Ansagen der Richter nicht wirklich neu, so dass es eigentlich keinen Anlass für eine Presseerklärung gab.
Irreführender und für die Abgasskandal-Kanzleien verheerender Tenor der Presse-Berichterstattung auf der Grundlage der BGH-Pressemitteilung: Die von VW auf Geheiß des Kraftfahrtbundesamts entwickelte neue Motorsteuerung für die Skandalmotoren ist keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung. Noch schwierig für Verbraucheranwälte: Sie sind tatsächlich in der Pflicht, BGH-Verfahren so schnell und kostengünstig wie möglich zu beenden, wenn in einem Parallelverfahren eine Grundsatzentscheidung ergeht. Sie müssen jetzt befürchten, dass der BGH weitere Nichtzulassungsbeschwerden abweist und sie für die dadurch zusätzlich entstehenden Kosten gerade stehen müssen.
12.03.2021 Landauf landab heißt es wie hier bei Spiegel Online zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs von gestern (s. u., 11.03.2021): „Kein Schadensersatz wegen Software-Update (...) VW habe sich dabei nicht sittenwidrig verhalten, teilte der Bundesgerichtshof (BGH) (...) mit.“ Das ist schlicht falsch. Der BGH hat das nicht mitgeteilt. Er hat gar nicht geprüft, ob sich VW bei der Entwicklung der neuen Motorsteuerung sittenwidrig verhalten hat. Er hat den Fall nur so beurteilt, wie die Parteien ihn dargestellt haben.
Entscheidend: Der Klägeranwalt hatte aus Sicht der BGH-Richter nichts vorgetragen, was das Verhalten von VW als sittenwidrig erscheinen lässt. Dass auch die neue von VW auf Geheiß des Kraftfahrtbundesamts entwickelte Motorsteuerung nach seiner Ansicht ebenfalls illegal war, reicht dafür laut BGH nicht aus, siehe weitere Einzelheiten unten unter 11.03.2021.
Zum Schwur kommt es, wenn der Bundesgerichtshof über die von VW eingelegte Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 18.12.2020, Aktenzeichen: 20 U 288/19 (siehe unten, 22.12.2020) entscheidet. Die Richter dort hatten nämlich geurteilt : Auch beim Software-Update verhielt VW sich sittenwidrig und muss betroffene Autobesitzer deshalb entschädigen.
Rogert & Ulbrich-Rechtsanwälte hatten dort vorgetragen: Beim Software-Update hat VW eine neue illegale Abschalteinrichtung implementiert. Auch mit der neuen Motorsteuerung werden die Grenzwerte nicht eingehalten. Auch sonst hat das Software-Update negative Auswirkungen. VW hat dies alles bewusst und wahrheitswidrig verschwiegen, um die Käufer zur Durchführung des Software-Updates zu bewegen.
Beim Bundesgerichtshof hat das Verfahren das Aktenzeichen VII ZR 70/21. Wann die Verhandlung und Entscheidung dieses Falls in Karlsruhe ansteht, steht noch in den Sternen. Die VW-Anwälte haben ihre Revision gegen das Urteil bisher noch nicht einmal begründet. Sie haben stattdessen beantragt, ihnen dafür noch mehr Zeit zu geben.
Noch interessant: Alles bisherigen Entscheidungen zum Abgasskandal kamen vom VI. Senat des Bundesgerichtshofs. Der ist eigentlich fürs Recht der unerlaubten Handlungen zuständig. Doch das Präsidium des höchsten deutschen Zivilgerichts hat die Geschäftsverteilung geändert. Jetzt hat der VII. Senat Abgasskandal-Fälle zu beurteilen. Der ist sonst eigentlich vor allem fürs Werkvertrags- , Architekten- und Handelsvertreterrecht zuständig.
Ob die Richter im VII. Senat mit dem Fall aus Köln viel Arbeit haben werden, bleibt abzuwarten. VW kann die Revision jederzeit zurücknehmen oder sich mit dem Kläger einigen. In der Vergangenheit war der Konzern immer wieder so verfahren. Er verhinderte damit verbraucherfreundliche Urteile und die mit ihnen verbundene Signalwirkung.
11.03.2021 Noch eine Ansage des Bundesgerichtshofs zum Abgasskandal: Bei Kauf von Skandalautos gibt es wegen der auf Geheiß des Kraftfahrtbundesamts erneuerten Motorsteuerungssoftware nicht ohne weiteres Schadenersatz, auch wenn auch die neue Motorsteuerung wegen der Abschaltung oder Reduktion der Abgasreinigung oberhalb und unterhalb bestimmter Lufttemperaturen („Thermofenster“) vielleicht rechtswidrig war.
O-Ton aus der Pressemitteilung des Gerichts: „Der darin liegende – unterstellte – Gesetzesverstoß reicht (...) nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Die Applikation eines solchen Thermofensters ist nicht mit der Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware zu vergleichen, die die Beklagte zunächst zum Einsatz gebracht hatte. Während letztere unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielte und einer (...) Täuschung der Fahrzeugerwerber (...) gleichsteht, ist der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht von vorneherein durch Arglist geprägt. (...) Bei dieser Sachlage hätte sich die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten durch die Implementation des Thermofensters nur dann fortgesetzt, wenn (...) weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dies würde jedenfalls voraussetzen, dass diese Personen bei der Entwicklung (...) in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Anhaltspunkte hierfür waren aber nicht dargetan.“
Das heißt aber auch: Stellen die Kläger-Anwälte wie im vom Oberlandesgericht Köln unter dem Aktenzeichen 19 U 151/20 entschiedenen Fall das Verhalten von VW bei der Entwicklung der Steuerung für EA288-Motoren so dar, dass es als vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung erscheint, und VW bestreitet das, dann müssen die Gerichte den Fall weiter aufklären. Es kommt dann darauf an, wie die neue Motorsteuerung funktioniert, ob sie legal ist und was VW-Manager und Ingenieure sich bei der Entwicklung gedacht haben (s. u., 25.02.2021).
11.03.2021 Per Pressemitteilung rät R+V-Versicherung Besitzern von Skandalautos: Vorsicht bei der Anwaltswahl. Es kursierten „...irreführende Informationen...“, beklagt der Versicherer. Allein in den ersten zwei Monaten des Jahres hätten 600 Rechtsschutz-Kunden der R + V Schadenersatzansprüche wegen des Abgasskandals angemeldet. Im Jahr 2020 registrierte der Versicherer 5 000 Abgasskandal-Rechtsschutzfälle.
Appell des Versicherers an die Rechtsschutzkunden: Sie sollen sich zunächst von die Spezialisten des Unternehmens halten. „Dabei vermitteln wir gerne auch einen fachkundigen Anwalt“, heißt es weiter.
test.de empfiehlt dagegen: Verlassen Sie sich nicht auf die Beratung Ihres Rechtsschutzversicherers. Den Unternehmen geht es darum, Geld zu sparen. Doch die Unternehmen sind in der Pflicht. Der Abgasskandal berechtigt Millionen von Autobesitzern zur Klage. Wer zur Klage entschlossen ist, sollte selbst nach einem Anwalt suchen. Hauptkriterium: Er hat bereits erfolgreich Schadenersatzansprüche im Abgasskandal durchgesetzt. test.de nennt hier zu jedem verbraucherfreundlichen Urteil die Kanzlei, die es erstritten hat.
Zu beachten allerdings: Die großen im Abgasskandal erfolgreichen Kanzleien arbeiten anders, als Mandanten es von Rechtsanwälten vor Ort gewohnt sind. Kontakt und Informationen gibt es übers Internet oder per Post. Statt individueller Ansprache gibt es aus Textbausteinen hergestellte Schreiben und Schriftsätze. Persönliche Betreuung ist selten. Wichtiger für Mandanten sollte allerdings sein: Die Rechtsanwälte kennen den Abgasskandal und wie die Gerichte ihn beurteilen, so dass sie für ihre Mandanten so viel Schadenersatz wie möglich durchsetzen können.
Richtig allerdings: Auf Skandalautobesitzer zielt reichlich Anwalts- und Prozessfinanzierungswerbung ab, die mehr Aussicht auf Schadenersatz verspricht als auch nach Ansicht der test.de-Experten erreichbar ist. Zwar hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) tatsächlich ein klares und europaweit verbindliches Urteil gefällt, nach dem ein Großteil der Motorsteuerungen für nach den Normen Euro 4 bis Euro 6 zugelassene Dieselmotoren rechtswidrig ist.
Das aber berechtigt Besitzer betroffener Autos noch nicht zum Schadenersatz. Den gibt es nach den Ansagen des Bundesgerichtshofs nur, wenn Autohersteller die Behörden bei der Typzulassung getäuscht haben und sie zur Steigerung von Absatz und Gewinn bewusst Autos verkauft haben, die die Einhaltung der Abgasgrenzwerte bloß vortäuschen. So lange die Ingenieure Tricks bei der Motorsteuerung für legal halten durften, liegt keine sittenwidrige Schädigung der Autobesitzer vor, und die Typzulassungsbehörden waren offenbar europaweit viel großzügiger als es laut EuGH jetzt angemessen ist.
Die Rechtsexperten der Stiftunf Warentest fürchten: Die Prozesslawine in Folge des Abgasskandals wird Verkehrsrechtsschutz-Policen noch teurer machen. Den Versicherern bleibt nichts übrig, als ihre Angebote unter Berücksichtigung der zum Teil dramatisch gestiegenen Kosten und Risiken neu zu kalkulieren. Schon die für Rechtsschutzversicherer kostspieligen Streitigkeiten mit Banken und Versicherern wegen des Widerrufs von Kredit- und Kapitallebensversicherung hatte zu steigenden Preisen bei sinkenden Leistungen geführt.
Es ist nicht angebracht, das auf die Klagewut von Skandalautobesitzern oder die Werbung von Anwälten zu schieben. Ursache für die Misere ist das Unrecht, das nach Banken und Versicherern jetzt auch Autohersteller in Serie produziert haben, ohne betroffene Kunden nach der Aufdeckung von sich aus zu ihrem Recht zu verhelfen.
Rechtsschutzkunden sollten ihren Versicherern bei Prämienerhöhungen zugute halten: Ohne den Rechtsschutz gehen sie mit hoher Wahrscheinlichkeit leer aus, wenn ein Unternehmen sie nach Art des Abgasskandals schädigt. Ohne die Finanzierung der Versicherer hätten Kanzleien wie allen voran Dr. Stoll & Sauer oder Rogert & Ullbrich kaum einem Skandalautobesitzer zu Schadenersatz verhelfen können.
10.03.2021 Noch ein Hinweis von Michael Heese aus der Arbeit am Projekt Dieselskandal der Uni Regensburg: Das Landgericht Braunschweig hat VW wegen eines von Audi entwickelten nach der Norm Euro 6 zugelassenen 3.0 TDI-Motors zu Schadenersatz verurteilt. Es sei davon auszugehen, „...dass die Entscheidung bei der Motorentwicklung, eine illegale Abschalteinrichtung zu verwenden, von der Beklagten als Konzernentscheidung entweder selbst getroffen, mindestens aber bewusst mitgetragen wurde. Dies ist vorliegend als unstreitig anzusehen, da der Kläger die Kenntnis des Konzernvorstandes behauptet und die Beklagte dies – obwohl es ihr im Rahmen einer sekundären Darlegungslast obliegt – trotz eines entsprechenden gerichtlichen Hinweises nicht erheblich bestritten hat“, begründen die Richter ihr Urteil.
Für Klagen gegen Audi wegen der von VW entwickelten Dieselmotoren mit illegaler Steuerung hatte der Bundesgerichtshof gerade noch entscheiden: Es sei nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass die Verantwortlichen bei Audi an der Entwicklung beteiligt waren oder sie zumindest kannten und mittrugen. Das müssen die Berufungsgerichte in diesen Fällen jetzt noch klären und dann erneut entscheiden.
Noch interessant: Die Klägeranwälte hatten den Rückruf-Bescheid für den SUV des Klägers mit seinem 6 Zylinder Diesel-Motor mit drei Litern Hubraum und 204 PS vorgelegt. Das Kraftfahrtbundesamt hatte fünf verdächtige Mechanismen entdeckt, darunter vor allem die so genannte „Aufheizstrategie A“. Die aktivierte die Motorsteuerung bei Bedingungen, wie sie für die Prüfstandversuche zur Ermittlung des Schadstoffausstoßes für die Typzulassung vorgeschrieben sind. Bei abweichenden Bedingungen schaltete die Motorsteuerung auf eine andere Strategie um, bei der der Motor viel mehr Stickoxid ausstieß. Dies sei eindeutig illegal. Einen solchen Mechanismus einzusetzen, erscheine als sittenwidrig, begründeten die Richter in Braunschweig ihr Urteil.
Die Verringerung der Abgasreinigung unterhalb und oberhalb bestimmter Temperaturen dagegen bewerteten die Richter in Braunschweig nicht als sittenwidrig. Nicht mal die Beamten im Kraftfahrtbundesamt hatten das als eindeutig illegale Abschaltung der Abgasreinigung bewertet. „Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung gesetzlicher Vorschriften aber kann nicht als verwerfliches Tun (...) angesehen werden“, heißt es in der Urteilsbegründung wörtlich.
Landgericht Braunschweig, Urteil vom 29.01.2021
Aktenzeichen: 11 O 2136/19 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter: 21legal Rechtsanwaltsgesellschaft, München
05.03.2021 Michael Heese, Zivilrechtsprofessor und Leiter des Projekts Dieselskandal an der Uni Regensburg, berichtet: Der 12. Senat am Oberlandesgericht Oldenburg hat VW zu Restschadensersatz wegen der verjährten Entschädigungs-Forderung eines Skandalautobesitzers verurteilt. Zumindest bei direkt von VW erworbenen Autos sei das Unternehmen bereichert und müsse jedenfalls einen großen Teil des Kaufpreises herausgeben, auch wenn der eigentliche Schadenersatzanspruch bereits verjährt ist.
Ob und welche Aufwendungen VW anrechnen darf, blieb offen. Der Konzern hatte sich dazu nicht geäußert, obwohl ihn die Darlegungs- und Beweislast trifft. Die Autobesitzerin aus dem Emsland erhält jetzt vollen Schadenersatz. Kern des Restschadensersatzanspruch: Soweit einem Schädiger eine Bereicherung verbleibt, soll er diese auch über die Verjährung hinaus an die Opfer herausgeben müssen.
Aus dem gleichen Grund könnte der Restschadensersatzanspruch auch dazu führen, dass VW in Fällen, in denen Autobesitzern wegen der Nutzung des Wagens über dessen normale Lebenserwartung von je nach Gericht und Modell 250 000 oder 300 000 Kilometern hinaus kein Schadenersatz mehr zusteht, wenigstens noch den Gewinn herauszugeben hat, den das Unternehmen beim Verkauf des Wagens jeweils erzielt hat. Doch so lesen nur einzelne Verbraucherschützer und Rechtswissenschaftler die Regelung über den Restschadensersatz im Bürgerlichen Gesetzbuch. Die Gerichte gehen bisher davon aus: Was Opfer direkt an Schadenersatz fordern können, ist die Obergrenze. Der Restschadensersatzanspruch spielt nur eine Rolle, soweit sie den wegen Verjährung nicht mehr durchsetzen können.
Wahrscheinlich muss sich jetzt der Bundesgerichtshof mit dem Fall und dem Restschadensersatzanspruch befassen. Jedenfalls hat der 12. Senat in Oldenburg die Revision zugelassen. Der 2. Senat des Gerichts hatte geurteilt: Der Restschadensersatzanspruch hilft Skandalautobesitzern nicht weiter. In solchen Fällen ist Bundesgerichtshof dafür zuständig, für eine einheitliche Rechtsprechung zu sorgen.
Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 02.03.2021
Aktenzeichen: 12 U 161/20 (nicht rechtskräftig)
Klägerinvertreter: Wintermann Rechtsanwälte, Lingen
04.03.2021 Myright.de-Anwalt Dr. Stefan Zimmermann berichtet: VW hat eine Abgasskandal-Klägerin ausgezahlt, deren Fall beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg lag. Das Landgericht Erfurt wollte dort klären lassen, ob der Abzug einer Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilometer rechtmäßig ist. So sieht es der Bundesgerichtshof.
Der Richter in Erfurt und viele Rechtswissenschaftler wie Michael Heese halten das für falsch. VW dürfe durch die Anrechnung trotz der vorsätzlichen und sittenwidrigen Schädigung der Autobesitzer einen guten Teil der Gewinne behalten. Sie hofften darauf, dass der EuGH ein Machtwort spricht. Doch daraus wird jetzt nicht. VW hat die Klage anerkannt. Das Verfahren endet dadurch, ohne dass sich der EuGH noch dazu äußern kann. Myright will weiter versuchen, ein Votum aus Luxemburg zu bekommen. Weitere Einzelheiten in der Myright.de-Pressemitteilung.
03.03.2021 Soweit bekannt erstmals überhaupt hat ein Gericht Fiat dazu verurteilt, den Besitzer eines Wagens aus dem italienischen Konzern wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu entschädigen. Allerdings: Das Unternehmen hatte sich nicht gegen die Klage verteidigt. Das Gerichte urteilte deshalb allein auf der Grundlage der Darstellung des Falls durch Klägeranwalt Marco Manes. Versäumnisurteil heißen solche Entscheidungen.
Marco Manes und seine Kollegen hatten vorgetragen: Die Motorsteuerung des Ducato 2.2-Turbodiesel mit 150 PS von 2017 schalte die Abgasreinigung nach 22 Minuten völlig ab. So halte das nach der Norm Euro 6 zugelassene Wohnmobil die Grenzwerte während der etwa 20 Minuten langen Messung des Schadstoffausstoßes für die Typzulassung ein. Anschließend steige er allerdings weit darüber hinaus.
Zu Vorsatz und Sittenwidrigkeit und der Verantwortung des Unternehmens für die betrügerische Motorsteuerung verliert der für den Fall als Einzelrichter zuständige Thomas Weimer kein Wort. Vermutlich hält er das wegen der laut Klägeranwalt besonders dreisten Umgehung der Abgasgrenzwerte für selbstverständlich. Fiat hat jetzt einen Monat Zeit, gegen das Urteil Einspruch einzulegen. Wenn die Fiat-Anwälte ihn erheben und die Vorwürfe des Klägeranwalts bestreiten, wird das Gericht klären müssen, was es mit den Vorwürfen gegen Fiat auf sich hat.
Landgericht Koblenz, (Versäumnis-)Urteil vom 01.03.2021
Aktenzeichen: 12 O 316/20 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter: Rechtsanwalt Marco Manes, Bonn
26.02.2021 Das kann für Kläger-Anwälte teuer werden: Allein beim Bundesgerichtshof haben sie inzwischen etliche Abgasskandal-Klagen zurückgenommen, nachdem der Bundesgerichtshof wenig überraschend geurteilt hatte: Schadenersatz ist nicht für jedes Auto mit illegaler Motorsteuerung fällig. Hersteller müssen nur zahlen, wenn, O-Ton Bundesgerichtshof: „...die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung (...) des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen.“
Folge des Urteils: Ob Klagen Aussicht auf Erfolg haben, hängt zunächst davon ab, wie die Klägeranwälte den Fall dargestellt und sie sie begründet haben. Wo sie sich darauf beschränkt haben, Schadenersatz-Klagen mit dem Einbau einer illegalen Motorsteuerung zu begründen, gibt es nach den Ansagen des Bundesgerichtshofs keine Chance mehr auf Schadenersatz. Stellt sich in anderen Fällen mit besser begründeten Klagen am Ende heraus, dass einem Autohersteller wegen des gleichen Autos doch eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung zur Last fällt, könnten gescheiterte Kläger von ihren Anwälten Schadenersatz verlangen. Anwälte haften für jeden Fehler. Wenn Rechtsanwälte sich weigern, Schäden zu ersetzen, können Mandanten sich ohne Kostenrisiko an die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft wenden.
Misslich für Rechtsanwälte: Was genau sie zusätzlich vortragen mussten, damit eine Schadenersatzklage Aussicht auf Erfolg hat, wird erst jetzt erkennbar. Danach muss den verantwortlichen Managern bewusst gewesen sein, dass ihre Motorsteuerung illegal ist und sie den Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen haben.
Das wäre nach Ansicht der Juristen bei test.de schon ausgeschlossen, wenn sie die Motorsteuerung im Typzulassungsantrag vollständig und korrekt dargestellt und die zuständige Behörde sie in Kenntnis aller Einzelheiten zugelassen hat. Dann ist Autoherstellern allenfalls dann noch vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung vorzuwerfen, wenn sie gewusst haben sollten, dass die vor Verkündung der Ansagen des Europäischen Gerichtshofs zum Thema (siehe unten, 17.12.2020 und 18.12.2020) sehr großzügige Rechtsauffassung des Kraftfahrtbundesamts zur Zulässigkeit der Abschaltung oder Verringerung der Abgasreinigung mit den EU-Richtlinien nicht vereinbar ist.
Allerdings: Soweit bisher bekannt nannten die Hersteller in den Typzulassungsanträgen oft längst nicht alle Einzelheiten zur Motorsteuerung. Soweit sie den Behörden Mechanismen des Emmissionskontrollsystems verschwiegen haben, liegt nahe: Sie hielten es für illegal und sahen die Typzulassung in Gefahr. So sah es jedenfalls das Oberlandesgericht Hamm (siehe unten, 03.02.2021).
Fest steht außerdem: Der Verweis auf ein internes Papier, nachdem die Motorsteuerung die Abgasreinigung für Bedingungen, wie sie bei den Prüfstandversuchen für die Ermittlung des Schadstoffausstoß herrschen, ohne Kenntnis der Zulassungsbehörde anders regelt als sonst, reicht jedenfalls nach Ansicht der Richter am Oberlandesgericht Köln aus, um eine Klage wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu begründen. Es liege dann indirekt auch eine verwerfliche Täuschung der Autokäufer vor. (siehe unten, 25.02.2021).
25.02.2021 Rechtsanwälte Dr. Stoll & Sauer berichten: Das Oberlandesgericht Köln hat VW wegen eines Autos mit EA288-Motor zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verurteilt. Allerdings: Die VW-Anwälte waren nicht zur Verhandlung erschienen. Einwände von VW waren daher nach den Regeln in der Zivilprozessordnung nicht zu berücksichtigen.
Gleichwohl sei das Urteil ein Meilenstein, kommentierten Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwälte die Entscheidung. Das Gericht hielt den auf ein internes VW-Papier gestützten Vortrag, wonach VW auch bei dem Nachfolgemodell des als Skandalmodell bekannten EA189 bewusst eine illegale Abschaltung oder Reduktion der Abgasreinigung eingesetzt habe, für schlüssig.
Wenn VW Einspruch gegen das Urteil eingelegt und dies – wie gegenüber der Öffentlichkeit und in anderen Verfahren bisher stets – bestreitet, wird das Gericht Beweis darüber erheben erheben müssen, wie die EA288-Motorsteuerung wirklich funktioniert.
Oberlandesgericht Köln, (Versäumnis-)Urteil vom 19.02.2021
Aktenzeichen: 19 U 151/20
Klägeranwälte: Dr. Sincar & Basun Rechtsanwälte, Düsseldorf
22.02.2021 Der Bundesgerichtshof will offenbar eine Verurteilung von Audi wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung des Käufers eines Audi A6 aufheben und das Oberlandesgericht Naumburg den Fall neu aufrollen lassen. Das berichtet Rechtsanwalt Claus Goldenstein aus der Verhandlung heute in Karlsruhe. Die Richter im fürs Schadenersatzrecht zuständigen VI. Senat haben ihr Urteil allerdings noch nicht verkündet. Den Motor und die Motorsteuerung für den Wagen hatte VW geliefert.
Die Äußerungen der Richter in der Verhandlung ließen erkennen: Ihnen fehlten in den Prozessakten ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Verantwortlichen bei Audi Bescheid wussten. Die Frage hat bisher nur für wenige Fälle Bedeutung. Die allermeisten Klagen wegen des Abgasskandals richten sich gegen VW als wichtigstem Hersteller von Motoren mit illegaler Motorsteuerung.
Eine weitere für heute anberaumte Verhandlung hatte der Bundesgerichtshof abgesagt. Dort sollte es darum gehen, ob auch die von VW auf Geheiß des Kraftfahrtbundesamts entwickelte neue Motorsteuerung für Skandalautos die Abgasreinigung illegal unter- und oberhalb bestimmter Lufttemperaturen abschaltet und der Konzern deshalb Schadenersatz zu zahlen hat. Der Besitzer eines VW Touran 2.0 TDI hatte seine Revision gegen die Abweisung der Schadenersatzklage durchs Oberlandesgericht Stuttgart kurz vor der Verhandlung zurückgenommen. Die Hintergründe sind unklar.
06.02.2021 Das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg bleibt dabei: Auch Daimler hat zahlreiche Autos mit illegaler Motorsteuerung ausgeliefert. Bei Fahrten im normalen Straßenverkehr wird die Abgasreinigung unzulässig reduziert oder abgeschaltet. Die Behörde hatte angeordnet, dass Daimler für gut eine halbe Million Autos in Deutschland eine neue Motorsteuerung ohne illegale Abschaltung der Abgasreinigung entwickeln und verbreiten muss. Daimler hatte dagegen jeweils Widerspruch eingelegt. Diese Widersprüche hat die Behörde jetzt übereinstimmenden Medienberichten zufolge zurückgewiesen. Daimler hat ab Zustellung der Widerspruchsbescheide einen Monat Zeit, Klage zum Verwaltungsgericht Schleswig zu erheben.
Einzelheiten sind – noch jedenfalls – nicht bekannt. Unklar bleibt vor allem, welchen Maßstab das Kraftfahrtbundesamt anlegt, um die Rechtmäßigkeit einer Motorsteuerung zu beurteilen. Die Beamten in Flensburg urteilten ursprünglich viel weniger streng als zuletzt der Europäische Gerichtshof. Der gab zur Auslegung der EU-Richtlinien über die Typzulassung von Kraftfahrzeugen verbindlich vor: Die Abgasreinigung darf nur vermindert oder herabgesetzt werden, wenn dadurch unmittelbar bevorstehende Motorschäden oder Unfälle verhindert werden.
Die Hersteller hatten es auch zur Verringerung von Verschleiß und Wartungsbedarf für zulässig gehalten, die Abgasrückführung zur Verringerung des Ausstoßes giftiger Stickoxide in Abhängigkeit von Faktoren wie Lufttemperatur, Drehzahl und Geschwindigkeit variabel zu regeln. Wo genau sie jeweils die Grenzen des Zulässigen sahen, ist nach wie vor weitgehend unbekannt.
Das Kraftfahrtbundesamt hielt es jedenfalls in einem vor gut einem Jahr vorgelegten ausführlichen Bericht zur Wirksamkeit von Software-Updates für ausreichend, wenn die von den Herstellern entwickelten neuen Motorsteuerungen den Ausstoß von Stickoxid im normalen Fahrbetrieb gegenüber der ursprünglichen Software mehr oder weniger deutlich verringern. Dabei lag der Stickoxid-Ausstoß, den die Beamten in Flensburg bei zahlreichen Fahrten mit neuer Motorsteuerung nachgerüsteter Autos maßen, meist immer noch weit über den Grenzwerten, die die Autos bei den Prüfstandversuchen im Typzulassungsverfahren einhalten mussten.
Besitzer von Autos mit illegaler Motorsteuerung müssen mit Sanktionen bis hin zur Stilllegung ihres Wagens rechnen. Schadenersatz können sie nur verlangen, wenn der Hersteller sie vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt hat. Sittenwidrig handelten die Autohersteller nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wenn sie illegale Mechanismen zur Verringerung der Abgasreinigung im Typzulassungsverfahren bewusst verschwiegen oder verschleierten, um ihre Autos günstiger anbieten und dadurch mehr davon verkaufen zu können.
04.02.2021 Check24 wird BMW-Besitzern gegenüber nicht mehr für Schadenersatzklagen wegen des Abgasskandals werben. Das Unternehmen verpflichtete sich dem Wettbewerbszentrale e. V. gegenüber, nicht mehr zu behaupten, „immer mehr Gerichte sprechen BMW-Kunden ... eine Entschädigung zu“. Wettbewerbszentrale-Anwalt Dr. Andreas Ottofülling hatte das als unlauteren Wettbewerb beanstandet. Tatsächlich ist BMW soweit bekannt bisher in keinem einzigen Fall wegen des Abgasskandals rechtskräftig zu Schadenersatz verurteilt worden.
Check24-Sprecherin Dagmar Ginzel sagte auf Nachfrage von test.de, das Unternehmen habe bereits über 10 000 Kunden im Abgasskandal zu Schadensersatz verholfen und sei weiterhin davon überzeugt, dass es grundsätzlich richtig und berechtigt war, ausgewählte Kunden auf das Thema anzusprechen. Die Werbung habe sich ausschließlich an Kunden gerichtet, bei deren Fahrzeug konkrete Anhaltspunkte für Abgasmanipulation vorlagen – entweder durch Rückrufe des Kraftfahrtbundesamts oder Messergebnisse von Umweltorganisationen wie der Deutschen Umwelthilfe. Nur wegen einzelner Formulierungen in Bezug auf BMW als Hersteller habe sich Check24 zur Unterlassung verpflichtet.
03.02.2021 Das klingt nach Sensation und ganz neuen Erkenntnissen: „Wenn die Beklagte zu 1 (= Volkswagen AG, Anm. d. Red.) das Software-Update erneut bewusst mit Manipulationsvorrichtungen (...) versehen hat, fallen die entscheidenden Gesichtspunkte, die in der vom Bundesgerichtshof entschiedenen Sachverhaltskonstellation zur Beseitigung des Sittenwidrigkeitsvorwurfs geführt haben, weg. Eine Zusammenarbeit der Beklagten zu 1 mit dem Kraftfahrt-Bundesamt ist auf der Grundlage dieses Sachverhalts nur zum Schein erfolgt. Das Software-Update hat sie in Wirklichkeit nicht entwickelt, um den rechtswidrigen Zustand der Fahrzeuge zu beseitigen, sondern um ihn durch einen gleichermaßen rechtswidrigen Zustand zu ersetzen, diesen Umstand erneut zu verheimlichen und so zu Unrecht die drohende Stilllegung der Fahrzeuge zu vermeiden. Ihre strategische unternehmerische Entscheidung, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse das Kraftfahrt-Bundesamt und letztlich die Fahrzeugkäufer zu täuschen, hat sie nicht aufgegeben, sondern fortgesetzt. Ihre bislang gleichgültige Gesinnung im Hinblick auf etwaige Folgen und Schäden für Käufer ihrer Fahrzeuge und auf die die Umwelt und Gesundheit der Bevölkerung schützenden Rechtsvorschriften hat sie nicht aufgegeben, sondern beibehalten“, urteilt der 19. Senat des Oberlandesgericht Hamm zu einem Skoda Rapid Spaceback Ambition 1.6 TDI, den der Kläger erst knapp ein halbes Jahr nach Bekanntwerden des VW-Skandals im September 2015 gebraucht gekauft hatte.
Allerdings: „In diesem Verfahren ist uns ein Fehler unterlaufen. Trotz Nachfrage des Senats haben wir nicht mehr Stellung genommen. Normalerweise entspricht es ständiger Rechtsprechung des 19. Senats, Ansprüche bei Kauf nach der ad hoc-Mitteilung im September 2015 abzulehnen.“, erklärt VW-Sprecher Christopher Hauss das denkwürdige Urteil.
Rechtlicher Hintergrund: Zivilrichter ermitteln nicht von sich aus, was geschehen ist. Sie beurteilen den Fall so, wie die Rechtsanwälte der Parteien ihn vor Gericht darstellen. Das gilt selbst dann, wenn das Gericht aus zahlreichen anderen Verfahren viel mehr über den Fall weiß. Nachdem die VW-Anwälte sich nicht äußerten, musste das Gericht deshalb nach den Regeln in der Zivilprozessordnung davon ausgehen: Der Fall liegt so, wie die Klägeranwälte ihn dargestellt haben.
Die VW-Anwälte können ihren Fehler auch nicht mehr korrigieren. Das Gericht ließ kein Revision zu und eine Beschwerde dagegen, mit dem VW den Fall trotzdem noch zum Bundesgerichtshof hätte bringen können, ist nicht zulässig, weil es um weniger als 20 000 Euro ging.
Wie das Gericht geurteilt hätte, wenn VW sich nach allen Regeln der Kunst verteidigt hätte, lässt allerdings nicht sagen. Der 19. Senat des Oberlandesgerichts Hamm hat Klagen von VW-Besitzern, die ihre Wagen erst nach September 2015 erworben haben, bisher regelmäßig abgewiesen, so wie es zuletzt auch der Bundesgerichtshof bestätigte. Es ist aber unklar, ob die Klägeranwälte ihre Fälle genau so geschickt dargestellt haben, wie es die Klägeranwälte jetzt getan haben. Weitere Einzelheiten dazu auf deren Homepage.
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 19.01.2021
Aktenzeichen: 19 U 1304/19
Klägervertreter: Gunkel, Kunzenbacher & Partner Rechtsanwälte, Bielefeld
02.02.2021 Der Bundesgerichtshof hat heute die Begründung zu seinem Thermofenster-Beschluss vom 19.01.2021 (siehe unten, 26.01.2021) veröffentlicht. Er lässt deutlicher als die Presseerklärung erkennen, worauf es den höchsten deutschen Richtern im Abgasskandal ankommt. Soweit Autohersteller es im Typzulassungsverfahren verschleiert haben, dass die Abgasreinigung entgegen der EU-Richtlinien zum Beispiel von der Lufttemperatur abhängt, deute das auf ein sittenwidriges Verhalten hin. Laut Klägeranwälten hatte Daimler nur angegeben: Die Abgasrückführung zur Senkung des Stickoxidanteils im Abgas sei kennfeldabhängig. Den unzulässigen Einfluss der Lufttemperatur habe Daimler nicht offengelegt.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.01.2021
Aktenzeichen: VI ZR 433/19
Klägervertreter: Von Rueden Rechtsanwälte, Berlin
26.01.2021 Sowohl Daimler als auch Verbraucheranwälte fühlen sich durch die Entscheidung des Bundesgerichtshof zu so genannten „Thermofenstern“ gestern bestätigt. Daimler verbucht für sich: Die von der Lufttemperatur abhängige Reduzierung der Abgasreinigung allein löst laut Bundesgerichtshof keine Pflicht zum Schadenersatz aus.
Verbraucheranwälte wie Dr. Ralf Stoll heben hervor: Auch ohne Rückruf vom Kraftfahrtbundesamt ist Schadenersatz möglich. Die Gerichte müssen klären, was die Manager der Autohersteller sich wohl gedacht haben, als sie Motoren entwickelten, die auf dem Prüfstand sauber waren und im Straßenverkehr allenfalls sehr selten.
Wie die Autohersteller dachten, lässt die Äußerung eines Daimler-Sprechers gestern gut erkennen: „Aus unserer Sicht sind Thermofenster technisch notwendig und haben nichts mit einer Täuschungsaktion zu tun“, erklärte er den Medien gestern. Hintergrund: Laut EU-Verordnung darf die Abgasreinigung abgeschaltet werden, um Motorschäden zu verhindern. Für die Ingenieure ist erhöhter Verschleiß die Vorstufe zu einem Motorschaden. Da die Abgasreinigung häufig zu erhöhtem Verschleiß führt, haben sie sie häufig reduziert oder abgeschaltet.
Die EU-Regelungen sagen allerdings: Unter normalen Bedingungen müssen die Motoren sauber sein. Nur in Extremsituationen darf die Abgasreinigung abgeschaltet werden, um einen unmittelbar bevorstehenden Motorschaden zu verhindern. So hat es inzwischen der Europäische Gerichtshof entschieden und hält seine Auslegung der Regelungen für eindeutig.
Daimler und die übrigen Autohersteller müssen die Gerichte jetzt davon überzeugen, dass sie sich trotzdem für berechtigt halten durften, die Abgasreinigung viel häufiger abzuschalten als das tatsächlich zulässig ist.
Ob und für welche Motorsteuerungen das gelingt, ist nicht absehbar. Allerdings: Soweit eine Motorsteuerung die Abgasreinigung unter normalen Bedingungen häufiger reduziert oder abschaltet, als sie in Betrieb ist, erscheint ausgeschlossen, dass Autohersteller das ernsthaft für legal halten durften. Dabei kommt es nicht nur auf in offenbar allen nach den Normen EU4 bis EU6 zugelassenen Dieselmotoren enthaltene Thermofenster, sondern die Motorsteuerung insgesamt an.
Daimler und anderen Autoherstellern hätte helfen können, dass das Kraftfahrtbundesamt Motorsteuerungen offenbar auch viel großzügiger beurteilt hat als das nach den Ansagen des Europäischen Gerichtshofs zulässig war. Wenn die Beamten dort etwas ausdrücklich für zulässig halten, kann das nicht sittenwidrig sein. Dazu allerdings hätten die Autohersteller den Beamten genau erklären müssen, wie ihre Motorsteuerung funktioniert. Das hat soweit bekannt keiner getan, sondern Einzelheiten als Betriebsgeheimnis für sich behalten. Die Behörde erfuhr, bis der Abgasskandal ruchbar wurde, offenbar kaum mehr als die Messwerte aus den für den normalen Fahrbetrieb wenig aussagekräftigen Prüfstandsversuchen zur Ermittlung des Schadstoffausstoßes.
26.01.2021 Klare Ansage vom Bundesgerichtshof: Auch wegen vom Kraftfahrtbundesamt nicht beanstandeter Autos können Besitzer Anspruch auf Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung haben. Wenn Autobesitzer behaupten, dass der Hersteller die Behörde bewusst nicht korrekt über die Motorsteuerung und darin enthaltene illegale Mechanismen informiert hat, müssen die Gerichte dem nachgehen.
Voraussetzung für die Verurteilung laut Bundesgerichtshof: Die Mitarbeiter des Autoherstellers handelten in dem Bewusstsein, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und nahmen den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf. Das Landgericht und das Oberlandesgericht Köln hatten die Klage des Besitzers eines Mercedes 220 CDI von 2012 abgewiesen, weil es keine Anhaltspunkte für eine Schädigung durch Daimler gebe. Das Oberlandesgericht muss den Fall jetzt neu aufrollen. Weitere Einzelheiten zum Verfahren in der Pressemitteilung des Bundesgerichtshof.
Daimler hatte sogar für vom Kraftfahrtbundesamt zurückgerufene Autos stets behauptet: Die Motorsteuerung ist legal. Der Konzern ist gegen die Behörde vors Verwaltungsgericht gezogen. Für die Zivilklage auf Schadenersatz gilt: Die Beweislast dafür, dass Daimler sittenwidrig handelte, hat der Kläger. Soweit aber nach den strengen Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (siehe unten, 17.12.2020 und 18.12.2020) feststeht, dass die Motorsteuerung eine illegale Abschaltung der Abgasreinigung enthält, ist Daimler aber in der Pflicht überzeugend zu erklären, wieso das Unternehmen das seinerzeit für legal halten durfte.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.01.2021
Aktenzeichen: VI ZR 433/19
Klägervertreter: Von Rueden Rechtsanwälte, Berlin
22.01.2021 Das Landgericht Münster hat beschlossen, einen Sachverständigen damit zu beauftragen, einen Mercedes Benz C 220 BC Avantgarde mit einem Turbodiesel-Motor vom OM 651 zu untersuchen. Der Sachverständige soll klären, ob die Motorsteuerung die Abgasreinigung regelmäßig dann abschaltet, wenn der Wagen jenseits der Bedingungen der Prüfstandversuche im Straßenverkehr unterwegs ist. Ausführlicher Hinweis von Richter Dr. Oliver Laubinger zu seinem Beschluss: Wie die Mechanismen zur Regelung der Abgasreinigung genau funktionieren und ob es sich wie bei den EA189-Motoren von VW um eine regelrechte Prüfstandserkennung handelt, spielt angesichts der Ansagen des Europäischen Gerichtshof zum Abgasskandal keine Rolle. Wenn im Ergebnis die Abgasreinigung praktisch nur auf dem Prüfstand korrekt funktioniert, dann sei das illegal und sei auch regelmäßig davon auszugehen, dass der Hersteller dies absichtlich so gestaltet habe, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und er Kunden dadurch sittenwidrig geschädigt. Ausnahme allerdings: Soweit das Kraftfahrtbundesamt den betroffenen Mechanismus ausdrücklich gebilligt hat, handele der Hersteller nicht sittenwidrig.
Noch interessant: Der Kläger oder vielmehr seine Rechtsschutzversicherung muss nach dem Gerichtsbeschluss 30 000 Euro und Daimler 20 000 Euro Vorschuss auf das Honorar des Sachverständigen einzahlen. Begründung des Richters: Der Kläger müsse die Voraussetzungen für Schadenersatz und Daimler die Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen in der Motorsteuerung nachweisen. Es sei deshalb gerecht, wenn beide gemeinsam das Sachverständigengutachten vorfinanzieren.
Landgericht Münster, (Hinweis- und Beweis-)Beschluss vom 18.12.2020
Aktenzeichen: 011 O 45/20
Klägervertreter: Gunkel, Kunzenbacher & Partner Rechtsanwälte, Bielefeld
21.01.2021 Auch wegen eines nicht vom Kraftfahrtbundesamt beanstandeten VW Touareg 3.0 TDI von 2009 muss VW Schadenersatz zahlen, urteilte das Landgericht Köln. Andere Autos mit Motoren des gleichen Typs hatte das Kraftfahrtbundesamt beanstandet. Im Prozess hatte VW nicht bestritten, dass der umstrittene Wagen eine vergleichbare Motorsteuerung hat. Ob und welche Unterschiede es gibt, blieb offen. Unter diesen Umständen gDr. Sincar & Basun Rechtsanwaltskanzlei, Düsseldorfg schaltet die Abgasreinigung illegal ab und sei VW eine vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung vorzuwerfen.
Landgericht Köln, Urteil vom 14.01.2021
Aktenzeichen: 14 O 411/19 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter: Dr. Sincar & BDr. Sincar & Basun Rechtsanwaltskanzlei, Düsseldorf
06.01.2021 Neue Musterfeststellungsklage gegen VW: Die Verbraucherzentrale Südtirol will festgestellt wissen, dass VW auch für in Italien erworbene Autos mit illegaler Motorsteuerung Schadenersatz zahlen muss. Die italienischen Verbraucherschützer haben die Klage erhoben, nachdem die Einigung über eine Entschädigung für die Teilnehmer an der Musterfeststellungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverbands nur in Deutschland erworbene Autos erfasste. Einzelheiten zur Klage sind auf der Homepage der Verbraucherzentrale Südtirol nachzulesen. Die amtlichen Informationen zur Musterfeststellungsklage finden sich im Klageregister des Bundesamts für Justiz.
22.12.2020 Spektakuläres Urteil des Oberlandesgerichts Köln: VW hat auch den Käufer eines bereits mit der auf Anordnung des Kraftfahrtbundesamts neu entwickelten Motorsteuerung versehenen Euro 5-VW Tiguan vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt. Der Bundesgerichtshof hatte geurteilt: Nach Bekanntwerden des Skandals handelte VW nicht mehr sittenwidrig. Dabei ging der Bundesgerichtshof allerdings davon aus, dass VW auf Geheiß des Kraftfahrtbundesamts eine legale Motorsteuerung entwickelt und installiert habe. Der Kläger beim Oberlandesgericht Köln trug jedoch vor: Auch die neue Motorsteuerung enthalte eine illegale Abschaltung der Abgasreinigung, wenn die Lufttemperatur - so wie hierzulande häufig - unter 10 Grad Celsius lag. Außerdem habe VW das System zur Onboard-Diagnose (OBD) so manipuliert, dass es die Abschaltung der Abgasreinigung nicht als Fehler speicherte und nicht die dafür vorgesehene Warnlampe im Tacho aktivierte. Im September 2020 habe das Kraftfahrtbundesamt VWs vom Typ Eos wegen dieser illegaler Mechanismen in der neu entwickelten Motorsteuerung erneut zurückgerufen. VW hatte sich zu den Vorwürfen nicht geäußert, obwohl das Gericht den Anwälten des Konzerns dafür eigens Zeit gegeben hatte.
Das Gericht ging deshalb davon aus: Die neue Motorsteuerung enthält tatsächlich wie vom Kläger vorgetragen mindestens eine illegale Abschalteinrichtung und sei zudem das Diagnosesystem so manipuliert, dass Besitzer des Wagens die unzureichende Abgasreinigung nicht erkennen können. Das sei VW auch bewusst gewesen und sei dem Konzern deshalb weiterhin vorsätzliches und sittenwidriges Verhalten vorzuwerfen.
Das Gericht ließ die Revision zum Bundesgerichtshof zu. Weitere Einzelheiten zum Urteil in der Pressemitteilung von Rechtsanwälten Rogert & Ulrich.
Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 18.12.2020
Aktenzeichen: 20 U 288/19
Klägervertreter: Rechtsanwälte Rogert & Ulbrich, Düsseldorf
18.12.2020 Nach Verkündung des Urteils des Europäischen Gerichtshof gestern besonders brisant: Ein vom Landgericht Stuttgart in einem Rechtsstreit um einen 2013 erstmals zugelassenen Mercedes E 250 CDI eingeschalteter Software-Gutachter kommt zum Ergebnis, dass die Motorsteuerung des Wagens die Abgasreinigung gezielt verbessert, wenn er unter Prüfstandsbedingungen unterwegs ist.
So beschreibt Dr. Markus Heitz von der 43IT GmbH in Stuttgart den Mechanismus: Zunächst liegt die Kühlmittelsolltemperatur bei 70 Grad. Bei so geringer Temperatur entsteht weniger Stickoxid. Sobald Drehzahl und Luftstrom im Ansaugtrakt für fünf Sekunden über denen liegen, die für die Prüfstandversuche zur Ermittlung des Schadstoffausstoßes für die Typzulassung vorgeschrieben ist, schaltet der Motor die Kühlmittelsolltemperatur auf 100 Grad. Der Motor funktioniert dann effizienter und mit geringerem Verschleiß - und stößt mehr Stickoxid aus.
Gleichzeitig bleibe bei einer Kühlmittelsolltemperatur von 70 Grad die Jalousie vor dem Kühler durchgängig geöffnet. Das verbessert die Kühlung. Nebeneffekt: Der Luftwiderstand des Wagens und damit auch Spritverbrauch und Kohlendioxidausstoß sinken.
Danach erscheint die Motorsteuerung gemessen an den Ansagen des Europäischen Gerichtshofs von gestern als eindeutig illegal. Rechtsanwalt Thorsten Krause von der KAP Rechtsanwaltsgesellschaft glaubt: Nach dem Gutachten werden die Gerichte nicht daran vorbeikommen, Daimler wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu verurteilen.
Daimler allerdings hält das Gutachten für fehlerhaft. Es stelle Zusammenhänge falsch dar und komme zu nicht zutreffenden Schlussfolgerungen, erklärte Daimler-Sprecher Johannes Leifert test.de gegenüber. So habe der Wagen, um den vor dem Landgericht Stuttgart gestritten werde, überhaupt keine Kühlerjalousie. Nach seiner Darstellung werde die Kühlmittelsolltemperatur nicht schon bei Leistungsanforderungen wie im Prüfstand, sondern erst bei erheblich mehr Drehzahl erhöht. Die tatsächliche Schwelle stehen in keiner Verbindung zum amtlichen Prüfzyklus.
Er räumte ein: Auch das Kraftfahrtbundesamt hat die Kühlmitteltemperaturregelung in diesem und rund 100 000 weiteren Mercedes-Modellen beanstandet und eine Änderung der Motorsteuerung erzwungen. Dagegen habe Daimler Widerspruch eingelegt. Das Unternehmen halte die Kühlmitteltemperatursollregelung nach wie vor für zulässig.
17.12.2020 Die erwartet klare Ansage vom Europäischen Gerichtshof: Es ist egal, ob es um Soft- oder Hardware geht, die Abgasreinigung für Prüfstandbedingungen verbessert oder umgekehrt für Fahrten jenseits des Prüfstands verringert wird, es handelt sich um eine Abschalteinrichtung. Sie ist nur gerechtfertigt, wenn sie unmittelbar bevorstehende Schäden verhindern soll. So wie über Jahre hinweg branchenweit üblich die Abgasreinigung zur Verringerung von Verschleiß oder Wartungsaufwand zum Teil mit ausdrücklicher Billigung des Kraftfahrtbundesamtes zu reduzieren, ist stets eine illegale Abschaltung der Abgasreinigung.
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 17.12.2020
Aktenzeichen: C-693/18
Pressemitteilung des Gerichts zum Urteil
Die Rechtsexperten bei test.de meinen: Das Urteil ist streng. Nach seinem Maßstab erscheinen alle Mechanismen als rechtswidrig, nach denen die Abgasrückführung oder die Einspritzung von Adblue-Zusatz zum Abbau von Stickoxid im Abgas mit Rücksicht auf Leistung, Spritverbrauch, Verschleiß und Wartung verringert wird. Das beträfe wohl sogar auch die von VW nach Bekanntwerden des Abgasskandals neu entwickelte Motorsteuerung, die die Abgasrückführung offenbar zum Beispiel auch abhängig von der Lufttemperatur reduziert.
Ganz anders wertet das Bundesverkehrsministerium die Ansagen aus Luxemburg: „Die Auslegung des EuGH entspricht der deutschen Rechtsauffassung. Sie bestätigt die bisherige Anwendung der europäischen Vorschriften durch das KBA und das Vorgehen der Untersuchungskommission Volkswagen“, erklärte Ministeriumssprecherin Julie Heinl auf Anfrage von test.de zur Überraschung unserer Juristen wörtlich.
15.12.2020 Heute hat der Bundesgerichtshof mitgeteilt: Am kommenden Donnerstag, 17. Dezember 2020, um 14.30 Uhr wird der das Verjährungsurteil zur Verhandlung gestern (s. u. , 14.12.2020) verkünden.
14.12.2020 Noch kein höchstrichterliches Urteil zur Verjährung von Schadenersatzforderungen im VW-Skandal. Der Bundesgerichtshof hat heute über eine erst 2019 erhobene Klage verhandelt, will aber das Urteil erst später verkünden. Anwälte, die die Verhandlung beobachtet hatten, berichteten aber: Die Richter sehen den Verjährungsbeginn regelmäßig bereits Ende 2015, so dass viele Schadenersatzforderungen am 1. Januar 2019 bereits verjährt waren. Es bleibe aber der so genannte Restschadenersatzanspruch. Wegen der Einzelheiten bleibt abzuwarten, wie der Bundesgerichtshof urteilt und seine Entscheidung begründet.
Das Verfahren um den Schadenersatz wegen eines Mercedes endete erneut unter unklaren Umständen. Der Bundesgerichtshof hatte mitgeteilt, dass der vor dem Oberlandesgericht unterlegene Kläger die Revision zurückgenommen hat, so dass die Abweisung seiner Klage jetzt rechtskräftig ist. So war bereits der erste Anlauf des Bundesgerichtshofs gescheitert, sich mit Forderungen auf Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gegen Daimler zu befassen. Auch in diesem Fall hatte der Kläger seine Klage zurückgenommen, ohne dafür Gründe zu nennen.
Unterdessen hat der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) Zahlen zum VW-Skandal genannt. Der Streitwert aller Klagen summiere sich inzwischen auf über sieben Milliarden Euro. Bis Ende Oktober nahmen über 290 000 Kunden im Streit mit Autoherstellern wegen mutmaßlich manipulierter Abgaswerte ihre Rechtsschutzversicherung in Anspruch. Die Versicherer wendeten bislang 805,6 Millionen Euro für Anwalts-, Gerichts- und Gutachterkosten auf, berichtete der GDV. „Wir rechnen damit, dass in den nächsten Monaten noch weitere Fälle dazu kommen werden, denn mittlerweile werden auch zahlreiche Verfahren gegen andere Hersteller geführt“, sagte GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Seit der Zählung im Oktober 2019 sind damit innerhalb eines Jahres rund 86 000 Rechtsschutzfälle und weitere Ausgaben von 257 Millionen Euro hinzugekommen. Der durchschnittliche Streitwert pro Dieselfall liegt bei rund 24 000 Euro. Insgesamt bearbeiten die Rechtsschutzversicherer jährlich über vier Millionen Fälle und leisten dafür rund drei Milliarden Euro.
01.12.2020 Das ARD-Magazin Report berichtet heute Abend in der Sendung ab 21.45 Uhr: Bei Messungen der Schadstoffe im Abgas eines Golf VII mit EA288-Dieselmotor hat ein Ingenieur neue Belege für illegale Mechanismen in der Motorsteuerung gefunden. Die Abgasreinigung werde bei Lufttemperaturen unterhalb bestimmter Werte verringert. VW und Kraftfahrtbundesamt beteuerten stets: Bei EA288-Motoren gebe es keine illegale Abschaltung der Abgasreinigung. Weitere Einzelheiten in der Pressemitteilung des Senders.
24.11.2020 Die erste Runde im Streit um Staatshaftungsansprüche wegen mangelhafter Überprüfung der Abgasreinigung geht an die Behörden. Das Landgericht Frankfurt am Main wies vier Staatshaftungsklagen ab. Die Bundesrepublik Deutschland habe die EU-Vorgaben für Zulassungsregeln korrekt in deutsches Recht umgesetzt, heißt in der Pressemitteilung zu den Urteilen zunächst. Auch seien die Sanktionen bei Verstoß gegen die Regeln ausreichend. Für völlig schuldlos am Skandal halten die Richter die Behörden allerdings nicht. Wörtlich heißt es in den Urteilsbegründungen: „Dass das Kraftfahrzeugbundesamt offenbar den Herstellerangaben zu Laufstandmessungen vertraute, ist nicht so verwerflich, dass darin der für die Staatshaftung erforderliche qualifizierte Verstoß zu sehen ist. Dass der namhafte Hersteller des Fahrzeugs, an dessen Konzernmutter das Land Niedersachsen aktienrechtlich erheblich beteiligt ist, Messungen mithilfe der Abschalteinrichtung manipulierte, war bis Herbst 2015 wohl eher als abwegig anzusehen.“ Weitere Einzelheiten in der Pressemitteilung des Gerichts.
Die vollständigen Urteilsbegründungen liegen noch nicht vor. test.de vermutet, dass es den Klägern nicht gelang, ausreichend belastbare Hinweise dafür zu liefern, dass die Beamten im für die Typzulassung zuständigen Kraftfahrtbundesamt (KBA) in Flensburg genügend Anhaltspunkte für den Verdacht auf illegale Mechanismen in der Motorsteuerung hatten, um von sich aus zu ermitteln und so den Skandal früher aufzudecken. „Die Beamten schauten systematisch weg“, hatte der Spiegel im Jahr 2017 berichtet. Sowohl die Deutsche Umwelthilfe (DUH) als auch das Umweltbundesamt hätten die Behörden Jahre vor Bekanntwerden des VW-Skandals darauf hingewiesen, dass viele Dieselmotoren bei Fahrten im Straßenverkehr viel mehr Stickoxid ausstoßen als bei den für die Typzulassung entscheidenden Prüfstandversuchen. Die DUH legte bereits im Jahr 2011 Messergebnisse vor, die einen überhöhten Schadstoffausstoß von VW-Dieselmotoren belegen.
18.11.2020 Der Bundesgerichtshof will im Februar darüber entscheiden, ob VW auch wegen der nach Bekanntwerden neu entwickelten Motorsteuerung Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zahlen muss. Die meisten Juristen glauben: Auch die neu entwickelte Motorsteuerung ist rechtswidrig, weil die Abgasreinigung bei einer Lufttemperatur unterhalb von fünf Grad Celsius nicht so funktioniert wie bei den Prüfstandversuchen zur Ermittlung des Schadstoffausstoßes. Derartige Temperaturfenster seien illegale Abschalteinrichtungen. So sieht es auch Eleanor Sharpston, die Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof (s. u., 30.04.2020).
Allerdings: Das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg hat die nach dem Skandal neu entwickelte Motorsteuerung gebilligt und hält sie für legal. Das schließe eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung von Autokäufern durch VW auch dann aus, wenn sich die Genehmigung der Motorsteuerung als rechtswidrig erweisen sollte, urteilten die Oberlandesgerichte Stuttgart und Celle in den beiden Fällen, über die der Bundesgerichtshof am Dienstag, 23. Februar, verhandelt. Weitere Einzelheiten zu den Fällen in der Ankündigung der Verhandlungen beim Bundesgerichtshof.
12.11.2020 Schlappe für Daimler vor dem Oberlandesgericht Köln: Der Hersteller muss den Besitzer eines Wohnmobils vom Typ Mercedes Benz 250 Marco Polo entschädigen. Er hatte den nach der Norm Euro 6 zugelassenen Wagen 2017 erhalten. Es liege wie bei VW eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vor, urteilten die Kölner Richter. Das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg hatte die Motorsteuerung wegen verschiedener Mechanismen zur Verringerung der Abgasreinigung als illegal beanstandet und es sei davon auszugehen, dass der Hersteller sie bewusst und gewollt eingesetzt und Käufer der Autos damit sittenwidrig geschädigt habe, begründeten die Richter ihr Urteil. Die Daimler-Anwälte hatten argumentiert: Der Bescheid aus Flensburg sei rechtswidrig. Das Unternehmen habe Widerspruch eingelegt. Die Motorsteuerung sei nicht zu beanstanden. Allerdings: Daimler legte nur eine mit umfangreichen Schwärzungen versehene Version des Bescheids ohne Anlagen vor und berief sich auf Betriebsgeheimnisse. Das reiche nicht, um die Vorwürfe zu entkräften, erklärten die Richter in Köln zur Begründung ihres Urteils. Weitere Einzelheiten und Hintergründe zum Fall im Bericht auf der Homepage der Rechtsanwälte.
Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 05.11.2020
Aktenzeichen: 7 U 35/20 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter: Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwälte, Lahr
Rechtsanwalt Dr. Ralf Stoll hofft nach dem Erfolg seiner Kanzlei in Köln, dass auch der Bundesgerichtshof in Karlsruhe Daimler in der Pflicht sieht, Mercedes-Käufer zu entschädigen. Der verhandelt am Montag, 14. Dezember 2020, über die Klage eines Autokäufers auf Schadenersatz. Es handelt sich allerdings um einen älteren nach Euro 5 zugelassenen Wagen, für den das Kraftfahrtbundesamt keinen Rückruf angeordnet hat.
30.09.2020 Erstmals hat das nur wenige Kilometer von der VW-Konzernzentrale entfernte Oberlandesgerichts Braunschweig VW gestern zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verurteilt. Das berichtet Rechtsanwalt Claus Goldenstein.“Das ist ein symbolträchtiges Urteil. Der Dieselskandal holt Volkswagen nach fünf Jahren endlich auch zu Hause juristisch ein. Das macht den Weg frei für Verbraucherklagen aus ganz Europa”, kommentiert er das Urteil.
Das Urteil ist bereits rechtskräftig. Das Oberlandesgericht sah nach den bisherigen Grundsatzurteilen des Bundesgerichtshof keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf mehr und ließen die Revision nicht zu. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht zulässig, da es um einen bereits 2009 gebauten VW Passat ging und das Urteil VW daher weniger als 20 000 Euro kostet.
Bis zum Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs im Mai 2020 hatten die Gerichte in Braunschweig Abgasskandal-Klagen gegen VW regelmäßig abgewiesen. Goldenstein vermutet: Grund dafür könnte auch die Furcht vor einer Prozesslawine gewesen sein.
Oberlandesgericht Braunschweig, Urteil vom 29.09.2020
Aktenzeichen: 7 U 337/18
Klägervertreter: Goldenstein & Partner Rechtsanwälte, Potsdam
25.09.2020 Richter, die selbst ein Skandalauto fahren und darüber nachdenken, ob sie vom Hersteller Schadenersatz fordern, sind in Abgasskandalstreitigkeiten befangen. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden. Es ging um Johannes Gode, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf. Bei seinem dritten Zivilsenat landete die Berufung eines Mercedes-Besitzers gegen ein Urteil des Landgerichts Duisburg, wonach ihm kein Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Steuerung zusteht. Gode selbst fährt ebenfalls einen Mercedes mit Dieselmotor, für den das Kraftfahrtbundesamt die Installation einer neuen Motorsteuerung angeordnet hat. Er denkt darüber nach, Daimler als Hersteller ebenfalls auf Schadenersatz zu verklagen und lässt sich von einem Vertragsanwalt des ADAC beraten. Als das Verfahren bei seinem Senat landete, zeigte er das als möglichen Befangenheitsgrund selbst an. Seine Kollegen entschieden: Gode ist nicht befangen.
Doch der Bundesgerichtshof kassierte die Entscheidung auf die Beschwerde von Daimler hin. Gode ist doch befangen, meinen die Bundesrichter in Karlsruhe. Das Oberlandesgericht muss über die Mercedes-Klage jetzt ohne ihn entscheiden. Es komme nicht darauf an, ob ein Richter tatsächlich voreingenommen ist. Befangenheit liegt schon vor, wenn aus Sicht der Parteien die Besorgnis besteht, er könne wegen eigener Betroffenheit nicht vollkommen unparteiisch sein.
Sobald ein Richter ernsthaft in Betracht zieht, wegen einer dem zu entscheidenden Fall gleich gelagerten Sache Schadenersatz zu fordern, liege die Vermutung nahe: Eigene Interessen beeinflussen das Verfahren. test.de kommentiert: Im Umkehrschluss folgt daraus: Der bloße Besitz eines Autos mit illegaler Motorsteuerung führt nicht zur Befangenheit. Vorteil also für die Autoindustrie: Sie kann Richter, die selbst Schadenersatz fordern, als befangen ablehnen. Abgasskandalopfer dagegen müssen es sich gefallen lassen, wenn über ihre Klage Richter entscheiden, die selbst in der gleichen Situation wie der Kläger keinen Schadenersatz fordern.
Sowohl VW als auch Daimler haben bereits mehrere verbraucherfreundliche Richter mit Befangenheitsanträgen aus Abgasskandalverfahren herausgedrängt. Demgegenüber kennt test.de keinen einzigen Fall, in dem ein industriefreundlicher Richter für befangen erklärt worden ist. Informationen zu weiteren Fällen auf der Homepage von Stoll & Sauer Rechtsanwälte.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.07.2020
Aktenzeichen: VI ZB 95/19
Klägervertreter: Rechtsanwälte Steinebach & Kollegen, Oberhausen
23.09.2020 Erstmals hat ein Oberlandesgericht Daimler zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verurteilt. Es ging um einen Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4Matic von 2013, den der Kläger im September 2014 gebraucht in einer Niederlassung der Daimler AG erworben hatte. Es war mit einem Motor des Typs OM651, Schadstoffklasse Euro 5, ausgestattet. Das Kraftfahrtbundesamt hat 2019 angeordnet, dass Daimler eine neue Motorsteuerung entwickeln muss. Springender Punkt in dem Verfahren: Unter Bedingungen, wie sie bei den Prüfstandversuchen für die Ermittlung des Schadstoffausstoßes für die Typzulassung herrschen, bleibt die Kühlmitteltemperatur gering. Dadurch erwärmt sich das Motoröl langsam und sorgt die Abgasreinigung für einen Stickoxid-Ausstoß unterhalb der damals gültigen Grenzwerte. Im Fahrbetrieb dagegen heizt sich das Kühlmittel schneller auf und stoßen Motoren mit dieser Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung meist erheblich mehr giftiges Stickoxid aus. Daimler hatte das bestritten. Es gebe keine Prüfstandserkennung. Das Gericht war der Meinung: Daimler habe nicht überzeugend erklärt, wieso die Motorsteuerung aus Sicht des Unternehmens legal war oder zumindest, warum es sie für legal halten durfte. Der Konzern hatte ein Schreiben des Kraftfahrtbundesamt unter Berufung auf Betriebsgeheimnisse gar nicht und ein weiteres nur mit Schwärzung wesentlicher Passagen vorgelegt. Es sei daher davon auszugehen, dass die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung eine illegale Abschaltung der Abgasreinigung darstelle.
Allerdings: Das ausführlich und sorgfältig begründete Urteil ist direkt nur auf gut 50 000 Autos übertragbar. Das Gericht lässt in der Urteilsbegründung erkennen, dass für Autos mit verschiedenen anderen Varianten der Daimler-Motorsteuerung mit Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, die das Kraftfahrtbundesamt wegen der Einhaltung der Schadstoffgrenzwerte auch bei höheren Kühlmitteltemperaturen ausdrücklich als legal beurteilt hatte, anders zu entscheiden sein dürfte.
Oberlandesgericht Naumburg, Urteil vom 18.09.2020
Aktenzeichen: 8 U 8/20 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter: Von Rüden Partnerschaft von Rechtsanwälten, Berlin
22.09.2020 Heute vor genau fünf Jahren erklärte VW: „Volkswagen treibt die Aufklärung von Unregelmäßigkeiten einer verwendeten Software bei Diesel-Motoren mit Hochdruck voran. (...) Volkswagen duldet keinerlei Gesetzesverstöße. Oberstes Ziel des Vorstands bleibt es, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen und Schaden von unseren Kunden abzuwenden.“
Unterdessen ist die juristische Aufarbeitung des Skandals immer noch nicht abgeschlossen. Gerade kamen zwei Verwaltungsgerichte entgegen der Ansicht des Kraftfahrtbundesamts zum Ergebnis: Autos mit illegaler Motorsteuerung hätten sofort aus dem Verkehr gezogen werden müssen.
Es ging jeweils um Autos der Marke Skoda. Deren Typgenehmigung hatte die britische Vehicle Certification Agency erteilt. Anders als das für VW zuständige deutsche Kraftfahrtbundesamt hat die britische Behörde keinen Rückruf angeordnet und auch nicht die Genehmigung geändert.
Vor beiden Verwaltungsgerichten forderten Skoda-Besitzer per Eil-Verfahren eine neue Tüv-Plakette. Die verweigerten ihnen die Prüfer, weil sie die von VW neu entwickelte Motorsteuerung nicht hatten installieren lassen. Auch bei den Verwaltungsrichtern blitzten sie ab. Begründung der Verwaltungsrichter in Mainz: Die illegale Abschaltung der Abgasreinigung sei unabhängig von der Typgenehmigung ein Mangel. Es dürfe deshalb keine Prüfplakette erteilt werden.
Verwaltungsgericht Mainz, Beschluss vom 10.09.2020
Aktenzeichen: 3 L 513/20MZ (nicht rechtskräftig)
Zum gleichen Ergebnis kommt das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht – mit jedoch ganz anderer Begründung: Die britische Typgenehmigung sei grundsätzlich weiter wirksam und legalisiere eigentlich den Betrieb des Skoda Yeti, um dessen Prüfplakette es in Schleswig ging. Allerdings wusste die Typzulassungsbehörde nichts von der illegalen Abschaltung der Abgasreinigung. Die Typzulassung erfasse sie daher nicht und erscheine sie wiederum als erheblicher Mangel, der die Erteilung einer Tüv-Plakette ausschließe.
Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 07.09.2020
Aktenzeichen: 3 B 92/20 (nicht rechtskräftig)
Im Streit um die Stilllegung von nicht nachgerüsteten Skandalautos hatten die Verwaltungsgerichte bisher einhellig die Auffassung des Kraftfahrtbundesamts bestätigt: Die Typgenehmigung blieb danach trotz der illegalen Abschaltung der Abgasreinigung wirksam. Erst durch die Änderung des Bescheids wurden die Skandalautos illegal und blieben es, wenn die Besitzer nicht die von VW entwickelte neue Motorsteuerung installieren ließen.
Außerdem interessant am Skandaljahrestag: Soweit bekannt erstmals urteilte ein Gericht über Hemmung der Verjährung durch die Anmeldung von Rechten zur Musterfeststellungsklage: Die Verjährung stoppte mit der Erhebung der Klage am 1. November 2018 durch den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und nicht erst mit der Anmeldung der Rechte, entschied das Landgericht Limburg. So legt es der Gesetzeswortlaut nahe und so hatten es praktisch alle Rechtswissenschaftler gesehen. Die VW-Anwälte waren allerdings anderer Meinung.
Landgericht Limburg an der Lahn, Urteil vom 08.09.2020
Aktenzeichen: 2 O 284/19 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter: Wietbrok Rechtsanwälte, Hamburg
Noch ein verbraucherfreundliches Urteil zur Verjährung: Das Landgericht Stuttgart hielt die Schadenersatzforderung eines Tiguan-Besitzers für noch nicht verjährt, obwohl er erst im Jahr 2020 Klage erhoben und nicht an der Musterfeststellungsklage teilgenommen hatte. Der Verjährung begann nach Auffassung von Vorsitzendem Richter am Landgericht Andreas Patschke erst, als der Kläger im Jahre 2017 erfuhr, dass die Behörden seinen Wagen stillegen und er keinen neuen Tüv bekommt, wenn der Kläger nicht die von VW auf Geheiß des Kraftfahrtbundesamts neu entwickelte Motorsteuerung („Update“) installieren lässt. VW habe nicht dargelegt, dass der Kläger bereits vorher von allen wesentlichen Umständen erfuhr oder hätte erfahren müssen. Die Sittenwidrigkeit beruhe nicht allein auf dem 2015 bekannt gewordenen erhöhten Ausstoß an Stickoxid gegenüber den Prüfstandsversuchen, sondern auf der Gefahr, dass die Behörden den Wagen aus dem Verkehr ziehen. Einzelheiten zum Fall auf der Homepage der Rechtsanwälte.
Landgericht Stuttgart, Urteil vom 14.09.2020
Aktenzeichen: 3 O 238/20 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter: Rechtsanwälte Aslanidis, Kress & Häcker-Hollmann, Stuttgart
14.09.2020 Das Landgericht Gera hat sein Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg (s. u., 06.09.2019) ohne Zustimmung des Klägers gestoppt. Rechtsanwalt Torsten Schutte berichtet: VW zahlte alles, was der Kläger gefordert hatte, und teilte dies dem Landgericht Gera mit. Damit sei alles erledigt, einschließlich des Verfahrens in Luxemburg, meinte der Konzern. Am Landgericht Gera hatte inzwischen die Besetzung der für den Fall zuständigen 7. Kammer gewechselt. Die jetzt dort tätigen Richter beschlossen daraufhin sofort, das Vorabentscheidungsersuchen in Luxemburg zurückzunehmen. Dagegen legte der Kläger sofortige Beschwerde ein. Gleichzeitig beantragte er beim Oberlandesgericht in Thüringen, den Vollzug des Beschluss auszusetzen. Trotzdem übermittelte das Landgericht seinen Beschluss nach Luxemburg. „Das ist aus meiner Sicht ein Justizskandal“, schimpfte Rechtsanwalt Torsten Schutte. Gerichte dürfen Verfahren nur als erledigt behandeln, wenn beide Parteien einverstanden sind.
Der Europäische Gerichtshof sollte klären, ob Autohersteller wegen der Lieferung von Autos mit illegaler Motorsteuerung nicht nur wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, sondern auch wegen der Verletzung der EU-Zulassungsregeln Schadenersatz zahlen müssen. Die Autoindustrie müsste dann wegen zahlreicher weiterer Modelle Schadenersatz zahlen. Kläger hätten gute Chancen, Schadenersatz ohne Abzug einer Entschädigung wegen der mit dem Wagen gefahrenen Kilometer zu bekommen.
Auch ein weiteres, vom Landgericht Frankenthal in Luxemburg vorgelegtes Verfahren zum gleichen Thema (s. u., 06.09.2019) ist gestoppt. Der Hintergrund dort ist unklar. test.de hat beim Klägervertreter nachgefragt, aber bisher keine Antwort erhalten. Wahrscheinlich hat VW den Kläger dort ebenfalls ausgezahlt und ist dieser einverstanden damit, das Verfahren zu beenden.
11.09.2020 Myright.de bietet Kunden an, von den Sammelklagen des Unternehmens zu einer Individualklage zu wechseln. Das bestätigte Financialright-Geschäftsführer Sven Bode test.de gegenüber. Es sei klar geworden, dass sich die Myright.de-Klagen, denen das Unternehmen die Forderungen von insgesamt rund 45 000 VW-Skandalopern gesammelt geltend macht, wegen Verzögerung der Verfahren beim überlasteten Landgericht Braunschweig sowie des fortdauernden Widerstands von VW noch etliche Jahre hinziehen können, bis sie rechtskräftig entschieden sind. Empfehlenswert ist der Ausstieg aber nur für Myright-Kunden, deren Wagen noch nicht zu viele Kilometer gefahren sind. Außerdem sollten sie die Verjährung etwa durch von Myright.de seinerzeit empfohlene Anmeldung der Rechte zur Musterfeststellungsklage gestoppt haben. Solchen Kunden bietet Myright zusätzlich an, die Individualklage zu finanzieren. Dafür sind am Ende 20 Prozent Provision auf das fällig, was VW gegen Rückgabe des Wagens zahlt, oder 30 Prozent der Summe, die VW zahlt, ohne dass der Wagen zurückgegeben werden muss.
Zu beachten: Myright-Kunden gehen beim Ausstieg aus den Sammelklagen auch die bisher aufgelaufenen Prozesszinsen auf ihre Forderung verloren. Allein das macht je 10 000 Euro Forderung und seit Klageerhebung vergangenem Jahr 412 Euro aus.
11.09.2020 Dr. Marcus Hoffmann und Mirko Göpfert von Hoffmann & Partner Rechtsanwälte in Nürnberg berichten: VW hat in einem Verfahren vor dem Landgericht Kiel die Einrede der Verjährung fallen gelassen, nachdem das Gericht in der mündlichen Verhandlung signalisiert hatte: Das Unternehmen hafte jedenfalls auf den so genannten Restschadenersatz nach § 852 des Bürgerlichen Gesetzbuches, der unabhängig von der normalen Verjährung zehn Jahre lang durchsetzbar ist (s. u. unter 20.07.2020). test.de vermutet: Der Konzern will eine solche Verurteilung verhindern, damit nicht VW-Skandalopfer, die bisher noch nichts unternommen haben, doch noch wieder Mut schöpfen und jetzt noch vor Gericht ziehen. Rechtlicher Hintergrund: Verjährung ist nur Thema, wenn sich ein Beklagter darauf beruft. Wird die Einrede der Verjährung nicht erhoben oder wieder fallengelassen, beurteilt das Gericht den Fall ohne Berücksichtigung der Verjährung, so dass VW in dem Kieler Fall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entsprechend der Vorgaben des Bundesgerichthof verurteilt werden wird, obwohl die Klage erst im Jahr 2020 eingereicht wurde. Weitere Einzelheiten auf der Homepage der Kanzlei.
09.09.2020 Ex-VW-Vorstandsvorsitzender Martin Winterkorn und vier weitere damals bei VW-Verantwortliche stehen jetzt unter Anklage. Das Landgericht Braunschweig hat das Hauptverfahren wegen des Verdachts auf zahlreiche Straftaten, darunter das Verbrechen des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs, eröffnet. Allein darauf stehen Freiheitsstrafen zwischen einem und zehn Jahren. Hinzu kommen womöglich noch Steuerhinterziehung und strafbare Werbung. Das Gericht hat damit die Anklage noch verschärft. Die Staatsanwälte sahen nur den Verdacht auf einen besonders schweren Fall des Betrugs. Das ist anders als der gewerbs- und bandenmäßige Diebstahl ein Vergehen und kein Verbrechen. Wann die öffentliche Hauptverhandlung beginnt, steht noch nicht fest. Das Landgericht hatte bereits weitere Ermittlungen angeordnet, die noch nicht abgeschlossen sind. Weitere Einzelheiten in der Pressemitteilung des Landgerichts.
09.09.2020 Rechtsanwälte Dr. Sincar & Basun berichten: Die Audi AG hat soweit bekannt erstmals eine Verurteilung zu Schadenersatz wegen eines Wagens mit 3.0-TDI-Motor vom Typ EA896 rechtskräftig werden lassen. Es ging um einen Audi A5 Sportback 3.0. Laut Landgericht Wuppertal ist die Motorsteuerung illegal und durfte Audi die illegale Verringerung der Abgasreinigung nicht verschweigen. Über die Hintergründe ist nichts bekannt. test.de hält für unwahrscheinlich, dass die Audi AG sich mit entsprechenden Urteilen abgefunden hat und Besitzer der Autos nun entschädigt, ohne Rechtsmittel einzulegen.
Landgericht Wuppertal, Urteil vom 16.07.2020
Aktenzeichen: 4 O 31/20 (rechtskräftig)
Klägervertreter: Kanzlei Dr. Sincar & Basun, Düsseldorf
07.09.2020 Rechtsanwälte Dr. Stoll & Sauer berichten: Erstmals hat ein Gericht die auf Geheiß des Kraftfahrtbundesamt entwickelte neue Motorsteuerung für Skandalautos ebenfalls als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung beurteilt. Die Richter am Landgericht Dortmund urteilten: VW muss den Besitzer eines Audi A4 entschädigen. Er hatte den Wagen im Juli 2016 gebraucht gekauft. Auch die neue Motorsteuerung („Software-Update“) enthalte ein so genanntes „Temperaturfenster“. Sie reduziere die Abgasreinigung unterhalb von 17 und oberhalb von 33 Grad Lufttemperatur. Das sei illegal. Weitere Einzelheiten zum Urteil in der Pressemitteilung der Rechtsanwälte.
Tatsächlich spricht auch aus Sicht der Juristen bei test.de viel dafür, dass auch die neue VW-Steuerung – genau wie die anderer Hersteller – nicht den EU-Vorgaben genügt. Allerdings: Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung ist Autoherstellern nur vorzuwerfen, wenn sie korrekte Abgasreinigung nur vortäuschten und bewusst illegale Autos lieferten. Soweit sie ihre Motorsteuerung dem Kraftfahrtbundesamt im Typzulassungsverfahren korrekt beschrieben haben und die Behörde sie billigte, durften sich Hersteller nach Ansicht der Juristen bei test.de darauf verlassen, auch wenn sich das nun als rechtswidrig herausstellt.
Allerdings dürfte die erneut illegale Motorsteuerung wiederum ein Sachmangel sein und Käufer der Autos zum Rücktritt berechtigen. Das bringt Skandalautobesitzern aber nur selten was. Die Sachmangelrechte verjähren nämlich bereits zwei Jahre ab Kauf. Das gilt auch für Rechte wegen zunächst unbekannter Mängel.
Landgericht Dortmund, Urteil vom 28.08.2020
Aktenzeichen: 4 0 53/20 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter: Rechtsanwälte Stoll & Sauer, Lahr
31.08.2020 Der VW-Skandal beschert dem fürs Schadenersatzrecht zuständigen VI. Senat eine gewaltige Anzahl von Verfahren. Dietlind Weinland, Pressesprecherin beim Bundesgerichtshof, berichtet auf Anfrage von test.de: Ende Juli 2020 waren beim VI. Senat insgesamt rund 1 200 Verfahren anhängig. Seit August und verstärkt November 2019 landeten allein 900 bis 1 000 Schadenersatzklagen gegen VW in der Geschäftsstelle. Aktuell seien davon noch rund 800 anhängig. Rund 120 Verfahren erledigten sich bereits nach dem ersten VW-Grundsatzurteil von 25. Mai 2020. Vermutlich müssen die insgesamt neun Richter im VI. Senat nur in einem kleinen Teil der Verfahren noch aufwendige Urteile oder Beschlüsse erarbeiten. Verfahren, in denen es um Rechtsfragen geht, zu denen sich die Richter bereits geäußert haben, enden oft durch die Rücknahme der Revision, ein Anerkenntnis oder einen Vergleich auf Grundlage der bisherigen Ansagen der Bundesrichter. Gleichwohl steckt auch in solchen Verfahren noch viel Arbeit für die Richter, die wissenschaftlichen Mitarbeiter und die Beamten in der Geschäftsstelle. Jedes einzelne Verfahren müsse einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden, um allein schon beurteilen zu können, welche rechtliche Problematik im Vordergrund steht, erklärt Weinland.
31.08.2020 Rechtsanwälte Dr. Sincar & Basun berichten: Das Landgericht Krefeld hat – soweit bekannt erstmals seit Verkündung des Bundesgerichtshofsurteils von 30. Juli 2020 – VW verurteilt, wegen eines nach Bekanntwerden des Abgasskandals im September 2015 erworbenen VW Tiguan 2.0 TDI Schadenersatz an einen Mandanten der Kanzlei zu zahlen. Er hatte den Wagen etwa ein Jahr später als Neuwagen direkt bei VW gekauft.
Zu diesem Zeitpunkt, so das Landgericht Krefeld, konnte und durfte der Verbraucher darauf vertrauen, zumindest direkt bei der Volkswagen AG ein Fahrzeug mit legaler Motorsteuerung zu erhalten. Die „Arglosigkeit“ des Verbrauchers war aus Sicht der Richter in Krefeld zum Zeitpunkt des Erwerbs wiederhergestellt.
Landgericht Krefeld, Urteil vom 19.08.2020
Aktenzeichen: 2 O 541/19 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter: Kanzlei Dr. Sincar & Basun, Düsseldorf
Von Rueden Rechtsanwälte ergänzen: Bereits am 14. August 2020 hat das Landgericht Mönchengladbach VW dazu verurteilt, Schadenersatz wegen eines Seat mit illegaler Motorsteuerung zu zahlen, der ebenfalls erst nach September 2015 erworben worden war. Zwar ist Seat eine Tochtergesellschaft des Volkswagenkonzerns, aber es sei nicht naheliegend, dass die gleichen Motorentypen verbaut wurden. Zudem sei einem durchschnittlichen Verbraucher die Motorbezeichnung EA 189 zu Beginn des Abgasskandals unbekannt gewesen. Es ließen sich keine Rückschlüsse auf die Betroffenheit der Marke Seat ziehen, erklärte die Richter in Mönchengladbach. Anders als im vom Bundesgerichtshof am 30. Juli 2020 entschiedenen Fall sei der Käufer arglos gewesen. Weitere Einzelheiten auf der Homepage der Rechtsanwälte.
Landgericht Mönchengladbach, Urteil vom 14.08.2020
Aktenzeichen: 11 O 432/19 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter: Von Rueden Rechtsanwälte, Berlin
21.08.2020 VW-Skandal-Klägern stehen mehr Verzugs- und/oder Prozesszinsen zu, als die Instanzgerichte ihnen bisher zugesprochen haben. Das ergibt sich aus der heute veröffentlichten Begründung zu einem der Urteile von 30.07.2020, Nachweis siehe unten. Die Gerichte müssen anhand des jeweiligen Kilometerstands für jeden Tag einzeln ermitteln, wie viel Geld VW zusätzlich zahlen muss. Bisher haben die Gerichte Verzugs- oder Prozesszinsen in der Regel nur auf die Entschädigung bewilligt, die mit dem Kilometerstand ganz am Ende des Verfahrens errechnet worden ist. Es geht im Einzelfall um etliche Tausend Euro. Einzelheiten zu den Verzugs- oder Prozesszinsen und ihrer Berechnung in der Antwort auf die Frage „Wie viele Zinsen muss mit der Hersteller eines Autos mit illegaler Motorsteuerung zahlen, wenn er am Ende verurteilt wird, mich zu entschädigen?“.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.07.2020
Aktenzeichen: VI ZR 397/19
Klägerinvertreter: Hahn Rechtsanwälte, Bremen
19.08.2020 Auch bei Benzin-Motoren mit Direkteinspritzung („TFSI“) trickste der VW-Konzern offenbar illegal. tagesschau.de berichtet: In einem Rechtsstreit wegen eines Audi Q5 von 2015 mit Zwei-Liter-TFSI-Motor, angeblich schadstoffarm nach der Norm Euro 6 fand der vom Gericht bestellte Gutachter heraus: Der Ausstoß an Stickoxid und Kohlenmonoxid steigt, wenn der Fahrer des Wagens am Lenkrad dreht. Experten sehen das als eindeutigen Hinweis auf eine so genannte Prüfstandserkennung. Bei den Prüfstandsversuchen zur Ermittlung des Schadstoffausstoßes für die Typzulassung wird das Lenkrad nicht bewegt. Sobald das Lenkrad bewegt wird, steht also fest: Der Wagen ist nicht im Prüfstand. Offenbar trimmten die Audi-Ingenieure die Motorsteuerung für diesen Fall auf Leistung und Effizienz und verringerten die Abgasreinigung – genau wie bei den Diesel-Motoren vom Typ EA189, die im Mittelpunkt des Abgasskandals stehen.
Laut tagesschau.de erhärten interne VW-Unterlagen, die Reportern des Südwestrundfunks (SWR) zugespielt wurden, den Verdacht auf illegale Manipulationen auch bei Benzin-Motoren. Weder der VW-Konzern noch Verkehrsministerium und Kraftfahrtbundesamt äußerten sich bisher zu den Unterlagen und den auffälligen Messwerten des Gerichtsgutachters.
Ausführlich bei tagesschau.de: Manipulation auch bei Audi-Benzinern?
13.08.2020 Der Abgasskandal geht in die nächste Runde. Jetzt geht es um die VW-Motoren vom Typ EA288. Sie sind die Nachfolger des Skandalmotors EA189. Das Kraftfahrtbundesamt hat sie bisher nicht zurückgerufen, obwohl sicher ist, dass die Motorsteuerung verschiedene Mechanismen zur Abschaltung oder Verringerung der Abgasreinigung enthält. Rechtsanwalt Andreas Schwering berichtet jetzt: Das Oberlandesgericht Celle hat beschlossen, umfangreich Beweis zu erheben über die Reichweite der vom Kraftfahrtbundesamt erteilten Typgenehmigung. Das Gericht will wissen, welche Mechanismen VW der Behörde gegenüber überhaupt offengelegt hat.
Rechtlicher Hintergrund: Soweit VW illegale Mechanismen zur Verringerung der Stickoxidreduktion im Genehmigungsantrag erneut nicht genannt hat, liegt der Verdacht nahe: Der Konzern hat auch Käufer von Autos mit EA288-Motoren vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt. Wussten dagegen die Beamten in Flensburg Bescheid und haben gleichwohl die Typgenehmigung erteilt, dann muss VW wohl nicht erneut Schadenersatz zahlen.
Das gilt auch dann, wenn sich die Motorsteuerung trotz des Plazet aus Flensburg als illegal erweist. Nach dem strengen Votum von EU-Generalanwältin Sharpston zum Abgasskandal (s. u., 30.04.2020) ist sehr wahrscheinlich: Auch die Motorsteuerungen für Euro 6-Diesel - sowohl von VW als auch allen anderen Herstellern - dürften fast ausnahmslos illegal sein.
Weitere Einzelheiten in dem Original-Bericht von Rechtsanwalt Andreas Schwering.
Oberlandesgericht Celle, (Beweis-)Beschluss vom 14.07.2020
Aktenzeichen: 7 U 532/18
10.08.2020 Schadenersatzansprüche von Teilnehmern der Musterfestellungsklage verjähren womöglich bereits im November oder Dezember. Details in der Antwort auf die Frage: „Wie lange habe ich Zeit für die Schadenersatzforderung?“ auf der Seite zur VW-Klage in test.de/musterklagen
07.08.2020 Rechtsanwälte Stoll & Sauer haben beim Landgericht Freiburg die soweit bekannt erste Schadenersatzklage wegen illegaler Motorsteuerung gegen Fiat Chrysler Automobiles (FCA) erhoben. Es geht um ein „Adria Twin“-Wohnmobil auf Basis eines Fiat Ducato 2.3 Diesel von 2012. Bei ihm schalte die Motorsteuerung die Abgasreinigung immer nach genau 22 Minuten vollständig ab, heißt es in der Klageschrift. Hintergrund: Die Prüfstandversuche zur Ermittlung des Schadstoffausstoßes dauern rund 20 Minuten und sind nach 22 Minuten in jedem Fall beendet. Der amerikanisch italienische Autokonzern soll Besitzern von betroffenen Autos genau wie VW Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zahlen. Möglich wurde die Klage in Deutschland, nachdem der Europäische Gerichtshof entschieden hatte: Besitzer von ausländischen Skandalautos können vor heimischen Gerichten klagen. Einzelheiten zur Verstrickung von Fiat in den Abgasskandal und zur ersten Klage in Deutschland auf der Homepage der Rechtsanwälte.
31.07.2020 Nach den gestern verkündeten neuen Grundsatzurteilen des Bundesgerichtshofs zum Abgasskandal steht fest: Es hat sich für VW gelohnt, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen und so fast fünf Jahre Zeit zu gewinnen. Jeder mit Skandalautos gefahrene Kilometer reduziert den Schadenersatz und sichert dem Unternehmen trotz der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung der Verbraucher seinen Gewinn.
„Die VW-Strategie ist aufgegangen“, kommentiert die Legal Tribune Online den vorläufigen Abschluss des Abgasskandals dementsprechend.
Professor Michael Heese, Leiter des Projekts Abgasskandal im Fachbereich Jura der Universität Regensburg, übt scharfe Kritik am Bundesgerichtshof. Er hält vor allem die Verweigerung der Verzinsung des Kaufpreises und die Anrechnung des Nutzungsvorteils für falsch.
Immerhin: An Verjährung werden wohl nur wenige Abgasskandalopfer scheitern. Zwar sind die meisten Schadenersatzansprüche inzwischen verjährt. Es bleibt aber nach Auffassung einiger Gerichte und vieler Verbraucheranwälte der so genannte „Restschadensersatzanspruch“ nach § 852 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der erst nach zehn Jahren verjährt und der jedenfalls einem großen Teil der Geschädigten alles bringt, was sie laut Bundesgerichtshof ohne Verjährung zu erhalten haben.
30.07.2020 So hatte es sich bereits abgezeichnet: VW-Skandal-Opfer gehen leer aus, wenn ihr Wagen die insgesamt von ihm zu erwartende Laufleistung bereits absolviert hat. So hat es der Bundesgerichtshof entschieden. Welche Laufleistung von dem jeweiligen Wagen zu erwarten ist, entscheiden die Instanzgerichte. Sie gehen meist von 250 000 Kilometern aus. Vor allem bei größeren Autos setzen sie auch schon mal 300 000 Kilometer an.
Gleichzeitig urteilten die Richter in Karlsruhe: Opfer des VW-Skandals erhalten keine Zinsen auf den Kaufpreis zusätzlich. Es bleibt bei der Erstattung des Kaufpreises abzüglich Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilometer. Etliche Oberlandesgerichte hatten das anders gesehen und in dieser Frage verbraucherfreundlich geurteilt.
Bundesgerichtshof, Urteile vom 30.07.2020
Aktenzeichen: VI ZR 354/19 und VI ZR 397/19
Ebenfalls nicht mehr überraschend: Auch Skandalauto-Besitzer, die ihren Wagen erst nach Bekanntwerden des Skandals am 22. September 2015 erworben haben, gehen leer aus. Begründung der Bundesrichter: Die Informationen von VW waren zumindest dazu geeignet, Verbraucher Verdacht schöpfen zu lassen. Sie waren deshalb bei Kauf nicht mehr arglos und relativieren sich die Vorwürfe gegen VW soweit, dass dem Unternehmen keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung mehr vorzuwerfen ist.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.07.2020
Aktenzeichen: VI ZR 5/20
28.07.2020 Schlechte Nachrichten für viele VW-Skandal-Opfer: Die Richter am Bundesgerichtshof haben bei den beiden Verhandlungen heute übereinstimmenden Berichten zufolge durchblicken lassen, dass aus ihrer Sicht weder VW-Besitzer, die ihren Wagen erst nach September 2015 erworben haben, Anspruch auf Schadenersatz haben, noch VW-Skandalopfer auf die Verzinsung des Kaufpreises hoffen können.
21.07.2020 Rechtsanwalt Claus J. Goldenstein berichtet: Keine Überraschung in Karlsruhe. Der VI. Senat bestätigte in zwei mündlichen Verhandlungen heute seine Rechtsauffassung, dass VW Käufer von Skandalautos vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt hat. Er wird Urteile des Land- und des Oberlandesgerichts Braunschweig aufheben, mit denen die Richter dort Klagen gegen VW abwiesen. Der Bundesgerichtshof bleibt dabei: Der Konzern muss den Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung erstatten. Im Gegenzug müssen Käufer den Wagen zurückgeben. Urteile fielen heute noch nicht. Die wird der Bundesgerichtshof erst in den nächsten Wochen verkünden. Weitere Einzelheiten im Bericht des RWS-Verlags.
20.07.2020 Rechtsanwalt Dr. Marcus Hoffmann berichtet: Das Landgericht Kiel glaubt auch, dass VW-Skandalopfern über die normale Verjährung hinaus der so genannten Restschadensersatzanspruch zusteht. VW-Reaktion auf den entsprechenden Hinweis in der mündlichen Verhandlung: Die VW-Anwälte ließen die Einrede der Verjährung fallen. Rechtliche Folge: Die Verjährung ist dem Verfahren kein Thema mehr. test.de vermutet: Sinn und Zweck des Manövers ist es zu verhindern, dass das Landgericht sich in der Urteilsbegründung verbraucherfreundlich zum Restschadenersatzanspruch äußert. Damit erhöht sich für den Autokonzern auch die Chance, dass der Bundesgerichtshof sich nicht so bald verbraucherfreundlich äußert und so Betroffene dazu motiviert, ihre Rechte doch noch geltend zu machen. Denn immer noch haben schätzungsweise deutlich über eine Million Autobesitzer nicht den Schadenersatz gefordert, der ihnen nach den Ansagen des Bundesgerichtshof zusteht.
Landgericht Kiel, Hinweis vom 02.07.2020
Aktenzeichen: 17 O 124/20
Klägervertreter: Rechtsanwalt Dr. Marcus Hoffmann, Nürnberg
09.07.2020 Klare Ansage des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg: Ein Autohersteller, dessen widerrechtlich manipulierte Fahrzeuge in anderen Mitgliedstaaten verkauft werden, kann vor den Gerichten dieser Staaten verklagt werden. Der jeweilige Schaden verwirkliche sich in dem Mitgliedstaat, in dem der Wagen mit der illegalen Motorsteuerung erworben wird, argumentierte das Gericht. Der österreichische Verein für Konsumenteninformation (VKI) klagt vor dem Landesgericht Klagenfurt gegen VW. Der Konzern soll 3 611 806 Euro an 574 österreichische Opfer des VW-Skandals zahlen, durch schnittlich also knapp 6 300 Euro pro Fall. VW war der Meinung: Verbraucher müssen nach den EU-Regeln über den allgemeinen Gerichtsstand in Deutschland klagen. Für Ersatzansprüche wegen unerlaubter Handlungen gelte nach EU-Recht ein besonderer Gerichtsstand, urteilte jetzt allerdings der EuGH. Solche Forderungen können auch dort geltend gemacht werden, wo der Schaden eingetreten ist, urteilte jetzt der EuGH. Mehr noch: Ein Autohersteller, der illegal manipulierte Autos in andere Mitgliedstaaten liefere, dürfe vernünftigerweise erwarten, dass er vor den dortigen Gerichten verklagt werde, schrieben die EU-Richter dem VW-Konzern ins Stammbuch. Er hat im vergangenen Jahr in Deutschland 1 364 000, in Europa 4 552 800 und weltweit 10 974 600 Autos ausgeliefert. Ausführlich: Die Pressemitteilung des Gerichts zum Urteil.
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 09.07.2020
Aktenzeichen: C-343/19
01.07.2020 Erste Erfahrungen mit Schadenersatzforderungen mit den test.de-Mustertexten: VW reagiert freundlich, aber unbestimmt, berichtet uns eine Leserin. Bei ihr habe das Unternehmen darauf verwiesen, dass die Forderung verjährt sein dürfte. Sie hatte ihre Schadenersatzforderung nicht zur Musterfeststellungsklage angemeldet. Nachdem Gerichte und Rechtswissenschaftler trotz Verjährung noch einen so genannten Restschadenersatzanspruch sehen (Details unter 22.06.2020) empfiehlt test.de in solchen Fällen, auf Schadenersatzforderungen zu bestehen und erneut an VW zu schreiben. Möglicherweise entscheidet der Bundesgerichtshof bereits in einem der VW-Skandal-Fälle, die am 21. und 28. Juli zur Verhandlung anstehen, über die Verjährung.
22.06.2020 Verbraucheranwälte, Rechtswissenschaftler und jedenfalls einzelne Gerichte sind der Meinung: VW ist auch bei Klageerhebung nach Ablauf der Verjährungsfrist zum Schadenersatz zu verurteilen. Rechtsanwälte Dr. Stoll & Sauer berichten: Das Amtsgericht Marburg hält die Regelung über den so genannten Restschadensersatz in § 852 des Bürgerlichen Gesetzbuches für anwendbar. Danach haften Schädiger auch über die Verjährung hinaus, soweit sie durch ihre Tat etwas erlangt haben.
Die Berliner Zivilrechtsprofessorin Susanne Augenhofer meint in der Zeitschrift Verbraucher und Recht: Das erfasst auch indirekt erworbenes Geld und damit die Beträge, die Händler für Skandalautos an VW gezahlt haben. Wenn sich die Rechtsauffassung durchsetzt, dann können Skandalautobesitzer Schadenersatzforderungen gegen VW durchsetzen, auch wenn sie noch nichts unternommen haben, um die Verjährung zu stoppen. Begrenzt ist der Restschadensersatzanspruch durch das Geld, das VW beim Verkauf des Wagens tatsächlich vom Händler erhalten hat. Das dürfte aber in den allermeisten Fällen ausreichen, um die Kaufpreiserstattung abzüglich Nutzungsersatz abzudecken.
Weitere Einzelheiten und rechtliche Hintergründe auf der Homepage der Rechtsanwälte. test.de vermutet: Prozessfinanzierer werden zügig Angebote entwickeln, wie VW-Skandalopfer ihre Forderungen trotz Verjährung noch bequem und ohne Prozesskostenrisiko durchsetzen können.
Amtsgericht Marburg, (Hinweis-)Beschluss vom 16.06.2020
Aktenzeichen: 9 C 891/19
Klägervertreter: Rechtsanwälte Dr. Stoll & Sauer, Lahr
19.06.2020 Der Streit um die ursprünglichen Skandalautos mit EA189-Motoren von VW neigt sich nach dem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs dem Ende zu. Vor den Gerichten geht es jetzt auch um später zugelassene Autos mit anderen Motoren. Soweit test.de bekannt hat jetzt erstmals ein Oberlandesgericht Audi wegen eines Wagens mit EA897evo-6 Zylinder-V-Motors mit 3.0 Litern Hubraum und Euro 6 zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verurteilt. Mehr zum Fall auf der Homepage der Rechtsanwälte.
Oberlandesgericht Koblenz, Urteil vom 05.06.2020
Aktenzeichen: 8 U 1803/19 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter: Hahn Rechtsanwälte, Bremen/Hamburg/Stuttgart
16.06.2020 Daimler muss weitere 170 000 Autos, 60 000 davon in Deutschland mit einer neuen Motorsteuerung ausrüsten. Das berichtet die Zeit. Es geht um von Dieselmotoren angetriebene Autos der A-, B-, C-, E- und S-Klasse, die nach der Norm Euro 5 als schadstoffarm gelten. Die Motorsteuerung funktioniert wie bei GLK-Modellen, die das Kraftfahrtbundesamt bereits im März beanstandet hatte (siehe Eintrag vom 24.06.2019). Daimler hält den Zwangsrückruf weiter für rechtswidrig und will sich juristisch wehren, aber die Autos gleichwohl mit einer neuen Motorsteuerung ausrüsten.
16.06.2020 Auch an das Land Rheinland-Pfalz muss VW Schadenersatz zahlen. Das Landgericht Mainz verurteilte VW in zunächst drei Fällen wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Eine weitere Klage wegen eines zunächst geleasten und erst später endgültig erworbenen Wagens wies das Gericht ab. Das Land hatte wegen insgesamt 121 Autos Klage erhoben (siehe Eintrag vom 24.01.2019). Die Einzelfälle jetzt hatte das Gericht vom Verfahren insgesamt abgetrennt, um die wichtigsten Rechtsfragen exemplarisch zu klären. Wie viel Geld VW an das Land zahlen soll, ist – noch jedenfalls – nicht bekannt.
Landgericht Mainz, Urteile vom 24.04.2020
Aktenzeichen: 2 O 22/19, 2 O 24/19 und 2 O 25/19 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter: Hahn Rechtsanwälte, Bremen
Einige weitere Einzelheiten im Bericht der Kanzlei.
08.06.2020 Das Landgericht Bonn hat geurteilt: VW muss genau 469 120,79 Euro Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung an die Stadt Bonn zahlen. Im Gegenzug muss die Stadt 27 Skandal-Autos an den VW-Konzern zurückgeben. Sie erhält allerdings zusätzlich vier Prozent Zinsen auf die Beträge jeweils ab Bezahlung der Autos vor fünf bis sieben Jahren, so dass VW deutlich über 100 000 Euro zusätzlich zahlen muss, wenn der Bundesgerichtshof im Juli die Pflicht zur Verzinsung des Kaufpreises bestätigt und das Urteil aus Bonn rechtskräftig wird. Die Kosten für die Umrüstung der Autos für die Zwecke der Stadt muss VW allerdings nicht bezahlen. Die wären auch entstanden, wenn die Stadt Autos mit legaler Motorsteuerung erhalten hätte, argumentierte das Gericht.
Das Handelsblatt schreibt dazu: „Bundesländer ließen im Dieselskandal Millionen liegen“. Die allermeisten der 20 größten Kommunen und aller 16 Länder hätten darauf verzichtet, Schadenersatzansprüche gegen VW durchzusetzen. Knapp 70 Millionen Euro hätte VW nach Schätzungen des Handelsblatts für die rund 4 000 Skandal-Dienstwagen aus dem VW-Konzern zahlen müssen.
Rechtlich ist das heikel für die verantwortlichen Justiziare und Minister. Laut Haushaltsrecht dürfen sie nicht einfach auf Einnahmen verzichten. Allerdings: Zumindest einzelne Kommunen und Länder klagten gegen VW, ohne das bekannt zu machen. Einzelne Rechtsanwälte berichteten test.de, dass ihre Mandanten sie angewiesen haben, nichts über die Fälle verlauten zu lassen.
Landgericht Bonn, Urteil vom 20.05.2020
Aktenzeichen: 1 O 481/18 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter: Rogert & Ulbrich Rechtsanwälte, Düsseldorf
03.06.2020 Der Bundesgerichtshof befasst sich weiter mit dem Abgasskandal. Er kündigt an: Am Dienstag, 27. Oktober, verhandelt der fürs Recht der unerlaubten Handlungen zuständige VI. Senat über eine Klage auf Schadenersatz gegen die Daimler AG. Der Käufer eines angeblich nach der Norm Euro 5 schadstoffarmen Mercedes C 220 CDI von 2011 sieht sich vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt, weil die Abgasreinigung nur bei einer Lufttemperatur von mehr als sieben Grad Celsius funktioniert.
Das Landgericht Mainz und das Oberlandesgericht Koblenz hatten seine Klage abgewiesen. Es könne nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass den Verantwortlichen bei Daimler bewusst war, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Die Gesetzeslage sei hinsichtlich der Zulässigkeit von so genannten „Thermofenstern“ – anders als hinsichtlich der Prüfstandserkennung im VW-Motor EA189 – nicht eindeutig.
03.06.2020 Der Bundesgerichtshof teilt mit: Er verhandelt am Dienstag, 28. Juli, über eine weitere VW-Skandal-Schadenersatzklage. Es geht um einen erst im August 2016 fast ein Jahr nach Bekanntwerden des Skandals gekauften Wagen. Die Bundesrichter werden klären, ob VW die Öffentlichkeit und potenzielle Käufer von Skandal-Autos von September 2015 an ausreichend genau informiert hat, so dass der spätere Erwerb nicht mehr als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung erscheint.
02.06.2020 Inzwischen liegt auch die Urteilsbegründung zum Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs zu Schadenersatzansprüchen von Skandalautobesitzern vor. Die Richter kommen darin auch zum Ergebnis: Die Skandalautos entsprachen nicht der Typgenehmigung. Sie hätten niemals zugelassen werden dürfen. Kritik an den Verwaltungsgerichtsentscheidungen, wonach die Zulassung der Skandalautos trotz der Abweichung von der Typgenehmigung jeweils wirksam blieb, üben die Zivilrichter allerdings nicht.
25.05.2020 Mit seinem Grundsatzurteil heute hat der fürs Recht der unerlaubten Handlung zuständige VI. Senat des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe die vorherrschende Linie der Land- und Oberlandesgerichte bestätigt und endgültig Klarheit geschaffen: VW muss Käufern von Skandalautos Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zahlen. VW hat den Kaufpreis zu erstatten, darf aber eine Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilometer abziehen.
Senatsvorsitzender Stephan Seiters formulierte in der kurzen mündlichen Begründung fürs Urteil sehr deutlich: VW habe das Kraftfahrtbundesamt bei der Typzulassung der Autos mit EA 189-Motoren arglistig getäuscht, um sich den Aufwand für korrekte Abgasreinigung zu sparen und seine Autos kostengünstiger und damit gewinnbringender verkaufen zu können. Es habe sich um eine strategische Entscheidung gehandelt und der Konzern sie über Jahre planmäßig verfolgt.
Ebenso deutlich sagte er allerdings: Die volle Erstattung des Kaufpreises ohne Abzug einer Nutzungsentschädigung würde VW-Skandalopfern einen unverdienten und unangemessenen Vorteil bringen und so zu einer Art Strafschadensersatz führen, wie er im deutschen Recht – anders als in den USA – eben nicht vorgesehen sei.
In einem Punkt halten die Rechtsexperten der Stiftung Warentest die Ansagen des Bundesgerichtshofs für zweifelhaft: Einen Anspruch auf Schadenersatz wegen der Verletzung der EU-Regeln über die Typzulassung stehe Skandalautobesitzern nicht zu, hatte Seiters erklärt. Diese Regeln sollen der Allgemeinheit dienen und nicht einzelnen Autofahrern Rechte geben. Dies halte der Senat eindeutig. Es sei nicht erforderlich, beim Europäischen Gerichtshof in Brüssel nachzufragen. Dabei hat der Europäische Gerichtshof in ähnlich gelagerten Fällen bereits mehrfach verbraucherfreundlich entschieden und waren sogar einzelne deutsche Gerichte zum Ergebnis gekommen: Die EU-Regeln über die Typzulassung von Kraftfahrzeugen sollen auch Verbraucher schützen.
Noch zu berücksichtigen: Für die Mehrzahl der VW-Skandalopfer kommt das Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs fast sechs Monate zu spät. Die meisten Schadenersatzansprüche sind am 31. Dezember 2019 verjährt. Immerhin: Wegen der Einführung der Musterfeststellungsklage, des Einsatzes des Verbraucherzentrale Bundesverbands, zahlreicher Verbraucheranwälte und Prozessfinanzierer wie Myright.de dürften nach unserer Schätzung rund 500 000 der rund 2,5 Millionen Skandalautobesitzer eine Entschädigung erhalten. Das ist gemessen an der geschätzt einstelligen Quote der Erstattung von Banken, Sparkassen und Versicherungen rechtswidrig kassierter Leistungen ziemlich viel. Gleichwohl: Rund zwei Millionen Autobesitzer werden leer ausgehen. Und vom eigentlichen Skandal, nämlich den durch das illegal ausgestoßene Stickoxid verursachten Gesundheits- und Umweltschäden, war noch gar nicht die Rede.
Die ausführliche schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. Allerdings hat der Bundesgerichtshof eine Pressererklärung zur Urteilsverkündung veröffentlicht und erklärt darin die zentralen Gründe für das Urteil.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.05.2020
Aktenzeichen: VI ZR 252/19
Klägervertreter: Rechtsanwälte Goldenstein & Partner finanziert von: Myright.de
19.05.2020 Niederlage für die Bundesregierung und VW vor dem Oberverwaltungsgericht in Schleswig: Das Gericht wies den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen die Verurteilung zur Herausgabe von Behördeninformationen zur Freigabe der neuen Motorsteuerung für die VW-Skandal-Autos (s. u. 10.05.2019 und 22.08.2019) zurück. Die Verurteilung durch das Verwaltungsgericht Schleswig ist damit rechtskräftig. Geklagt hatte Hans Koberstein aus der Redaktion Frontal 21. test.de vermutet. Das ZDF wird demnächst ausführlich berichten. Koberstein vermutet: Die Akten des Kraftfahrtbundesamts werden belegen, dass auch die neue Motorsteuerung illegale Abschalteinrichtungen enthält.
Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 27.04.2020
Aktenzeichen: 4 LA 251/19
07.05.2020 Rechtsanwälte Dr. Marcus Hoffmann und Mirko Göpfert berichten in einer Pressemitteilung ausführlich über die Äußerungen des Bundesgerichtshofs zum VW-Skandal und wie die aus ihrer Sicht zu verstehen sind. Die beiden vertreten zahlreiche Skandalautobesitzer und hatten die Verhandlung persönlich beobachtet.
05.05.2020 17.44 Uhr Die Süddeutsche Zeitung schreibt: „Ein verheerender Verhandlungstag für VW“.
05.05.2020 17.33 Uhr Auch Michael Heese, Jura-Professor und Leiter des Projekts Dieselskandal an der Uni Regensburg, meint: Am Bundesgerichtshof ist die Entscheidung über Schadenersatzansprüche im Abgasskandal der Sache nach bereits gefallen. Die Bundesrichter werden VW zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verurteilen, schreibt Heese auf der Website des Projekts. Weiter schreibt er: „Dagegen findet der VI. Zivilsenat offenbar nicht den Mut zur Rechtsfortbildung, soweit es um die Frage des Nutzungsersatzes geht. Damit ist eine historische Chance verpasst, die Gestaltungskraft des Privatrechts gegen vorsätzlich schädigendes Verhalten effektiv zur Geltung zu bringen“, kommentierte er. Er hatte stets argumentiert: Es könne nicht richtig sein, dass VW mit dem Recht auf Nutzungsentschädigung vor allem bei Autos, die schon einen Großteil ihrer Lebenserwartung hinter sich haben, trotz der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung einen Großteil seines mit dem Wagen erwirtschafteten Gewinns behalten dürfe.
05.05.2020 17.04 Uhr Der Bundesgerichtshof gab soeben bekannt: Er wird das Urteil im heute verhandelten Fall am Montag, 25. Mai, um 11 Uhr verkünden. Die Verhandlung heute ist trotz der recht klaren Ansagen der Richter kaum Thema in den Nachrichten. Die ARD etwa hatte ihren Rechtsexperten Frank Bräutigam, der wiederholt auch schon über den VW-Skandal berichtet hatte, zum Bundesverfassungsgericht geschickt, um über dessen spektakuläre Entscheidung zum Europäischen Gerichtshof zu berichten. Da war keine Zeit mehr für den VW-Skandal. Noch einige weitere Reaktionen: Rechtsanwalt Ralph Sauer und Myright-Geschäftsführer Jan-Eike Andresen begrüßten die verbraucherfreundlichen Ansagen des Bundesgerichtshofs. „Dieselgate 2.0 geht jetzt richtig los“, sagte Sauer. Andresen sagte der Neuen Presse: „Das sind Super-Vorzeichen für Verbraucher“.
05.05.2020 12.15 Uhr Auch Rechtsanwalt Claus Goldenstein berichtet: „Der BGH hat sich heute im Zusammenhang mit dem VW-Dieselskandal in aller Ausführlichkeit verbraucherfreundlich positioniert und scheint unserer Argumentation weitestgehend zu folgen.” Goldenstein vertritt den Kläger. Finanziert hatte die Klage Myright.de, die auch eine Art Sammelklage gegen VW initiiert haben und für fast 50 000 Skandalautobesitzer mit VW um Schadenersatz streiten. Im Schnelltest hatte test.de das Angebot als geeignet beurteilt.
05.05.2020 12.05 Uhr Peter Kolba, Obmann des österreichischen Verbraucherschutzvereins mit Vermittlung von Prozessfinanzierung für VW-Skandal-Klagen in Österreich, ist in Karlsruhe vor Ort. Er ist bereits sicher: Der Bundesgerichtshof (BGH) wird VW zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung von Käufern der Skandalautos verurteilen. Allerdings müssen sie sich eine Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilometer anrechnen lassen. Von welcher Gesamtlaufleistung Gerichte bei der Berechnung ausgehen, sei Tatfrage und nicht vom BGH als Revisionsgericht zu prüfen, äußerten sie laut Kolba in der mündlichen Verhandlung. Kolba kommentiert: „Damit steht endlich nach Jahren fest, dass VW haftet und wie man den Schadenersatz zu berechnen hat. Damit ist der Weg frei, in Individualklagen mit Erfolg gegen VW vorzugehen.“
05.05.2020 11.35 Uhr Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet: Zum Auftakt der Verhandlung um Schadenersatzansprüche von Abgasskandalopfern vor dem Bundesgerichtshof wies Richter Stephan Seiters zentrale Argumente der VW-Anwälte zurück.
04.05.2020 Showdown vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe morgen: Der fürs Schadenersatzrecht zuständige VI. Senat verhandelt über die Klage eines Skandalautobesitzers wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Zur Entscheidung stehen zwei zentrale Fragen an: Hat VW Schadenersatz zu zahlen? Falls ja: Muss es sich der Autobesitzer gefallen lassen, dass davon eine Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilometer abzogen wird?
Die Richter haben schon erkennen lassen: Sie werden wohl nicht schon morgen ihr Urteil verkünden. Das deutet darauf hin, dass sie auch innerhalb des Senats noch Diskussionsbedarf sehen. Die Juristen bei test.de halten für sicher, dass der BGH VW zu Schadenersatz verurteilen wird (Hintergrund s. u. unter 30.04.2020). Sie vermuten: Ob und in welchem Umfang Autobesitzer für die Nutzung der Skandalautos zahlen müssen, ist noch offen. Die Frage ist kompliziert. Anerkannt ist einerseits: Geschädigte sollen nicht mehr bekommen, als sie durch die Schädigung an Einbuße zu verzeichnen haben. Zu berücksichtigen ist andererseits: Bei Autos, die bereits viele Kilometer gefahren sind, muss VW unter dem Strich trotz der vorsätzlichen Lieferung von Autos mit illegal hohem Ausstoß giftiger Stickoxide je nach Laufleistung wenig bis gar nichts zahlen.
VW selbst ist sogar der Meinung: Der Bundesgerichtshof könnte die Klage vollständig abweisen. Der Kläger habe keinen Schaden erlitten, weil er den Wagen ohne Einschränkungen und genau so schnell und sparsam wie versprochen habe benutzen können.
04.05.2020 Verbraucheranwälte jubeln nach dem Votum von Eleanor Sharpston, Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof (EuGH, s. u. unter 30.04.2020): VW und die übrigen Autohersteller werden noch viel mehr Autobesitzer entschädigen müssen, als bisher vermutet, glauben sie.
Für ziemlich sicher halten die Rechtsexperten bei test.de: Gemessen an den Maßstäben der Generalanwältin dürften allerdings noch viel mehr Motorsteuerungen als bisher von den für die Typzulassung zuständigen Behörden als illegal zu beurteilen sein. Wahrscheinlich enthält danach auch die von VW neu entwickelte und vom Kraftfahrtbundesamt in Flensburg gebilligte neue Motorsteuerung für die Skandalautos illegale Abschaltmechanismen und bedarf der erneuten Überarbeitung, sofern nicht sogar eine Hardwarenachrüstung nötig ist, um die Motoren legal zu machen. So vertritt es die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und hat vor dem Verwaltungsgericht Schleswig gegen das Kraftfahrtbundesamt geklagt. Dieser Fall liegt ebenfalls beim EuGH in Luxemburg.
test.de hat bereits am Donnerstag beim Kraftfahrtbundesamt und beim Bundesverkehrsministerium nachgefragt, ob erneut mit der Änderung von Typgenehmigungen und Rückrufaktionen zu rechnen ist. Bisher hat keine der Behörden geantwortet; vermutlich werden die Beamten abwarten wollen, ob der Europäische Gerichtshof tatsächlich wie von der Generalanwältin vorgeschlagen urteilt.
Allerdings zu beachten: Autobesitzer erhalten nicht automatisch Schadenersatz, wenn sich herausstellt, dass die Motorsteuerung in ihrem Wagen illegal ist. Voraussetzung ist zusätzlich, dass der Hersteller sie vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt hat. Wo die Beamten im Kraftfahrtbundesamt die Motorsteuerung – anders als bei den Skandalautos allerdings in Kenntnis aller wesentlichen Umstände – als legal beurteilt haben, lässt sich den Autoherstellern ein solcher Vorwurf kaum machen.
30.04.2020 Mit Spannung erwartet: Eleanor Sharpston, Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof (EuGH), hat heute ihren Antrag zum zentralen Verfahren zum Abgasskandal verlesen. Wie von den meisten Juristen erwartet: Sie hält die Abschaltung der Abgasrückführung unter anderem bei den VW-Turbodieselmotoren vom Typ EA189 für illegal. Direkte Folge der Entscheidung: Die französische Justiz hat freie Bahn für die Fortsetzung des Strafverfahrens gegen VW und drei weitere Autohersteller.
Die Verteidiger der Autoindustrie hatten vor dem Juge d’instruction du tribunal de grande instance de Paris – stark vereinfacht ausgedrückt – argumentiert: Die Abgasrückführung sei schon kein „Emissionskontrollsystem“ im Sinne der EU-Richtlinie über den höchstzulässigen Schadstoffausstoß von Kraftfahrzeugen. Im übrigen werde die Abgasrückführung unter den für sie vorgesehenen Bedingungen auch gar nicht abgeschaltet, sondern sie sei stets aktiv.
Der Ermittlungsrichter in Paris fragte deshalb beim EuGH in Luxemburg nach, ob Motorsteuerungen wie im VW-Diesel EA189 eine verbotene Abschalteinrichtung im Sinne der EU-Regeln darstellen. Klare Antwort von Eleanor Sharpston: Die Reduktion der Abgasreinigung unter Bedingungen jenseits der für die Prüfstandversuche zur Ermittlung des Schadstoffausstoßes für die Typzulassung sei eine illegale Abschalteinrichtung. Genauer noch: Eine Vorrichtung, die Prüfstandbedingungen ermittelt, um einen beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren oder zu verstärken, sei als illegal zu bewerten. Solche Mechanismen dürften nur unter engen Voraussetzungen zum Schutz vor Unfällen oder Motorschäden genehmigt werden. Das Ziel, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verzögern, rechtfertigen nach Ansicht der Generalanwältin nicht den Einsatz einer Abschalteinrichtung.
Der Antrag von Eleanor Sharpston bindet den EuGH nicht. In der Regel entscheidet der EuGH allerdings so, wie seine Generalanwälte es empfehlen. Wann das endgültige Urteil fällt, ist noch nicht klar. Zumindest einige Wochen werden in jedem Fall noch vergehen.
Deutsche Juristen überrascht die Entscheidung der Generalanwältin nicht. Sie sind ohnehin fast geschlossen davon ausgegangen: Die fast vollständige Abschaltung der Abgasreinigung ist illegal.
Über die Rechtsfolgen der illegalen Motorsteuerung in Frankreich, Deutschland und den übrigen EU-Mitgliedsländern sagt der Schlussantrag von Eleanor Sharpston direkt nichts aus. In Deutschland gehen die Verwaltungsgerichte davon aus: Die Typzulassung der Skandalautos blieb trotz der illegalen Abschaltung der Abgasreinigung wirksam. Erst die Änderung der Typzulassung durch das Kraftfahrtbundesamt nach Bekanntwerden des Abgasskandals machte die Autos illegal, so lange nicht die neu entwickelte und von der Behörde genehmigte Motorsteuerung installiert war. Die Zivilgericht gehen demgegenüber überwiegend davon aus, dass Käufer eines Skandalautos wegen der illegalen Motorsteuerung von Anfang an damit rechnen mussten, dass ihren Wagen die Zulassung entzogen wird.
Auch Eleanor Sharpston neigt wohl eher zu der Ansicht: Die Typzulassung war unwirksam. Jedenfalls ist sie der Meinung: Eine Abschaltung oder Verringerung der Abgasreinigung zum Schutz vor Unfällen oder Motorschäden bedarf der ausdrücklichen Genehmigung. Die Hersteller hatten jedoch die unterschiedliche Arbeitsweise der Abgasreinigung je nach Bedingungen nicht offengelegt. Die Typgenehmigung dürfte sich also nach Ansicht der Generalanwältin wohl nur auf die Motorsteuerung im Prüfstandmodus bezogen haben. Folge nach deutschem Recht wäre: Die nicht offengelegte Arbeitsweise der Abgasreinigung unter vom Prüfstand abweichenden Bedingungen erscheint als Veränderung des Fahrzeugs gegenüber der Typgenehmigung, die zum sofortigen Erlöschen der Zulassung führt.
EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston, Schlussantrag vom 30.04.2020
Aktenzeichen: C-693/18
20.04.2020 Was test.de für unwahrscheinlich gehalten hatte: VW verschickt bereits seit gestern E-Mail-Vergleichsbestätigungen. Bis heute soll der Versand von rund 200 000 Mails abgeschlossen sein. Übrig sind nach Darstellung des Konzerns 21 000 Fälle, in denen die Prüfung noch nicht abgeschlossen ist. Weitere Einzelheiten in der VW-Pressemitteilung zum Thema.
Folge des Versands schon heute: Die Widerrufsfrist läuft bereits am Montag, 4. Mai, ab. Vergleichspartner können nicht mehr reagieren, wenn der Bundesgerichtshof am Dienstag, 5. Mai, verbraucherfreundlich urteilt.
Voraussetzung allerdings: VW hat die vergleichswilligen Abgasskandalopfer korrekt über das Widerrufsrecht informiert. Sollte sich die Information als fehlerhaft oder unzureichend erweisen, dann beginnt die Widerrufsfrist nicht und können Verbraucher den Vergleich weiterhin widerrufen. test.de wird bei den wichtigen VW-Kanzleien nachfragen, wie die Anwälte dort die Rechtslage einschätzen.
17.04.2020 Das Handelsblatt berichtet: Auch Daimler bietet Abgaskandal-Klägern jetzt Vergleiche an. Für einzelne Fälle bestätigte der Autobauer das. Zu Gründen wollte er sich dem Handelsblatt gegenüber nicht äußern. Das Unternehmen halte die Mercedes-Motorsteuerungen nach wie vor für legal und Schadenersatzforderungen für unbegründet.
17.04.2020 Prof. Heese und sein Team beim Projekt Dieselskandal der Uni Regensburg weisen darauf hin: Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) und das Umweltbundesamt (UBA) bewerten die von VW neu entwickelte Motorsteuerung komplett unterschiedlich. Das KBA sieht nach seinen Untersuchungen eine entscheidende Verringerung des Stickoxid-Ausstoß gegenüber der ursprünglichen illegalen Motorsteuerung. Das UBA betonte demgegenüber, dass die nach der Norm Euro 5 schadstoffarmen VW-Dieselmotoren auch mit der neuen Motorsteuerung im Straßenverkehr durchschnittlich mehr als dreimal so viel der giftigen Gase ausstoßen, als bei den Prüfstandversuchen bei Typzulassung der Fahrzeuge zulässig war. Hinzu komme noch: Der Kohlendioxidausstoß und damit der Kraftstoffverbrauch steige durch die neuen Motorsteuerung.
09.04.2020 Zum Urteil des High Court of Justice in London liegt inzwischen auch die vollständige Begründung vor. Sie ist 97 Seiten lang und setzt sich mit jedem einzelnen Argument der VW-Anwälte auseinander.
07.04.2020 Der High Court of Justice in London hat festgestellt: VW muss gut 90 000 Besitzern von Skandalautos in England und Wales Schadenersatz zahlen. Die Richter hielten es für erwiesen, dass VW in Großbritannien Autos mit illegaler Motorsteuerung und weit überhöhtem Schadstoffausstoß verkaufte. Wie hoch die Entschädigung der Betroffenen jeweils zu sein hat, steht noch nicht fest. Das klärt die britische Justiz in einem separaten Verfahren. VW prüft, ob das Unternehmen Berufung einlegt. Weitere Einzelheiten im Bericht der Legal Tribune Online.
31.03.2020 Prof. Dr. Michael Heese, Initiator und Leiter des Abgasskandal-Projekts an der Uni Regensburg ist anders als die Juristen bei test.de der Meinung: Die gestern vom Bundesgerichtshof veröffentlichen Verhandlungstermine (s. u., 30.03.2020) lassen noch keinen Rückschluss darüber zu, wie die Richter dort die Rechtslage sehen. Die Fälle müssten ja so oder so abgearbeitet werden, argumentiert er. Revisionsverfahren enden aber oft durch eine Rücknahme, ein Anerkenntnis oder eine Einigung der Parteien, nachdem der Bundesgerichtshof in einem anderen Fall ein Grundsatzurteil gefällt hat und klar ist, wie er den aktuell noch anhängigen Fall beurteilen wird. Das ist schon aus Kostengründen naheliegend. Die Fortsetzung des Revisionsverfahrens trotz inzwischen klarer Ansagen führt bei einem Streitwert von wie in Abgasskandalfällen häufig 25 000 Euro zu zusätzlichen Kosten von 3 555 Euro. Rechtsschutzversicherer bestehen in solchen Fällen darauf, das Verfahren sofort zu beenden und die Kosten zu vermeiden. Die arbeitsaufwendige Vorbereitung eines Verhandlungstermins ersparen sich Richter gern, wenn dieser Termin mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr stattfinden wird. Die Juristen bei test.de glauben deshalb weiterhin: Der Bundesgerichtshof wird die Schadenersatzklage, über die am 5. Mai verhandelt wird (s. u. unter 19.12.2019 und 09.03.2020), nicht abweisen.
Grundsätzlich ist Prof. Heese selbst auch sehr optimistisch: VW sei vor Gericht letztlich chancenlos und werde Schadenersatz zahlen müssen, sagte er bereits im November dem Norddeutschen Rundfunk.
30.03.2020 Der Bundesgerichtshof (BGH) will VW offenbar dazu verurteilen, Abgasskandalopfer zu entschädigen. Das halten die Rechtsexperten bei test.de für an sicher grenzend wahrscheinlich. Die für Schadenersatzklagen zuständigen Richter des VI. Senats in Karlsruhe haben nämlich in drei weiteren Abgasskandalfällen Verhandlungstermine anberaumt. Das hat nur Sinn, wenn sie vorläufig der Meinung sind: VW schuldet Schadenersatz. Sonst wäre es nämlich bei der bereits vor Monaten angekündigten Verhandlung am Dienstag, 5. Mai, geblieben (s. u. unter 19.12.2019 und unter 09.03.2020). Hier Einzelheiten zu den zusätzlichen Terminen:
Um zwei bei den Gerichten in Braunschweig gescheiterte Schadenersatzklagen gegen VW geht es am Dienstag, 21. Juli. Der 7. Senat dort hatte die Klagen der Skandalautobesitzer abgewiesen, weil nicht klar ist, er ob Organe der VW AG – also Vorstandsmitglieder – verantwortlich sind, und weil er keinen Betrug von VW-Verantwortlichen zu erkennen vermochte. Besonderheit noch: Der Besitzer einer der beiden Wagen hatte sich geweigert, die neu von VW entwickelte Motorsteuerung installieren zu lassen. Sein Wagen ist seit 2018 stillgelegt. Weitere Einzelheiten in der Ankündigung der Termine.
Am Dienstag, 28. Juli, will der fürs Schadenersatzrecht zuständige VI. Senat klären, ob und wie viel Schadenersatz einer Frau aus dem Raum Oldenburg zusteht. Sie hatte im August 2014 einen gebrauchten Golf VI 1.6 TDI. Er bekam im Jahr 2017 die neue, angeblich legale Motorsteuerung. Das Oberlandesgericht Oldenburg verurteilte VW zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung. Die berechnete es mit einer Gesamtfahrleistung von nur 200 000 Kilometern. Die meistern anderen Gerichte rechnen mit 250 000 Kilometern. Danach darf VW nur eine geringere Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilometer vom Kaufpreis abziehen. Verbraucherfreundlich allerdings: Laut Oberlandesgericht Oldenburg hat VW der Frau zum Stichtag heute rund 3 600 Euro Zinsen auf den Kaufpreis zu zahlen. Weitere Einzelheiten in der Ankündigung des Termins.
Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 02.10.2019
Aktenzeichen: 5 U 47/19
Klägervertreter: Hahn Rechtsanwälte, Bremen/Hamburg/Stuttgart
Klar: Ob die Termine wirklich stattfinden, bleibt abzuwarten. Die Verhandlung Anfang Mai könnte noch an der Corona-Krise scheitern. Und: Möglicherweise bietet VW den jeweiligen Klägern so viel Geld, dass die sich dazu bereit erklären, die Verfahren jeweils ohne Urteil zu beenden. Hintergrund: VW will mit möglichst vielen von rund 260 000 Teilnehmern der Musterfeststellungsklage zum Abgasskandal Vergleiche abschließen, wonach diese zwischen 1 350 und 6 257 Euro erhalten sollen. Die haben jedoch 14 Tage Zeit, ihren Vergleich zu widerrufen. Diese 14 Tage werden jedenfalls in einem Teil der Fälle noch nicht abgelaufen sein, wenn der BGH am 5. Mai verhandelt. Urteilt der BGH an dem Tag verbraucherfreundlich, werden von diesem Recht wohl viele Gebrauch machen, um mehr Schadenersatz zu fordern, als VW ihnen jetzt von sich aus anbietet.
24.03.2020 Nach Vorstellung der von Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwälten vermittelten Prozessfinanzierung gestern (s. u., 23.03.2020) zog heute die Profin Prozessfinanzierungs GmbH alias Lawbutler nach. Geschäftsführer Christoph Rother erklärte in einer Online-Pressekonferenz die Einzelheiten. Danach funktioniert Profin ziemlich genau so wie das Stoll & Sauer-Angebot. Allerdings liegt die Provision bei mindestens 20 statt 17 Prozent, ist bei einer 20 000 Euro-Klage also 600 Euro teurer. Wer bis zu 5 000 Euro schon bei Klageerhebung kassieren will, muss am Ende sogar 30 Prozent der Schadenersatzzahlung von VW ans Unternehmen abtreten, bei besagter 20 000 Euro-Klage also insgesamt 6 000 Euro.
test.de empfiehlt: Niemand sollte jetzt kurz vor Verkündung der Grundsatzurteile zum VW-Skandal durch den Bundesgerichtshof und den Europäischen Gerichtshof einen Prozessfinanzierer einschalten oder sonst rechtliche Schritte gegen VW einleiten, sondern unbedingt abwarten. Teilnehmer der Musterfeststellungsklage sollten zunächst nur entscheiden, ob sie den von VW angebotenen Vergleich annehmen. Kriterien dafür und weitere Einzelheiten finden Sie im test.de-Special Musterfeststellungsklage: Dieselskandal und andere Verfahren – alle Infos. test.de erwartet: Die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen wird nach Verkündung der Grundsatzurteile leichter und auch preiswerter.
23.03.2020 Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwälte berichten: Sie können Teilnehmern der VW-Musterfeststellungsklage unter bestimmten Voraussetzungen eine Prozesskostenfinanzierung vermitteln, um mehr Schadenersatz durchzusetzen, als VW bei Annahme des Vergleichsangebots zahlen würde. Hat die Klage auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung Erfolg, zahlen Stoll & Sauer-Mandanten dem Finanzierer eine Provision in Höhe von 17 Prozent dessen, was VW an sie zahlt. Der Wert des Wagens, den der Kläger am Ende an VW zurückzugeben hat, wird dabei nicht berücksichtigt. Mit anderen Worten: Die Erstattung des Kaufpreises abzüglich der Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilometer und der 17 Prozent Provision für den Prozesskostenfinanzierer sowie abzüglich des mutmaßlichen Erlöses bei Weiterverkauf des Wagens muss höher sein als der Betrag, den VW aktuell ohne Rückgabe des Wagens anbietet. Die Kanzlei glaubt: Aussichtsreich ist die Prozessfinanzierung bei über 25 000 Euro teuren Autos, die noch keine 100 000 Kilometer gelaufen sind.
Noch zu beachten: Auch die Prozesskosten haben Einfluss auf die Provision. Die Erstattung der Prozesskosten von VW an den jeweiligen Kläger erhöht die Provision. Abgezogen wird das Geld, dass der Prozesskostenfinanzierer an Gerichtskosten und Vorschuss auf die Anwaltshonorare ausgelegt hat. Beispiel: VW zahlt am Ende 20 000 Euro. Eingeklagt waren aber 25 000 Euro und der Kläger muss 20 Prozent der Prozesskosten tragen. Er zahlt dann eine Provision von 17 Prozent auf (20 000 Euro zuzüglich 2 088,66 Euro (die VW nach Abzug der eigenen Kosten im Kostenfestsetzungsverfahren an den Kläger zu zahlen hat) – 3 481,10 Euro (die der Prozessfinanzierer vor Beginn des Verfahrens an Gerichts- und Anwaltskosten ausgelegt hat), also 18 607,56 Euro. Der Kläger erhält am Ende diesen Betrag abzüglich 3 163,29 Euro Provision, also 15 444,27 Euro. Gegenbeispiel: VW zahlt 20 000 Euro. So viel war auch eingeklagt und VW muss alle Kosten tragen. Grundlage für die Provision sind dann diese 20 000 Euro und der Kläger erhält am Ende 83 Prozent davon, also 16 600 Euro.
Klar: Allenfalls ausnahmsweise werden Kläger einen Anteil an den Kosten zu tragen haben. Dr. Stoll & Sauer werden im Gerichtsverfahren natürlich nur beantragen, was dem Kläger nach den Ansagen des Bundesgerichtshof auch wirklich zusteht.
Nicht in der Rechnung berücksichtigt sind Zinsen. Von denen erhält der Kläger am Ende stets 83 Prozent. Sie werden bei der Kostenquote in aller Regel nicht berücksichtigt. Anders ausgedrückt: Wegen der Abweisung von Zinsforderungen muss der Kläger praktisch nie einen Anteil der Verfahrenskosten übernehmen.
19.03.2020 Dr. Axel Friedrich, früher Abteilungsleiter im Umweltbundesamt und jetzt Sachverständiger im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe (DUH), berichtet: Die DUH hat inzwischen den Stickoxidausstoß von 142 Diesel-Modellen verschiedener Hersteller vor und nach der Installation einer neuen Motorsteuerung gemessen. Sein Fazit: Bei zahlreichen Modellen bringt das Software-Update wenig bis gar nichts. Nach wie vor funktioniere die Abgasreinigung im wirklichen Leben kaum oder gar nicht. Ihm sei unklar, wieso das Kraftfahrtbundesamt die geänderten Motorsteuerungen genehmigt habe. Ganz viele Fahrzeuge seien aus seiner Sicht nach wie vor eindeutig illegal. Mehr Informationen der DUH zum Abgasskandal.
19.03.2020 VW hat die Entschädigung von VW-Skandalopfern gestartet, die sich an der Musterfeststellungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverbands beteiligt haben. Die Metaclaims Sammelklagen Finanzierungsgesellschaft hat ein Angebot für Teilnehmer der Sammelklage entwickelt, denen VW kein Angebot macht. Voraussetzung nur: Der Kauf erfolgte bis Ende 2015 oder das Schreiben mit der Aufforderung, in der Werkstatt eine neue Motorsteuerung installieren zu lassen, kam erst im Jahr 2017 – wie vor allem bei Besitzern von Skoda-Modellen häufig. Wie sonst auch bei Metaclaims: Die Teilnahme ist kostenlos, solange sie keinen Erfolg hat. Soweit VW schließlich zahlt, erhält Metaclaims eine Provision in Höhe von 33 Prozent.
16.03.2020 Nach dem 19. (s. u., 25.07.2019) ist jetzt auch der 18. Senat am Oberlandesgericht Köln der Meinung: VW muss zusätzlich zum Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung auch Zinsen auf den Kaufpreis zahlen. Das berichtet Rechtsanwalt Sven Petermann von Arnold Baller Mathias Rechtsanwälte. Das Urteil stehe zwar noch aus, aber die Ansagen in der mündlichen Verhandlung seien eindeutig gewesen, berichtete Petermann.
Auch der 4. Senat in Köln trägt die verbraucherfreundliche Linie mit. Er hat gerade ein Urteil zum VW-Skandal veröffentlicht. Danach muss VW wegen eines im November 2014 erworbenen Audi Q5 4 786,60 Euro Zinsen auf den Kaufpreis und bis heute weitere 929,13 Euro Prozesszinsen auf die Klageforderung zahlen.
Ebenso verbraucherfreundlich urteilte jüngst auch das Oberlandesgericht Brandenburg. Die Verzinsung des Kaufpreises bringt VW-Skandalopfern viel Geld und gleicht den Abzug der Nutzungsentschädigung zumindest teilweise aus. Bei einem am 16.03.2014 für 30 000 Euro erworbenen Skandalauto macht allein die Verzinsung des Kaufpreises bis heute genau 7 200 Euro aus.
Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 10.03.2020
Aktenzeichen: 4 U 219/19 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter: Noch unbekannt, bitte melden
Oberlandesgericht Köln, Urteil für 26.03.2020 angekündigt
Aktenzeichen: 18 U 177/19 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter: Arnold Baller & Mathias Rechtsanwälte, Köln
Oberlandesgericht Brandenburg, Urteil vom 04.03.2020 (nicht rechtskräftig)
Aktenzeichen: 4 U 65/19
Klägervertreter: Rogert & Ulbrich Rechtsanwälte, Düsseldorf
09.03.2020 Der Bundesgerichtshof (BGH) hat heute Hinweise für Besucher veröffentlicht, die die öffentliche Verhandlung über Schadenersatzansprüche von Skandalautobesitzern am Dienstag, 5. Mai, besuchen wollen. Nur wer sich rechtzeitig anmeldet, bekommt einen Platz. Es zählt die Reihenfolge des Eingangs der Anmeldungen. Hier die Hinweise im Original.
Passend dazu: Der Kläger in dem BGH-Verfahren hat sich öffentlich zu Wort gemeldet. Der Allgemeinen Zeitung in Mainz sagte er: Er werde auf keinen Fall einen Vergleich mit Schweigeverpflichtung akzeptieren. (Unserem Leser „Leseprobe“: Vielen Dank für den Hinweis!)
Gleichwohl: Der Termin kann trotzdem noch platzen. VW kann die eigene Revision gegen die Verurteilung zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung noch bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung zurücknehmen. Die vom Kläger eingelegte Revision wegen des Abzugs einer Nutzungsentschädigung beim Oberlandesgericht Koblenz würde gegenstandslos, wenn VW die Forderung des Klägers anerkennt. Es erginge dann nur ein Anerkenntnisurteil ohne Begründung. Allerdings kann der Bundesgerichtshof ausführliche Hinweise zur Rechtslage beschließen. So war er seinerzeit verfahren, als die Verhandlung über die Revision eines VW-Händlers gegen die Verurteilung zur Erstattung des Kaufpreises platzte, siehe unten unter dem 23.02.2019 und dem 25.02.2019.
09.03.2020 Auch das Oberlandesgericht Dresden hat VW jetzt zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verurteilt. Sogar ein Mann, der erst im Dezember 2015 nach Bekanntwerden des Skandals einen VW Passat TDI gekauft hatte, erhält den Kaufpreis abzüglich Nutzungsentschädigung zurück. Die Informationen von VW im September 2015 reichten aus Sicht der Richter in Dresden nicht aus, um potenzielle Käufer der Wagen korrekt über die technische und rechtliche Reichweite der Manipulationen zu informieren.
Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 05.03.2020
Aktenzeichen: 10a U 1834/19 (nicht rechtskräftig, die Revision ist zugelassen)
Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 05.03.2020
Aktenzeichen: 10a U 1907/19 (nicht rechtskräftig, die Revision ist zugelassen)
Klägervertreter jeweils: BRR Baumeister Rosing Rechtsanwälte, Berlin/Esslingen
02.03.2020 Jetzt also doch: VW und der Verbraucherzentrale Bundesverband besiegeln ihren außergerichtlichen Vergleich im Musterfeststellungsverfahren zwischen den Verbraucherschützern und dem Autokonzern. Alle Teilnehmer sollen je nachdem, welches Automodell sie besitzen und aus welchem Modelljahr es stammt, eine Entschädigung zwischen 1 350 und 6 257 Euro erhalten. Klar: Der Vergleich ist freiwillig. Wer ihn wie manche unserer Leser in den Kommentaren nicht für fair hält, kann noch bis mindestens Oktober seine Rechte selbst in die Hand nehmen. So lange ist die Verjährung noch mindestens gehemmt. Alle Details zum Vergleich im Special Musterfeststellungsklage auf der Seite Klage gegen Volkswagen.
27.02.2020 Ein weiteres Oberlandesgericht hält für möglich, dass Käufer von Skandalautos auch wegen erst nach Bekanntwerden des Skandals erworbener Autos Schadenersatzansprüche gegen VW haben. Der Käufer muss das Gericht dann allerdings davon überzeugen, dass er nichts von der illegalen Motorsteuerung seines Wagens wusste. Hilfsargument: VW habe nicht genug unternommen, um potenzielle Käufer der Wagen aufzuklären. „Jedenfalls nach dem im hiesigen Verfahren maßgeblichen Sach- und Streitstand waren (...) die Pressemitteilung vom 22.09.2015, die Freischaltung der Internet-Abfragemöglichkeit Anfang Oktober 2015, die Information ihrer Vertriebspartner und die öffentliche Berichterstattung – nicht geeignet, (...) den Sittenwidrigkeitsvorwurf abzuwenden. Mit diesen Maßnahmen allein hat die Beklagte nicht die Schritte unternommen, die erforderlich sind, um weitere Schäden für potenzielle Käufer zu vermeiden und so eine Bewertung ihres Verhaltens als sittenwidrig entfallen lassen zu können“, heißt es in der Urteilsbegründung.
Oberlandesgericht Brandenburg, Urteil vom 11.02.2020
Aktenzeichen: 3 U 89/19
Klägervertreter: Rechtsanwälte Hillmann und Partner, Oldenburg
20.02.2020 Neue Wendung im Streit zwischen Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und VW: Die Parteien der Musterfeststellungsklage wollen doch weiter über einen Vergleich verhandeln. Dazu hätten sie sich auf das dringende Anraten des Oberlandesgerichts Braunschweig entschlossen. Das teilt das Gericht per Pressemitteilung mit. Die Verhandlungsführung übernehme jetzt auf Antrag beider Parteien der Präsident des Oberlandesgerichts, Wolfgang Scheibel.
20.02.2020 Rechtsanwalt Ralph Sauer, einer der Parner der vzbv-Musterklagekanzlei R.U.S.S.-Litigation, hat sich gegenüber dem Juve-Verlag ausführlich zum Scheitern der Verhandlungen über einen Vergleich zwischen VW und Verbraucherschützern geäußert. Danach war das Hauptproblem: VW wollte einen schnellen Vergleich vor Verkündung des ersten BGH-Urteils Anfang Mai 2020 und war ein solcher nach den dafür in der Zivilprozessordnung vorgesehenen Regeln nicht schnell genug zu erreichen. VW- und vzbv-Anwälte hätten deshalb über einen außergerichtlichen Vergleich verhandelt. Die Abwicklung eines solchen Vergleichs für 120 Euro pro Fall wäre für die Anwälte ein erhebliches Risiko gewesen.
17.02.2020 Die Vergleichsverhandlungen im Musterfeststellungsstreit zwischen VW und Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sind geplatzt. VW behauptet, die Verbraucherschutzanwälte hätten zu viel Geld verlangt. Der vzbv hält das für einen Vorwand. VW habe die Verhandlungen platzen lassen. „Ein zweiter Betrug“, schimpfte vzbv-Chef Klaus Müller gegenüber Redakteuren des Handelsblatts sogar. VW will Musterklage-Teilnehmer jetzt am vzbv vorbei entschädigen. Weitere Einzelheiten in den Fragen & Antworten zur VW-Musterklage im Musterklagen-Special.
31.01.2020 Rechtsanwalt Ehssan Khazaeli von Rüden Rechtsanwälte in Berlin berichtet: Das Oberlandesgericht in Oldenburg hat soweit bekannt als bundesweit erstes geurteilt: Erst 2019 erhobene VW-Abgasskandal-Klagen sind nicht verjährt. Außerdem verbraucherfreundlich: VW muss vier Prozent Zinsen auf den Kaufpreis zahlen – von der Zahlung an. Die Urteilsbegründung liegt noch nicht vor, nur der Tenor ist bekannt. Die Revision zum Bundesgerichtshof ist zugelassen.
Landgericht Osnabrück, Urteil vom 16.08.2019
Aktenzeichen: 5 O 1462/19 (nicht rechtskräftig)
Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 30.01.2020
Aktenzeichen: 1 U 131/19 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter: von Rüden Rechtsanwälte, Berlin
24.01.2020 Das Verbraucherinkasso- und Prozessfinanzierungsunternehmen Myright.de berichtet: Das Oberlandesgericht Hamm hat VW auf eine Klage des Unternehmens hin zu Schadenersatz wegen eines VW Tiguan 2.0 TDI verurteilt. Der Käufer des Wagens hatte seine Ersatzansprüche gegen VW an das Unternehmen abgetreten und dieses erhob Klage. VW muss den Kaufpreis abzüglich einer Entschädigung für die damit gefahrenen Kilometer erstatten. Die berechnet das Gericht verbraucherfreundlich mit einer Gesamtlaufleistung von 300 000 Kilometern. Myright.de erhält knapp 28 000 Euro. Der Wagen hat rund 84 000 Kilometer gelaufen und kostete im Jahr 2007 rund 39 000 Euro. Hinzu kommen noch rund 3 000 Euro Zinsen für die Zeit ab Klageerhebung. Myright.de selbst hat eine ausführliche Pressemitteilung zum Fall veröffentlicht. Wie viel Provision Myright.de abzieht, bevor es das Geld an den Kläger weiterleitet, ist nicht bekannt. Maßgeblich war seinerzeit ein Satz von 35 Prozent der VW-Zahlung abzüglich des Restwerts des Wagens, den der Kläger ja an VW zurückzugeben hat.
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 20.01.2020
Aktenzeichen: I-13 U 40/18 (nicht rechtskräftig, die Revision ist zugelassen)
Klägervertreter: Hausfeld Rechtsanwälte, Berlin
23.01.2020 Womöglich bahnbrechend: Das Oberlandesgericht Oldenburg hat VW mit ausführlicher und aus Sicht von test.de sehr überzeugender Begründung wegen eines erst nach Bekanntwerden des Abgasskandals erworbenen Wagens zu Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verurteilt. Nur wenn VW potenziellen Käufern klar mitgeteilt hätte, dass die Motorsteuerung der Autos illegal ist und ihnen deshalb die Zulassung entzogen werden kann, wäre die Schädigung von Käufern der Autos entfallen. VW habe aber nur von „Auffälligkeiten“ und „Unregelmäßigkeiten“ gesprochen. Die Mehrzahl der Gerichte geht bisher davon aus: Wegen nach Bekanntwerden des Skandals erworbener Autos muss VW keine Entschädigung zahlen. Rogert & Ulbrich Rechtsanwälte, die das Urteil erstritten haben, kommentieren es in einer Pressemitteilung ausführlich selbst.
Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 16.01.2020
Aktenzeichen: 14 U 166/19 (nicht rechtskräftig, die Revision ist zugelassen)
Klägervertreter: Rogert & Ulbrich Rechtsanwälte, Düsseldorf
20.01.2020 Mit Abschluss eines Vergleichs ist der Rechtsstreit um ein Skandalauto noch nicht unbedingt zu Ende. Spiegel online berichtet unter Berufung auf einen nicht genannten Rechtsanwalt, der trotz der stets mit Vergleichsschluss verbundenen Pflicht zum Stillschweigen einige Einzelheiten berichtet: Immer wieder gibt es bei der Rückabwicklung Streit. Den Gegenwert von Kratzern und Beulen zieht VW von der Zahlung ab, wenn es um mehr als bis 250 Euro teure Bagatellschäden geht. Porsche verpflichtet sich in Vergleichen sogar nur zum Ankauf des Skandalautos im Gegenzug zur Erstattung des ursprünglichen Kaufpreises abzüglich einer Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilometer. Folge für den Besitzer des Wagens: Er haftet für Mängel bis hin zum völligen Ausschluss der Rückabwicklung. Zuweilen stocke die per Vergleich vereinbarte Rückabwicklung, weil der Händler, über den sie abgewickelt wird, den so genannten „Abrechnungsbogen“, mit dem Zustand und Besonderheiten des zurückgegebenen Wagens erfasst werden, nicht oder nicht rechtzeitig ausfüllt und an VW schickt.
17.01.2020 Rechtsanwalt Frederik Wietbrok aus Hamburg teilt mit: Auch das Oberlandesgericht Hamburg sieht VW in der Pflicht, an Käufer von Skandalautos Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu zahlen. Besonders interessant: Die hanseatischen Oberlandesrichter halten in einem Hinweisbeschluss weder den vollständigen Abzug einer Entschädigung für die mit dem Wagen gefahrenen Kilometer noch die vollständige Erstattung des Kaufpreises für fair. Sie wollen die Erstattung des Kaufpreises nur um eine Entschädigung für bis zur Klageerhebung gefahrene Kilometer kürzen.
Hanseatisches Oberlandesgericht (Hamburg), (Hinweis-)Beschluss vom 13.01.2020
Aktenzeichen: 15 U 190/19 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter: Wietbrok Rechtsanwälte, Hamburg
16.01.2020 Das Landgericht Braunschweig teilt mit: Die Anklage gegen sechs weitere führende Mitarbeiter des VW-Konzerns ist bei Gericht eingegangen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen wegen der Entwicklung der illegalen Motorsteuerung mit Prüfstanderkennung und Abschaltung der Abgasreinigung im Normalbetrieb vor allem Betrug im besonders schweren Fall vor.
Rechtlich interessant: Die Staatsanwälte glauben außerdem, dass die VW-Mitarbeiter sich der mittelbaren Falschbeurkundung schuldig gemacht haben. Sie hätten die Ausstellung falscher Übereinstimmungserklärungen für die neun Millionen Skandalautos veranlasst. Das heißt: Sie sind – wie einzelne Zivilgerichte, aber anders als das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg, das Bundesverkehrsministerium und alle Verwaltungsgerichte, die sich bisher mit dem Thema befasst haben – der Meinung, dass sämtliche Skandalautos sofort nach Bekanntwerden des Skandals hätten aus dem Verkehr gezogen werden müssen.
Außerdem haben die Strafverfolger die für den VW-Skandal-Verantwortlichen im Verdacht, eine Steuerhinterziehung begangen zu haben, da ein Teil der Autos zu Unrecht als schadstoffarm nach der Norm „Euro 6“ eingestuft und zeitweise von der Kraftfahrzeugsteuer befreit war.
Umweltstraftaten wie Luftverunreinigung sind in der Anklage allerdings offenbar nicht Thema.
Die Anklageschrift ist fast 900 Seiten stark. Allein die Hauptakte umfasst 121 Bände. Hinzu kommen 114 Beweismittelordner und 70 Sonderbände.
Das Landgericht stellt die Anklage zunächst den Angeklagten zu und gibt ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme. Es prüft dann, ob es eine Verurteilung für ausreichend wahrscheinlich hält oder ob sie die Vorwürfe auf der Grundlage der Darstellung des Falls durch die Staatsanwälte nicht für stichhaltig hält und entscheidet dann über die Zulassung der Anklage zur Hauptversammlung. Wie lange das dauert, ist unklar. Zumindest werden Monate ins Land gehen, bevor feststeht, ob und wegen welcher Vorwürfe VW-Manager auf der Anklagebank Platz nehmen müssen.
Insgesamt stehen jetzt elf Mitarbeiter des VW-Konzern, darunter auch Vorstandschef Herbert Diess, Ex-Vorstandsvorsitzender Martin Winterkorn sowie Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, unter Anklage. Gegen 32 weitere wird noch ermittelt.
Der Berliner Rechtsanwalt Johannes von Rüden hat für eine nicht genannte Zahl von Mandanten beantragt, sie als Nebenkläger zum Strafverfahren gegen Diess, Winterkorn und Pötsch zuzulassen. „Damit würden die Hunderttausenden Verletzten auch im Strafverfahren Gehör finden“, sagte er. Nachdem das Landgericht seine Anträge zurückgewiesen hat, liegt die Sache jetzt beim Oberlandesgericht in Braunschweig. Die Richter dort befürchten nach Darstellung des Rechtsanwalts, dass sich das Verfahren weiter in die Länge zieht und logistisch nicht zu bewältigen ist. Außerdem könnten vertrauliche Informationen zur Presse gelangen. Nun entscheidet das Oberlandesgericht Braunschweig.
10.01.2020 Myright.de berichtet: Das Landgericht Braunschweig hält die Musterklagen des Unternehmens für zulässig. Das Gericht wies die Parteien in dem Rechtsstreit mit ausführlicher Begründung daraufhin, dass nach dem vom Bundesgerichtshof zu Wenigermiete.de (Urteil vom 27.11.2019, Aktenzeichen: VIII ZR 285/18) vertretenen Kriterien die Abtretung der Schadenersatzforderungen gegen VW auf das Unternehmen wirksam sein dürfte. Der Beschluss erging in der zweiten von drei Klagen, mit der das Unternehmen rund 15 000 von Skandalautobesitzern abgetretene Schadenersatzforderungen gegen VW durchsetzen will. „Wir erwarten jetzt in den weiteren Verfahren ähnliche Verfügungen und tragen gerade entsprechend vor“, erklärte Jan-Eike Andresen, Geschäftsführer von Myright.de gegenüber test.de.
Landgericht Braunschweig, Hinweis vom 23.12.2019
Aktenzeichen: 3 O 5657/18 *903*
Klägervertreter: Hausfeld Rechtsanwälte LLP, Berlin
10.01.2020 Hahn Rechtsanwälte melden mit Verweis auf die Rückrufdatenbank beim Kraftfahrtbundesamt (KBA): Mercedes muss weltweit 150 000 weitere Autos mit Dieselmotor mit einer neuen Motorsteuerung ausrüsten. In Deutschland sind etwa ein Drittel der Autos unterwegs. Es geht in Deutschland um verschiedene Modelle der C-, E-, M- und S-Klasse-Mercedes sowie verschiedene CLS, GLE und SLK aus den Baujahren 2012 bis 2018. Weitere Einzelheiten und eine Tabelle mit den betroffenen Modellen auf der Homepage der Kanzlei.
06.01.2020 Im fünften Jahr, nachdem der Abgasskandal ruchbar wurde, wird sich wohl endgültig entscheiden, ob und in welchem Umfang VW Besitzer von Autos mit illegaler Motorsteuerung entschädigen muss. Unmittelbar nach Jahresbeginn verkündeten der Konzern und er Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv): Die Musterfeststellungsklage zu der beim Bundesamt für Justiz fast 500 000 Anmeldungen von Rechten der Skandalautobesitzer vorliegen, verhandeln über einen Vergleich. Wie lange das dauert, ist allerdings unklar. Die Parteien verhandeln zunächst unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Branchenexperte Ferdinand Dudenhöfer vermutet allerdings: VW will nach der mutmaßlichen Verjährung der meisten Ersatzansprüche schnell reinen Tisch machen und kommt noch im Frühjahr ein Vergleich mit klaren Vereinbarungen darüber, wer unter welchen Voraussetzungen wie viel Geld zu erhalten hat.
Hinzu kommt: Für Mai hat der Bundesgerichtshof die Verhandlung eines VW-Skandal-Falls anberaumt (s. u., 19.12.2019).
Gleichzeitig liegen diverse Fälle zum Abgasskandal beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Dort ist sogar noch umstritten, aber die Abgasrückführung überhaupt eine Einrichtung zur Abgasreinigung ist, deren Abschaltung durch die EU-Regeln verboten ist. VW hatte stets argumentiert: Die Abgasrückführung reinigt keine Abgase. Durch die Verringerung des Sauerstoffgehalts des Luft-Kraftstoff-Gemischs im Brennraum verringern sich Temperatur und Druck bei Zündung und sinkt dadurch der Stickoxidanteil in den Abgasen.
Umgekehrt ist nach wie vor unklar, ob die Annahme der deutschen Behörden und Verwaltungsgerichte, wonach die Skandalautos aufgrund der Typgenehmigung weiterfahren durften, mit dem EU-Recht vereinbar ist. Manche Juristen - darunter die Rechtsexperten der Stiftung Warentest - und einzelne Zivilgerichte meinen: Die Autos entsprachen nicht der Typgenehmigung gar nicht und hätten deshalb sofort stillgelegt werden müssen.
06.01.2020 Betriebsuntersagungen sind nur für Autos durchsetzbar, für die die jeweils zuständige Behörde die Typgenehmigung geändert und die Hersteller zur Nachrüstung der Autos mit einer neuen Motorsteuerung verpflichtet hat. Das hat das Verwaltungsgericht Mainz entschieden. Ganz ähnlich hatte es bereits das Verwaltungsgericht in Schleswig-Holstein gesehen.
In Mainz ging es um einen Skoda Yeti TDI, den der Besitzer nicht für den Austausch der Software zur Motorsteuerung in die Werkstatt gebraucht hatte. Das Kraftfahrtbundesamt hatte das dem Landkreis Alzey-Worms als Zulassungsbehörde mitgeteilt. Der hatte dem Besitzer daraufhin den Betrieb des Wagens untersagt und die sofortige Vollziehung angeordnet.
Ständige Rechtssprechung soweit bekannt aller Verwaltungsgerichte in Deutschland: Das ist für Autos, deren Typzulassung das dafür in Deutschland zuständige Kraftfahrbundesamt nach Bekanntwerden des Abgasskandals geändert hat, ohne weiteres zulässig. Die Typzulassung für den Skoda Yeti kommt jedoch von der britischen Vehicle Certification Agency (VCA). Die hat zwar festgestellt, dass die Typzulassung rechtswidrig ist, sie jedoch offenbar nicht geändert und die Nachrüstung betroffener Autos angeordnet.
Folge laut der Verwaltungsrichter in Mainz: Der Wagen darf auch ohne Nachrüstung der neuen Motorsteuerung einstweilen weiterfahren. Die unveränderte Typgenehmigung gilt weiter. test.de hält diese Sicht der Dinge für fragwürdig. Soweit bekannt wussten die Behörden bei der Typzulassung nichts davon, dass die VW-Motorsteuerung in Skandalautos die Abgasreinigung bei fast allen Fahrten im Straßenverkehr abschaltet. Das hieße: Die Autos entsprachen der Typgenehmigung gar nicht. Sie hätten sofort aus dem Verkehr gezogen werden müssen. Auf die Änderung der Typgenehmigung kam es danach gar nicht an.
Bemerkenswert: Das Eilverfahren in Mainz machte seinem Namen alle Ehre. Die Betriebsuntersagung des Landkreises nebst Anordnung des sofortigen Vollzugs erging am Montag, 2. Dezember 2019. Am Freitag, 6. Dezember, legte der Autobesitzer Widerspruch ein und beantragte beim Verwaltungsgericht in Mainz, den Vollzug der Betriebsuntersagung zu stoppen. Bereits am Mittwoch, 18. Dezember, entschied das Gericht.
Verwaltungsgericht Mainz, Beschluss vom 18.12.2019
Aktenzeichen: 3 L 1127/19.MZ
Verbrauchervertreter: Keiner (offenbar ist der Besitzer des Skoda Yeti selbst Jurist und zog ohne Anwalt vor Gericht).
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- EuGH-Urteil: Alle bis September 2021 aufgenommenen Kredite sind widerruflich. Chance für Autokäufer: Sie sparen Tausende Euro. Aber nur, wenn sie das Auto noch haben.
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- So kommen Verbraucher zu ihrem Recht. Wir nennen alle Verfahren. Eventim-Kunden können ab sofort ihre Rechte zu einer neuen Musterklage anmelden.
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- Der Rechtsdienstleister Myright.de will europäischen Käufern von VW-Skandalautos zu Schadenersatz verhelfen. Myright.de hat wegen der Forderungen von 40 000...
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Danke für die Rückmeldungen, obwohl ich mit der Frage spät dran bin.
Ich finde es schon ärgerlich, dass VW jetzt aufgrund der Gebrauchtwagenpreise Gewinne machen könnte, obwohl sie die jeweiligen Prozess eigentlich "verloren" haben.
Bei mir passt es auch nur, weil VW die kompletten Finanzierungskosten ersetzen muss.
@Chris96
Zunächst die gute Nachricht: Die bei der Übergabe am Stoßfänger festgestellten Kratzer bleiben als normale Gebrauchsspuren unberücksichtigt, mindern also nicht die Schadensersatzforderung.
Die schlechte Nachricht: Wenn während einer langen Verfahrensdauer das Fahrzeug weiter genutzt wird, erhöht sich auch die anzurechnende Nutzungsentschädigung, wodurch die Schadensersatzforderung gemindert wird. Wie im vorausgegangen Beitrag bereits ausgeführt, wird das aber in der Regel im Urteil festgehalten. Fehlen Angaben hierzu, kommt es darauf an, welcher Betrag genau tituliert wurde. Im Zweifel ist für die Berechnung der Km-Stand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend. Da die Gebrauchtwagenpreise in den letzten Monaten stark angestiegen sind, könnte das zur Folge haben, dass der Restwert des Fahrzeugs höher ist als die Schadensersatzsumme. In dem Fall empfiehlt es sich, auf die Schadensersatzleistung zu verzichten und das Fahrzeug zu behalten.
@Chris96: Die meisten unserer Leser sind mit dem Thema bereits durch. Es kann gut sein, dass Sie hier keine Rückmeldung bekommen. Unsere Redakteure können weiter nichts beitragen. Sie weisen allerdings darauf hin: Wenn VW dazu verurteilt ist, Ihnen den Kaufpreis abzüglich Nutzungsentschädigung zu erstatten, dann kommt es auf das Urteil an. In der Regel wird im Urteil festgelegt, wie viel Geld VW nach Abzug der Nutzungsentschädigung zu zahlen hat. Maßstab ist der Kilometer-Stand am Tag der letzten mündlichen Verhandlung.
Hallo, gibt es hier schon einen Austausch/Informationen zu der Frage, was VW nach Rückgabe des Fahrzeuges in Rechnung stellen kann?
Bei mir hat sich durch die Berufung von VW natürlich die Nutzungsdauer verlängert und damit wurde das Fzg. mit einen anderen Km-Stand als ursprünglich zur Berechnung der Nutzungspauschale erhoben, abgeben. Auch wurde bei der Übergabe Kratzer am Stoßfänger festgestellt und festgehalten. Kann VW eine neue Nutzungspauschale berechnen und mir z.B. die Reparatur der Kratzer in Rechnung stellen?
In dem Trend der OLGe, die Schlussanträge des Generalanwalts nicht für einschlägig zu halten, wird ein weiterer Trend erkennbar, nämlich, dass man künftig die Frage, ob dem Verbraucher im Falle einer unzulässigen Abschalteinrichtung Schadensersatzansprüche zustehen, deutlich kritischer sehen wird. Das OLG Bamberg bringt es auf den Punkt und macht sich den Vorlagebeschluss des Generalanwalts dabei sogar zu eigen, indem es darauf verweist, dass eine Unkenntnis von der Abschalteinrichtung auf einer Täuschung der Genehmigungsbehörde beruhen muss. Da die Abgasstrategien und damit auch das Vorhandensein von Abschalteinrichtungen erst durch die ab 16.05.2016 gültige EU-VO 2016/646 verbindlich im Beschreibungsbogen anzugeben waren, konnte die Genehmigungsbehörde für Fahrzeuge, die vor diesem Datum ihre Typgenehmigung erhalten haben, auch nicht getäuscht werden. Schadensersatzansprüche werde sich daher nur noch dann begründen lassen, wenn sich eine aktive Prüfstandserkennung nachweisen lässt.