
Die Advocard hat ihre Rechtsschutzversicherung überarbeitet. Nun heißt sie: „360°-Rechtsschutz“. Positiv ist: Anders als bei vielen anderen Rechtsschutzversicherungen sind auch anwaltliche Beratungen ohne konkreten Rechtsärger im Umfang von bis zu 1 000 Euro pro Jahr versichert. In ihrer Werbung übertreibt die Advocard jedoch. Das Angebot soll juristische Hilfe „in allen Lebenslagen“ bieten. Das tut es aber nicht, wie test.de erklärt.
Deftige Werbeversprechen
In der Pressemitteilung zum neuen „360°-Rechtsschutz“ bläst der Hamburger Versicherer Advocard ordentlich die Backen auf: „Rechtssicherheit in allen Lebenslagen“, „Erste Rechtsschutzpolice grundsätzlich ohne Risikoausschlüsse“, Rechtsschutz „ohne Wenn und Aber“. Beim genaueren Hinsehen erweist sich der 360°-Schutz aber weder als vollkommen neu, noch als das versprochene Wunderwerk.
Beratungsleistungen bis 1 000 Euro versichert...
Die Advocard bietet ein Extra, das viele Konkurrenten nicht im Angebot haben. Sie bezahlt schon dann einen Anwalt, wenn der Kunde beispielsweise Hilfe beim Verfassen eines Testaments oder beim Check eines Mietvertrags benötigt. Die Konkurrenten der Advocard übernehmen solche Anwaltskosten in der Regel erst dann, wenn der Kunde bereits konkreten Ärger hat, also zum Beispiel vom Chef abgemahnt wurde oder von einem Handwerker mangelhafte Leistungen erhalten hat. Allerdings hat die Advocard den Rechtsschutz mit einer Kostengrenze versehen: maximal 1 000 Euro pro Jahr zahlt sie für solche „vorsorglichen anwaltlichen Beratungen“.
...doch bei jeder Beratungsangelegenheit 150 Euro Selbstbehalt
Hat der Versicherte einen Selbstbehalt vereinbart – das ist üblich, weil die Versicherung für ihn sonst sehr teuer wird – muss er diesen auch bei vorsorglichen Beratungen zahlen. Beispiel: Ein Advocard-Kunde möchte, dass ein Anwalt seinen neuen Arbeitsvertrag prüft. Der Anwalt verlangt dafür ein Stundenhonorar in Höhe von 200 Euro und benötigt für die Prüfung insgesamt zwei Stunden. Der Kunde muss von der fälligen Anwaltsrechnung über 400 Euro 150 Euro selbst zahlen. Wichtig: Dieser Selbstbehalt fällt bei jeder Beratungsangelegenheit von neuem an.
Eine Familie zahlt 400 Euro pro Jahr
Das Plus beim Schutz lässt sich die Advocard natürlich bezahlen. Wählt eine Familie Versicherungsschutz für die Bereiche Privat, Verkehr, Wohnung und Beruf, zahlt sie rund 400 Euro jährlich für einen Vertrag mit einer einjährigen Laufzeit, bei einem Selbstbehalt von 150 Euro pro Rechtsschutzfall. Zahlt die Familie den Versicherungsbeitrag nicht als Jahresbeitrag, sondern in Monatsbeiträgen, kostet der Schutz aufs Jahr gerechnet sogar rund 420 Euro. Für Familien, die einen Selbstbehalt in Höhe von 300 Euro vereinbaren, wird es etwas billiger: Sie zahlen bei monatlicher Zahlweise pro Jahr rund 360 Euro, als einmaligen Jahresbeitrag rund 340 Euro.
Advocard kann jährlich kündigen
Normalerweise müssen Rechtsschutz-Kunden mit einer außerordentlichen Kündigung durch den Versicherer rechnen, wenn es innerhalb von zwölf Monaten zu zwei Rechtsschutzfällen kommt. Auf Anfrage von test.de teilt Advocard mit, dass die vorsorgliche Anwaltsberatungen keine Rechtsschutzfälle im Sinne der Versicherungsbedingungen sind und daher Kunden kein außerordentliche Kündigung zu befürchten haben. Allerdings: Wird der Advocard ein Kunde zu teuer, kann sie ordentlich kündigen. Bei einem Rechtsschutzvertrag mit der üblichen Laufzeit von einem Jahr kann der Versicherer unter Einhaltung einer Dreimonatsfrist zum Ende des Versicherungsjahres ordentlich kündigen. Es bleibt abzuwarten, ob die Advocard diese Karte zieht, wenn Verbraucher sich zu viel beraten lassen.
Anwaltskosten von 1 000 Euro sind schnell erreicht
1 000 Euro für anwaltliche Hilfe kann im Einzelfall zu wenig sein. Hilft ein Anwalt beim Verfassen eines Testaments, können leicht auch Anwaltskosten über 1 000 Euro entstehen. Dann entpuppt sich der 360°-Rechtsschutz nur als Teilschutz.
Von wegen „grundsätzlich ohne Risikoausschlüsse“
Die Aussage der Advocard, der 360°-Rechtsschutz biete Rechtssicherheit in allen Lebenslagen ist eine Marketinglüge. Der Name des Angebots und die Werbung können beim Verbraucher die falsche Vorstellung wecken, mit dem 360° könne er sich bei Rechtsärger auf Kosten der Versicherung immer einen Anwalt nehmen. Das ist aber insbesondere bei gerichtlichen Auseinandersetzungen nicht so. Es gibt auf dem Versicherungsmarkt keine Rechtsschutzversicherungen ohne Ausschlüsse. Auch bei der Advocard nicht. Beispiel: Ein Advocard-Kunde genießt keinen Rechtsschutz beim gerichtlichem Streit rund um einen Hausbau. Der illegale Download von Filmen und Musik im Internet ist weit verbreitet, viele Menschen könnten hier Rechtsschutz gebrauchen, wenn die Inhaber der Musik- oder Filmrechte auf Schadenersatz klagen. Aber auch hier zahlt die Advocard – wie auch die Konkurrenz – nicht. *)
*) Update 22.08.2013: Die Advocard hat mitgeteilt, dass auch im Falle einer Klage wegen einer illegalen Tauschbörsennutzung der Kunde anwaltliche Hilfe im Umfang von maximal 1 000 Euro bezahlt bekomme. Zunächst hatte Advocard auf der eigenen Homepage zu diesem Aspekt andere Informationen („FAQ“) bereitgestellt. Nachdem test.de auf entsprechende Ungereimtheiten hingewiesen hatte, änderte das Unternehmen seine FAQ. Update Ende
Und bei Prozessen rund um Geldanlagen ist die Advocard mit ihrem Risikoausschluss sogar radikaler als die Mitwettbewerber. Während viele Versicherer dazu übergegangen sind, Klagen zum Beispiel wegen einer Falschberatung beim Wertpapierkauf wieder teilweise zu versichern, zahlt die Advocard für solche Prozesse weiterhin keinen Cent.
360°-Schutz ist keine komplett neue Erfindung
Merkwürdig mutet an, dass die Advocard den 360°-Tarif im Sommer 2013 „jetzt“ als die „erste Rechtsschutzpolice grundsätzlich ohne Risikoausschlüsse“ präsentiert. So neuartig ist die Kostenübernahme von vorsorglichen Anwaltsberatungen nämlich gar nicht. Seit 2011 ist dieser Schutz als „Baustein § 28“ bereits Bestandteil der Advocard-Versicherungsbedingungen. Damals konnten Kunden diesen Zusatzschutz unter dem Namen „Rechtsschutz Plus XL“ hinzubuchen, heute heißt er eben „360°-Rechtsschutz“ und ist fester Vertragsbestandteil.
Fazit: Teurer Schutz mit Schwächen
Das Geld für die vorsorglichen anwaltlichen Beratungen ist für diejenigen Mandanten nützlich, die öfters zum Anwalt gehen, um sich ohne konkreten Rechtsärger etwa beim Abschluss eines Miet- oder Arbeitsvertrags beraten zu lassen. Wer zu oft zum Anwalt rennt, muss aber mit einer ordentlichen Kündigung rechnen. Als bittere Kröte haben Kunden stets den vereinbarten Selbstbehalt (150 bzw. 300 Euro) zu schlucken. Wer auf den Teilschutz bei vorsorglichen Beratungen verzichten kann und eine klassische Versicherung für den Fall sucht, dass eigene Rechte gefährdet sind, bekommt auch für deutlich weniger als 300 Euro Jahresbeitrag eine gute Versicherung: Test Rechtsschutzversicherung.